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JAHRBÜCHER
DES
VEREINS VON ALTERTHUMSFREUNDEN
IM
KHEINLANDK
HEFT LIU n. LIV.
KT 17 LITHOeiUPfllSTfiN TAFELN ÜHD 7 HOLZSCHKITTBK.
BONN.
GEDRÜCKT AÜP^ KOSTEN DES VEREINS,
BONN, BEI A. MARCUS.
1879.
Inhaltsverzeichniss.
L Geschielite und Denkmäler.
Seite
1. Ueber einige Bronzebilder des Ares. Hierzu Taf. I— XIL Vom Prof.
Dr. Diltbey in Zürich 1
2. Die kunstgeschiobtlichen Beziehungen zwischen dem Rheinlande und
Westfalen. Vom Privat-Doc. Dr. Nordhoff in Münster 48
3. Ein römischer Fund in Bandorf bei Oberwinter. Hierzu Taf. XIH und
XIY. Vom Geh. Med.-B. Prof. Schaaffhansen in Bonn .... 99
4. Römische Inschriften Yom Mittelrhein. Vom Prof. Dr. Becker in
Frankfurt .142
5. Römische Alterthüm^r in Lothringen. Vom Prof. Dr. Hüb n er in Berlin 169
6. Römische Inschriften aus Rohr bei Blankenheim und Bonn. Vom Prof*
Dr. Freudenberg in Bonn 172
7. Alterthümer am Oberrhein, Vom Oberbibliothekar Prof. Brambach
in Carlsruhe 188
8. Die an der Ost- und Nordseite des Domes zu Köln entdeckten Reste
röm. und mittelalt. Bauten. I. Vom Dombaumeister Hrn. Voigt ei.
n. Vom Prof. Dr. Düntzer. Hierzu Tafel XV und XVI 199
9. Epigraphische Mittheilungen aus Gleve. I. Die Turok'sclie Chronik. Vom
Director Dr. Fulda in Smgershausen 229
10. Zur Staurologie. Von Pastor Otie in Fröhden 253
11. Fund römischer Eaisermünzen in der Nähe von Bonn. Von Dr. Cuny
Bouvier. Hierzu Tafel XVII, Fig. 1-4 261
12. Zwei nnedirte Kaiser-Münzen. Von F. van Vleuten. Hierzu Tii. XVH,
Fig. 5. 6. . 268
IL Litteratnr.
1. a) Histoire de la peinture au pays de Li^ge — parM. Jules Hei big.
b) Charles G6rard, les artistes de l'Alsace pendant le moyen-4ge.
T. I. Colmar 1872. c) Dr. Rahn, Geschichte d. bild. Künste in der
Schweiz. I. B. 1. Abth. Zürich 1873. Angezeigt vom Obertrib.-R. Dr.
Schnaase in Wiesbaden 271
2. Julius Cäsar am Rhein. Von Prof. D ed e r i eh. Angez. von Prof. Fiedler
in Wesel 287
in. Miscellen.
1. Bömisohe und germanische Alterthümer im Bergisohen. Von F. W.
Oli^Bchlager 293
2. Zwei röm. Inschriften aus Alzey. Von Reallehrer Schwabe . . . 295
3. Zur rheinischen Epigraphik. Von Dr. Kamp 296
4. Römischer Grabstein in Jülich. Von demselben 296
5. Eine gallische Goldmünze aus Leichlingen. Von Dr. Crecelius . . 298
6. Rom. Alterthümer in Poppeisdorf. Von J« Freudenberg. . , . 298
Seite
7. Analyse eines röm. Metallspiegels. Von demselben 299
8. Röm. Alterthümer in Aachen. Von demselben 300
9. Röm. Alterthomsfande zwischen Mülheim a. d. R. und Witten. Von
Hofrath Essellen 300
10. Oefifnnng des Grabmals von Eginhard in Seligenstadt. Fr. J. • . . 302
11. Aus 2 Vortragen des Prof. Becker über den Taunus und. die Aus-
grabungen auf der Saalburg bei Homburg a. d. Höhe .... 303
12. Mittheilungen des Hm. Pfarrer Grün in Betr. des Bleisiegels des Köln.
Erzb. Piligrimus 306
13. Antikes &zffefass von Münstermaifeld '. 309
14. Röm. Alterthümer am Apollinarisbrunnen 310
15. Rathselhafbe Inschrift eines röm. Salbenfl&schohens und Töpfemamen
aus Neuss. Von J Freudenberg 310
16. Aus d. 12. Ber. d. ant.-hist. Ver. für Nahe und Hunsrüok; Töpfer-
inschriften. Von J. Freudenberg ,311
17. Röm. Grabstatten in Trier 313
18. Die alte Burg in Honnef. Vom Geh. Med.-R. Schaaffhau^en . . 314
19. Manerreste des röm. Gastrums in Coblenz. Von demselben . . . 314
20. Alterthumsfunde in Pfalzfeld, Malberg and Hunzel. Von demselben 316
21. Antiker Steinblook in Coblenz (Taf. XVH, Fig. 6). Von demselben 315
22. Germanische Gräber im Elsass. Von demselben 316
23. Germanische Urnen aus Dahlen (Kr. Gladbach), Von demselben • 317
24. Eine Abraxas-Plombe. Taf. XVII, Fig. 7. Von F. van Vleuten . .317
25. Amulet mit griech. Inschrift. Taf. XVII. Fig. 8. Von demselben. . 318
26. Römische Grabfunde in Bonn. Von Dr. Bouvier 319
27. Der röm. Pfahlgraben östl. und südöstl. von Linz. Von Dr. Pohl . , 322
28. Fundstätten röm. Alterth. bei Billig. Von demselben 324
29. Römische Baureste bei St. Vith 830
30. Mercurius und Rosmerta. Von 0. Robert 331
31. Altdeutsche Inschrift in ünkelbach. Vom Geh. Med.-R. Schaaff-
hausen 383
32. Röm. Münze aus dem Bergwerk von Call. Von demselben . . 333
33. Der Genlok von ühland 333
IV.
Chronik des Vereins fBr das Vereinsjahr 1872 (resp. Pfingsten 1872—73) . 884
V.
VerzeichnisB der Mitglieder 342
L Oeschiclite nnd Denkmäler.
I. Ueber einige Bronzebilder des Ares.
Hierzu Taf. I— XII.
Es waren nicht mehr als drei Kunstdarstellungen des Ares, auf
die Winckelmann den Satz gründete : die Züge des Mars offenbaren in
den ruhigen Mienen einen jungen Helden von sanfter und menschlicher
Natur ^). Seitdem ist öfters Klage geführt worden über unsere Armuth
an sicheren Bildnissen des Ares^) und die Versuche, welche unternom-
men worden, den plastischen Typus des Oottes zu charakterisiren,
weichen so sehr von einander ab, dass sie unsere Unklarheit über dies
Kapitel der sogenannten Kunstmythologie nur zu bestätigen scheinen.
Winckelmann wollte keinen bärtigen Ares anerkennen "), die italienischen
') Kunst der Zeichnung, Winckelmanns Werke her. von Meyer und
Femow VII 86 = Monum. ined. S. XLI, vgl. Kunstgesch. B. V Gap. I § 18.
Die drei Aresbilder, auf welclie sich Winckelmann beruft, sind die sitzende
Statue der Villa Lndovisi, die Reliefdarstellungen am Kandelaber Barberini und
an der Kapitolinischen Brunnenfassungf. Er unterlässt, den sog. Achill Borghese
heranzuziehen, obwohl er (Monum. ined. S. 33) für wahrscheinlich erklärt, dass
diese Statue den Ares darstelle.
•) VgL Hirt Bilderb. für Mythol. I 51, Baoul Rochetto monum. ined. S. 51.
^ Den bärtigen Marskopf römischer Münzen ist er geneigt ^Evvahog zu
nennen, an der angeführten Stelle der Kunstgeschichte« welcher die Erklärer
der antich. d'Ercol. VI S. 68 zu folgen scheinen; B. X Cap. 2 § 18 behauptet
er: Mars findet sich allezeit ohne Bart in allen seinen Bildern in Marmor und
aaf Münzen.
1
2 üeber einige Broncebilder des Ares.
Archaeologen widersprachen ^). 0. MttUer urtheilt, dass die ausgebildete
Kunst ihn lieber bartlos gebildet^), Raoul ßochette, dass er meist
bärtig®), und Preller, dass er bisweilen unbärtig dargestellt worden
sei^). Hatte Winckelmann, unter dem Einfluss seiner philosophischen
Kunstlehre, die Züge des Ares menschlich, ruhig, jugendlich sanft gi^
nannt, so fand Visconti in ihnen Schönheit zwar, aber eine Schön-
heit derberer nüchterner Art; er behauptet, dass in der Kunst
sein Haar stets kurz und kraus sei^). Aehnlich urtheilten liaoul Ko-
chette®) und 0. Müller. Nach der Ansicht des Letzteren bezeichnen
Ares durchgängig eine derbe und kräftige Muskulatur, ein starker
fleischiger Nacken, kurzgelocktes und gesträubtes Haar; er hat
kleinere Augen, eine etwas stärker geöffnete Nase, weniger heitere
Stirn als andere Zeussöhne; dem Alter nach erscheint er männ-
licher als ApoUon und Hermes. Im 'Uebrigen war doch sein Wesen
zu sehr bioser Begriff, um ein Hauptgegenstand der plastischen
Kunst zu werden'; so komme es dass über den plastischen Charakter
des Gottes manche Zweifel obwalten. Anders wiederum begründet
K Braun den Umstand, dass Ares durch die griechische Kunst ver-
hältnissmässig selten behandelt worden sei^). Er glaubt, dass sie ins-
gemein ihn gescheut habe als ungethümes .Wesen, in dessen Gefolg
Todesgrauen und Schrecken sind, und fast überall, wo sie ihn zum
Gegenstand selbständiger Darstellung gemacht, erscheine er durch
die Verbindung mit Aphrodite gebändigt und verwandelt; in den
bessten Zeiten habe die Kunst ihn gefasst als Heldenjüngling, kampf-
lustig und zugleich sentimental. Neuerdings schien der verdienstvolle
Aufisatz von Stark ^) über ein von ihm als Ares Soter bezeich-
netes Fragment in Madrid dem Gott eine Reihe von Statuen und
Büsten mit gutem Rechte zugewiesen und unsere Einsicht in seine
') Fea Eur röm. Ausgabe der Kanstgeschiohte Bd. III S. 466, Visconti
Mus. Pio- Clem. Bd. II eu Uv. 49.
') Haadb. der Arohaeol. § 372 S. 673.
') Monum. in^ S. 68.
^) Dieser durohaus schiefe, wohl aus Raoul Boohetie entnommene Satz ist
auch in der neuen Ausgabe ohne Berichtigung wiederholt, I S. 270.
^) Monum. scelti Borghes. S. 34 fg. der Mailänder Ausgabe.
*) A. a. 0., S. 49 ff. Seine ganse weitschweifige Darlegung ist voll von
grundlosen Behauptungen, Oberflächlichkeiten und Irrthümern.
') Vorschule d. Kunstmythol. S. 64 fg.
•) Berichte d. s&chs. Ges. d. Wissensch. 1864 S. 173 ff.
Üeber einige Broncebilder des Ares. 8
kfinsüerische Erscheinung nicht wenig gefördert zu haben. Oleich da-
rauf hat wiederum Urlichs 0 den gesammten Typus, welchem jene
Werke angehören, auf Achill bezogen; uud einzelne Bepräsentanten
desselben erfahren immerfort die verschiedensten Benennungen.
Der nachfolgenden Besprechung wird es vielleicht gelingen, die
schwankende Terminologie einer ausgebreiteten Gattung van Ideal-
büdnissen zu befestigen, und durch neues gesichertes Material den
plastischen Typus des Ares in seiner jüngeren und geläufigsten Er-
scheinung deutlicher zu macheu. Jedenfalls wird man der Redaktion
dieser Zeitschrift Dank wissen für die reiche Publikation, die auf Taf.
I — XII eine zusammengehörige Reihe von Bronzen vereinigt, von
denen nur zwei schon frQher veröffentlicht worden, und einige bis jetzt
ganz unbekannt gewesen sind.
1. Sie nahm ihren Ausgang von der auf Taf. I II in der Grösse
des Originals abgebildeten Büste. Dieselbe wurde im Jahre 1869
an der Mosel beim Orte Wehr gefunden, nicht weit von der Stelle,
wo in römischer Zeit eine Fürth die beiden grossen Militärstrassen
verband, die zur Rechten und Linken des Flusses von Trier nach
Hetz führten'). Am selben Ort stiess man im Wasser auf ein grösse-
res Relief, das im Nenniger Mosaikgebäude aufbewahrt wird, auf ein
Kapitell und Reste von Mauern, welche sich vom erhöhten Ufer bis
hinunter in die Mosel ziehen. Die kleine Bronzebüste erwarb Herr
von Musiel auf Schloss Thoren bei Nennig. Er überliess sie bereit-
willig dem Verein zur Publikation, und ich hatte Gelegenheit, das
Original ^Iber zu prüfen.
Kopf und Büste sind intact erhalten, es fehlt nur die Spitze des
Helmbügels. Der Rücken ist von oben i^ach unten schräg abgeplattet,
seine Höhlung ausgegossen mit Blei und in diesem steckt noch das
Ende eines Metallzapfens. Hieraus ergiebt sich, dass die Büste als
Affix zum Schmuck irgend eines Geräthes diente, an welchem sie der-
artig aufgesetzt war, dass sie gleich den Hochreliefen der imagines
clupeatae von unten nach oben aus der Fläche heraussprang. Auf
solche Verwendung deutet auch die untere Begrenzung der Büste
durch ein Blattornament, welches den Uebergang in die Fläche zu ver-
mitteln hatte.
') Ueber dio Gruppe des PaBquino, nebst einem Anhang über den Achill
Borghese (Winckelmannsprogramm des Vereins, 1867) S. 35 ff.
>) Vergl. Lafontaine in der Zeitschr. d. Luxcmb. Ges. t. XXIII (II) S. 164
ff., Jahrb. des Vereins XXXI S. 22. 29.
4 Uiber emige Bronsebilder des AreB.
Büsten dieser Art aus getriebenem Silberblech dienten unter dem
besonderen Namen ' emblemata und dem allgemeineren der sigilla ^)
besonders häufig zum Schmuck silberner Trinkschalen, auf deren
Boden sie festgelöthet wurden. Ich brauche nur zu erinnern an die
Schalen mit den Büsten des schlangenwürgenden kleinen Herakles, des
Attis und der Kybele aus dem Hildesheimer Silberfund'). In einer
jetzt im Louvre aufbewahrten Silberschale, die in Berthouville gefun-
den wurde, sind, durch Blattomament abgeschlossen, die Büsten des
Hermes und der Aphrodite angebracht <) ; ein Brustbild des Harpokrates
schmückt den Boden einer im Leidener Museum aufbewahrten Schale^).
Goldene Emblemata zusammen mit einer silbernen Phiala werden der
Lokalgottheit Noreia geweiht in einer Inschrift aus dem alten Noricuro,
auf die jüngst Hübner hingewiesen hat ^). An soU±es Tafelgeräth denkt
auch Valerius Flaccus, wenn er erzählt vom Knaben Achill, der zu
Peleus und den schmausenden Argonauten kommt (I 260) :
illum nee valido spumantia pocula Baccho
soUicitant veteri nee conspicienda metallo
Signa tenent.
Diesen Schalen mit ihrem Innenschmuck entsprach die Gestalt
der römischen Phalerae; darum auch wurde der > runde Schild von
Silberblech, welcher die einfachste Form dieses militärischen Ehren-
schmuckes war, g>takf] geheissen*).
>) Vgl. Beoker-Marquardt Handb. d. röm. Alterth. I S. 276» 0. Jahn xu
Penias S. 132, MicbaeÜB das corsinische Silbergefius S. 4 S., Semper der Stil
n S. 24 f.
>) Wieseler der Hildesh. Süberfand Ta£ IH, Holzer der Hildesh. ant
Silberfand Taf. H. Dass die beiden letzteren Büsten mit Recht auf Attis und
Kybele bezogen werden, weist R. Schöne nach, Hermes III S. 477, 2. Das
Emblema der Kybele ist nachträglich innen mit Blei ausgegossen (replumbatum) ;
Tgl. Schöne a. a. 0. and im PhUoL 1869 S. 369 f.
*) Le Pr^vost memoire sar la ooUeot. de vases ant. tronv^e en mars 1880
k BerthouTiUe PL III 2. 3, Text S. 27 (aus dem Mem. de la soo. des antiqu. de
Normandie t VI); vgl. Ch. Lenormant buUett dell' Inst. 1830 S. 110, Cha-
bouillet catal. g6ner. S. 440 n. 2823. Le Prevost S. 15 n. 4 erwähnt auch einer
Büste des Mercur aus massivem Silber, die bestimmt gewesen, den Boden einer
Patera einzunehmen, vgl. Lenormant a. a. 0* S. 99.
^) Leemans monum. Egypt. du mos. d'ant. ä Leyde taf. LXX n. 490.
») ArohaeoL Zeit. 1870 S. 89.
•) Vgl. 0. Jahn die Ijauersforter Phalerae S. 2 f.
Ueber einige Bronzebilder des Ares. 5
Von solchen Gefässzierrathen waren die Götterbüsten der imagi-
nes clapeatae in Nichts verschieden. Eine kürzlich bei Nemi aufge-
fandene Inschrift % welche das Inventar zweier Tempel enthält, zählt
auf unter Anderem Signa n. XYII, caput solis I, imagines argenteae IUI,
clapeos I. Wie in der oben erVrähnten Norischen Inschrift, werden
hier Geiikth und Schmuck unterschieden; offenbar waren die imagines
bewegliche kleine Götterbüsten, welche auf dem Schildrund erst dann
befestigt wurden, wann dieser seiner Bestimmung gemäss als architek-
tonischer Zierrath zur Verwendung kam ^). So heisst es auch in einer
Weihinschrift, die bei diesem Anlass von Henzen erwähnt wird,
^imago argentea cum aereo clipeft'') und in einer anderen 'clupeus
argenteus cum imagine aurea'^). Mit Recht deutete Henzen die
Mmagines argenteae deorum Septem', die anderwärts erwähnt werden^),
auf die nämliche Gattung von Büsten: es ist hinzuzusetzen, dass offen-
bar die sieben Pianetengötter gemeint sind, nach denen die Wochen-
tage ihre -Namen haben ^).
Vielfältigste Verwendung hatten ganz analog geformte Büsten
aus Bronze. Es finden sich solche an einer vor wenigen Jahren in
Pompei ausgegrabenen mit Bronzeblech gedeckten Holzkiste; auf der
'} BuUet. deU' Inst. 1671 8. 66, HenneB vi S. 6 ff. Von den imagines
(emblemsia) sind die signa (Statuen) verschieden, wie sonst 'imagines et statuae*
unterschieden werden (vgl. Benndorf und Schöne d. lateran. Mus. S. 210), und
unter dem caput Solis haben wir uns vielleicht eine selbständige Büste zu
denken. Die Corona analempsiaca i cum gemmis topazos n. xxi et carbuncnlos
D. Lxxxim, welche hier unter den Inventarstücken des Isistempels vorkommt,
and auch sonst auf diese Göttin bezogen erscheint (Vercellono dissertazioni accade-
miche S. 339), hat Mommsen aufgefasst als einen Kranz der aufgesetzt und
abgenommen werden konnte. Indessen scheint mir selbstverständlich, dass ein
gesondert aufgeführter Kranz diese Eigenschaft besass, und zugleich dürfte
Mommsens Erklärung sprachlich schwer zu rechtfertigen sein. Das Beiwort führt
mich auf die Vermuthung, dass dieser Keif vermöge der eingesetzten Steine
Heilkräfte ausüben sollte und medizinische Bestimmung hatte. Ueber die Wort-
form vgl. Joh. Schmidt zur Oesoh. des indog. Voc. S. 118 f.
') Aehnlich entsprechen sich in der Inschrift von Noricum, die oben er-
wähnt wurde, phiala argentea und emblemata aurea, und Schale und Em-
blemata sind gesondert gewogen. (Jeher die imagines clupeatae s. Jahn a. a.
O. S. 8, 32 und 6er. der säehs. GeseUsch. d. Wissensch. 1861 S. 299.
•) Mnratori 718, 6.
*) Marini atti e monum. de* frat. Arv. S. 408.
«) Gniter 175, 9, vgl. Henzen buUett. dell' Inst. 1866 S. 100.
•) Vgl unten 8. 7 und S. 17.
6 Ueber einigu Bronsebilder des Ares.
im Einzelnen undeutlichen Abbildung bei Niccolini') erblickt man, so
scheint es, Apoll und Artemis, zwischen ihnen einen Thierkopf,
darunter, rechts, und links von der Maske eines Dionysos, wohl
die geflügelten Büsten des Frühlings und des Herbstes. Der
gleiche plastische Schmuck fand sich an Bettstellen^), zuweilen auch
an Dreifüssen^) angebracht. Ein Brustbild der Athene von Bronze,
aus einer runden Platte vorspringend, die an zwei zusammenlaufende
Bronzewangen befestigt ist, zierte als Hutela' den Bug eines römischen
Kriegsfahrzeuges ^). Eine Reihe von Bronzebüsten, wie die unsrige
geformt, und jede auf einer runden Platte befestigt, wurde in Resina
gefunden^ zusammen mit bronzenem Pferdegeschirr und den Resten
bronzener Pferde; hieraus ergab sich mit Gewissheit ihre Bestimmung
als Phalerae für Pferde. Es sind ausser einem nicht näher zu be-
stimmenden weiblichen Kopf*), Athene«), Nike''), Ares^), Athene •)
dargestellt. Gleichartiger Zierrath ist auch an Bronzerüstungen an-
gebracht >^). Eine Votivhand von Bronze, in Avenches gefunden und
aufbewahrt, ist mit mehreren dieser Götterbüsten ausgestattet). An
^) Gase die Pompei fascic. 89, descriz. gen. tav. 88.
') Niocolini a. a, 0. fascic. 40 tov. 36; Mus. Borb. II. tav. 31 =Overbeck
Pompei n* S. 46 = Semper der Stil I S. 379 = Guhl und Koner Leben der
Griechen und Körner (3. Aufl.) S. 543.~ Häufiger noch mochten diese Zierrathen
der Bettstellen aus Elfenbein gearbeitet sein; s. die Erklärer zu Properz V 5,
24 sectaque ab Attalicis putria signa toris, wo man hinzufuge Choric. ecphras.
imag. S. 161 Boissonade 17 Sk (xXivri) iXiipavri xal XQvat^ xal NCxrji x^xoafAfßvu^
ylvfAfAaat div^qififAivuig m^Qv^iv axQ(f r^ x£(paXj rrjv xUvijp avixpvüi. Doch wohl
Nlxrig xexoafdrpai yXv/4fÄaatf Sir^Qtifjiivcug tu^qv^i xai axftif ry xiipal^ riiv xUvfiv
s) Vgl. z. Q. mem. deU' accad. di Torino xxxin (1829) Taf. zu S. 138.
*) Archaeol. Zeit. 1872 Taf. 62.
«*) Antich. d'Ercol. V S. 18 = S. 139 = S. 145.
«) Ant. d'Erc. S. 7 = S. 31 ; S. 1 = S. 126.
') Ant. d'Erc. V S. 7 = S. 131.
») Ant. d'Erc. VI S. 71 = 8. 166 = 8. 265 = S. 341.
•) Ant. d'Erc. VI S. 76 = S. 169 =1 S. 259 = 8. 346. ^ Aehnliche Pha-
lerae, bei Mors gefunden, weisen Büsten aus dem dionysischen Kreise: 0. Jahn
d. Lauerforter Phal. Taf. I 6. 6. 7. 8, vgl. S. 8 f.
^^) Ant. d'Erc. VI S. 39= S. 171; Niccolini a. a. 0., caserma dei Gladia-
tori tav. IV 2. 6.
^ ") Mittheil. d. antiquar. Ges. in Zürich XI taf. 3, XVI taf. 18; vgl. 0. Jahn
Ber. d. sächs. Ges. d. W. 1855 S. 101 und Taf. IV 2a. Ueber den Gestus der
Votivhande s. H. üsener rhein. Mus. n. F. xxvra (1873) S. 407 flf.
Üeber elhige Bronzebilder des Ares. . 7
einer in der Themse gefundenen Bronzezange sind nicht weniger als
zehn emblemata angebracht: an den Schenkeln die BUsten der sieben
Wochengötter, denen eine achte angereiht ist, oben über dem Chamier
die der Venus und Kybele^- An einer bronzenen Inschrifttafel des
kapitolinischen Museums sind oben die Brustbilder des Septimius
Sevems, des Geta und CaracaJla befestigt').
Für ejne SchlusshQlse möchte ich ein .Bronzegeräth des Museum
Kircherianum halten, über welches Herr A. Trendelenburg die folgende
Mittheilung mir zu machen die Güte hatte : Eine genaue Wiederholung
des Kopfes von der Mosel ist im Museum Kircherianum nicht vor-
handen, dagegen findet sich dort ein in wesentlichen Punkten ähnlicher
Bronzekopf. Derselbe schmückt den äusseren Boden eines in seiner
Bestimmung mir nicht deutlichen becher^hnlichen Geräthes von etwa
1 Zoll Höhe uud 3 Zoll Durchmesser (die Maasse beruhen auf un-
sicherer Schätzung, da das Geräth hoch in einem Glaskasten hängt),
das oben eine runde, unten eine viereckige Oese hat. Der Kopf ist
mit einem Helme bedeckt, dessen Busch ausnehmend gross ist. Locken-
striemen fallen zu beiden Seiten auf die mit einem faltenreichen Ge-
wände bedeckte Brust (keine Aegis, kein Gorgoneion) herab. Die
Brust findet unten ihren Abschluss ganz in der Weise des vorliegenden
Kopfes in einem Blätterrande, der in seiner Bildung mit dem der Pho-
tographie übereinstimmt. Kopf und Helm springen vollständig körper-
lich aus dem Behef, das die Brust bildet, heraus.
Ungleich häufiger finden diese Affixe sich getrennt von dem
Grund welchem sie angehörten. Die Zahl der kleinen Bronzebösten,
welche nach ihrer Form und manchen äusseren Merkmalen ähnliche
Verwendung wie die unsrige gehabt haben müssen, ist weit grösser
als ' man glauben sollte ; denn die Kunsterklärer haben sich meist be-
gnügt, die betreffenden Bronzen als Büsten zu registriren. Wenn an
den Originalen selber die Beachtung der Rückseite in den meisten
*) Arcbaeologia ormiscellan. traots relat. to antiqu. vol. xxx (Lond. 1844)
p1. 24 S. 648.
*) Vgl. Fabretti columna Traj. 87, Maffei Mos. Ver. 309, Donati 175,3,
Guasoo Mus. Gapit. 95, Eellermann vig. Rom. lat. 12. Auch kleine Marmor-
bdsten der nämUchen Form hat man in genau entsprechender Weise verwendet.
So findet sidi an einem Florentiner Kriegerrelief das Porträt des Hadrian,
dessen Pendant verloren gegangen; vgl. arch. Zeit. 1870 Taf. 29, dazu Hübner
S. 82.
%
8 lieber einige Bronzebilder ^es Ares.
Fällen die früheren Applike wird erkennen lassen, so verrathen in
vielen Fällen doch auch die Abbildungen durch bestimmte Indicien
diese dekorative Bestimmung. Einmal pflegen diese Büsten durch eine
mehr oder minder starke Biegung des Kopfes nach oben, mit der
meist eine seitliche Wendung verbunden ist, anzuzeigen dass sie auf
eine gewöhnlich vertikal gestellte Fläche befestigt werden sollten, aus
der sie als Hochrelief hervorsprangen *)• Ferner scheint die untere
Begrenzung der Büste durch vegetabilisches Ornament regelmässig auf
den dekorativen Zweck hinzuweisen, ohne dass doch dieser nur da an-
zunehmen wäre, wo wir am Band des Bruststückes diesen Abschluss
gewahren^). Als schönes Beispiel dieser ungemein häufigen Form der
Büste, die unter den Bronzewerken in allen grösseren Publikationen
zahlreich vertreten ist, führe ich eine zu Brunault in Belgien gefundene
und von Boulez veröffentlichte Herabüste an, die aus einem glocken-
blumenartigen Kelch hervorkommt^).
') Hier muss freilich darauf hingewiesen werden, dass auch gewisse kleine
Bronzebüsten anderer Bestimmung diese, Eigenthümlichkeit besitzen, nämlich
die als Hängegewichte an den römischen Schnellwagen verwendeten Büsten,
welche überhaupt durchaus analoge Fabrikate sind. Dieselben verrathen zwar
durch das meist auf der Höhe des Kopfes, bei behelmten Büsten auch im Helm-
bügel befindliche Loch, da* einen zum Aufhängen dienenden Haken aufnahm
— zuweilen ist dieser mit erhalten —ihre Bestimmung, es ist aber in denPnblikatio*
neu und Beschreibungen namentlich aus älterer Zeit nicht immer auf dieses Merk-
mal geachtet worden. Das Bruststück dieser Gewichtbüsten pflegt hinten hohl und
mit Blei ausgegossen zu sein zur Regulirung des Gewichtes. Vgl. Friedrichs
kleinere Kunst und Industrie im Alterth. S. 206 ff., Mus. Borb. 1 55, YUI 16, Over-
beck Poropei H S. 72, Guhl und Koner Leben der Griechen und Römer S. 672.
^) Nur eine aus Blattomament sich erhebende Büste ist mir bekannt,
deren ^ienende dekorative Funktion fraglich erscheinen kann in Anbetracht
ihrer Grösse und feinen und freien Ausführung. Es ist die Marmorbüste der
sog. Glytia im brittischen Museum, abgeb. Townley gall. U & 90, besprochen
archaeol. Anz. 1867 S. 55* ff. und Friederichs Bausteine n. 818. Die Analogien,
welche Letzterer beibringt sind nicht zutreffend. Denn dass kleine Marmor-
köpfe dekorativer Natur, meist Fragmente von Tischfussen, Marmorsesseln und
dergl, häufig diese Blattbegrenzung aufweisen, ist bekannt genug; ich habe
deren mehrere im römischen Kunsthandel gesehen. Leider hat kühner seine in
der archäolog. Gesellschaft kürzlich vorgetragenen Bemerkungen über das Motiv
des Blattkelches an antiken Büsten nicht veröffentlicht, vgl. arch. Zeit. 1872
S. 41. Ueber Yerknüpfung menschlicher Figur mit Pflanzenomament s. Benn-
dorf und Schöne das lateran. Mns. S. 40.
») Bullet, de l'acad. de Brux. tome X, zu S. 68. Boulez :'les trois feuilles,
Ueber einige Bronsebilder des Aret. 9
Seltener finden sich im Bruststück oder unter den Achselhöhlen
Nietlöcher vor für die Stifte, mit welchen das Affix angeheftet wurde ;
mitunter auch ist ein mit Löchern versehener Rand herausgetrieben,
der das Ganze als Beschlägeplattchen erkennen lässt ^), oder die Büste
läuft nach unten gabelförmig auseinander, und erscheint als Bekrönung').
Hiernach ist wahrscheinlich, da^ weitaus die Mehrzahl der er-
haltenen kleinen Bronzebüsten als Appliken fungirt hat; wer die Ab-
biUungen im ftlnften und sechsten Band der Antichita d'Ercolano, in
den Sammlungen von Mont&ucon und Gaylus, den kürzlich von
Sacken herausgegebenen ersten Band der Bronzen des kk. Münz- und
Antikenkabinets in Wien durchmustern mag, wird sich leicht hiervon
überzeugen.
Bisweilen tritt sehr charakteristisch das Bestreben zu Tag,
durch Beifügung eines Attributes oder auch eines Bewegungsmotives
den Kopf zu kennzeichnen; und so kommt es, dass öfters ein Arm
oder beide, meist in etwas verkümmerten Verhältnissen, hinzugefügt
sind. In diesem Falle vermögen wir mitunter das Verfahren deutlich
zu erkennen, mittelst dessen bekannte Darstellungen zu solcher Büsten-
form abbreviirt worden sind. Besonders lehrreich ist in dieser Be-
ziehung die von Ritschi als 'Ino Leukothea' herausgegebene Büste,
die vielmehr Amphitrite zu benennen sein dürfte^). Die gesammte
qm fofit saiUie ä sa base et enr lesquelles ii (le broDze) repose,- semblent indi-
qner qü'il a appartenu k un meuble, anquel 11 servait d'ornement, et la brisure .
qai Be voit par derriere ä la partie inferieure, no laisse meme aucun doute
8ur oette destiDation. Mais quelle peat avoir ete la nature de ce meuble; etait-
ce un siege, oa an tröpied, etc.?* Eine andere bemerkenswertho Bronzebüste
der Hera,, gefunden in Baden (Ganton Aargau) und publicirt im Anzeiger
f. schweizer. Alterthunisk. 1872 Taf. XXYUI (vgl. S. 310), diente gleichfalls als
Applike ; sie ist inwendig hohl, der Hinterkopf fehlt. Die erwähnte Abbildung
giebt keine richtige Vorstellung des Originals, von dem eine Photographie mir
Torliegt; es ist eines der Herabildnisse, welche dem Typus der Aphrodite nahe
stehen. Eine werthlose kleine Herabüste, von Blattomament begrenzt, wurde
zugleich mit der Aresbaste von YTehr aufgefunden. Overbeck in seiner eben
erschienenen 'Kunstmythologie* der Hera übergeht die Bronzebasten der Göttin,
ich weiss nicht mis welchem Grande, mit StillscWeigen.
*) Z. B. Speoim. of ano. sculp. U 34, Sacken Bronzen d. kk. Münz- und
Antikenkabinets in Wien I Taf. 28, 2; 31» 5; 48, 3 und 5.
*) S. Friederichs kleinere Kunst und Industrie S. 333 n. ^562 1^^* und
öfter.
■) Bitsohl Ino Leukothea (1865) Ta£ I 1, U 1. Gegen Ritschis Deutang
10 Ueber einige Bronsebilder des Ares.
von Ritschi gänzlich missverstandene Haltung and Bewegung ist
bedingt durch den Umstand, dass diese Büste kopirt ist nach einer
jener Figuren von Wassergottheiten, welche auf Seewesen gelagert
sind, während sie den Kopf auf die Hand stützen und den Blick über
die Meeresfläche schweifen lassen. Hier ist das Seethier, ein Delphin,
zum Attribut zusammengeschrumpft, welches gleichzeitig die Büste
omamental abschliesst *) ; aber das Bewegungsmotiv ist einfach beibe-
halten worden.
Diese Büsten sind, ihrer dekorativen Bestimmung gemäss, meist
von geringerem Eunstwerth, die physiognomische Charakteristik ist
mehr oder minder abgeflacht. Bisweilen kam dem Verständniss ein
kennzeichnendes Attribut zu Hülfe; meist aber pflegte die Bedeutung
dieser Köpfe durch die Zusammenstellung klar zu werden. Denn
Alles lässt vermuthen, dass es fast regelmässig Gottheiten waren,
welche in diesen ornamentalen Büsten dargestellt wurden, und dass
diese in paarweiser Entsprechung oder in umfänglicherem Cyklus ver-
bunden wurden.
Schon dieser Gesichtspunkt leitet auf die Annahme, dass viel
eher Ares, als etwa Achill oder Alexander in der Büste von der
Mosel zu erkennen sei. Nicht minder stark spricht eine zweite ausser-
liehe Erwägung zu Gunsten des Kriegsgottes. So mangelhaft auch ge-
sorgt ist für Publicirung und Beschreibung der In den öffentlichen Samm-
lungen und im Privatbesitz verstreuten kleinen Bronzen, und so schwer
es hierdurch gemacht wird, einem einzelnen Typus auf diesem Gebiete
nachzugehen, so war es mir doch ohne grosse Mühe möglich, fünf
dieser kleinen Bronzebüsten aufzufinden, die mit der von der Mosel
mehr oder minder übereinstimmen, und augenscheinlich in eine Reihe
mit ihr zu stellen sind. Hiernach muss die Zahl der vorhandenen
Wiederholungen eine sehr grosse sein. Eine so populäre Verwendung
erklärten rioh Michaelia anaglyphi Vatia explic. S. XIX ff. und Gonze Gott,
gel. Anz. 1866 S. 1182 ff., welche die Büste Thalassa benennen.
') Gonse a. a. 0. S. 1135 vergleicht das Attribut des Blitses an einer
ßronzebüste des Zens, Müller- Wieseler Denkm. d. a. K. II Taf. II 29. Auf
Tafel CXLIII der Probedrucke für die gescheiterte Fortsetst^g von Gerhards
antiken Bildwerken (der Band ist gegenwärtig im Besitz des archaeologischen
Instituts in Rom) ist die Büste Plntons abgeschlossen dnrch die drei Köpfe des
Kerberos. l5ie in ihrem Armarinm stehende imago im Lateran (Benndorf
und Schöne S. 209 n. 848) wird unten begrenzt durch das Todtensymbol der
Schlange.
Ueber einige BroDzebilder des Ares. 11
im dekorativen Gebrauch konnte wohl das Bildniss des Ares finden,
den die Römer identificirten mit dem 'Hanpt- und Stammgott der
italischen Bevölkerung', aber nimmermehr das des Achill oder Alezander.
2. Es wird zunächst Niemand leugnen mögen, dass die auf
Taf. III rv abgebildete Bronzebttste des Berliner Antiquariums mit
der von der Mosel zusammenzustellen ist ^). Auch hier weist die Be-
schaffenheit des hinten ausgehöhlten und mit Blei ausgegossenen Brust-
stückes auf entsprechende Verwendung hin ; der Rand desselben, da er
auf irgend einem Grund fest aufsass, ist theilweise ausgebrochen. Es
sind Spuren ,von Vergoldung wahrnehmbar. Der Kopf blickt nach
rechts, während die Büste von Wehr nach ihrer linken Seite gewendet
ist ; der Helm sitzt vom etwas höher als dort. Sonst herrscht zwischen
den beiden Büsten ein Grad der Uebereinstinimung, welcher zwingt^
sie von demselben Vorbild herzuleiten. Die Maasse sind gleich ; der
Helm hat hier und dort die nämliche Form, der Schwertriemen durch-
schneidet in übereinstimmender Weise quer die Brust. Wesentlich
erscheint die bis ins Einzelne gehende Aehnlichkeit in Anlage und Ver-
theilung der vollen weichen Haarmassen. Der Eindruck des Gesichtes ist
einigerinassen verschieden, aber die Grundformen sind dieselben: in 2
entwickelter und lebensvoller, in 1 abgeplattet zu einer leeren und banalen
Noblesse. In 2 sind gewisse Züge treu bewahrt, welche auf die Lysippische
Schule zurückweisen; namentlich entspricht der Bau der Stirne und
ihr Debergang in die Nase den Eigenthümliehkeiten, welche vornehm-
lich am Schultypus des Lysipp beobachtet werden. Der Ausdruck
des fein modellirten Gesichtes ist sehr schmerzlich und verräth zu
gleicher Zeit ein zommüthiges Temperament'). Die hinaufgezoge-
nen Augensterne geben beiden Gesichtern einen verschwommenen
languideh Blick. Diese Eigenthümlichkeit entspricht einer Modelieb-
haberei der späteren zur Sentimentalität neigenden Kunst. Und allein
aus dieser Geschmacksrichtung, nicht aus der Absicht individueller
') Vgl. Friederichs kleinere Kunst and Industrie S. 898 n. 1861. Schon
Hirt Bilderb. I 51 erwähnt derselben und rühmt ihre Schönheit.
') ^vfjof U^iis anth. append. 40, 11, in einem Epigramm auf die sieben
Planetengötter, welches Theon zugeschrieben wird. Theodoret graec. äff. cur. III.
p. 46 (p. 877 Migne) !k^ia dk i6v ^vfiov ovofiaCovai; Gregor, or. in lul. I c. 122
imxoTnira) rbv ^vfiov jtQr^q, Panyasis bei Clem. Alex. Protr. p. 22 d, und hymn.
Hom. 8, 2 oßqtfAo^vftoQ Uqh^^ 'ipse furor Mars' Dracont. VII 21 Duhn. Hera
schilt Ares aff>qmv U. E 761.
12 lieber einige Bronzebilder des Ares.
Charakteristik, möchte ich jenen klagenden Zug der Berliner Büste
erklären, dem auch die seitliche Neigung zu Hülfe kommt 0- Dieser
pathetische Ausdruck findet sich an einem guten Theil der dekorativen
Bronzeköpfe, und er ist mit bedingt durch die emporgerichtete Hai-
tung und die Neigung zur Seite, welche ihnen eigenthümlich zu sein
pflegt.
Die Beziehung dieser Büste auf Ares wird bekräftigt durch die
Aeimlichkeit der Aresköpfe auf kampanischen Kupfermünzen; zwei
derselben aus der Sammlung des Herrn Imhoof- Blumer in Winter-
thur sind hier abgebildet').
3. In dieselbe Reihe ist die auf Taf. V VI abgebildete Bronze-
büste des Münchener Antiquariums zu stellen. W. Christ *) beschreibt
') Ueber diese Erscheinung s. die treffenden Bemerkungen von Conze in
der ermähnten Besprechung von Ritschis Ino Leukothea 8. 1188 -ff. Nur scheint
mir, als sei dort einer an sich sehr richtigen Beobachtung viel zu weite Aus-
dehnung gegeben. Von der stumpfen, gedankenleeren, gegenstandlosen Sehwer-
muth dieser Köpfe liegt fernab das dramatische Pathos des Laokoon, der
Niobidengruppe, jener sterbenden Mutter, die Aristides gemalt hatte, und ver^
wandter Werke. Sehr stark ausgeprägt ist dieser klagende Zug z. B. an der
Bronzestatnette des Herakles anc. marbl. of the brit. Mus. III pl. 2 ; er findet
sich aber auch, zu pathetischer Sohwermuth herabgestimmt, und mit Seitenwen-
dung und Anfblick verbunden, selbst an Marmorbüsten der Athene, z. B. dem
in Glienike befindlichen Kopf (Monum. delP Inst. lY 1, Müller- Wieseler Denkm.
a. K. II 19, IdSa) und einem entsprechenden des Vatikanischen Musetnns,
von dem mir eine Photographie vorliegt. Es würde nicht schwer fallen, in der
Literatur analoge Erscheinungen nachzuweisen. Namentlich ist die Erz&hlung
in der alexandrinischen Poesie mit einer lyrischen Stimmung verwandter Natur
durchdrungen worden.
^ Dieselben Münzen s. bei Cohen monn. de la rep. pl. xliv 11, 12; die
Abbildungen sind aber dort ungenügend.
') W. Christ und J. Lanth Führer durch das königl. Antiqnarium in
MüiMDhen (1870) S. 22. Es ist anzunehmen, dass auch diese Aresbüate altrApplike
üeber einige Bronsebilder det Ares. 18
sie als *gate Büste eines tmb&rtigen, mit leiser Neigung nach rechts
aufwärts blickenden* Mannes mit hohem griechischem Helm , der den
rechten Arm in absonderlicher Weise schräg vor die Brust hält'.
Er schlägt, mit einem Fragezeichen, die Deutung auf Alexander den
Grossen vor, im Anschluss an eine viel zu häufig in Anspruch genommene
Nomenklatur. Das Gesicht hat, wie ich nach Prüfung des Originals
versichern darf, gar keine Aebnlichkeit mit den beglaubigten Bildnissen
Alexanders, und das zu beiden Seiten in überaus dicken weichen
Lockenmassen lang herabfallende Haar widerstrebt augenscheinlich
seinem Porträt, dessen vorzüglichstes Merkmal das schwungvoll em-
porgesträubte und rückwärts fallende Haar ist^). Auch spricht der
Umstand 9 dass dieser Kopftypus, wie wir sehen, von der römischen
Kunstübung sehr bevorzugt worden ist, eben so sehr zu Gunsten
des Ares, als gegen die Deutung auf Alexander. Das Gesicht weicht
durch mehr längliche Form etwas ab von den eben besprochenen
Bronzen; es trifft aber hierin zusammen mit den Marmorköpfen des
Gottes, von denen im Folgenden die Bede sein wird. Der Helm ist
zwar, wie bei 1 und 2, der korinthische und stimmt in der Form ganz
überein, aber an Stelle der dort am Visir angedeuteten Ausschnitte
fQr die Augen treten Widderköpfe; es krönt ihn ein stattlicher breiter
Bosch. Der Büste ist der rechte Arm hinzugefügt und auf der linken
Schulter das vomüberfallende Stück der Chlamys, welche unten in
schmalem Streifen das Bruststück begrenzt Die Haltung des Armes,
welche Christ mit Recht absonderlich nennt, und die noch auffalligere
SteDung der Finger wird uns durch eine analoge Büste alsbald ver-
stfindtich werden.
Dem Münchener Ares entsprechen durchaus, bis auf eine sehr
unbedeutende Abweichung in der Form des Helms
verwendeV war, obwohl äussere Sporen davon nicht sichtbar sind, wie anoh
H. Bronn mir nachtr&glich bestätigt. Die Rückseite ist mit Gips ansgel&Ut worden.
^) Zo den bekannten SchrifteteUerseognissen (0. Müller Handb. §. 129, 4)
föge man Itinerar. Alexandri e. 6: qoippe ipse visu argnto naribnsqae sub-
aquilinis fnit, fronte omni nuda plerumque, qnamvis pinguius fimbriata de
exeroitio [ob vehementiam] equitandi, ouios id arbitrio dabat, ex quo relioinam
com am iacere sibi in oontrariom feoerat^ idque aiebat decorius miHti, quam
si defloerrtf Die Mailander Hds. hat reclinam, ich besserte relicinam (vgl.
Apalei. flor. I n. 7 und I n. 8), in D. Volkmanns Ausgabe des Itinerarium
(Programm der königl. Landesschule Pforta 1871). Es soheinty dass die höfische
Kunst hier einen schmeiohelBden fiophemismns angewendet hat.
14 Uebar einige Bronsebilder des Ares.
4. BroDzebüste aus Herculanettm, abgebildet in den Bronzi d'Ercol.
I 17;
5. Bronze der Kopenbagener Antiksammlung (d. 123), stammend
aus der Fevervary-Pulskyschen Auktion. Die Kenntniss dieser Bronze,
nebst einer Skizze derselben, verdanke ich A. Conze. Hier sitzt an der
Bttste hinterwärts noch der Zapfen, welcher zur Befestigung diente').
Durch eine geringfngige Modifikation unterscheidet sich von den
letztgenannten drei Exemplaren
6. Bronzebüste des Wiener Münz- und Antikenkabinets, abgebil-
det auf unserer Tafel VII VIIP). Die Haltung des Armes ist hier die
nämliche^ aber sie hat Zweck und Zusammenhang: zwei Finger der
Hand sind leicht auf den mit seiner Wölbung die linke Schulter deckenden
kleinen Schild gelegt. Es ist nunmehr deutlich, dass die Büsten von
München, Neapel und Kopenhagen nur durch Nachlässigkeit oder Spaai-
samkeit der Arbeit des Schildes eiitbehren, der allein die Bewegung des
Armes motivirt und erklärt ; denn es scheinen keine Spuren vorhanden zu
sein, dass der Schild etwa angelöthet gewesen und verloren gegangen
sei. Indem die Ghlamys, über die linke Schulter nieder, unter Schild und
Arm weg, und auf der anderen' Seite wiederum über den Rücken auf-
wärts gezogen ist, säumt sie die Büste ein und fungirt in ähnlicher
Weise^ wie die Begrenzung durch Blattornament. Der Schild ist auch
anderen Brustbildern des Ares als bezeichnend beigefügt, indem er
wie hier an die linke Schulter gelehnt ist; und die nämliche Stelle
nimmt die Aegis ein an dem Madrider Statuenfragment, von welchem
später die Hede sein wird. Der Schild ist nicht allein kriegerisches
Wahrzeichen, soi^lern, gleich Lanze und Schwert, mythologisches
Attribut des Himmelsgottes, wie dem römischen Mars die Ancilia g(*-
weiht werden^). Wenn man sich überzeugt, welche Rolle der Schild
') £ine Zeichnung derselben ist mir durch die Freundlichkeit des Direktors
der Sammlung Hm. L. MüUer in Aussicht gestellt worden und soll nachträglich
veröffentlicht werden.
*) Sie ist Yor Kurzem, doch weniger gut, von Sacken publicirt worden
in den Broneen des kk. Münz- und Antikenkabinets I Taf. XXXI 1. Sacken
hält dafür, dass sie *im Charakter des Achillens* sei, nennt sie eine ^herrliche
Büste*, von 'schmachtendem Ausdruck* und 'sanfter Melancholie.
Wahrscheinlich hat eben dieser schwärmerisch weiche Ausdruck die Deutung
auf AohiU veranlaisti und den Gedanken an Ares znrückgedr&ngt. Auch Sacken
weist auf die Uebereinstimmung der Heroulaneer Bronze hin. Er bemerkt noch,
dass die Büste im Rücken flach ist.
>) Vgl. die Arasbüste unter den sieben Wochengottern Pitt d'Ero. III 60
üeber einige Bronxebilder des Area. 15
des Ares spielt in den Dichterstellen, welche die Natarbedeatang des
Grottes vernehnüich nachklingen lassen (unten S. 39), so kann ein Zweifel
hieriiber wohl nicht bestehen, dass der Schild auf das Himmelsgewölbe
deutet, ein Bild, das auch sonst durch die Poesie fortgepflanzt worden ist.
Der Helm ist dem der MUnchener Bronze sehr ähnlich ; es treten hier an
Stelle der Widderköpfe einfache Voluten, ein Ersatz, der nicht zu-
fällig erscheinen wird, wenn man die Formenverwandtschaft beider
Dekorationsmotive ins Auge fasst. Ausdruck und Formen des Ge-
sichtes, die Haltung des Kopfes, machen hier einen weichlicheren
Eindruck, der durch die fleischige Bildung des Halses, der Schulter,
des Armes verstärkt wird ; und doch kann kein Zweifel obwalten, dass
diese Büste von demselben Original abgeleitet ist, wie die in Kopen-
hagen, Neapel, München und den nämlichen Gott darstellt, wie die
Bronaen in Berlin und von der Mosel. Wir gewahren, wie bei diesen
dekorativen Bronzen die Formen und der Ausdruck des Gesichts inner-
halb ziemlich weiter Grenzen fluctuirten, und die Interpretation sich vor
Allem an gewisse attributive Merkmale allgemeiner Art zu halten hat.
Die sechs Büsten, welche wir zusammengestellt haben, zeigen Ares Jugend-
Uch, bartlos, idealschön, mit vollem niederfallendem Lockenhaar, den
Kopf bedeckt mit dem korinthischen Helm; zweimal tritt der Schwertrie-
roen hinzu , zweimal der Schild , und viermal die über die linke Schulter ge-
worfene Chlamys, welche auch vielen Marmorstatuen des Ares eigen ist.
Wäre die Behauptung Visconti's richtig, dass der sog. Achilles
Borghese wegen der Hroppa venusta de' sembianti' kein Ares sein könne,
und dass dieser Gott regelmässig durch kürzeres krauses Haar
charakterisirt sei, so würden hieraus gerechte Zweifel sich ergeben,
ob jene Büsten den Ares darstellen können. Indessen hat schon Raoul
Rochette mit gutem Grund dieser Anschauung widersprochen 0*
S. 263, MuB. Horb. YII 8 (Helbigr n. 1006) ; und die schöne Petersbarger Gemme
bei Maller- Wieseler II 28, 248, welche Aehnlichkeit mit unseren Bronzen hat,
und mehr noch mit dem durch die Aufschrift APHG gesicherten Brustbild einer
Knochentessera Mon. dell' Inst. JY (1848) Tay. 52, 6. Auch auf einer Berliner
Paste (III Kl. 866), von der ein Abdruck mir TorHegt, unterscheidet man an
der linken Seite den Schildrand.
') Monum. in6d. S. 55, 8. Winckelmann hatte bereits hingewiesen auf
die Stelle des Justinus martyr §. 8 p. 4 ui^rig . . . y/o( wy *al to^lög. Schon
Od« ^. 810 heissi Ares xaXog n utü agtinos, im Lied yon seiner Buhlschaft mit
Aphrodite. Schön gepflegtes Haar bezeugt 0?id fast III am Anfang:
Bellice, depositis clipeo paulisper et hasta,
Mars, ades et nitidas casside solve comas.
16 üeber einige Bronzebilder des Ares.
Ursprünglich rechtmässiger Gemahl der Aphrodite ^), muss Ares
im späteren mythologischen System vor Hephaest weichen und wird
zu ihrem Buhlen. Dieser Liebesverkehr zwischen Ares und Aphrodite
wird in Poesie und Kunst der alexandrinischen Epoche mit vieler
Gunst behandelt'). In Rom genoss Mars als italischer Hauptgott,
als der befruchtende und sengende Himmelsgott ^), seit alter Zeit das
höchste Ansehen. Die einströmende jung-griechische Sage und Kunst
wandelte ihn um zu dem heldenhaften und zärtlichen Liebhaber der
Venus, und seit Caesar und Augustus fiel von dieser Seite her neuer
Glanz auf den Kriegsgott. Schon Caesar wollte ihm, nachdem er die
Stamm-Mutter Venus Genitrix verherrlicht Wte, ein Heiligthum
erbauen von unvergleichlicher Pracht. Diesen Plan nahm Augustus
auf und errichtete Mars jenen Tempel , in welchem man ihn mit
Venus vereinigt erblickte, wie in den Lectisternien und der Circus-
pompa. Die Einwirkungen dieser Verbindung sind deutlich erkennbar *)
in den Kunstdarstellungen des Ares, die wir besitzen, und von denen
sehr wenige älter sind, als die römische Kaiserzeit. Je lieber diese sich
Ares als den zärtlichen und beglückten Genossen der Liebesgöttin
>) Vgl. 0. Jahn arch. Aufs. S. 10.
'J Hierfür sind vielleicht am Bezeichnendsten drei Stellen des Ovid, die
aaf kecke und familiäre Ausfährung dnrch die Hand eines alexandrinischen
Dichters zurüokschliessen lassen. Amor. I 9, 40
Mars quoqne deprensus fabrilia yincula sensit,
notior in caelo fabula nulla fuit
In der a. a. U 561
fabula narratur toto notissima caelo,
Mnloiberis capti Marsque Venasque dolis.
und met. IV 189
diuque
haeo fuit in toto notissima fabula caelo.
Dracontius 11 63 fif. lasst Klymene den Nymphen singen von der ßnhlsohaft des
Mars und der Venus. Des Beposianus Epyllion vom concubitus Martis et Yenerts
(Wemsdorf poet. lat. min. IV 1 S. 819, in Mejers anthol. lat. n. 569, in Rieses
Ausgabe n. 268) ist sicherlich aus alexandrinischer Quelle abgeleitet und die
h&uügen Erwähnungen dieses Stoffes bei Nonnos weisen auf gleichen Ursprung
zurück. Auf aUerlei Ausschmückungen und Episoden beziehen sich Dichter-
stellen und Kunstwerke; vgl. Apollod. I 4, 4, Nonn. Dion. 29, 831, anth. Lat.
ed. Riese n. 4,19 f.; Heibig Wandgem. n. 827, Annali dell' Inst. 1866 tav.
d'agg. EF, Bullett. dell' Inst. 1869 S. 151.
') Vgl. Bergk Zeitschr. f. Alterthumsw. 1866 S. 129 fgg.
«) Vgl. 0. Jahn Her. d. s&chs. Ges. d. W. 1661 S. 126 f. , 1868 S. 200.
üeber einige Bronzebilder des Ares. 17
dachte, um so aügemeiner fasste sie ihn als idealen Heldenjiingling
in gefalligen anmuthigen Formen. Es bewährte sich der Vers des
anonymen Dichters der Orestis tragoedia (332): emollit Cytherea traeem
per proelia Martern. So erscheint' sein Kopf mehrmals in Verbindungen,
die jeden Zweifel ausschliessen, langlockig und jugendlich schön.
Dies scheint zu gelten von der Büste des Ares an dem sog. astro-
logischen Altar von Gabii im Louvre^. Sie ist gepaart mit der der
Aphrodite, zwischen beiden befindet sich Eros. Die Büsten der zwölf
Götter, die übrigens meistens ergänzt sind — die des Ares ist alt
— treten genau so aus der Fläche als Hochrelief heraus, wie die als
Affixe angebrachten Bronzebüsten. Darf man den Publikationen
trauen, so hat der Kopf des Ares einige Aehnlichkeit mit 1. *
Auf einem Terrakottenfriesstück der Sammlung Campana befinden
sich die Brustbilder zweier Götterpaare, von Ares und ZeuS; Hera und
Athene*). Ares trägt den korinthischen Helm, hier mit lang herab-
hängendem Schweif verziert ; das Haar quillt, ganz wie an den Bronze-
bildnissen, reich und lockig an Schläfen und Nacken hervor uüd fällt
übö" die Wangen tiefer herab. Die Formen von Schultiem und Hals
shid mächtig entwickelt, das Gesicht hat vielleicht Verwandtschaft mit
der Berliner Büste.
Einige Darstellungen der sieben Planetengötter, meist in Büsten-
form, mögen hier erwähnt werden, obwohl die Abbildungen grössten-
theils zu unvollkommen sind, um schwer ins Gewicht zu fallen. Ein
Mosaik des Louvre, das ein Planisphär vorstellt»), eine Thonlampe*),
eine Münze der Antonine von Alexandria*) scheinen Ares ähnliches
Haar und ähnliche Züge zu geben wie unsere Bronze. Noch mehr
dürfte sich dieser die Büste nähern, welche unter denen der sieben
Planetengötter an der oben erwähnten Bronzezange angebracht ist.
>) Abgebildet in Visconti'8 Monnm. Gabin. tav. XV— XVII und öfter; vgl.
Gkiedeehens der raarmome Hinunelaglobus des Antikenkabinete zu Arolsen
S. 36, wo alle Publikationen yerzeicÜnet sind. Die Ergänzungen werden am
Genauesten tingegeben von Fröhner Notice S. 11.
') Campana ant. opere in plastica tav. III, Petersen das Zwölfgöttersystem
der Griechen I Taf. D.
») Clarac PL 248 b.
*) Passeri lue. IS. 21, Martorelli reg. tbeca calam. S. 330, Kopp Palaeogr. III
8. 376.
*) Miliin gal. myth. XXIX 90, vgl. Lersch Jabrb. des Vereins IV S. 167.
2
20 Ueber einige Bromebüder des Aree.
lastet durchaus auf dem rechten Beiu, während der linke Fuss seit*
wärts leicht aufsetzt Auch hierin ist augenscheinlich Analogie zwischen
der Wiener Bronze und der Statue Lysipps : nicht minder deutlich und
nicht minder lehrreich sind die Abweichungen. Der Apoxyomenos
ruht nicht ausschliesslich auf dem Standbein, dessen Schenkel nicht
sehr einwärts gewendet ist, sondern das Spielbein hilft mittragen.
Unsere Aresfigur zeigt völlige Entlastung des einen Beines: der
rechte Schenkel ist stark einwärts gestellt und unterstützt den Körper
in seinem Schwerpunkt; in demselben Maass tritt die Hüfte auf der
rechten Seite hervor, ist der Oberkörper auf die linke Seite hinüber-
gebogen ^ und die linke Schulter erhöht So entsteht eine Verschie-
bung, welche den Bindruck grosser Biegsamkeit hervorbringt, das
Geftlge der Figur verliert an Festigkeit, der Rhythmus ihrer Linien
wird schwungvoller und weichlicher. Ich ^ube, dass der Künstler,
ans dessen Händen das Vorbild unserer Bronze hervoi^egangen ist^
nicht minder dieser Verwandtschaft seines Werkes mit der berühmten
Statue Lysipps, als der Abweichungen von demselben sich bewusst
gewesen ist.
Auch die schlanken Proportionen^) des Körpers und die Model-
lirung seiner Oberfläche verrathen Aehnlichkeit Um so grösser ist
die Verschiedenheit der Köpfe. Die Wiener Statuette senkt das fast
weiblich zart gebildete Antlitz und richtet dabei die etwas conver-
girenden Augen — sie sind eingesetzt und von Silber — über das
Schwert weg auf den Beschauer mit einem Ausdruck leerer Sentimen-
talität Das Haar fällt reich und lockig auf Wange und Nacken.
Offenbar soll der Vorstellung jugendlicher Schönheit im Sinne jenes
Modqieschmackes genügt werden, von dem oben die Rede gewesen ist
Auf diese Weise scheint die Wiener Statuette zu veranschau-
') Hoohbeiiiig and Behlank, dem Apoxyomenos sehr ähnlich in SteUong
xOfd Verhältnissen, enoheint Aree anch aof einer schönen Münse des Commodos
(Cohen m S. 106 n. S72) ; er stemmt mit der erhobenen Linken den Speer auf and
h< in der Rechten, als Attribat, einen Zweig (wie aaoh aaf den pompeianiäohen
Bildem Heibig n. 278, 278 b, einer Gemme MiUin GaL myth. 40, 167 und auf
römischen Münsen öftei^; von der linken Achsel hftngt die Chlamys herab, auf
dem Kopf trftgt er den hohen korinthischen Helm. Einen Abdruck der Münze
▼erdenke ich Conze. Dass dieae Verhältnisse Ares arsprüngiiöh nicht zukommen
nnd ihm erst Ton der jüngeren Kunst verliehen werden, kommt in der Fdlge
zur Sprache.
üeber einige Bronzebilder des Ares. dl
lieben , wie Lysipps Schöpfungen in hellenistischer Zeit nachgebildet und
modifijdrt worden sind.
Es verdient noch hervorgehoben zu werden, dass der von einer
Sphinx bekrönte Helm in der Form selbst bis auf die Falten an der
Seite genau mit dem der Berliner Bttste übereinkommt
B. Als das bedeutendste Stück unserer Reihe und den Haupt-
schmuck dieser Publikation betrachte ich die graziöse feingearbeitete
Bronzestatuette, welche auf Taf. XI XE zum ersten Mal abgebildet ist.
Das Original, aus Oberägypten stammend ^ gehört Frau Sabine von
Horhy in Fiume. Dort sah es vor einigen Jahren A. CWnze, und ent-
sann sich freundlich meines Interesses für diese Gattung von Bronze-
bildem. Auf seine Bitte willigte die liebenswürdige Besitzerin nicht
nur ein, dass ihre kleine Antike von mir veröffentlicht werde, sondern
sie stellte ihm auch zwei gute Kartenphotographien zur Ver-
fügung, nach denen vermittelst photographischer Vergrösserung unsere
beiden Tafeln gearbeitet sind. Conze theilt mir mit, dass die einzige
literarische Erwähnung der Bronze sich finden dürfte in: Gatalogue
of a most interesting collection of Egyptian antiquities principally found
at Thebes and Abydos, during the years 1818, 19, 20 and 21 etc.
which will be sold by auction by Mr. Sotheby and son at their house
Wellington Street, Strand, on Monday the 13th of May, 1833 etc.
Daselbst ist S. 25 unter der Rubrik 'Greek and Roman antiquities
found in Egypt' als n. 298 aufgeführt: 'Statue of Mars, of the finest
Greek style, wanting the left arm, 8 inches high'.
Der verloren gegangene linke Arm hielt wahrscheinlich das kurze
Schwert mit dem Parazonium. Der rechte Arm ist emporgereckt und
die Hand an den Helm gelegt; von den drei Fingern, welche ihn be-
rührten, sind zwei abgebrochen. Dieser Gestus ist aufzufassen als ein
Zurechtrücken des Helmes und giebt ein beliebtes Bewegungsmotiv
ab für kriegerische Figuren. Und zwar fasst die Hand bald an den
Helmschirm, bald ist sie mehr auf die Höhe des Helmes gelegt, je
nachdem dieser zurückgeschoben oder tiefer in den Kopf gedrückt und
fester gesetzt werden soll ^). Es läge hiemach nahe, diesen Gestus auf-
^) Zweimal an jagendlichen Kriegerfiguren aaf ddm sog. Sarkofag des
SeptimioB Seyerus im Kapitol, abgebildet bei Rigbetti il Campid. illustr. I Taf.
188 und sonst; einmal auf dem cntspreobenden Relief des Louvre, abgebildet in
Winckelmanns Mon. ined. Taf. 124 (0. Jahn aroh. Beitr. S. 354 MN). Femer
auf dem Fragment im Atlas zu Winckelmanns Kunstgeschichte 132; auf dem
22 lieber einige Bronzebilder des Ares.
zufassen als den Ausdruck des Aufbörens oder des Beginnes kriege-
rischer Aktion; und dieser Gedanke könnte besonders da angezeigt
scheinen, wo es der korinthische Helm ist mit dem Yisir, der vor
dem Kampf in das Gesicht gedrückt und nach demselben wieder zu-
rückgesetzt wird. Indessen sprechen die Monumente durchaus nicht
für di&se Annahme ; denn die Scenen , in welchen der Gestus vorkommt,
verbieten meist an ein Ausruhen nach dem Streit oder an kriegerische
Vorbereitung zu denken. Hiemach haben wir es blos mit einem sehr
beliebten, für kriegerische Gestalten geradezu attributiv gewordenen
Motiv der Bewegung zu thun, welches eben so künstlerisch dankbar,
als an sich schicklich und natürlich scheint.
Die Stellung ist wiederum der des Apoxyomenos ähnlich; sie
drückt elastische sichere Jugendkraft aus. Es scheint dass die meisten
Aresstatuen ungefähr denselben Stand haben, indem der Körper auf
dem rechten oder linken Bein ruht, und das andere mehr oder weniger
seitwärts gesetzt ist. Auch begegnen wir namentlich auf den Sarko-
fagen überaus häufig Heroen und Doryphoren in der nämlichen Stellung.
Die Photographie lässt die Behandlung des Körpers um ein
weniges kräftiger erscheinen als unsere Abbildung. Ganz verschieden
ist hier und dort der Eindruck des Gesichtes; es hat leider unter der
Hand des Lithographen seinen sehr bestimmten Charakter eingebüsst.
In der Photographie entspricht dasselbe durchaus einem Typus
heroischer Jünglingsköpfe, welcher in der kampanischen Wandmalerei
häufig wiederkehrt. Erinnern wir uns zugleich der Provenienz unserer
Bronzestatuette, so wird dem Kundigen ohne Weiteres klar- sein, dass
an den schönen Kopf derselben sich ein besonderes Interesse knüpft.
Der Ausdruck des Gesichtes ist in der AJ[)bildung heiter, in der
Photographie ernst, stolz und feurig. Das Haar quillt in reichen
vollen Locken unter dem Helm hervor, der wiederum von der korin-
thischen Form ist und bekrönt mit einem mächtigen Busch.
G. Zu diesen Figuren ruhigerer Art habe ich eine dritte von
energischer Bewegung fügen mögen: Ares wie er kampfmuthig in die
Schlacht stürmt. Das Original befindet sich im alten Museum in
Relief *SuoveUurilia* bei BouiUon T. III Basrel. pl. SO and bei Clarac pL 221.
Hier greift überaU die Hand an den Helroschirm; dagegen legt die siUende
Athene am Giebel des kapitolinisohen Jupitertempels Mon. ined. deir Inst. Y
(1851) tav. 36 (vgl. arob. Zeit, 1872 S. 8) die Hand oben auf den Helm.
Deber einige BrontelHlder dM An».
24 üeber einige Bronsebilder de« Aret.
Berlin^); der eingedruckte Holzschnitt ist nach einer schönen Zeich-
nung angefertigt, die mein Freund Herr Architekt Reinike von einem
mir durch E. Curtius vermittelten Abguss genommen hat. Obwohl
die Oberfläche der Bronze (ihre Höhe beträgt 6V8'0 an einzelnen
Stellen und namentlich im Gesichte stark gelitten hat, trägt sie doch
die Spuren grosser Schönheit. Die Unterarme sind abgebrochen ; ohne
Zweifel hielt die linke' Hand den Schild, die rechte entweder Speer
oder Schwert. Ungemein häufig haben griechische Städte ihren lokalen
Heros in ähnlicher Haltung , nackt bis auf den Helm , bewehrt mit
Speer, oder kurzem Schwert und Schild , auf ihre Münzen geprägt ').
Aber auch Ares erscheint ebenso auf Münzbildern; von ihm ist das
Motiv wohl erst auf Heroen übertragen, aber schwerlich nach Belieben.
Man hat ihn mit Recht erkannt auf Münzen der Bruttier {B^errtiov)
in dem unbärtigen nackten Kämpfer, der Schild und Speer vorstreckend,
^) Friederichs kleinere Kunst und Industrie S. 898 n. 185 1 * beschreibt die
Figur folgendermassen. * Nackter Jüngling, die Brust vom Schwertriemen durch-
schnitten, mit einem Helm auf dem Kopf. Die beiden Arme fehlen vom Eilen-
bogen an. Der Jüngling schreitet mit starken Schritten davon, während sein
Kopf sich stolz umdreht. Beide Fasse restaurirt. Es ist gewiss etwas Heroisches.
Das Motiv ist sehr schön und der ganze Charakter der Figur griechisch.'
') Namentlich die Opuntier Aiax den Lokrer (Mionnet descr. If S. 91,
Suppl. III pl. 15, 4, 5» vgl. S. 489 fgg., mit dem Namen descr. des med. du
cab. Dupre pl. II 217, Annali dell' Inst. 1866 S. 381); die Thebaner Kadmos (Mil-
lingen anc. coins Taf. IV 12, den Abdruck eines vollständigeren Exemplares
verdanke icli Herrn Imhoof-Blumer), die Tegeaten wahrscheinlich den Kepheus
(Bröndstedt Reisen II 289, Overbeck Gal. her. Bildw. Atlas Taf. XI 4, vgl.
Overbeck Gal. Taf. XXIX 13, Archaeologia vol. XXXII pl. XI S. 162), die
Syraknsaner den Leukaspis (Eckhel doctr. num. I S. 246, Annali dell' Inst.
1829 S. 810; einen Abdruck mit der Unterschrift Au^xnamg und dem Vorder-
theil eines vor dem Heros auf dem Bücken liegenden Widders besitze ich durch
Herrn Imhoofs Güte), die Aspendier, Trikaeer, Kierier unbekannte Heroen
(Gombe mus. Hunter YII 15—18, Taylor Combe numi mus. Brit. Y 11, Monum.
deir Inst. YIII 1866 tav. 82, 4). Yielleicht Hessen sich von einigen dieser Heroen
engere Beziehungen zu Ares erweisen; in Tegea und Theben war die Yerohrung
des Ares heimisch, die Syraknsaner setzten den Kopf des Ares auf ihre
Münzen. Ich verdanke Herrn Imhoof den Abdruck einer sehr schönen Gold-
münze von Syrakus mit einem lorbeerbekranzten jugendlichen Kopf, der g^enau
übereinstimmt mit den Köpfen der Mamertinermünzen , welche die Aufschrift
jiQiog tragen. — Bekanntlich stellen Statuen, Reliefe und Münzen besonders gern
Athene in dieser stürmischen Angriffsbewe^ng dar.
Qeber «ifüg« ~JSrcitiMbilder des Arei. 36
den Helm auf dem Kopf, zum Angriff voiftärmt. Denn die bnittiscben
Mamertii^r setzten den Kopf des Gottes auf ihre Münzen ') , und die
Eule, welche auf einem von Magnan publizirteu Exemplar am Boden
aitsend zugefügt ist^), dürfte eher Ares als irgend einem Heroen zu-
kommen. Zwei andere sind nach Abdrücken, die ich Imfaoof-Blumer
Terdanke, hier abgebildet, zugleich mit einer scbönen Monze von
Meeaana, die gleichfalls das Bild des Ares zn tragen scheint. Das-
selbe gilt von der verwandten Figur auf Marmeftinertnflnzen"). Imhoof-
Blumer erinoert mich, dass aof Münzen dieser Stadt auch Pallas und
Artemis in ähnlich vordringender Stelhing vorkommen, auf BretUscheo
Zeus, ein Umstand der die Annahme bestätige, dass die Krieger^ur
der Mamertiner- und Bruttiermflnzen gleichfalls einen Gott vorstelle,
Ares. Vermuthlicb wird auch der Krieger auf Mtlnzen der thrakischen
Bisyener, der mächtig ausschreitend den Kopf zurQckwendet und ausser
Speer und Schild eine Sturmleiter ti^gt, richüg Ares benannt*). In
derselben Kampfstellung, aber in ruhigerem Vorschreiten, gewahrt
man den Gott auf römischen Familienmünzen, wie denen der gens
Sulpicia, mit der Umschrift 'Marti ultori'^).
Eine Bronze den Wiener Antikenkabinets*), der unsrigen ähn-
lich aber ungleich gröber und von Sacken wohl mit Becbt etruskiscb
genannt, stellt einen jungen Helden vor, welcher im Vorstürmen das
>} Vgl. HüUer-WieiGler D. a. K. II 23, 244. Diese Abbildung ist übrigens
ohne j«d« Aehnlichlceit } es liegen mir Abdrücke von vier sabr schonen Exem-
plsreu KOS Imhoof-Blumera Sammlung vor, die ioh «pätar publioiren werde.
*) Hagnu Brattia II TU , wiederholt von Miliin gal. myth. XXXIX 161.
') Vgl. S. 27.
*) MOnte des Septimins Sevemi, nach Toltereck Electa numaria III T bei
Hillin XTXTX 1G2.
*) Vgl. Theaanr. Horell. Salpia. I.
•) Sacken T^. X 1.
26 lieber einige Bronsebiider de« Ares.
Schwert mit der Rechten, die den Griff noch hält — das Schwert
selber ist verloren --, aus der Scheide zieht, während die Linke, wie
ihre Höhlung beweist, den Schild hielt Ich zweifele nicht, dass auch
in dieser Bronze Ares zu erblicken ist. Nicht minder wahrscheinlich
ist mir, dass jene häufig begegnenden etruskischen Bronzefiguren
eines jungen unbärtigen Kriegers, der in völliger Kflstung zum Angriff
vorschreitet, den Kriegsgott darstellen >).
In der Formengebung weicht die Berliner Figur von den beiden
anderen , welche vorher besprochen worden , beträchtlich ab ; sie weist
auf ein Original älterer Epoche zurück. Wie der gewählte Moment
einen anderen Geschmack verräth, ist auch der Körper straffer und
nerviger gebildet. Unter dem korinthischen Helm kommen reiche
Lockenmassen hervor, das Gesicht, obwohl seine Oberfläche zerstört ist,
hatte jugendliches Aussehen, der Mund ist etwas geöffnet.
Ich habe, als charakteristische Darstellungen des Ares, drei Bronze-
statuetten aneinander |[ereiht, die nicht etwa dadurch als solche sich
ausweisen, dass Haltung und Bewegung derselben dem Kriegsgott
ausschliesslich zukämen^). Auch spricht der Typus der Köpfe nicht
in absolut zwingender Weise zfk Gunsten des Ares; er fiuctuirt hier
nicht weniger, als wir es vorhin bei den Bronzebüsten wahrnahmen,
die wir trotzdem mit gutem Girunde Ares vindidrt haben. Die Art
der Bewehrung entspricht zwar den sicheren Bildnissen des Gottes,
aber auch sie kann an sich keinen Ausschlag geben, weil sie mit dem
ziemlich allgemeinen Brauch der Heroendarstellungen übereinstimmt.
^) Vgl. z. B. 8pec. of ano. Sculpt. II PI. 4, Fröhner miuees de France pl. 19.
') Andere Bronzefigoren des jugendlichen Ares, die dem nämlichen Typus
zogehören, sind früher pnblicirt worden. So die woblerhaltene Statuette von
Herculaneum abgebildet Bronzi d'Erool. II 18 and Mus. Borb. XIII 26; man
hat sich in die Rechte das Schwert mit dem Parazonium, in die Linke den Speer
zu denken. Das Gleiche gilt^von der offenbar falsch ergänzten und gedeuteten
Figur in den Monum. deil* Inst. 1854 S. 116 tav. 36, und von einer andern bei
Caylus Recueil III pL 121, 1, wo nur die Linke höher erhoben ist. Eine völlig
intacte Bronzefignr des Ares zeigt eine Abbildung in der Lettera sugli scavi
fatti nel circondario dell'antica Freja del dottor F. Benign! al celeberr. Sig.
Gay. Albino Luigi Miliin (Macerata 1812) tay. IX fig. 6. Sie hat in der er-
hobenen Rechten den Speer, in der Linken einen kleinen Schild; der linke
Schenkel lehnt an einen Stamm, die Wangen sind von den Helmklappen .bedeckt.
Yermuthlioh sind hier, sei es am Original, sei es blos in der Zeichnong, Er-
gänzungen hinzugekommen.
Udber einige fironeebilder dei AreB. 27
So könnte meine Deutung, obwohl sie durch die Yergleichung der von
mir zusammengestellten Büsten und Münzen näher gelegt ist als jede
andere, fraglich erscheinen; und in diesem Fall würde immer wieder
die Entscheidung schwanken zwischen Ares .und Achill. Ich glaube
aber meiner Ansicht eine starke Stütze verleihen zu können, wenn ich
wahrscheinlich mache, dass wir schwerlich eine plastische Einzeldar-
stellung des Achill besitzen, und dass alle oder fast alle jene Statuen
und Köpfe, deren Benennung schwankt zwischen Ares und Achill, auf
den Ersteren bezogen werden müssen 0. Es handelt sich hier haupt-
sächlich um jene Gruppe von Figuren und Büsten, deren bekanntester
Bepräsentant der sogenannte Achilles Borghese ist Ich glaube, dass
die folgende Zusamm^tellung, indem sie von sicherem Ausgangspunkt
zu den fraglichen Darstellungen vorschreitet, zugleich eine Serie bildet,
deren Zusammengehörigkeit nicht geleugnet werden kann, und dass
auf diese Weise schon die Zusammenordnung unsere Frage entscheidet.
Gelegentlich werden andere Erwägungen zu Hülfe kommen.
a. Eine sichere Grundlage giebt die Statue des Ares vom
Fastigium des kapitolinischen Jupitertempels ab, welches jüngst nach
einer Zeichnung der Goburger Handschrift in der archaeologischen
') Freilich beschreibt uns Christödor eine Erzstaiue des Achill, weiche
im Gymnasien des Zeuxippos in Konstaniinopel stand, folgendem assen, ecphras.
291 £
ttl^fir^tfl^ 6' aviovXog Hufin^TO 6iog *Ax*J^vg,
yvfivos itov aaxiwv. i^oxivi fdki^tyj^g kUaattv
di^ireQ^f axtu^ 6k aaxog /aJlx€^oy afCgtiv
ax^fioTi texyriim' fAodav «T änintfinev anukifv
^agai'i Tolfirjj€yn ndfiy/iivog. al yicg ontonal
yy^aipv ri^os ttptuvov a^iov AfaxiSatov.
Also war die Figur der Rüstung ledig (da aaxea schwerlich die Rüstuug be-
deuten kann, scheint mir das Wort verdorben), und trug Nichts in den Händen ;
aber die Haltung der Arme war als fahre der Held in der Rechten den Speer,
in der Linken den Schild. Das Gesicht drückte kriegerisches Feuer aus. Ist es
für uns maassgebend, wenn Christödor diese Statue für Achill hält ? Ich glaube
nicht; wir dürfen hieraus nicht mehr folgern, als dass ihr dieser Name beigelegt
war in dem Katalog, den Christödor benützte, oder der Aufschrift, welche die
Statue trag. Denn dass der Ekphrast sich an bestimmte tituli hielt, die ihm vor-
lagen, wird durch einige Stellen seines Gedichtes erwiesen (863 ff. 407 ff.). Die
'statuae Achilieae' waren eben ein bequemer Gattungsbegriff, der vermatblich
auch auf Statuen des Ares angewandt wurde.
08 D«ber einige BroDzebilder dei Are*.
Zeitung abgebildet worden ist'). Der jugendliche Gott steht, gerade-
aus schauend , auf einer kleioen Basie , unbekleidet bis auf den hoben
Helm und die Chlamys, die leicht auf die linke Schulter vomOber
gelegt ist und von dem linken Vorderarm herabhängt. Die erhobene
Rechte fa^t den aufgestemmten Speer, die niedergehende Linke hält
das Schwert, welches aufwärts gerichtet ist und am Oberarm anlehnt.
Es nnterliegt wohl keinem Zweifel, dass diese Figur einer römischen
Tempelstatue ziemlich getreu nachgebildet ist. Auf Mttnzen der geos
Mescinia') steht eine ähnliche Aresstatue anf hohem Sockel mit der
Weihinschrift S-P-O'R'V-P-REO-CAES- , die mit geringer Ver-
änderung mehrmals wiederkehrt Eine Münze von Paeatnm») weist die-
selbe Figur auf ganz niedriger Basis, und diese fehlt ganz auf den
FamilienmüDzen der Claudier, welche Ares in der nämlichen Weise
darstellen*). Eine schöne MamertinermUnze mit nah verwandtem
Bilde, in Imhoof-Blumers Besitz, ist hier abgebildet. Ares hält in der
Rechten das Schwert mit dem Parazonium, in der Linken die Lanze,
an die der Schild lehnt Eine zweite unterscheidet sich durch den
mangelnden Helm, stellt aber sicherlich auch Ares dar; hier ist das
reiche Haupthaar bemerkenswerth.
b. Mit dem kapitolinischen Ares stimmt eine angeblich aus dem
Peloponnes stammende Statue in so augenscheinlicher Weise überein,
dass auch ihre Bedeutung als gesichert angesehen werden muss*).
>) Arch. Zeit. 1872 Taf. 67.
') Tgl. Cohen deaor. des monii. de le rep. Rom. pl. 27, 1. 2. 6.
■) CareUi tav. 136, 108. 109.
') Cohen pl. 12, 8. 9. 12.
•} PacJELudi Mon. Peloponn- , Titelbild. Vgl. Rnoul RoohetU Mon. in^d.
S. 58 fff. n. 10. In Besiehung «uf die Änordnimg des Oewendea, deBaen über
die linke Schulter gelegter Zipfel in der Abbildung wie eine Lowentatxe aua-
üeber «inige Bronsebilder ddB Ares. 29
Der rechte Arm ist abgebrochen; zur Stütze für die über den linkoi
Arm fallende Chlamys dient ein Panzer, welcher ain Boden steht. Die
Figur ruht mehr auf dem linken Bein, die kapitolinische Statue auf
dem rechten, und setzt das linke in ähnlicher Weise zurück, wie die
Bronze von Finme.
c. Eine in Ostia gefundene Statue, die nach England gekommen %
weicht nur darin von der vorerwähnten ab, dass hier die Chlamys von
der linken Schulter quer über die Brust geht und auf der rechten
Achsel durch eine Spange zusammengehalten ist ; an Stelle des Pan-
zers fungirt ein Baumstamm. Diese Statue trägt die Aufischrift
MARTI. Es ist bekannt genug, dass man in Tempel und Kultstätteu
auch die Kunstdarstellungen anderer Gottheiten , als der eigentlichen
Inhaber, geweiht hat^); immerhin aber war durch diese Inschrift die
Annahme am Nächsten gelegt worden, für welche nunmehr die Co-
burger Zeichnung endgültig entscheidet lieber den Charakter der
Körperformen, Bildung und Ausdruck des Gesichtes wird kein Kun-
diger aus den Abbildungen bei Güattani und Clarac Schlüsse ziehen
mögen ; doch darf vielleicht das volle lange Haar hervorgehoben werden.
d. Mit dieser Statue haben qchon die Herausgeber der ^antiken Bild-
werke des Lateranensischen Museums' eine nah verwandte des Lateran
zuammengestellt^). Sie ruht nicht auf dem linken, sondern auf dem
rechten Bein ; das Gewand fällt im Bücken breit und tief herab und
bildet einen ruhigen Hintergrund der Figur; der Panzer hängt über
einem Stamm zur Rechten. Beide Arme sind ergänzt. Die Verglei-
chung der ähnlichen Statuen des Gottes könnte auf die Vermuthung
leiten, dass die Linke das Schwert geführt, wie auch der Restaurator
annahm, doch in etwas anderer Haltung, und die erhobene Rechte
den Speer. Indessen scheint der letztere auf dieser Seite , vor Baum-
wibi, füiimit genau überein die auch sonst ähnliohe Statoe des Galigul» bei
Yiseonti mos. Pio-Clem. III tav. 3.
1) Gnattani Mon. ined. 1806 Tai 18, vgl. S. 87-92; Clarac 827, 2074,
▼gL Fea Viaggio ad Ostia S. 58, Raonl Roohette Mon. ined, S. 68, Hirt Bilderb.
S. 52, V^elcker das akad. Kunstmas. (II. Aufl.) S. 80 n. 45, Urlichs a. a. 0. S. 86.
') Sohon Welcker a. a. 0. citirt hierfür Annali VI 198; vgl. ausserdem
Letronne Revue aroh^L 1844 S. 888 'sur Pusage des anoiens de oonsacrer la
Statue d'un dieu a un autre dieu, K. Keil insoript. Boeot S. 87.
>) A. a. 0. a 79 fgg. n. 172, publioirt von Clarac 685, 1485 und von
Garmeoi mus. Lat. tav. XXYII.
dO Ueber einige Bronxebilder des Ares.
Stamm und Panzer, keinen passenden Platz zn haben, and die Ver-
fasser der Bescbreibnng des Lateranischen Mnseams artheilen wohl
mit Rechte dass Haltung und Anlage der Figur der Annahme günstig
sind, sie habe arsprünglich den Speer in der Linken gehabt. Dieser
Fall ist der seltenere; es konnte wohl bei Einzeldarstellungen des
Gottes nur da passend erscheinen, ihm den Speer in ^ie Linke zu
geben ^), wo die Rechte mit dem Schwert als der Hauptwaflfe und dem
wesentlichen Attribut ausgestattet war*), oder auch der Gott fem
von Kriegsgedanken in feiernder Ruhe und versenkt in Liebessinnen
vorgeführt wurde'). Es ist berechnete Absicht, dass der Ares Ludovisi
*) Statitts schildert in der Tbebais wie Ares dabinfahrend auf seinem
Kriegswagen von Aphrodite aufgehalten wird mit zärtlichen Vorwürfen und
Bitten; da heisst es von ihm, III 202
hastam laeva transanmit et alto
— l^aud mora — desiluit ourro, clipeoque receptam
laodit in amplexu dictisque ita mnicet amicis.
') Vgl. folgende Aresbildnisse : Sacken d. Wiener Antikenkab. I Taf. 6, 8,
Mus. Borb. I 46, VIII 56, und die oben abgebildete Mamertinermünze. So oft
Ares einzeln bewehrt mit Speer und Schild dasteht, und so erscheint er, nn-
b&rtig und bärtig, ausserordentlich oft, hält die Rechte den Speer. Man wird
nicht Figuren entgegenhalten, wie das kleine Nebenbild auf dem Feld der
Münzen von Ambrakia Monum. dell' Inst. I tav. 14, 1.2 (hinter einem Athenekopf),
welches den Ambrakischen Qründungsheros Qorgos (vgl. Axmali 1829 S. 314 ff.)
darstellt, nackt, den Helm auf dem Kopf, wie er die Rechte auf den Schild legt,
den Speer mit der erhobenen Linken festhält; oder das Bild der Virtus auf
römischen Kaisermünzen (vgl. Cohen IV pl. 6 und 18), wo sie übrigens dio
Lanzenspitze gegen den Boden kehrt. Auf einem römischen Relief, veröffentlicht
Ber. d. sächs. Ges. 1868 Taf. IV C nimmt Ares an einer Opferscene als Zu-
schauer Theil, ganz im Typus der statuarischen Darstellungen des Gottes:
jugendlich und nackt bis auf die über die linke Schulter geworfene Ghlamys
und den korinthischen Helm, und stemmt mit der Linken den Speer auf, indem
der die susammengesohlossene Rechte in auffallender V^eise vor die Brust hält.
Man hat sich wohl in diese Hand das Schwert zu denken, mag es nun im
Original abgebrochen oder nur so flüchtig angedeutet sein, dass der Zeichner es
übersehen konnte, oder mag endlich der Arbeiter es aus Nachlässigkeit wegge-
lassen haben.
•) Irrthümlioh ist Starks Angabe (Philolog. XXI S. 485), dass der sitzende
Area auf einem Reliefmedaillon im Triumphbogen des Constantin (Müller-Wie*
seler I 70, 888) die Lanze in der Linken halte; er hält sie mit der Rechten.
Uebrigens sehe ich nicht ein, warum diese Figur eine Kopie vom Ares des
Skopas sein soll, wie mit Stark Overbeok (Oesoh. d. griech. Plastik U S. 16)
üeber einige Bronzebilder des Ares. 81
das Schwert mit der Linken hält. Aaf dem Terracottarelief Campana
hSIt der rahig sitzende Gott den Speer mit der Linken, und legt die
herabhängende Rechte auf den Schild, der am Boden steht, während
Aphrodite sich im Stehen an seine rechte Schalter lehnt ^). — Der
Greslehtsausdruck der Lateranischen Statue ist trflbe and schwermüthig.
e f. Zwei Wiederholungen der Lateranischen Statue, die eine im
Palazzo Mattei in Rom, die andere in der Sammlung Landsdowne'),
werden angefahrt von Benndorf und Schone.
g. Eine Statue der Blundellschen Sammlung, welche als Theseus
ergänzt worden, ist unzweifelhaft hier einzureihen^). Die Chlamys
fehlt; die SteUung ist wie bei b c, wie dort ist auch hier an der
linken Seite eine Stütze angebracht, und zwar wie bei c ein Baum-
stamm. Der rechte Arm ist mit einer Keule ergänzt ; sicherlich war
er mehr erhoben und stemmte den Speer auf. Die Linke ist unthätig
über den Stamm gelegt, an dem das Schwert hängt. Ich muss den
rechten Arm und das obere Stück des Stammes für modern halten,
obwohl diese Theile unter den Ergänzungen nicht verzeichnet sind;
gewiss war das Schwert in die Linke gegeben. Am Helm sind Greife
angebracht. Das Haar scheint genau dem der Lateranischen Statue
zu entsprechen ; der Kopf blickt geradeaus, gleich dem von b. Wäre
es yerstattet, aus der Abbildung Schlüsse zu ziehen über Formen und
Ausdruck des Gesichtes, so läge die Vergleichung mit dem Ares des
Lateran am Nächsten. Ich möchte aber hierin ebenso wenig, als in Be-
ziehung auf die schlanken Proportionen des Körpers, der Publikation
Vertrauen schenken.
h. Den bisher besprochenen Statuen steht der ^Achill Borghese'
weniger nahe, als jene unter einander stehen ^), Doch überwiegt die
Verwandtschaft so sehr, dass die Identität der dargestellten Person
für wahrscheinlich gelten darf. Es kommt hinzu, dass, wie schon
annimmt. Eine sohöne Kupfermünse der Mamertinef mit dem sitsenden Ares
findet fliob in Herrn Imhoofs Sammlung.
^) Campana op. in plast II 104; dine Wiederholung dieser Reliefplatte
■ah ich im Mueeum von Arles,
*) Mon. Matt. I 10, Clarac 648 A, 1436 A; 950, 2446 A.
>) Spec of anc. scnlpture' II Taf. 19.
*) Abgebildet Ferner segm. nob. sign. 1688 tav. 39, Bouillon II 14 E, Vis-
conti mon. scelti Borghes. tav. III 1. Braun Kunatmyth. Taf. 85, Clarao pl.
268, 2078, UrlichB a. a. 0. S. 84. unter den neueren Besprechungen der Statue
ist henronraheben die von ^riederiohs Bausteine n. 720.
32 Üeber einige Bronzebilder des Ares.
Andere hervorgehoben haben, in einigen Gruppen des Ares und der
Aphrodite die Figur des Gottes mit dem 'Achill Boi^hese' durchaus
übereinstimmt 0* Sicher fasste die Linke den Speer; ob die herab-
hängende Rechte das Schwert gehalten, muss sehr fraglich erscheinen.
Nur die Finger sind ergänzt und die innere Handfläche zeigt keine
Spur, dass hier ein Gegenstand aufgelegen habe.
Obwohl die Figur in Ruhe steht, ist das rechte Bein wie im
Schritt vorangestellt ; es setzt fest auf und kann nicht als Spielbein
gelten. Hierdurch erhält die Statue eine schwere Festigkeit des
Standes. Der Oberleib ruht wie unbeweglich 'in den Hafteu. Der
Kopf ist etwas tiefer gesenkt als am Ares des Lateran, das lange
Haar legt sich glatt und schlicht auf Wange und Hals ^), während es
dort voller und lockiger ist Das Gewand fehlt, der Körper ist völlig
nackt Im Uebrigeu herrscht in den Proportionen des Körpers und
im Allgemeinen der Haltung augenschdnlich Aehnlichkeit *) ; ich wage
nicht vom Kopf dasselbe zu ^haupten.
Conze hat diese Statue in die Reihe der Köpfe und Figuren ge-
stellt, welche man seit Friederichs auf Polyklet zurückzuführen pflegt,
während er selber vorzieht sie für attisch zu halten^). Mir scheint
aber, dass der Achill Borghese kaum irgend einen Typus, wie er aus
der Hand eines grossen Meisters hervorgegangen, rein wiederspiegelt.
^) Besondera in der kapitolinischen Gruppe, Mus. Oap. III 20, Glarao 684,
1428, Quatremere de Quincy sur la statue ant. de Venus decouverte dans File de
Milo, Taf. D. 2; vgl 0. Jahn Ber. d. sächs. Ges. 1861 S. 126.'
') Dieser ganzen Gruppe von Statuen und Köpfen des Ares ist eigen die
überall gleichm&ssig vor dem Ohr niedergehende an die Wange geschmiegte
und spitz zulaufende Haarpartie. Sie findet sich gerade so am Ares der bar-
barimschen Candelaberbasis (Visconti mns. Pio-Glem. IV tay. 7, Braun Kunstmyth.
Taf. 88) and des erw&hnten Terracottareliefs Gampana.
') Dass der stutzende Stamm hier gerade eine Palme ist, wie unendlich
oft, hat nur für den tektonischen Geschmack Bedeutung* Die Behauptung,
der Palmenstamm charakterisire die Statue, welcher er als Stütze dient, als die
eines Athleten — besonders Gerhard machte gern von ihr Gebrauch — oder
bezeichne doch eine Beziehung auf das Gymnasion, gehört zu den unerwiesenen
und unerweisbaren Sätzen, welche in der arohaeologisChen Literatur immer
wieder aufbauchen, wo sie bedurft werden. Auch der Umstand, dass der n&m-
liohen Fig^r, wie wir sahen, anderwärts ein gewöhnlicher Stamm zur Stütze
dient, spricht gegen eine besondere Symbolik des Palmstammes.
*) Beiträge zur Geschichte d. griecb. Plastik S. 8 fg.
Ueber einige Bronzebilder des Ares. 3$
sondern aus Elementen älterer und jüngerer Kunst in verhältniss-
mässig später Zeit zusammengesetzt worden ist. Wie man diese Statue
hat auserlesen schön nennen und an ihr den charakteristisch belebten,
herrlich ausgebildeten Götterleib, den meisterhaften und zugleich
eigenthümlich realistischen Stil rühmen können^ wird nicht mir allein
schwer begreiflich scheinen.
Vom Kopf gilt in minderem Grade, was Benndorf und Schöne
von dem des Lateranischen Ares bemerken: 'er gehört in eine Reihe
von Typen, welche mit dem Doryphoros des Polyklet grosse Aehnlich-
keit haben'. Er steht den Doryphorosköpfen in der HaarbehandluQg
näher, während hierin die Statue des Lateran, wie Benndorf und
Schöne ausführen, von ihnen abweicht. Die Körperformen sind sehr
stark entwickelt, aber es geht dem Fleisch und den Muskeln das
blühende Leben ab, der Körper scheint wie ausgepolstert: die Ver-
schiedenheit vom Doiyphoros ist hierin sehr gross. Die Flächen setzen
hart und unvermittelt ab und sind wenig gegliedert. In den Pro-
portionen des Kö]*pers fällt die Länge des Oberleibs, die verhältniss-
massige Kürze der gedrungenen Beine auf; dieselbe Eigenthümlichkeit
haben Benndorf und Schöne an der Statue des Lateran hervorgehoben.
Diese Verhältnisse, welche den Doryphorosfiguren fremd sind, verleihen
der Gestalt eine mächtige Wucht, die dem schwungvollen schnell-
füssigen Sohn der Thetis nicht minder widerspräche, wie der schwer-
fällige Ausdruck des Antlitzes. Es kommen Achill naturgemäss hohe
und schlanke Schenkel zu. Isaak Porphyrogennetos in seiner Beschrei-
bung der griechischen Helden vor Troia und der troischen Fürsten
sagt von Achill: o l^x^AA^tc; etaTtj&og, jtiiyag tov dyxov tov Oijjfiavog,
fiaxQoaiukog {Wes ^cmQoaxeli^g), a7cav6g^ ^avd^og etc. ^). Hiermit ist
eine Stelle des Athenaeus zu vergleichen: /;>' ä' ftviwg fia-jigozaTog xai
XsTTtovaTog o Kivrfiioig^ alg ov T^ai olop d^cTjua yiyQOipe ^TQOTTiQf
Od-iviTt^v ^AydXLoL mnov yuxXüVy dia tn sv rij airov noiTjaei avvex^g
t6 Od^nSza keyuv. Tcai^wv ovv elg triv Ideav aiiov bq)rj'0r^ic!)T* -^X'A^ev*).
*) In Rutgers' variae lectiones S. öll; auch bei Leo Allatius tt^qI rwr'xca«-
XiMp^ivTtov iino tov 'OfAtiQov, Aus Isaak Porphyrogennetos schöpfte Tzetzes Post-
hörner. V. 474:
^ttxfm <r i/e axilia vno (f' lannviaio vnrjvrjv.
Es verdient Erwähnung und ist für die Herkunft dieser Personalbeschreibungen
von Wichtigkeit, dass SteUen des Malalas, wie die Schilderang der Helena chron.
Y- p. 91, 8 der Bonner Ausgabe, mit ihnen genau übereinstimmen.
«) Athen. XH 551 d, Meineke frgg. com. If 2 S. 7G9.
3
84 Üeber einige Bronsebilder des Area.
Dagegen ist dem ^vQog und nekciQiog^Jgrjg mächtige Entwickelang
der Lenden eigen. Ein merkwürdiges Zeugniss hierfflr bietet die
homerische Stelle B 477. Sie deutet auf Vorstellungen der Götter-
erscheinungen von einer überraschenden plastischen Realit&t nnd Be-
stimmtheit :
ofifictra wxl xeq>aXi^v XxeXog Jii T€Q7tiii€Qavv(p,
^'Aqbi di Cdvtjv, üviqvov de Iloaetdatüvi.
Wie also für Poseidon die Breite der Brust % so ist für A.res die
EntWickelung des Unterleibe bezeichnend'). Die Kunstdarstellungen
des Poseidon rechtfertigen durchgängig diese Charakteristik; nicht
minder muss man von der Hervorhebung der ^civfj des Ares annehmen,
dass sie auf eine sehr alte und ganz allgemeine Vorstellungsweise
zurflckgehe, die nothwendig auch in die Kunst Eingang finden musste.
Und zwar ist zu vermuthen, dass es besonders der ältere Arestypus
gewesen sei, welcher diese Eigenthttmlichkeit zum Ausdruck brachte,
während die jüngere Kunst in ihrer Neigung für schlanke schwungvolle
Formen, begabt mit einem höheren Maasse von Bewegungsfähigkeit,
dieselbe verwischte^). Nicht minder auch musste die Grewöhnung, den
') Er wird nfQvtnfffvog genannt Ton Ghristodor eophr. V. 66.
*) Hesychiue (tivti' 6 vno r^ yatn^ga xonoq ttai 6 tonoQ $y (tjvyvftB^,
Diese Erkl&rang geht auf die oben angefahrte Stelle; M. Schmidt notirt fiUschlioh
5 181, ^ 234. Vgl. schol. B 479 (tavtiv] i^roi ro xarä C^afia fiiqog, Etym. m. p. 414,
6 C<^' "^o Tov atofÄOTo^ f^^QOSj iv (p fiahaxa xb rov (toov lail (tonxov, xal ro
negl avro wpaafia Ctorri ofKovvfitos Ifyaai, tos xal Sioga^ to fiigos tov anifiarog
xtdro TiEQtTi^'iiuievov ott Jlov, Etym. Gud. Ctovfi* ro tov atofLaros fiiQog' tT^riTai naga
to C^, iv qt fioXtata fori rh tov ^ijv Sixjtxov xtA-TO ^ontxov xai to ntgl avto
vqmftfia. Hiernach ist im Etym. m. zu emendiren ro tov ir^v Sixraeov xtA ro
(anixov, wie aach der codex Sorbon. hat. Uebrigens fasete die ganze Stelle
schon Dio Ghrysostomos or. XII p. 407 R sehr richtig, indem er vom Vergleich
mit Zeus sagt: hokfiiiafv jiyttfiifAVova ngoaeixaatu tov S'€ov Toig xvQiioTaroti
fAiQsatv. Wenn es dagegen in den Priapea 86, 9 heisst 'nemo est feroci
pectorosior Marte* (vgl. Sen. HippolyL 816 'Martis belligeri pectore latior ), so
wird damit nur eine Eigenthümlichkeit hervorgehoben, die der Eriegsgott
gemein hat mit den m&chüg gebildeten Heroen; so wird Herakles von Theokrit
24, 78 ano atiqvov nhtavg t^^ioq genannt.
') Man setze dieser wohlgegründeten Erwägung nicht entgegen, dass Ares
in der Ilias öfters ^oog zubenannt wird, in der Odyssee einmal aqrinog (^ 810,
wo' übrigens die Scholien akxi^oq wollen) und bald darauf gar ^xvraros &i€av
üeber einige Broiusebilder des Area. 85
Eriegsgott als den zärtlichen Geliebten der Aphrodit« zu denken, be-
wirken, daas man seine Erscheinung modelte nach einem allgemeinen
heroischen Schönheitsideale. In diesem gingen urwüchsige Besonder-
heiten der Gestalt zum Theile auf, welche zusammenhingen mit der
mythologischen Natur und Bedeutung des Gottes.
Bekanntlich tritt bei dieser Statue ein schwieriges Detail hinzu
in dem Ring, welcher das rechte Bein über dem Knöchel umschliesst.
Es scheint mir, wieKekul^O) dass für denselben weder unter der Vor-
aussetzung, dass Achill, noch unter der hinderen, dass Ares dargestellt
sei, eine befriedigende Deutung gefunden worden ist. Am Wenigsten
hätte man, um aus ihm ein Argument für die erstere Annahme zu
gewinnen, neuerdings wieder zurückgreifen sollen auf eine Methode
der Kun3terklärung, die mit allem Fug für überwunden gelten durfte.
Diejenigen, welche eine Fesselung annahmen — und Friederichs
scheint mit fiecht in dem Ring eine Fussfessel {rcidrj) zu erkennen -—
durften sich berufen auf den nachdenklichen trüben, beinahe klagenden
Ausdruck des stark gesenkten Kopfes. Und doch ist schwer möglich die
Statue mit der Situation des bei Aphrodite ertappten Ares zu reimen.
Ich möchte weit eher an einen trionfo d'Amore denken. Der Ares
Borghese und mit ihm vielleicht der des Lateran, erscheint als eine
modifizirende Verwendung des vorhin besprochenen Typus ; und dass
dieser hier dem beliebten dichterischen Motiv von der unwiderstehlichen
Gewalt des Eros angepasst worden sei, ist eine nahe gelegte Ver-
muthung ; ihr würde der Ausdruck des Gesichtes, die Haltung der
Figur günstig sein, und die schwere Wucht des Leibes käme so zu
(^ 381), in der Ilias auch noöaoxrig. {4» 265). Die Natorsymbolik bringt es mit
Bioh, dass die Baiwörter und Züge, welche an den Personen der Götter haften,
theilweise sich widersprechen, denn die Naturobjecte können nach sehr ver-
schiedenartigen Seiten und Zuständen betrachtet werden. Die plastische In-
dmdualisirong kann daher nicht alle Züge aufnehmen, sie lasst von den alt-
überlieferten Beiwörtern diejenigen zur Seite, welche sich dem poetisch ausge*
stalteten Charakter nicht willig anschmiegen mögen. Und zu diesen gehört
gewiss jenes Epitheton des Ares, mochte man auch fortfahren ihn als * geschwinde'
zu rühmen so gut wie irgend einen streitbaren Heroen. Uebrigens ist bemerkens-
werth, dass in der nachhomerischen Poesie diese Qualität des Ares gar keine
RoQe spielt. In einem Epigramm des Aristotelischen Peplos kommt wxhgjlgtig
vor (n. 6. Bergk poet. lyr. p. 660), offenbar nicht mehr als eine homerische
Reminisoenz .
*) Kekiile d. akadem. Kunstmus. zu Bonn n. 389 S. 97.
86 Ueber einige Bronzebilder des AreB.
sprechender Wirkung. Auch wird wohl nur durch diese Voraussetzung
die Schwierigkeit gelöst, dass die Linke den Speer gehalten hat, ohne
dass doch die antiken Theile der rechten Hand der Annahme günstig
wären, sie habe das Schwert umschlossen.
Meine Vermuthung könnte ich leicht weiter ausspinnen und
stützen, es lassen sich ihr vielleicht auch Einwendungen entgegen-
stellen. Mir scheint das Problem gehöre zu denen, deren Lösung wir
von der Zeit und einem glücklichen Fund erwarten dürfen.
i. Kopf, Brust und Oberarme von einer genau entsprechenden
Statue befinden sich im Dresdener Augusteum. Nur kommt hier der
von der linken Schulter schräg über die Brust laufende kunstreich
gearbeitete Schwertriemen hinzu 0*
Ich sehe ab von einigen vielleicht entfernter stehenden Statuen,
wie dem Ares der Villa Albani'), und einem vermeintlichen Alexander
im Louvre "), und reihe an den Ares Borghese die Büsten, welche dem
Kopf dieser Statue genau entsprechen.
1. Eine augenscheinliche Wiederholung desselben ' befindet sich
in der Münchener Glyptothek, abgebildet in Brauns Vorschule der
Kunstmythologie Taf. 84, und besprochen von Brunn in seiner Be-
schreibung der Glyptothek n. 91. Der Kopf ist geradaus gerichtet,
der trübsinnige Ausdruck geschwunden. Die Uebereinstimmung der
Züge ist evident; die Anordnung des Haares die nämliche bis ins
Einzelne; sie ist dieser ganzen Gruppe von Köpfen eigenthümlich.
Ebenso scheint der vor und unter den Ohren keimende Backenbart für die-
selbe charakteristisch; er wiederholt sich an den jugendlichen Aresköpfen
^) Becker Attguateom II 86.
*) Wenig zuverlässig herausgegeben bei Clarao pl. 838 B, 2074 A. Vgl.
Indicazione antiquar. per la villa suburb. dell' cooellent. casa Albani. Roma
1785 n. 468, ediz. II Roma 1808 n. 381, Braun Ruinen und Museen Roms
8. 704. Fiasch im BuUett. deU' Inst. 1878 S. 10 versichert, dass der Kopf nicht
zugehörig sei, und erklart die Statue für eine der besten Repliken des Poly-
kletisohen Doryphoros. Dagegen schreibt tnir Heibig : *Der Kopf ist aufgesetzt,
aber entschieden zugehörig/ Auch in die Behauptung, dass die Figur unter
die Doryphorosstatuen gehöre, setze ich starke Zweifel.
>) Abgebüdet bei Visconti Monum. Gabini tav. X 23, Müller>Wieseler
I Taf. 40, 168. Dürfte man den Publikationen trauen, so hatte der Kopf Aehn-
lichkeit mit dem der vorhergenannten Statue; beide haben auch den kühn
empor gerichteten Blick gemein, den Visconti wohl mit Unrecht charakteristisoh
für Alexander glaubte.
üeber einige Bronzebilder des Ares. S7
kampanischer Münzen und römischer Familienmünzen, von denen ich
durch Imhoof-BIumers Güte eine stattliche Beihe prüfen konnte. Auch
der Helm hat die gleiche Form und den gleichen Schmuck: zwischen
übereinstimmenden Ornamenten Hunde und Greife^). Das Gesicht ist
fast ohne Affekt, aber das Muskelspiel in den Partien um den geöff-
neten Mund und die Nase verräth ein heftig erregbares Gemüth. Der
Kopf ist glatt gearbeitet und entbehrt der Empfindung und Lebens-
frische eines Originalwerkes, aber er hat hinreichende Spuren eines
sehr schönen Vorbildes.
2. Im Gampo Santo von Pisa, abgebildet bei Lasinio sculture
del campo santo tav. YII 108.
3. Im Louvre, abgebildet im Mus^e Napoleon II 59, Bouillon
mus. III^ bust. pl. 3, 6 ; vgl. Fröhner notice S. 161 n. 130.
*) Statins Theb. III 223 nennt die Waffensiücke des Ares 'terriücis mon-
Btrornm animata figuris*. Der Greif ist stehend am Helm der überaus schönen
bärtigren Aresköpfe auf den Münzen der Bruttior, deren ich mehrere durch
Imhoof-Blumers Freundlichkeit betrachten konnte; er findet sich am Helm des Ares
auf der Barberinischen Kandelaberbasis, und dem Helm der BlundeUschen
Statue; am Panzer des bärtigen Ares, SuppL au rec. d'antiqu. Suisses par le
baron de Bonstetten pl. VI 16. Wenn auch der Greif, als Lichtsymboli allge-
meine apotropäische Geltung hatte (vgl. Stephani compt-e rendu 1864 S. 63.
119—144, 1865 S. 72. ff. und Öfter), so scheint es doch, dass man ihn besonders
gern an den Waffen der Atheue und des Ares anbrachte. Die Atheneköpfe unter-
italischer Münzen haben fast immer den Greif am Helm (vgl. Carelli Taf. 187,
138 etc.). Bedeutsamer sind die Hunde, weil sie unmöglich durch Einreihung
in die grosse Kategorie apotropäischer Thiere, sondern nur durch die Annahme
eines speziellen mythologischen Bezuges erklärt werden können. Der Hund ge-
hört Ares zu eigen, es wurden ihm an mehreren Orten Hundeopfer gebracht,
▼gl. Preller gr. Myth. PS. 268, 4. Der Zusammenhang ergiebt sich mit Leich-
tigkeit, wenn man Useners Erörterung im rhein. Mus. n. F. XXIII (1868) S 384
ff. mit meinen Bemerkungen unten S. 41 fg. zusammenhalten mag. Der Hund ist
attributiTes Thier des Ares in demselben Sinn und derselben Weise wie der
Wolf. Bekanntlich sah man früher in den Thieren am Helm dieser Köpfe über-
all Wölfe; Stephani entdeckte aber am Petersburger Exemplar Halsbänder, die
auch Gonze anerkannte (Beiträge S. 9, 4) und an n. 5 sich wiederfinden, und
nnabhäugig von ihnen bemerkt Bötticher (königl. Museen, Yerz. der Abgüsse,
n. 717 S. 440 der II. Auflage), dass am Helm des borghesischen Ares nicht
Wölfe sondern Hunde angebracht sind; von der Münchener Büste gilt das
Gleiche. — Üebrigens beruht die scharfe Scheidung zwischen griechischer und
römischer Kunst, welche Friederich^ hier und überall durchfuhren zu können
meint, unzweifelhaft auf einer Täuschung.
I
38 üeber einige Bronzebilder des Ares.
4. Im Museo Worsleiano, Visconti Taf. XIII 3; vgl. Conze im
archaeol. Anzeiger 1864 S. 216*. Nach der Abbildung ist die Stirne
stark gerunzelt, der Ausdruck zornig. Der Helm entbehrt jedes ReUef-
schmuckes.
5. Püblicirt in Gavaceppi's Raccolta II 21 als *eroe or esistente
in Annover presse il generale Walmoden.' Es ist sehr gewagt^ nach
dieser offenbar höchst unzuverlässigen Abbildung das Original zu bezeich-
nen als den schönsten aller Aresköpfe. Die Helmzierrathe lassen ver-
muthen, dass es dem unter n. 3 aufgeführten Exemplar sehr ähnlich ist.
6. In der kk. Ermitage in Petersburg; vgl. Stephani compte
rendu 1864 S. 123, 3.
7. Früher im Besitz des duca die Nemi; vgl. Visconti mon.
scelti Borgh. S. 36, 6 und Stephani a. a. 0.
8. Fragment in der Ambraser Sammlung in Wien; vgl. Conze
Beiträge S. 9, 1.
Wahrscheinlich gehört in diese Reihe auch ein Madrider Kopf,
den Hübner (Bildw. in Madrid n. 124) erwähnt, und mancher andere,
welchen die Kataloge ohne eingehende Beschreibung aufführen.
Der Typus, welchen diese Köpfe darstellen, gehört offenbar der
Erfindung eines berühmten Meisters an ; es wäre aber, bei dem Mangel
aller fesiten Anhaltspunkte, eiteles Wagen auf einen bestimmten Namen
rathen zu wollen.
Nicht wenig entfernt sich von diesem vielverbreiteten Typus ein
Statuenbruchstück, das von B. Stark gründlich und gelehrt erörtert
worden ist^). Es scheint mir aber, dass sowohl er als Hübnei*
den künstlerischen Werth dieser seitdem im Abguss verbreiteten
Skulptur bedeutend überschätzt haben. Wohl leuchtet ein Original
guter Zeit und attischen Ursprunges hindurch, aber die Arbeit ist in
fast allen Theilen flüchtig und flach. Indem der Kopist dem Kopfe
den Geist nahm, ist an Stelle kriegerischer Entschlossenheit ein un-
wirscher, zugleich gedrückter und blöder Ausdruck getreten. Die
Formen des erhaltenen Stückes vom Körper sind nicht jugendlich zart,
son(fem auffallend kümmerlich ; die hohe Stellung der Ohren ist viel-
leicht dadurch bedingt worden, dass der Helm nicht gehörig in den
Kopf gesetzt ist. — Es verdient hervorgehoben zu werden, dass unter
den aufgeführten Skulpturen diese allein Ares den hohen korinthischen
Helm giebt, während die gesammte Serie der Statuen und Köpfe,
') Ber. d. sächs. Ges. 1864 S. 173 fgg.
üeber einige Bronsebilder des Are«. 89
welche wir vorhin besprochen haben, übereinstimmt in der Form des
niedrigen, fast halbkugelförmigen und mit einer Stephane versehenen
Helmes. Dagegen ist bei den Aresbronzen der korinthische Helm die
Regel.
Dass die Statue einen Ares darstellte, scheint mir keinen Zweifel
zu leiden, und darch die Aegis selber bestätigt, welche hier nicht wie
zu vereinzeltem Gebrauch entliehen, sondern als zugehöriges Attribut
erscheint^). Hingegen sehe ich nicht ein wie sie berechtigen könne,
diesen Ares als Ares Soter zu bezeichnen'). Denn die Aegis deutet
nicht auf ein besonderes Amt des Gottes, eine einzelne Seite seines
Wesens und Wirkens, sondern ist klares Symbol seiner ursprüng-
lichen Natur als Himmelsgott, lieber die Bedeutung der Aegis selber
bedarf es ja kaum eines Wortes. Das mythologische Wesen des Ares
redet vernehmlich aus der Hias. Sie lässt den verwundeten dröhnend
aufbrüUen gleich neun- oder zehntausend Mannen iu der Schlacht, und
dann mit dem Gewölk zum Himmel fahren:, 'also erscheint die
glänzende Luft zwischen den Wolken, wenn die Hitze durch den scharf-
wehenden Wind vertrieben wird.' Von Athene mit einem mächtigen
Stein getroffen, deckt er niederstürzend sieben Hufen Landes und um
ihn rasselt seine Rüstung 3). Das sind vereinzelte Naturlaute einer
gewaltigen Bildsprache, die wie aus einer anderen Welt des mytholo-
gischen Glaubens und Ausdruckes in die homerische Darstellung hin-
einklingen. Die alte Naturbedeutung, wiewohl poetisch umgesetzt,
lebt auch noch fort in den Schilderungen, welche römische Dichter
von Ares entwerfen wie Statins:
') Brustbilder auf Münsen, wie das des Marc Aurel Cohen med. imper.
11 pl. 17, 369, mit Aegis über der Unken Schalter, Schwertriemen über den
Rücken und Lanze, einen Lorbeerkranz am den Kopf, scheinen mir jedesmal
den Kaiser als Mars daranstellen.
') Die Entwiokelung Starke nimmt ihren Ausgang von einer irrthüm-
liehen Auffassung. Christodor 96 beschreibt ein Erzbild des lulius Caesar, das
auf der Schalter die Aegis trug, wie das Madrider Fragment, in der Rechten
den Blitz hielt: ota Z€vs viog alXog, Dies heisst nicht 'als lupiter luvenis',
sondern, nach einer der jüngeren epischen Sprache sehr geläufigen Formel: als
ein anderer, ein zweiter Zeus. Ueberdies ergiebt sich, wie mir scheint, aus
Starks ParaUelisirungen und Kombinationen gar keine Berechtigung, auf Ares
einen Kultusbeinamen zu übertragen, den wir nur in Verbindung mit anderen
Gottheiten nachweisen können.
•) JE 859 fgg., * 406 fgg.
40 Ueber einige Bronzebilder des Ares.
ille furentes
Bistonas et Geticas populatus caedibos urbes,
turbidus aetherias currus urgebat ad arces,
fulmine cristatum galeae iubar armaque in auro
triBtia, terrificis monstrorum animata figuris,
incutiens; tonat axe peius clipeique cruenta
lux rubet, et solem longe ferit aemulus orbis.
hunc ubi Sarmaticqs etiamnum efSare labores
luppiter et tota perfasum pectora belli
tempestate videt *talis mihi, nate, per Argos,
talis abi, sie ense inadens, hac nubilus ira* etc/
Ein sehr später anonymer Dichter singt in einem kurzen Hym-
nus auf den Kriegsgott:
tu crista galeaque rubes, tu pulcher in auro
incutia e vultu radiantia lumina ferro (terrae?),
te thorax galeaeque tegunt, non quo tibi terror
hostilis subeat, sed quod decor exit ab armis.
tu cum pulsatum clipei concusseris orbem,
immugit raundus, tellus tremit, aequora cedunt.
Bei Virgil heisst es:
sanguineus Mavors clipeo intonat.
Damit vergleiche man Kallimachos:
aAfjx Ol AQTjg
Ila^ycLiov jrQod'fkv^va TcaQtjaTa fiillev aelgag
ifLißakeeiv divyuiv anoxQvxpai de ^^ad'Qa,
vipod-e 6' iaiuagayr^os ymi dam da Tvipev dnwxy
äovQOTog' T^ (J' elili^ev ivoTtXiov' i'tQEf.ie d' ^Öoaf]g
ovQta xai /vsdiov Kgawciviov a% t€ dvaaelg
eoycLxiai IlivdoLO, q^oßqj <J' iogxfjoaro näoct
GaaaaXiTi' zolog yag a/t' dojridog sßgax^v fjxog^).
In diesen Stellen erscheint Ares deutlich als mächtiger Himmels-
gott, als Gott des düsteren Gewitterhimmels.
So ist es wohl auch nicht zufällig, wenn in der Ilias das Wüthen
des Ares dem finsteren Sturme verglichen wird 2); freilich konnte nicht
') Die hier abgedruckten Stellen sind folgende : Theb. lU 220 fgg., Meyers
antbol. Ist. 585, 5 ff.. Virgil Aen. XII 332, KaUimachos h. in Del. 133 fgg. Vgl.
Dracont. III 43.
') Y 51.
üeber einige Bronsebilder des Ares. 41
fehlen, dass eine Vorstellung, welche dem homerischen Dichter nur
noch ein poetisches Bild war, auch auf Heroen übertragen wurde ^).
Der Epiker Antimachos, welcher gern uralte Züge der Göttersage be-
nutzte, nannte die Aressöhne Deimos und Phobos Kinder der OveXXa ').
Erscheint Ares hier überall auf das Deutlichste als Gewitter*
Stürmer, so liegt darin doch nur eine Seite des Himmelsgottes be-
schlossen. Neben Zeus und ApoUon kam die lichte Hälfte seines
Wesens nicht zur Entfaltung, oder trat doch zurück im religiösen Be-
wusstsein einer verhältnissmässig jüngeren Zeit. Aber die uralten
Sagen von seiner Bewältigung durch die Biesen Otos und Ephialtes
und der Gefangenschaft im ehernen Fass, vom goldenen Vliess im
Hain des Ares weisen noch deutlich auf Licht und Sonne. Ares stellt
sich neben ApoUon, der gleich ihm aus Zeus herausgewachsen ist^),
>) So auf Hektor ^ 297, vgl. Nonn. Dion. 30, 126 und sonst
*) Fntgm. 45 StoU, ans schol. IL /Y~439. Ares selbst führt den Namen
Phobos in der kürstich gefandenen Inschrift von Seiinas, vgl. Benudorf die Me-
topen Ton Selinunt S. 27 £f.
*) Wie dieses geschehen konnte, lehrt der Zevi kqho^ (vgl. den Zevs Ivv-
ahog). Für diese Genesis, welche freilich nur in grösserem Zusammenhang feste
Begründang erhalten könnte, spricht auch der Umstand, dass der Hain in
Kolchis, welcher insgemein für den des Ares galt, von Hellanikos Hain des
ZeoB genannt warde «(schol. Apollon. 2, 406, Eratosth. catast. 19. Hygin 22).
An Stelle der petra ApoUinis bei Hygin fab. 141 tritt petra Martis in der-
selben Ensahlung bei Lactant. fab. V 9 und dem Mythogr. Yat II fab. 101. Auf
dem Silbergefass von Weddingen abgeb. in den Mitth. der ant. Ges. in Zürich
Bd. XY Taf. 13 ist Ares der Schwan beigegeben. Bezeichnend ist der Name
der Gemahlin des Ares X^va^ und der des Sohnes Beider 4>Uyvas. Der italische
Mars wird im ArvaUiede *Marmar* angerufen, und führt auf Inschriften den Bei-
namen 'LoQcetius*. Altitalische Kultusnamen des Ares giebt Lykophron wieder
V. 937 fg. (vgl. V. 1410) rdv t€ K^tiortovris ^fov | Kav^dov 3 Mafi((nov
onUrtiv Xvxov, Vgl. den Heliossohn KdvSaXog bei Diod. V 56, und lohannes
Schmidt a. a. 0. S. 97. Einen Mars Neton, der mit Strahlen ausgestattet war, ver-
ehrten die Bewohner von Acci, dem heutigen Guadix in Spanien, nach Macro-
bins I 19, 5, vgl. C. Inscr. L. II 3386 und Hübner im Hermes I S. 346 fg. Be-
zeichnend ist auch, dass öfters die leuchtenden oder sprühenden Augen des Ared
hervorgehoben werden , s. II. S 349, anth. lat. 585, 6 (Meyer). !kQiis nnd Ugeiog
aeheint mir einfach *der Starke\ and der Stamm derselbe wie in »(h- und
i(H', jl^iwy nnd ^Egitov, Doch mag in letzter Linie eine rein sinnliche Be-
deainng za Grunde liegen. •— Darob Vermahlnng mit Demeter Erinnys tritt
Area neben den Himmelsgott Poseidon: vgl. Kuhn in Zeitschr. f. vgl. Spraohf.
I S. 452 %g.
42 Ueber einige pronzebilder des Are«.
wenn er den Wolf als heiliges Symbol mit ihm gemein hat, und ein
Sohn von ihm Avxovqyot; und Avxatav heisst, gewiss nach alten Bei*
namen des Ares selber; wenn er in Sophokles König Oedipus Pest
verhängt Oy wie ApoUon im Anfang der Ilias die Pestpfeile versendet,
wenn er als Todesgott bei den Lakoniem QrjQshag heisst^), wie
Persephone in einem böotischen Kultus den Beinamen Gi^ga fOhrt'),
wie Artemis die Todesgöttin Jägerin ist und Hades Zkxygevg genannt
wird^). Es ist bedeutsam, dass Aeschykis, der gern alte religiöse
Formeln anwendet, den Chor der Ghoephoren (926) singen lässt:
efiols d' ig dofiov vov ^^ya^ifivovog
dutXovg liwv^ dmkovg ''^Qrjg.
Denn der Löwe ist bekanntes Symbol der Sonne und als solches^)
uraltes Bild verzehrender Gewalt und Vernichtung. Nach der Ilias ist
Artemis von Zeus als Löwe über die Weiber gesetzt, denn er habe
ihr verliehen zu tödten wen sie wolle; £uphorion und Lykophron,
indem sie aus einer veralteten Metapher der Kultussprache ein schillern-
des Epitheton machten, nannten den Lö#ven x^iQ^^^)- Selbst diese
Züge, welche den Sonnengott bezeichnen, kehren das düstere Wirken
hervor, ungleich häufiger walten Beziehungen auf Gewitter und Sturm.
Ares scheint von Apoll zurückgedrängt worden zu sein, dass sein
Wesen in dieser sinistren Richtung sich entwickelte, und der Grund
hiervon kann in örtlichen und geschichtlichen Verhältnissen gelegen
haben.
So mochte die bewölkte Physiognomie, das melancholische Wesen
des Ares aus dem Grund seiner mythologischen Naturbedeutung her-
') Soph. 0. R. 190 mit dem bezeichnenden Ausdruck €plfyei;Y. 27 heiast
die Peat nv^oQog ^<o;. Auch in diesem Wirken entspricht Ares der italische
Mars, welchen das AinraUied bittet, das Fieber abzuwehren. Denn dieselben
Gottheiten senden und bannen ein Uebel. Ares wirkt Geistesverwirrung Soph.
Ai. 706.
') Pausan. III 19, 7. 8, Hesyoh. Sff^irag 6 *EvvaXiOS nofm Aaxmaiv,
s) Paus. IX 89, 4.
*) Vgl. hierzu B. Schmidt Volksleben der Neugriechen I S. 227.
^) *Der Fenergott wird ein Geist der Vernichtung, ein verzehrendes und
fressendes Feuer, wie es von Jehovah gesagt ist*, Roohholz deutscher Glaube
und Brauch I S. 66. «
^) Vgl. B. 4» 481 ff., Meineke Analecta Alex. p. 84 fg. Es scheint mir
anzweifelhaft, daas der Löwe auf griechischen Sarko&gen und GrabmalerB als
Todessymbol aufzufassen ist.
üeber einige Bronzebilder des AreB. 43
vorgehen und erst durch jüngere Vorstellung und Kunst auf das
Liebesschmachten des Gottes und die Wechselfälle seines Verkehrs
mit Aphrodite bezogen werden. Zwischen uraltem Naturglauben und
kflnstlerischer Charakteristik liefen vermittelnd die Fäden von tausend
Beiwörtern und Formeln, welche religiöse Geltung und Fortpflanzung
genossen und dem Künstler die Hand leiteten; uns sind sie, bis auf
verstreute Reste, denen wir bei den Dichtem nachzugehen haben,
verloren gegangen. Und die religiöse Kunst der Griechen bewährt in
ihrem Entwicklungsgang Überall den fruchtbaren Trieb, urwüchsige
Motive und Züge primitiver Symbolik durch neue Beziehungen und
Kombinationen umzudeuten in allgemein menschlichem Sinn und ihnen
Inhalt dichterischer und ethischer Art zu verleihen. Hier oflfenbart sich
ein Widerspiel und Gleichgewicht von fromm beharrender Zähigkeit
und betriebsamer Erfindung, in welchem das hohe Wesen der antiken
Kunst zum guten Jheil gegründet ist. Diese Sätze wird dereinst die
'Kunstmjrthologie^ durch Verfolgung der typischen Göttererscheinungen
und Erforschung der Attribute und Symbole an vielen Beispielen er-
weisen können ; denn dieser BegriiF ist einer wesentlichen Vertiefung
fähig und bedürftig.
Zürich. K. Dilthey.
2. Die kunstgeschichtlichen Beziehungen zwischen dem Rheinlande
und Westfalen*).
Ich habe mir vorgeuommen, heute die kuDstgeschichtlichen Be-
ziehungen zwischen dem Rhein- und Westfalenlande zu besprechen.
Dies Thema beschäftigt sich zwar von vornherein mit einem Kunst-
material christlicher Cultur und dennoch dürfte es nicht im Widerspruch
stehen mit der Bedeutung des Tages, an dem wir das Oeburtsfest
jenes Genius begehen, welcher der dankbaren Welt den Himmel der
antiken Kunst und Kunstschönheit erschloss und als den Wiederschein
des gesammten Natur- und Geisteslebens treflFend und plastisch ver-
anschaulichte. Die Antike, die Vorgängerin und mit ihrer reichen
Schönheit wiederholt eine Hauptquelle der späteren Kunstphasen, ging
auch in der wissenschaftlichen Werthschätzung der Kunst des Mittel-
alters und der Neuzeit voran. Indem Winckelmann in seiner Kunst-
geschichte den Nachfolgern für immer die Gliederung des vorraittelalter-
lichen Kunstvorraths an die Hand gab, hat er nicht nur den frühem
ästhetischen Theoremen \) und antiquarischen Leistungen^) Richtung
und System verliehen, sondern damit auch der Kunst '), welche sich
diesseits der Antike entwickelte, ihre Stellung angewiesen und ihrer
Erforschung eine Grundlage bereitet. Denn wurde schon durch diese Ar-
beit der Geschichtswissenschaft überhaupt in ihrer Bedeutung und Dar-
stellung der dankenswertheste, wichtigste Dienst erwiesen, so hätte
ohne Winckelmann, ohne systematische Klärung der Antike die mittel-
alterliche Kunstwissenschaft, zumal der Engländer ^), wohl nicht so
leicht einen Halt gewonnen, Göthe, Foi*ster, Schlegel'^) und die Ro-
* Vortrag gehalten auf dem Winckelmannsfeste za Bonn am 9. Deoember
1872. For den Druck verbessert und mit ausführlichen Belegen versehen.
Die knnatgeschicfatl. Besiehangen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen. 46
mantiker nicht so bald ein offenes, empfängliches Auge fflr den künst-
lerischen Nachlass des Mittelalters gehabt; und die reale, kritische
Eünstforschung von heute muss wiederholt ähnliche Mittel und Wege
nehmen, um ihr Material zu bewältigen, wie Winckelmann behufs
KlarsteUung der Antike.
Die „Griechische Baukunst bot doch in ihrem Entwickelungsgange
Aehnlichkeiten mit demjenigen der gothischen dar/' und wie lange
hat sich doch das Mittelalter mit antiken und urwüchsigen Motiven
befaetfen, wie viele von der Antike geleitete Experimente anstellen
müssen, bis es einen selbstständigen Kunststil, der seiner Herkunft
und Zeit entsprach, erzeugte. Der Westen und Süden konnten sich
dabei einer antiken Erbschaft von Kunst und Künstlern bedienen, —
die Länder des Nordens, Westfalen auch, entbehrten dieser Yortheile :
diese konnten erst an der allgemeinen Cultur- und Kunstentwickelung
Theil nehmen, als ihnen mit dem Christenthum der Beruf zu einer
hohem Givilisation und die Verbindung mit dem culturreichern Westen
überkommen war. Dass das Rheinland dabei eine wichtige Rolle gespielt,
und schon früher westlalische Stämme dem Rheine freundlich oder
feindlich sich genäheil haben, scheinen besonders auch die Sagen nach-
klingen zu lassen, die Kunde von den Nibelungen wäre von Männern
aus Münster und Soest zuerst an den Rhein, und der Leib des Hai-
monskindes Reinold von Köln nach Dortmund gebracht*).
Doch waren es, soweit sich nachweisen lässt, nicht die benach-
barten Rheinlande, welche in Westfalen zuerst die Keime der Kunst
einsetzen sollten, es waren die westlichem Gebiete, wo die Wiege der
Karolinger gestanden und wo die Reibung von Deutschen und Wälschen
geistige und ästhetische Interessen zeitig gefördert hatte. Die fränkische
Princessin Ida verschönert in Westfalen ihren neuen Wohnsitz Herz-
feld an der Lippe mit einer Steinkirche, indess das Land rihgsher für
die Qottejshäoser wie für die Wohnungen nur den Holzbau, zu hand-
haben verstand ; Herford errichtet seine Stiftsgebäude ad exemplum des
Frauenklosters Soissons und Korvei, und dies neue Licht an der Weser
baut sich ähnlich an, wie das Mutterkloster Corbie an der Somme.
Westfalen aber geht fortab mit den ihm gebrachten Anregungen und
Colturkeimen so haushälterisch um, dass es bald unter dem segens-
reichen Schirm der Ottonen mit dem stammverwandten Sachsen einen
Galtnraufschwung nimmt, wie ihn das Rheinland später und dafür
auch gewaltiger seinem Strome, seiner Lage und altern Kunsterbschaft
abgewinnen sollte. Inuner reger stampft es auf dem Boden der Kunst,
46 Die konatgrascbichtl. Besiebungen zwitchan dem Bheinlande n. Westfalen.
immer weiter greifen die Pläne, und weil dagegen die heimischen
Kräfte noch zurückstanden, berief die vornehme Dame Marcsuidis
939 für den Neubau des Klosters Schildescbe Zimmerleute, Maurer
und Steinwerker aus Franzien^), und als kaum hundert Jahre später
die nordischen Domplätze wie mit Gewalt eine Kunstblüthe zeitigen
wollten, liess Bischof Meinwerk von Paderborn (1009—1036) seine
Bussdorfkirche ad similitudinem der Grabeskirche zu Jerusalem und
die zierliche Bartholomäuskapelle durch italiänische Griechen, —
andere seiner vielen Baupläne vielleicht durch die von Cluny berufenen
Benedictiner ausführen. Jeder Künstler, jedes fremde Kunstmotiv war
ihm in der kunstarmen Heimat willkommen, und so mochte ihm die
wechselvolle Säulenanordnung in der Krypta zu Emmerich, mit der ihn
gewiss seine Familienbeziehungen zum Niederrhein bekannt gemacht
hatten, als nachahmenswerthes Muster beim Bau der Abdinghofer
Krypta^} seines Bischofssitzes erscheinen.
Kaum dreissig Jahre nach Meinwerks Heimgange 1068 bestieg
den Bischofsstuhl zu Osnabrück ein Mann, der in sich das verkör-
perte Bild des staunenswerthen Kunstlebens seiner Zeit darstellt,
eine Grösse, die, nachdem sie früher auf verschiedenen Kaiser*
pfalzen und Domplätzen gebaut und geleuchtet hatte, noch als
Greis mehrere Male na«h Speier reisen muss, um durch geschickte
Substructionen den neuen Kaiserdom vor den reissenden Unterspülungen
des Rheines zu schützen und vielleicht auch im Baue zu fördern '). —
Diese That Benno's von Osnabrück bezeichnet eine namhafte, indess
vereinzelte und persönliche Kunstbeziehung Westfalens zum Rheine,
und ebenso gering dürfte für damals der Kunstaustausch des Rheines
nach dem Nachbarlande hin anzuschlagen sein. Will man audi die
Ansicht eines verdienten Bauforschers, als ob in Köln seit 1059 der
romanisch-vaterländische Stil entwickelt und von dort zunächst nach
Westfalen und Sachsen übertragen sei^^), nicht unbedingt v^werfen,
so kann dieser Einfluss weniger das Systematische als das Stilistische,
als die Stilfeinheiten der Bauwerke betroffen haben, und anderseits
bleibt zu beachten, ob nicht Benno's regsame und darum so viel be-
neidete Wirksamkeit in Köln an jener rheinischen Bauentwickelung
seinen Antheil habe. Angeregt von der Werkthätigkeit des ^esammten
Sachsenlandes konnte Westfalen damals an manchen Werken die Er-
fordernisse eines Stil- und Schönheitsbaues selbstständig herausarbeiten
und wenigstens hier und dort mit den gesteigerten Kunstbestrebungen
des Niederrheines wetteifern: das geschah zu Soest, wie die ält^n
Die koitftgMchiohiL Beriehungen zwischen dem Rheinlande q. Wastl&leo. 47
basilikalen TheQe des Domes zeigen und das geschab an der Kloster-
kirche zu Iburg bei Osnabrück, wie die Baureste mit dem Eckblatt
und die rühmlichen Berichte von Augenzeugen ergeben: es war ja
Benno^s eigenstes, angelegentlichstes Werk!
Auch im entwickelten romanischen Stile sucht man in Westfalen
charakteristische Merkmale rheinischer Kirchen vergebens: versteckte
Portale, Kuppelbauten, Doppel* oder flankirende Thürme sind als ver-
einzelte und, weil nie vereinte, Erscheinungen schwerlich auf ein
rheinisches Muster zurückzufahren. Und wenn schon in frühromanischer
Zeit die Sculpturen und Kleinkünste des Domes zu Münster einem
Kölner Bewunderung abnöthigen^'), sollte dann die Architektur, die
Grundlage der iibrigen Künste, nicht schon eine entsprechende selbst-
ständige Durchbildung erfahren haben! Es wurde in der That der
bei der Christianisirung eingeführte Steinbau im 11. Jahrhundert immer
allgemeiner, wahrscheinlich bald darauf den meisten Dorf- und Land-
kirchen zu Theil, es wurde nun die Wölbung an Krypten, Altaren
und Kapellen so weit gehandhabt, dass sie früh im 12. Jahrhundert
schon die grösseren Bäume der Abseiten, etwas später die ganze
Kirche bedecken konnte ; und mit der Technik wurde die Form so leicht
beherrscht, dass man bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts die
seither nur an Krypten und Kapellen versuchte Hallenform auch an
grossen Gotteshäusern zu Ehren bringt.
Drei Schiffe gleich hoch, das Mittelschiff breiter als die Seiten-
schiffe, das Fehlen eines Kreuzbaues, einfache Thurmanlage, hohe und
kahlere Dachbildung stellen die erst in der Gothik ausgebildete ge-
wöhnliche Hallenkirche dar, und wenn diese auf den malerischen
Wechsel verzichtet, welchen eine Basilika im Grund- und Aufrisse ent-
faltet, so bietet sie dafür nicht weniger eine ernste Einfalt wie licht-
volle^ Anordnung ; und wenn ihre schlichte Gestalt in Werksteinen noch
Perlen der zieiliphsten Schönheit, wie die Lambertikirche zu Münster
und die Wiesenkirche in Soest, aufzuweisen hat, so empfahl sie sich ganz
vorzüglich den grossen Baurevieren des schematischen und weniger
bildsamen Ziegelsteines. Ich habe hier nicht genauer auf die örtlich
und fbrmel verschiedenen Versuche Westfalens einzugehen, eine ent-
wickelungsf&hige Hallenform herzustellen; ich will hier nur hervor-
heben, dass ohne Zweifel die um 1173 begonnene Ludgerikirche zu
Münster zuerst jene fruchtbare Hallenform anstrebt, welche im
Anschlüsse an die Gewölbeeintheilung der romanischen Basilika die
charakteristische Gleichzahl der Joche in allen Schiffen und demge*
48 Die kanstgeschichtl. Beziehungen zwischen dem Rheialande u. Westfalen.
mäss die gleiche Stärke aller Stützen bedeutet ^'). Nachdem das System
mit Hälfe des Spitzbogens seine Vollendung erlangt hat, verdrängt es*
im Norden, Osten und Süden Deutschlands weiter und breiter die Basi-
lika, es gefällt noch im Spätmittelalter dem Italiener Enea Silvio so
wohl, dass er als Papst (Pius II) unter den stattlichen Bauwerken,
womit er seine Heimaih Pienza verschönert, (1462) auch einen Dom
in Hallenform aufführte ^''). Hätte ihr das Rheinland auf die Dauer
widerstehen sollen? Sie wagt sich am Mittelrhein freilich nur mit
kleineren Werken zwischen die stolzen Basiliken, dafür findet sie am
Niederrhein, in Westfalens Nähe, eine um so freundlichere Aufnahme
und entfaltet ihr ganzes Wesen, man möchte sagen, grossartig in der
Nicolai-Pfarrkirche zu Calcar **), obgleich St. Victor zu Xanten in allen
basilikalen Schönheiten aufstieg. Hier sollte das einfache System
später noch eine eigenthümliche Umbildung erfahren und damit sogar
wieder Einiluss nehmen auf die westfälische Heimath.
Hat die romanische Kunst bloss bauliche Einflüsse unter beiden
Ländern gekannt? Wenn auch in andern Kunstgattungen ein Verkehr
bestand, so darf man ihn von vornherein dem Niederrhein und dem
Westtheile Westfalens zuschreiben. Diese Gegenden haben lange Zeit
einen so wohlthuenden Wechselverkehr unterhalten, ¥rie ihn die enge,
durch keine Naturhindernisse gestörte Nachbarschaft, die ähnlichen
Boden- und Nahraogsverhältnisse begründeten und der dem Mangel des
einen Landes zu Gute kommende Ueberfluss des andern befestigte.
Hier wie dort will der romanische Stil ungern der Gothik weichen.
Der Westfale hatte hier den Rhein und Rheinverkehr am nächsten,
der Niederrhein und der Westfälische Grenzsaum benutzten, beide arm
an gewachsenen Steinen, ursprünglich den weithergeholten Tufltetein,
auf die Dauer jedoch als Füllung den Ziegelstein und als Werkstein
für die feinern Theile den bildsamen Bruchstein. Westfalen konnte,
wie es vom Rheine vereinzelt den Tuffstein bezogen, dahin, nur massen-
hafter, seinen Bruchstein zurückgehen lassen. So lieferten die Baum-
berge (östlich von Coesfeld) ihren hellgelb-weisslichen und verarbeit-
samen Sandstein in stärkern und leichtern Stücken über die Ostgrenze
des Landes und nicht weniger über die Westgrenze, ja nach dem
Niederrhein hin so massenhaft, dass er von Wesel, wo «r gelagert zu
sein scheint, nach den einzelnen Bau- oder Bedürfnissstätt^n des Nieder-
rheins vertrieben wurde. Die Xantener bestellten ihn sogar für die
feinern Details ihres Domes in der gewünschten Grösse und Form
an den Brüchen*^). Nördlich von den Baumbergen und dem Nieder-
Die kanstgescluchtl. Benebungen zwischen dem Rbeinlande u. Westfalen. 49
rhcin nicht ferner bargen die Gruben von Gildehaus und die noch
altem von Bentheim einen harten, körnigen, dunklern oder gelberp
Sandstein, und ihnen entstammt wahrscheinlich ein romanischer Tauf-
stein der Kirche zu Wissel bei Calcar. Seine Base ist viereckig, der
Ständer rund und in regelmässigen Abständen von löwenartigen Thier-
gebilden besetzt, die aufrecht so nach aussen sehen, dass über ihren
Köpfen mittelst eines Wulstes das Becken ausladet; das runde, tief
ausgehöhlte Becken umzieht oben zwischen zwei Tauverzierungen ein
Rankenge winde mit Blättern und viereckig umrandeten Trauben, unten
legen sich aufrechte palmettenartige Blätter herum, jedesmal im Felde
der vier Löwen des Fusses unterbrochen von zwei Menschenköpfen ~
Alles möglichst steif und schematisch. Zeigte auch der rohe Stein
nicht auf die Bentheimer Brüche, so gleicht das Ganze schon so sehr
einer Beihe westfälischer Taufsteine, dass man ihm wohl nur dieselbe
Herkunft beilegen kann wie diesen ; diese finden sich aber wie im
Halbkreise um die Brücke verbreitet in den Kirchen des Emslandes
und Westfalens, mir einzelne haben sich weiter in den Norden oder in
die Mitte des Landes zerstreut. Sie zeigen zwar namentlich im Or-
nament des Beckens und in der Zahl der Tauverzierungen grössere
oder geringere Abweichungen — allen gemeinsam ist im romanischen
Typus die viereckige Base, der runde mit aufrechten Gestalten um-
stellte Ständer und das über den Köpfen desselben ausladende runde
Becken. ") Da auch einfachere Formen im Innern des Landes den
Bentheimer Stein verraten, so liegt die Annahme nahe, es wären bei
den Bentheimer Brüchen in romanischer Zeit Taufsteine handwerks-
mässig angefertigt und nach allen Richtungen nach Westfalen, wie
nach dem Emslande und Niederrhein käuflich verschickt worden.
Jedenfalls hat auch der zweite Taufstein zu Wissel dieselbe Herkunft,
wie Fuss nnd Becken dieselbe Form, nur dass das letztere durch die
dicke Tünche als Flächenzier bloss mehr eine gewisse Quadrirung
scheinen lässt.
Die Kunstbeziehungen innerhalb des romanischen Stils sind
gewiss lehrreich, sie treten indess nur zufällig, nur vereinzelt nach
Ort und Gattung auf, wenn wir sie mit jenen der Folgezeit ver-
gleichen, wo sich neue politische, cultur- und kunstgeschichtliche
Hebel einsetzten, um beiden Nachbarländern einen so warmen
Wechselverkehr zu bescheeren, dass für Jahrhunderte ein Hin- und Her-
wogen der Motive ermöglicht wurde. Den Wendepunkt bildet auch
hier das 13. Jahrhundert. Die Auflösung des sächsischen HerzojEcthuras
4
60 Did kirastgetchichtl. Beziehungeii zwiichen dem Bheinlaade %l Westfalen.
hatte Westfalen vom Osten losgerissen und die Hälfte des Landes,
dessen grösserer Umfang kirchlich schon längst dem Erzbisthum Köln
untergeben war, diesem auch politisch einverleibt. Dort wie hier
erbiahten in Freiheit die Städte, und um die Segnungen des Handels
und W^arenvertriebs möglichst vollständig zu gemessen, verbanden
sie sich zu Schutzbündnissen gegen Wegelagerer und jede Art von
Verkehrsstörung. In dem städtischen Handelsverband, der als Hanse
den ganzen Norden bis nach England und Bussland umschlang, bildeten
schliesslich Westfalen und der Rhein unter der Metropole Köln ein
Verkehrsglied i^), beherrschten Köln, Münster, Soest und Dortmund als
Hauptinteressenten des Londoner Stalhofes den deutschen Handel in
England. Die Städte zeitigten somit zuerst einen Wechselverkehr der
profanen Lebensinteressen, welcher weit über die Grenzen des eigenen
und des Nachbarlandes hinauswogte, sie traten dadurch immer
wirkungsvoller als die' Angelpunkte der Cultur in den Vordergrund
und sie haben auch die Pflege der Künste in die Hand genommra
und fortgesetzt, grade als die KlQster und Domplätze dem Richtscheit,
Meissel und Pinsel entsagten, und von Frankreijch eine neue Stilart,
die Gothik, herüberkam, welche triumphirend den einen Bauplatz nach
dem andern, die eine Kunstgattung nach der andern den herkömm-
heben Formen entriss und den ihrigen mit unerbittlicher Gonsequenz
unterordnete.
Auch der erweiterte Lebens- und Gesichtskreis vermag den
Westfalen nicht zu bestimmen, so schnell und entschieden, wie das
Rheinland, dem neuen Stile zu huldigen ; fest verwachsen mit dem Cre-
wohnten muss er dessen Formen erst gehörig, man möchte sagen, noch
an der Hand der romanischen Kunst sich einüben und einprägen, be-
vor er sie rein und lauter zur Geltung bringt, und selbst, wo er sie
beherrscht, vermag er noch so wenig durchgreifend mit dem Alt^ zu
brechen, dass er neben seiner Hallenform keine gothische Basilika
aufkommen, die stolzesten Thurmbauten, wie früher, ohne Streben auf-
steigen lässt und das Omamentale schlicht, aber klar handhabt Und
welche Selbstständigkeit, Werkthätigkeit und Meislerschaft hat sich
in diesem westfälischen Baukreise entwickelt, zumal an den Glanz-
punkten Münster, Dortmund und Soest? Soest, die alte, volk- und
verkehrreiche Stadt setzt seine Bauthätigkeit auf der breiten GfUnd-
lage der früheren Zeit fort, den rheinischen Einflüssen, so nahe sie
auch der rege Verkehr mit Köln legte, nur geringe Goncessionen
machend; in Dortmund werden in das von 1296—1506 reichende
Die kimsigesobiohtL Boriehongen ewisohen dem Rheinlande u. West&leii. 61
Bflrgerbach neben den Gewerbetreibenden und Kaufleuten beinahe Jahr
i&r Jahr Vertreter der monumentalen und Kleinkünste eingetragen,
80 besonders Steinmetzen, Zimmerleute und Maler, jedoch mit zwei
Ausnahmen, sämmtlich Westfalen; und wenn man in der Heimat
und im Auslande von Münster erzählte, seine Liebfrauenkirche, be-
gonnen 1340, sei von Johann, dem Sohne des weltbekannten Strass-
burg^ Dombaumeisters Erwin von Steinbach aufgeführt, oder seine
Lambertikirche, begonnen 1375, wäre von Tyrolem erbaut, so wollen
diese Sagen, deren Einzelbestandtheile entweder falsch oder unerwiesen
sind, gewiss weniger die Erinnerung, dass die Gothik als fremdländisches
Gewächs auch hier eingebürgert sei, als die Thatsache bestätigen, dass
sie sich hier in Werken verkörpert habe, welche den grössten Meistern
des Auslandes Ehre machen könnten. In der That sahen diese beiden
Eirchenbauten im Kleinen, wie der Kölner Dom im Grossen, als sie
eben ihre schönen Glieder zeigten, ihre verkleinerten Abbilder rings-
h&c auf dem Lande erstehen. 1405 wird ein Meister Kurd von Münster
mit seinen Gesellen zum Ausbau des Rathhaus^ nach Bremen be-
rufen und der Meister der Albrechtsburg zu Meissen (1471— 1483), jenes
«grossartigen Prachtwerkes^, Arnold Bestürling, war ein Westfale'^).
West&lens Anhänglichkeit an den romanischen, Westfalens
Sdbständigkeit im gothiscfaen Stil fällt um so mehr auf, als seit Mitte
des 13. Jahrhunderts Köln an einem basilikalen Dombau arbeitete,
der an Grösse und Pracht in allen Landen seines Gleichen nicht sehen
soDtOy und der noch als Torso, schon mit seinem Haupte, so gewaltig
imponirte, dass man die schönsten Bauten der Umgegend nach seinem
Vorbilde anlegte. Wir lassen es dahin gestellt, ob gewisse Profilirungen
der Beinoldikirche zu Dortmund nach rheinischen Mustern gezeichnet
sind, ob die beid^ in's dortige Lagerbuch eingetragenen Steinmetzen
aus Kettwig in der Köliier Hütte gearbeitet haben : Thatsache ist,
dass, wo Westfalen durchgehends einfachere Grundrisse liebte, die
reichen Grundrisse des Hauptchors und der Seitenchöre der Petrikirche
zu Soest unter dem überwältigenden Eindrucke des erstehenden Kölner
Domchores gqilant sind; und wahrscheinlich ist, dass man dort später
den der Hallenform eigentlich fremden Poppelthurmbau der Wiesen-
kirche rheinischen Mustern nachgebildet hat Im Ganzen bleiben diese
Imitationen ohne Nachfolge, und nur vereinzelt, wie sie sind, dürften west-
fälische Werkleute einem Johann von (Dren)Steinfurt (1368) nach
Köln gefolgt sein, die dortige Werkhütte zu besuchen, die Technik
und Formhandhabung für sich auszunutzen ^^),
52 Die kanstgeschichtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande n. Weat&len.
Eine architektonische Einwirkung auf Westfalen ging nicht
80 sehr von Köln, als vom Gievischen Niederrhein aus und vollzog sich
in einer modifidrten Hallenform, die weniger durch ihre Schönheit,
als durch ihre Mittelstellung zwischen Hallen- und Basilikensystem,
und weniger durch ihre Verbreitung, als die Art dieser Verbreitung
unsere Aufmerksamkeit erweckt. Diese seltsame Zwitterform zu ent-
wickeln, winkten einmal vom SUden der Dom zu Köln und die Victors-
kirche in Xanten zu schön und mächtig, um die BasiUkenform nicht
als die vornehmste und üppigste zu bewundern, anderseits gefiel in
der westfälischen Nähe die einfache Schönheit der Hallenkirche so
sehr, dass eine an Bruchsteinen arme Landschaft sie schwerlich hätte
umgehen können. Während man der grossen Nicolaikirche zu Calcar
ganz unverkürzt die Hallenform gab, verzwitterte diese sich mit der
Basilika in einer Gruppe von Bauten, als deren Mutter die 1341 be-
gründete Stiftskirche zu Cleve dem Alter wie dem Typus nach gelten
dürfte. Von ihren drei durch einen Doppelthurmbau im Westen abge-
schlossenen Schiffen erweitern sich die Seitenschiffe erheblich über die
halbe Breite des Mittelschiffes und steigen so hoch empor, dass die
eine Oberwand des Mittelschiffes nur mehr kleine Oberlichter, die
andere bloss Blenden zeigt. Ein Kreuzschiff ist nicht mehr ausgebildet,
dafür treten^ wie zu Xanten, die Chöre der Seitenschiffe bedeutsam
heraus ; oder man müsste die zwei kleinen, aus den Langwänden nach
aussen gehenden Kapellen, wovon eine als Taufraum dient, für eine
Beminiscenz des Kreuzbaues halten. Weiter . entwickelt finden wir
diese Form in der spätgothischen Pfarrkirche zu Geldern; denn hier
haben die Seitenschiffe mit dem Hauptschiffe annähernd die Breite und
völlig die Höhe gemein, den östlichen Absc|ilu3s bilden drei Chöre —
zwischen Chor und Langhaus erhebt sich ein stattlicher Kreuzbau mit
weit ausladenden Armen, deren Gewölbe jederseits auf einem Pfeiler
in der Flucht der Langmauem ruhen. In den kleineren Landkirchen
haben sich, von der Chorbildung abgesehen, die basilikalen und Hallen-
bestandtheile so verbunden, dass nur ein Westthurm, keine Kreuzarme
geplant, die Mittelschiffe wenig höher, ohne Lichter, höchstens mit
innem Blenden emporgezogen sind: so bei den Kirchen zu Uedem,
Keppeln und theilweise zu Weeze. In dieser Umgestaltung kehrte das
Hallensystem vom Niederrhein wieder nach Westfalen zurück, so zwar,
dass die grosse 1415 begonnene Pfarrkirche zu Bochold, die dem
Rheine nächste und frühste dieser Art, ähnlich den grösseren Vorbildern
des Rheines, noch einen vortretenden Kreuzbau erhielt, die kleineren
Die kunstgeBchiohil. Beziehungen zwiM)hen dem Rheinlande u. Westfalen. 68
and spätem Kirchen zu «Ramsdorf, Senden und Greven, ähnlich den
kleinem, dem Rreuzbau entsagen, in allen drei Schiffen wohl dieselbe
Känipferhöhei aber in den Abseiten niedrigere Gewölbe, hohe mit dem
Gesimse wohl durchs Dach schauende Oberwände und demgemäss licht-
arme Gewölbe des Mittelschiffes zeigen. Nichts Angenehmeres kann
es für den Forscher geben, als eine Erscheinung, wie diese Bauform,
hier stufenweise aufkommen und doi;thin in regelmässiger Folge von
Zeit und Ort überspielen zu sehen; denn, wie diese Form von Cleve
aus am Niederrhein die Runde macht, so nimmt sie von der west-
fälischen Grenzstadt Bochold eine fast nordöstliche Richtung auf
Münster (Greven), als ob die Baumeister sie vom Westen immer weiter
ins Land hineingetragen hätten. Sie steht ästhetisch, weil ein Mittel-
ding, den ausgebildeten Formen nach, sie hat nur eine locale und
ephemere Bedeutung, sie erscheint als ein Auswuchs der haltlosen und
schwankenden Spätgothik, welcher der ernste Geist der Construction
abhanden gekommen und desshalb jede Neuerung lieb war. Indem so
am Ende Stil und Formen in sich selbst entarteten, konnten am
Niederrh.ein wie im benachbarten Münsterlande (Stadtlohn, Buldera,
Darup) noch andere abnorme Gestaltungen zu Tage treten, welche im
Allgemeinen ein niedriges Seitenschiff (an der Nordseite), in der nörd-
lichen Oberwand keine, in der südlichen Langwand des Hauptschiffes
um so grössere Lichter erhielten, und im Besondem so viele Ver-
schiedenheiten darstellten, dass diese schwerlich unter einen allge-
meinen Begriff zu befassen sind.
Mit so schwachen Gaben mochte auch der Rhein seine alten
Verbindlichkeiten gegen Westfalen nicht abtragen — erfreulicher und
epochemachender wirkte die Kölnische Malerschule ein, und Westfalen,
wo im 14. Jahrhundert die Malerei einen Ruf hatte,, dass ein Meister
Philipp Herman (f 1392) von Münster die älteren Glasgemälde des
Domes zu Metz fertigte ^°), hätte gewiss seine heimische Weise der
Kölnischen nicht so willig geopfert oder angeschlossen^ wenn beide
lÄnder durch die neue Kunstauffassung nicht die zartesten Saiten
ihrer Seelenstimmung gemeinsam berührt gefunden und darin nicht
gleiche Fühlung gehabt hätten. Freilich war sie schon, als Meister
Philipp Herman in Metz malte, so überwältigend, so reizend in
Köln bethätigt, dass sie von dort die auswärtigen Schulen entweder
neben sich in den Schatten stellte oder zur Nachfolge einlud ; denn
gestützt auf eine uralte Schild-, Wand-, Glas- und Büchennalerei, in
den Mitteln und Anschauungen bereichert von dem bunten Weltverkehr
/
64 Die kunstgeschichtl. Beziehungen Ewiiohen dem Rheinlande u. Westfalen.
ZU Wasser und zu Lande, beherrschte die reiche, schöne, heilige Stadt
den ergiebigsten Boden, uin, wie in der Architektur, nun auch in der
Malerei Epochemachendes zu leisten und grade in der Tafelmalerei
Form, Idee und Farbe zu den hehrsten, innigsten und mildesten Dar-
stellungen zu vermählen.
Im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts culminirte diese in ver-
schiedenen Schulen geübte Malweise in dem Meister Wilhelm, der
schlechtweg als der „beste Maler in allen deutschen Landen'^ als der
Meister aller Meister gepriesen ward, und so wenig befangen künst-
lerten diese Schulen weiter, dass sie bereits vor 1449 auch die Oel-
malerei^O angenommen hatten. Dem Zauber der Kölnischen Gemälde
unterwarfen sich Bildhauer, Steinmetzen, Schnitzer und nicht minder
die Miniaturmaler welche sich sonst so gerne, unbekümmert um jeden
Stilzwang, in den freisten und heitersten Launen und Einfällen ergingen.
Denn das verleiht überhaupt dem mittelalterlichen Kunstleben einen
eigenthümlichen Beiz, dass bei dem nahen Verbände aller Zweige der eine
von dem andern lernte, fast dessen Stil annahm, wenn er ^ch hervor-
gethan hatte ; hat man doch auch nach Siegeln gemalt und geschnitzt
und die Siegelbilder wieder nach freien Bildwerken bearbeitet 1
Die Westfalen sind vielleicht die Ersten gewesen, welche die
heimische Malweise der Kölnischen näherten, weil diese mit ihrem
hehren Idealismus der zartesten Seite des westfälischen Herzens ent-
sprach. Noch nicht erklang der Name des Meisters Wilhelm durch
die deutschen Ateliers — 1320 schon malt in Köln ein Johann von
Münster, und wie schnell ihm andere Landsleute folgten, um entweder
dort oder heimgekehrt ihr Vaterland mit den idealen Gebilden des
Rheines zu zieren, das zeigen wieder Tafelgemälde zu Soest. Diese
Stadt, mit der rheinischen Metropole bis tief ins 15. Jahrhundert auch
politisch aufs engste verknüpft, hatte ihr im Handel und Kunstleben
so rüstig nachgestrebt; dass sie sich der ältesten Staffeleigemälde
Deutschlands rühmen kann, und sie, welche der Kölnischen Gothik so
bald ihren Weihrauch streute, schmiegt sich auch zuerst mit ihrer
Malerei der rheinischen Auffassung an. Bald ist diese im ganzen
Westfalenlande zu Hause, und immer zahlreicher erglänzen die Bilder
mit den hellen Farben, mit den weich gebogenen Gestalten, langen,
gefältelten Gewändern, den ovaleu Köpfchen, sanft gerundeten Kinnen,
fein gezogenen Nasenrücken, längen Händen, den mandelartigen Augw,
mit dem hochgewölbten Munde, kurzum mit dem holdseligen wie aus
einer andern Welt schauenden Antlitz — und alle diese Schönheiten
Die konstgeooliiohtL BenehaiigeD swiMhen dem Rheinlande u. WeiÜBden. (5
treten von dem goldenen Hintergrande nur um so deatUbher hervor.
Prägnant machen sie sich geltend an dem reichen Bildercyclus des um
1400 bemalten Missale der Bibliothek zu Münster, sie ziehen noch
1442 einen Maler Gerhard von Soest nach Köln^^), sie klingen bis 1479
nach in den zahlreichen Mihiatttren der westfälischen Fraterherren, sie
leihen den 1465 geweihten Altarbildern des Liesbomer Meisters eine
merkwürdige Anziehungskraft, indem darin sonst^ nach den paar con-
tinentalen Resten zu urtheilen, die kräftigere, festere Farbe, der mar-
kirte Gesichtsausdruck, das betonte Costüm und die opulenten In-
terieurs die Einflüsse der niederländischen Schule deutlicher aussprechen,
als bisher gegenüber dem Kölnischen Idealismus hervorgehoben wurde.
Da erst nach ihrer Aufstellung beim Kloster Räume pro variarum
artium exercitatione eingerichtet wurden, so hat sie wohl kein Lies-
bomer, am wenigsten ein Mönch mehr geschaffen, nur so viel ist
sicher, sie haben einen Meister altkölnischer Richtung, der sich mit
der niederländischen Aufiiassung vertraut gemacht hatte: ob einen
Niederlä<idery Kölner oder Westfalen, muss spätem Funden überlassen
werden*®).
Wir müssen auch, da wir die genauere Zeit und das Werk nicht
mehr kennen, darauf verzichten, die Stilweise des Kölner Malers Wil-
helm von Grevenbroch zu charakterisiren, von dem J. D. von Steinen
nur Folgendes mittheilt : „Wilhelm von Grevenbroch, so im fünfzehnten
Jahrhundert gelebt und ein Bürger und Glasschreiber zu Köln ge-
wesen, hat (ohne Zweifel durch Gelegenheit des Glasmalens) ein schön
Wappenbuch zusammengetragen, darinnen 1500 mehrentheils Gülichsche,
CöUnische, Bergische und Märkische Adelige, auch Wappen von König-
reichen, Königen, Fürsten, Grafen, Bisthümem, Städten u. s. w. mit
ihren Farben und Helmzierden anzutreffen. Ich habe es von dem
Freiherra von und zu Bodelswing, Gerichtsherren zu Mengede etc.
zum Gebrauche und daraus nicht geringen Nutzen gehabt
Wahrscheinlich unter dem Eindrucke der Kölnischen Schule
hatte sich in Westfalen mit dem 15. Jahrhundert die Zahl der Ateliers
für Maler und der ihnen nachbildenden Schnitzer so vermehrt, die
Technik, die Formgebung so vervollkommnet, dass Münster, Osnabrück,
Dortmund, Soest, (Paderbom,) vielleicht auch die Kleinstädte Meister
besitzen, denen von nah und fern die ehrenvollsten Aufträge werden.
Nahm doch 1474 König Christian von Dänemerk von einer Rheinreise
den westfälischen Bildhauer Daniel Aretäus mit an seinen Hof, kann
doch die westfälische Kunst bald am Rheine mit rheinischen und
56 Die kunstgeBchiohtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. WestfjEJen.
niederländischen Arbeiten v^etteifem. Die drei oder vier Decennien
vor und nach 1500 bezeichnen ohne Frage den Höhepunkt west-
fälischer Bildnerei und Malerei, wenn man auf Technik, Kunstfleiss,
auf eine gewisse Rettung des idealen Gehalts und den Buf sieht; dessm
sich ihre Meister innerhalb und ausserhalb der Heimath erfreuten.
Als die Achse dieser hehren Bestrebungen Westfalens ragt die Stadt
Münster glänzend hervor. Die den Bhein- und Niederlanden nahe
Lage, .ein stolzes reiches Bürgerthum, ein weitverzweigtes Handelsnetz
und eine nicht minder in allen Zweigen und Phasen bethätigte, noch
in manchen Monumenten bewunderungswürdige Kunstübung hatten ihr
längst den Namen der westfälischen Metropole gesichert, als ihr der
gesteigerte Wechselverkehr der Länder im 15. Jährhundert Gelegenheit
gab, das Licht ihres idealen, geistigen und künstlerischen Vermögens
in weitere Fernen strahlen zu lassen. Hier malten, um vorläufig nur
von der Kunst zu reden, die Fraterherren nicht nur, hier wurden alle
Künste so ruhmreich betrieben, dass der vielgereiste Humanist Johannes
Murmellius 1503 in dithyrambischem Lobe von Münster behauptet,
es stehe durch der Künste Vielzahl Athen gleich**).
Rheinland und Westfalen erleben nun ein se reges Hin- und
Hergehen von Künstlern und Stilweisen, und diese hangen wieder so
innig zusammen mit ausländischen Einflüssen, dass wir von dem Leiben
und Leben dieser gegenseitigen Strömungen nur eine dunkele Vor-
stellung bekommen würden, wenn wir nicht die allgemeingeschichtlichen
Fäden, wovon dieselben durchwebt sind, einigermassen entwirren und
klar legen. Dabei haben wir von vornherein die Niederlande mit ins
Auge zu fassen. Ihrer realistischen Malweise öffnen, vom Süden abge-
sehen, die rheinisch-westfälischen Ateliers immer weiter die Thore, und
wenn dieser tiefgreifenden Kunstwandlung auch allerwärts der allmählig
veränderte, auf das Leben und die Wirklichkeit gerichtete Geist der Zeit
entgegenkam, äusserlich wurde sie dadurch ermöglicht, dass gerade seit
der Mitte des 15. Jahrhunderts die Niederlande mit dem Rheine und
Westfalen eine allseitige, sich sogar auf die Schrift erstreckende, Gul-
tureinheit ausmachten, und dass darin das eine Land die Vortheile und die
nachahmenswerthen Leistungen des andern so leicht ausbeuten konnte,
wie nie zuvor. Dahin wirkten ausser den alten Handelsbeziehungen
eine Reihe von Fehden, Bündnissen, und Friedensverhandlungen, in
denen Gelderland, Utrecht, die Länder des Niederrheins mit Köln,
Münster und andere westfälische Herrschaften sich freundlich oder
feindlich berührten, die einen das Interesse der andern vertraten,
Die knuBigeBCliicfatl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande ii. Westfalen. 57
deren Länder kennen lernten, oder worin sie gar mit einander be-
stimmte Verkehrsverträge schlössen. Schon der Vergleich, wodurch
der Münsterische Bischof Heinrich von Mors 1445 die Zwistigkeiten
mit seinem Utrechter Amtsgenossen Budolf beendete^ sicherte vor
Allem den gegenseitigen Verkehr and Handel für die holländischen
Städte OMensal, Campen, ZwoUo und Deventer, und von diesen Städten
werden uns die drei letztem als Stütz- und Ausgangspunkte hollän-
discher Kunst wieder begegnen. Die schon 1444 angezettelte Soester
Fehde führte die Kölner, die Clever und ihre Bundesgenossen; theils
als Freunde, theils als Feinde, ins Herz Westfalens und die ihr auf
dem Fusse gefolgte Münsterische wirbelte wieder die Kölner und die
niederrheinischen Streitkräfte mit allen guten und schlechten Folgen
durch das Münsterland und zog gegenseits die Westfalen wieder zu
Verträgen aufs rheinische Gebiet, so dass namentlich die Ausländer
von der Westhälfte Westfalens, vom Lande, von den blühenden Städten
und Städtchen, von deren alitäglichen und idealern Betrebungen
Augenschem nehmen konnten. Und etwa dreissig Jahre später (1474)
ziehen die Münsteraner, ihr Bischof Heinrich an der Spitze, an den
Rhein, um sich mit- Karl dem Kühnen, dem ehrgeizigen Herzog von
Burgund, zu messen. Wer einem Kriege auch noch so wenig gute
Folgen zutrauen will, wird nicht im Ernst bestreiten, dass selbst der
Feind, falls er nicht alles Menschengefühl abgeworfen, in Feindeslande
das Gute und namentlich die bildenden Künste mit Empfänglichkeit
auf sich wirken lassen kann.
Wirksamere Hebel des Culturaustausches hat allerdings der
Frieden, und als die eifrigsten Pfleger des ersteren haben sich für alle
drei Landschaften die Fraterherren Verdienste erworben, die bis jetzt
nur zu beiläufig, wenigstens nicht allseitig gewürdigt sind. Diese an-
spruchslosen Geistlichen hatten sich in der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts in Nordholland zu einer Genossenschaft zusammengethan^ von
dort am Ilheine und in Westfalen in mehreren Häusern ausgebreitet, um
neben tief religiösen Uebungen den Wissenschaften obzuliegen, Bücher
abzuschreiben und kunstreich mit Miniaturen grossen Stiles zu be-
male. In Deventer übernahmen sie auch die Capitelschule und be-
gründeten die humanistische Bildung, jenes Ferment, welches geraume
Zeit die erleuclitetsten* Köpfe diesseits wie jenseits der Alpen zu ge-
meinsamer grossartiger Geistesthätigkeit vereinte. Während nun die
Fraterherren vom Rheine und Westfalen mit ihren holländischen
Bruderhäusem eine auch ihren Kunststil gewiss anregende Fühlung
68 Die kttostgeschichtl. Beziehungen swisohen dem Rheinlande n. Westfalen.
hielten, Yerbreiteten sich in den deutschen Nachbarländern die Huma-
nisten und Humanistenschulen vom Süden und besonders von Holland
aus und eröffneten für die drei Länder ein Netz des geistigen Verkehrs,
das in Deventer, Münster und Köln seine Knotenpunkte hatte. Köln
fällt als Sitz einer Universität, vieler und theilweise sehr regsamer
Klöstef, Gelehrten und Buchhändler für das Rheinland aufs schwerste
in die Wagschale und wird von den grössten Humanisten, auch von
Rudolf von Langen mit allem dichterischen Preise erhoben. Münster
hatte seine humanistische Domschule mit den trefflichsten Lehrern und
an deren Gründer, Rudolf von Langen, einen Vertreter der Bildung,
den die Humanisten von nah und fern aufsuchten und wegen seiner
Verdienste im überschwänglichsten Lobe feierten. Von allen Seiten
strömte hierher die wissensdurstige Jugend und radienförmig ging sie
zum Lehren und Schulgründen wieder in die westfälischen Städte und
weiter bis nach dem Osten und Süden Deutschlands zurück. Und
Deventer hatte fast alle die Grössen geschult, welche dem Humanis^
mus in Westfalen und Rheinland Boden und Dauer verschafften^^}.
Von hier nach dort und * umgekehrt kamen die Gelehrten, ihre lite-
rarischen Producte, die meisten neuen Presserzeugnisse: ist es denkbar,
dass solchen regen Geistesströmungen nicht auch Künstler und Kunst«
motive von einem Lande ins andere gefolgt seien?
Wie wenig man im Spätmittelalter an die Scholle gebunden,
wie gern man in einem fremden Wirkungskreise, wie unglaublich der
Zug zu andern Gegenden und neuen Stellungen war^ davon gibt allein
die Gulturgeschichte Westfalens schlagende Belege um das Jahr 1500.
Nicht nur dass Mönche von Trier und Köln in westfälische, die West-
falen in rheinische Ordensklöster traten oder als Weltpriester in Köln
und Holland ihren Wirkungskreis fanden, dass der buchhändlerische
Erwerb diesen hierhin, jenen dorthin lockte und das capitelsfähige
Kind oft mit einer fernen, auswärtigen Pfründe vorlieb nahm — der
Westfale Rolevinck kann als Karthäuser in Köln 1478 von dem Aposto-
lat seiner Landsleute behaupten : „Gesetzt der Dienst und die
Arbeit, welche die Westfalen in der Welt verrichten, hörte auf: ich
glaube, dann werden alsbald gewaltige Klagen unter den Menschen
entstehen. Wie viele Klöster würden eingehen; wie viele
Städte würden bei schweren Geschäften einen. Rückgang ver-
spüren; wie mancher Prälat würde ein minder gutes Bett und Ross
besteigen; wie viele Schiffe blieben im Hafen zurück; wie
viele Kirchen, Collegien, Hospitäler, Klöster, Prälaturen würden die
Die konstgeschiobtl. BeEiehongen swisohen dem Rheinlande u. Westfalen« 69
hergebrachten Hülfeleistungen bei mehreren Nationen entbehren
müssen I Heutzutage, erzählt er im weitem Verlaufe, hat
(Westfalen) selbst keine Universität, allein ob es in der Christen-
heit eine gebe, wo sich kein West£ale findet, möchte ich nicht be^
haupten Dieser durchforscht die tiefen Geheimnisse der Theo-
logie, jener liegt dem kanonischen, jener dem bargerlichen Rechte ob,
ein anderer den medicinischen Studien, noch andere wenden ihren
Eifer den Künsten, der Poesie, der Geschichtskunde zu/' In
einem auswärtigen Kloster 'findet er fünf Westfalen mehr als die Hälfte,
in einer auswärtigen Provinz fast ein volles Drittel, in Venedig einen
Geldaristokraten aus Westfalen'^).
Wenn so mannigfache Fäden des Verkehrs unfehlbar die geistigen
wie die materiellen Errungenschaften der drei Nachbarländer zum
Gemeingut machen mussten, so thaten die alten Handelsverbindungen
und die Presse das Ihrige, diesen Austausch so zu beschleunigen, wie
es einer Zeit ohne Eisenbahnen und Telegraphen nur möglich war,
und darum hat für uns das Fluctuiren der Stilweisen und der aus-
ländischen Kunst nichts Bäthselhaftes mehr.
Dem idealen und anhänglichen Wesen der Westfalen hatte die
altkölnische Kunstrichtung es zu verdanken, wenn sie auf der rothen
Erde so lange dem niederländischen Realismus widerstand, dann sich
mit ihm glücklich verband; dieser, dass er nach seinem Siege nicht
so leicht in alP die Manierirtheiten, Härten und Verzerrungen verfiel,
wie anderswo. Freilich forderte der schnelle, der Wirklichkeit zutrei-
bende, Zeitpulsschlag auch hier am Ende seine Rechte für die ihm
wahlverwandte Weise der Eyckschen Schule, für die brillante Technik,
für das Eingehen auf die kleinsten Details und Stimmungen im Menschen
und NaturlebeUy — doch bei dem Liesbomer Meister und den Fraterherren
schliesst diese mit der Kölnischen ndch einen freundlichen Compromiss.
Auf zwei Wegen drang der Eycksche Stil nämlich immer nach-
haltiger in Westfalen ein, einmal von den Niederlanden, sodann auf
dem Umwege des deutschen Holzschnitts. Brügger KünsÜer hatten
schon 1461 prächtige, 1723 im Brande meistens untergegangene, Glas-
gemälde für die Kirche in Unna geliefert, Bürger in Ahlen bestellten
damals ein Bildwerk auf den Hochaltar fttr das dortige Schwesternhaus
direct in Antwerpen, und wie lange mochten die Gemälde Francos von
Zütphen im Dome zu Münster, um mit einem Augenzeugen zu reden,
angestaunt sdn, als die Wiedertäufer sie durchlöcherten'^). Trotzdem
wäre dem neuen Stil der Sic^ nicht so leicht geworden, wenn er nicht
€0 Die kuiiaigeschioIiU. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen.
allmälig Hülfe uud Verbreitung gefunden hätte in den Holzschnitten
und sich darin das Auge des Publicums befreundet und es dem alten
Stile entwöhnt hätte. Holzschnitt und Druck hingen doch ursprüng-
lich grade in Holland enge zusammen und es konnte nicht fehlen,
dass jener, nachdem der Druck durch Gutenbergs Erfindung der be-
weglichen Type einen gesonderten Weg zu seiner Vervollkommnung
eingeschlagen hatte, auch seinerseits einen freiem schönem Anflug
nahm, und beide allmählig wieder so zusammengingen, dass der Holz-
schnitt erst in Verbindung mit der Miniaturmalerei, dann allein das
vornehmste Mittel wurde, um einem vollendeten Drucke zugleich eine
kunstreiche Ausstattung zu geben. Buchhändler, Gelehrte und Künstler
überraschten das Publicum mit jenen opulenten Ausgaben, welche mit
ihren einfachen oder colorirten Holzschnitten einen solchen Duft der
Schönheit verbreiteten, dass sie zugleich Musterbücher fßr Bildhauer,
Maler, Decorationsmaler und Kleinkünstler wurden. Es stellten sich
die vor einigen Jahren entblössten Gewölbc-Decorationen der Kirche
zu Bennighausen bei Lippstadt, welche inschriftlich in den zwanziger
Jahren des 16. Jahrhunderts gemalt waren, beim ersten Vergleich als
freie vergrösserte Uebertragungen der Holzschnitte heraus, womit
Koelhof 1499 stellenweise seine „Gronica van der hilliger Stadt van
Coellen^' verziert hat; und ebenso weist die Madonnenauffassung des
Muttergottesaltars zu Galcar mit der Sibylle und dem Kaiser Augustus
offenbar auf die 1492 zu Nürnberg gedruckte Chronik des Hartmann
Schedel zurück; diese ist auch ein wahres Musterbuch der verschie
densten Decorationen und figürlichen Bildwerke ^^).
Keinem Druckort verdankt Westfalen so viele Bücher und Bücher-
holzschnitte, wie Köln, wo die Koelhof s, Terhoernen's, Quentel's u. A.
in Nichts ihren Concurrenten zu Strassburg, Augsburg, Basel, Nürn-
berg, Wittenberg, Deventer, Paris u. s. w. nachstehen wollten. An dem
Ruhme der Kölner Presse oder vielmehr des Kölnischen Bücherholzschnit-
tes hat Westfalen einen gewissen Antheil, falls nämlich die sonderbaren,
unglücklich realisirenden Holzschnitte der seltenen deutschen und
zuerst mit diesem Sehmucke bereicherten Bibel, welche etwa 1472 bis
1474 in Köln die Presse verliess, von Johann von Paderbom, oder wie
J. Niesert annimmt, von Israel von Meckenen aus Bochold stammen *').
Es lag doch nahe, dass die Gegend, welcher Sprache und Ueber-
Setzung angehörten, auch die Bilder lieferte. Wie dem auch sei, That-
sache ist, dass die älteren Bücherholzschnitte schnell den niederlän-
dischen Typus annahmen, die Bildnerei und Kleinkunst für ihre
Die knnstgeschicbtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen. 61
Formen gewannen, und dass die Ateliers in Westfalen der neuen
Kunstrichtung immer mehr Rechte einräumten, seitdem sie unmittelbar
von den Niederlanden aus in grösseren Gemälden und massenhafter
durch den deutschen Bücherholzschnitt; zumal den Kölnischen, in allen
Richtungen das Land durchzog.
So verschiedene Kunstströmungen stiessen, weit entfernt, der
Kunstübung überhaupt zu schaden, vielmehr in Westfalen auf einen
so empfänglichen Boden technischer Geschicklichkeit und soliden Kunst*
fleisses, dass die Uebergäuge zu den neuen Stilweisen, wohin sie auch
fahrten, leicht gefunden und die Meister ihnen so bald gerecht wurden,
dass sie davon am Niederrhein Proben ablegen konnten. Wieder ist
es das Clevische Land, und speciell die Stadt Calcar, wo sich ihnen
das Feld der ehrenvollsten Anerkennung und Aufträge eröffnete. Noch
mochten die Traditionen der altromanischen Beziehungen nicht ganz
verklungen sein; jetzt war grade die Hallenform in ihrer Spielart auf
dem Rückwege nach Westfalen, war die wiederholte politische Be-
rührung beider Länder noch in lebhafter Erinnerung, der Verkehr der
Humanisten bereits begonnen, Rudolf von Langen selbst am Hofe des
Herzogs Johann von Gleve gewesen. Kein Wunder, dass neben den
besten Meistern der Heimath und der Niederlande auch die tüchtigen
Kräfte Westfalens unmittelbar in Betracht kamen, andere Einflüsse,
wie die Burgundischen, am Clever Hofe zurücktraten, wenn es galt,
eine Kirche, wie jene zu Calcar, .mit den schönsten Werken auszu«
statten. Stets war diese Stadt Gegenstand besonderer Fürsorge der
Glevischen Landesherren oder vielmehr der Clevischen Landesväter und
auf deren Betreiben sogar im 15. Jahrhundert eine Zeit lang Sitz
eines Bischofs gewesen, und sie wusßte nun die Ueberschüsse ihrer
Gewerbethätigkeit und ihres Handelsverkehres, der über einen Ganal
zum Rheine und zu den Seeländern bis Danzig hin führte, nicht besser
zu verwenden, als dass sie die grosse Pfarrkirche mit den pracht-
vollsten Kunstwerken ausstattete. Was hier an Altären, Altaraufsätzen,
Chorstühlen, Gemälden, an decorativen Architekturen und kunstvollen
Metallarbeit^n seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bis über
hundert Jahre später geschaffen ist, das bezeugen noch heute die gross-
artigsten Ueberbleibsel und besonders die einzig stolze Reihe von
Schnitzaltären und Gemälden. Auf die rührigsten Jahre von 1486 bis
1500 werfen die Rechnungen der Liebfrauen- und St. Annenbruder-
schaft ein höchst erfreuliches Licht; sie ergeben, wie vorsichtig man
Form und Grösse der Werke bestimmte, die qualificirtesten Meister
62 Die knnstgeflohichtL Besiehungeii zwisohen dam- Rheialande u. WeiifiAlaiL
auswählte, welche Grundfiätze dabei leiteten, wie wenig man Reisen und
Kosten deshalb scheute. Diese weittragenden Eunstangelegenheiten be-
sorgten anscheinend unter Zuziehung der Pfarrer die beiden Bruder-
schaften durch ihre Provisoren, die Stadt durch den BOrgenneister ;
das Holz für Altäre und Schnitzwerke wird roh oder geschnitten von
Galcarschen oder Kölnischen Holzhändlem, nicht selten in Amsterdam,
Campen und Nymwegen angekauft, zumeist aber von der Huld des
Herzogs geschenkt^ für die Arbeiten den Meistern auch wohl das j,voirt
rede to maeken^' empfohlen. Nachdem schon kleinere Kunstsachen be-
schafft oder in Arbeit gegeben waren, besieht man 1488 zu Wesel auf
der Matema eine (Altar) Tafel und gibt Arndt von Lorenwert, wahr-
scheinlich deren Meister, eine ähnliche in Auftrag, sodann besichtigt
man auf den Rath Lorenwerts andere Tafeln zu Zütphen und Deventer
und, nachdem man Meister Arndt den „Beldensnider" von Zwolle zu
Rathe gezogen hat, wird eine neue Arbeit dem Meister Gaert Hartoch,
der die dortigen Musterwerke schon im Voraus in Augenschein nehmen
musste, verdungen. Jener Arndt von ZwoUe, welcher also einen ge-
wissen leitenden Einfluss bei den Galcarschen Kunstbestellungen aus-
übt, hatte bereits vor 1487 grössere Arbeiten und namentlich ein
nacktes Ghristusbild für das Grab auf dem Chore unter Händen, und
wie vieles er geschaffen, wovon wir nicht genauer unterrichtet werden,
bekunden die Summen, die er bis in sein Todesjahr 1491 ausgezahlt
bekommt Weitere Aufträge erhalten 1491 Rabe, der „beldensnider
van Eymerick'S 1492 ein Meister Deridc Boegert, neue Bestellungen
Evert van Münster, Jan van Halderen, 1498 ein Meister Loedewick,
anderer nicht zu gedenken, die die Nebenarbeiten fertigten. Mein
Plan gestattet mir nicht, weiter erklärend auf diese Thatsachen einzu-
gehen, ich habe nur noch hervorzuheben, dass alle erwähnten Kunst-
aufträge anscheinend nur Schnitzaltäre und keine Tafelgemälde be-
zweckten ^). *
Dann waren in dieser schönen Künstlerzahl auch die beiden West*
Men, die hier engagirt wurden, Bildhauer oäer Bildschnitzer, aller-
dings in dem damaligen weiten Sinne, dass sie ihre Werke auch wohl
selbst illuminirten. Der erwähnte Meister Evert von Münster stammt
dem Namen nach aus der westfälischen Hauptstadt; er hatte schon
Verbindungen nach Calcar gehabt, als er 1492 dahin berufen wurde.
Nun geht er mit den Provisoren ips Wirthshaus, verständigt sich mit
ihnen über das zu fertigende Werk, und nachdem der Contract ge-
schrieben und ihm Reise, Versäumnisse und Zeche mit 3 Gulden
Die 1caii8igQ0chiohtL Beäehoiigen zwischen dem Rheinlande a. Westfalen. 68
18 Kreuzer vergätet sind, kehrt er heim, ohne dass er andere Vor-
bilder ZQ besuchen hat
Das wird auch dem Meister Johann von Halderen nicht zur
Pflicht gemacht Er stand Arndt von Zwolle, als Verwandter, Freund
oder als Gehülfe so nahe, dass er für diesen 1491 in Galcar eine
Summe Geldes cassirt und mochte sich hier durch Arbeiten schon
längst empfohlen haben, als ihm 1498 zwei Bildwerke für den
Hochaltar verdungen und gleich eine ansehnliche Summe Geldes
gezahlt wurde. Seinen ViTohn- oder Stammort Halderen werden wir
eher in der Münsterischen Stadt Haltern, als in dem gleichnamigen
Dorfe des Niederrheines suchen; denn abgesehen von der, eine
weitere Ausbildung unterbindenden Hörigkeit der Dorfleute, ziert
noch heute die Kirche der Stadt Haltern ein bemalter Schnitzaltar, der
jedenfalls dieser Zeit und heimischen Meistern angehört, die dann
an den Münsterschen Ateliers ihren Rückhalt gehabt hätten. Es erübrigt
noch, dass die vergleichende Kunstwissenschaft, nachdem so specielle
Nachrichten über die Calcarschen Künstler und Kunstwerke ge-
wonnen sind, jene auf die betreffenden Altäre nach Zeit und
Meister zurückführe, sie wird weiterhin zu untersuchen haben, ob nicht
noch Reste von den als mustergültig erachteten Altarwerken an
der Yssel, zu Wesel und Köln oder anderweitige Werke von diesen
Calcarschen Künstlern übrig sind, und endlich, ob die spätgothischeKunst-
blüthe der Städte Dortmund und Soest keinen Antheil an den Cal-
carschen Tafelgemälden habe; "waren doch ebensowenig, wie in Galcar,
in Westfalen die Kunstreviere abgeschlossen, dass zu einer Zeit, wo
die Gebrüder Dünwegge das Kunstvermögen der Malerschule zu Dort-
mund noch einmal in herrlichen Altarbildern aufleuchten Hessen, der
Kölnische Maler Hildegard 1523 für die dortige Dominicanerkirche
die Tafel des Rosenkranzes im Auftrage seines Mitbürgers Wilhelm
von Arborch fertigte — ein Werk, das doch an ästhetischem Werth
den Arbeiten der Dünwegge nachsteht ^^).
Ungefähr zwanzig Jahre später sind zu Münster ein Johann von
Aachen, von Stand Franziskaner und Domprediger, sonst ein Tausend-
künstler, und der Kunstschmid Nieolaus Windemaker aus dem Jülicher-
Lande mit dem gelehrten Bürger Dietrich Zvivel beschäftigt, das grosse
von den Wiedertäufern ganz zerschlagene Uhrwerk des Domes mit
allen Gängen und aller Mechanik wieder in Stand zu setzen — ein Ver-
dienst, das den Johann später nicht schützen konnte vor der städtischen
Verfolgung, als er sich in öffentlichen Verruf gebracht hatte ^}.
64 Die IronBtgetchichtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen.
Damals hatte das Bheinland schon in einer andern Bichtung auf
Westfalen eingewirkt, die allgemeiner war und desslialb eine weitere
Beachtung beansprucht ; sie ging auf nichts Anderes, als auf eine völlige
Umgestaltung des Stiles. Die Spätgothik erlebte zunächst freilich in
dem Hin-, und Hergehen der Kunstwerke und Localau£fassungen eine
Verdeckung ihrer wankenden und schwankenden Formen, auf die
Dauer aber konnte sie auch hier zu Lande nicht mehr bestehen vor
der neuen Stilweise der Renaissance, die sich längst zu ihrem Sturze
gerüstet hatte. Und grade in Westfalen, wo das Volk am Altliebge*
wonnencn hing, Handwerke und Zünfte innigst mit der Gothik ver-
wachsen waren, wäre das Aufkommen des neuen Stils nicht so schnell
möglich geworden, wenn dieser nicht heimlich, unbeachtet von den
Augen der Zunftgothiker, mit den anspruchslosem Kleinkünsten hätte
eindringen können. In den Pfaden des ihr verwandten niederländischen
Realismus kam sie, als die bildenden Künste noch in den bunten
Formen des alten Stiles schwelgten, mit den Urkundensiegeln von
Italien, mit den Münzen und Stempeln aus nähern Ländern, und der-
selbe Bücherholzschnitt, welcher früher die niederländische Weise so
schnell aufgenommen und verbreitet hatte, sollte nun eine gleiche
Aufgabe für den neuen Stil erfüllen. Und wieder hat von allen Druck-
orten Köln die meisten Renaissancemotive nach Westfalen gebracht.
Während das Figürliche noch lange an den traditionellen Formen
festhielt; zeigten die Einrahmungen der Bildwerke wie der Blätter be-
reits die bunten heitern Formen der Rötiaissance. Und warum sollte
der Schnitzer nicht auf dem Holzstock ähnliche, freie Ornamente und
Gedankenspäne bringen, wie viele Büchermaler sie in den Gerimseln
und Verschlingungen ausgeprägt hatten, ohne die schematisbhen
Formen der Gothik zu beachten. Das freie Schnitzen war nicht jmmer
Renaissance^ jedoch der gerade Weg zu ihr hin ; auch Kölns Presse
übernahm früh den zierenden Holzschnitt und, obwohl dieser noch
lange mittelalterliches Stilgefühl athmete, als Nürnberg die Bücher
bereits Blatt für Blatt aus dem vollen Borne der Renaissance ver-
schönert hatte, brach doch in einzelnen Drucken eine ungezwungene
nicht mehr traditionelle Omamentation durch, so in der niederdeutschen
Bibel der siebziger Jahre, — in der Koelhofschen Chronik 1499 spielt
der Zierholzscbnitt schon in Renaissancemuster über, und die Puerilia
super Donatum um 1500 haben sich in ihren Randverzierungen zur
reinen Renaissance bekannt. Hier vollzieht sich eine Anbetung der
Könige noch unter einem Wimberg, allein die denselben stützenden
Die kuDstgeschichU. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen. 65
Säulen mit ihren Windungen, die kurzen Gapitäle mit ihrem Blatt-
werk gehören entschieden dem neuen Stile au. Gegen 1520 hin er-
weitert dieser zusehends sein Bereich, um das Meublement, die Inte-
rieurs und endlich das Figürliche nach seinen Gesetzen umzugestalten.
In Westfalen liess man in Ermangelung geeigneter Typen die Breviere
in Strassburg und Paris drucken. Die grösseren Kirchenbücher gingen
entweder, wie das Münsterische Missale, 1489 aus Kölnischen Officinen,
oder, wie jenes von 1520, aus Kölnischem Verlage und etwas später die
hauptsächlichen Chorbücher wieder aus den Kölnischen Druckereien
hervor; mit diesen Büchern kehrt eine Ueberfülle der verschiedensten
und flottsten Renaissancemotive in die westfälischen Kirchen zurück
um im Bunde mit den Kleinkünsten sich unter Geistlichen und Laien
neue Verehrer zu erwerben.. Lange verzichteten die Drucker "West-
falens auf reichere und besonders auf figürliche Holzschnitte und diese
wieder 'bis 1521 auf die Formen der Renaissance. Ein Gedicht auf
die h. Jungfrau vom Ahlener Ludimagister Gerardus Cotius, ein Quart-
format, gedruckt zu Münster von Dietrich Tzvyvel, zieren drei Marien-
bilder in Holzschnitt. Das Figürliche, die Strahlenumgebung, die Krone
sind im zweiten Bilde noch rein gothisch; in dem Antlitz, dem Mar-
kirten und dem Knittergewande der beiden andern offenbart sich jene
bizarre Art, womit der mittelalterlich-Eyck'sche Stil hier zu Lande ab-
starb; auf dem letzten Bilde jedoch zeigen sich im Hintergrunde der
Strahlenglorie die Frühlingsvögel der Renaissance: zwei kleine nackte
Jungen mit mollig gerundeten Gliedmassen. Wenn nun mit dem
Jahre 1520 Siegel, Münzen, Zierstempel der Bücher, Holzschnitte und
Metallarbeiten immer mehr dem alten Stil entsagen, dem neuen sich
zuwenden, so glaubte ich, dem Kölnischen Bücherholzschnitt um so
mehr einen Antheil daran einräumen zu sollen, als Westfalen vom
Kölnischen Büchermarkt das Meiste bezog, und, wie wir wissen, die
Randverzierungen der Koelhofschen Chronik sogar als Vorlagen kirch-
licher Wanddecorationen benutzte ^^).
Blicken wir einmal zurück auf das spätmittelalterlichc Kunst-
leben, — müssen wir nicht gestehen, dass das Flnctuiren der
Formen und Meister von hier dorthin und zurück auch ästhetisch
den regen, fruchtbaren Verkehr wiederspiegelt, wie wir ihn im Handel;
und besonders im Leben der damaligen Gelehrten vorgezeichnet fanden?
Wir müssen staunen, wenn wir sehen, wie empfanglich, erfinderisch
und weitherzig jene Zeit, wie bildsam und flüssig die Formen, wie
5
66 Die kuDBigesohichtl. Boziebungen zwischen dem Rhoinlande u. Westfalen.
freundnachbarlich die Beziehnngen zwischen den beiden Ländern sich
gestalteten und wirkten.
Das letztere bestätigt uns auch der Glockenguss; denn wenn
in alter Zeit schon die Giesser von Land zu Land gingen, ihre Hütten
errichteten, wo eben Bedürfhiss war, so haben vollends, wie die meist
kunstgerechten Reste beweisen, zwischen Rheinland und Westfalen
kaum Grenzen gegolten bis in jene Tage, wo der Glockengusss mehr
an die Wohnstätte des Giessers gebunden ward. Weil die altem Meister,
welche ihren Werken ihren Namen noch vorenthielten, durch den
Laut der Inschriften und die constante Form der Typen, welche wie
Handwerksgeschirr mit auf die Reise genommen wurden,, ihre
Spuren und Werke bis in weite Femen zu verraten pflegten, so
möchten schon die Glocken zu Sinzig aus dem Jahre 1299 denselben
Meister haben, wie die ihnen älmlichen zu Castrop. Seitdem tritt im
Austausch des Kunstgusses eine Unterbrechung ein, doch vTelleicht
nur scheinbar, indem nämlich die einschlägigen Werke entweder gar
nicht oder, wo Meistemamen und sonstige auffällige Merkmale fehlen,
wohl zu ungenau beschrieben sind, als dass sich unbestimmte Werke
des einen Landes auf die verwandten des andern mit Sicherheit zu-
rückführen und die auswärtige Herkunft darthun liesse; — jetzt, im
Spätmittelalter, sollte dafür der Guss um so vollendeter, der Verkehr
um so offener zu Tage treten. Nachdem um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts der Kölner Dom an Christian Cloit und Johan 4e Vechel
Meister gefunden hatte, welche den schwersten Guss leicht bewältigten,
nimmt gegen Ende der Kunstguss zu Dortmund unter den Meistern
Johan, Henric Renald (Widenbrock) und Claus einen weitgreifenden
der ganzen Umgegend wohlthuenden Au&chwung, und im Anfange des
16. Jahrhunderts folgt Soest durch Herman Vogel mit noch form-
vollendeteren Arbeiten nach. Grösser als diese, vielleicht der grösste
Glockenkünstler der Geschichte, war ein Meister, der zwar weder dem
Rheine noch dem Westfalenlande seiner Geburt nach gehört,
aber grade diesen beiden Ländern die meisten, und durchgehends
prachtvolle, Werke hinterlassen hat; das war der als Schöpfer der
grossen Gloriosa zu Erfurt weltbekannte Gerhard de Wou aus Campen.
Etwa dreissig Jahre bis 1502 hat er mit seinen Prachtwerken bezeich-
net, und davon besitzt der Landstrich von Calcar bis Münster die meisten.
Noch "bevor sich seine Spuren verlieren, lieferte der bedeutendste
Glockenkünstler Westfalens, Wolter Westerhues aus Münster, welcher
bis 1526 goss, zwei Glocken schön in der Form, und Schrift, massvoll im
Die knntigesohichtl. Besiehungen swisehen dem Rheinlande u. WeBtlalen. 67
Ornament und musterhaft im Klange f&r die Kirchen zu Grieth und
Niedermörmter bei Calcar; ebenso viele hatte Johann von Düren
1491 für die Nicolaikirche zu Siegen gegossen. Als mit Wolter Wester*
hues Tode der Kunstguss Westfalens so tief sank, dass ^ohl viele
Master, aber wenige mit bedeutenderen Leistungen auftraten, müssen
bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts gewöhnlich Rheinländer und
Holländer sich in die Arbeit theilen, wenn in Westfalen etwas Muster-
gültiges verlangt wurde. Johan von Neuss goss 1522 die zweite
Glocke zu Weitmar bei Bochum, Heinrich von Trier 1576 eine kleine
Glocke für Werth bei Anholt und, nachdem der Westfale Antonius
Paris mit einem Claudius Lamiral 1647 für die Abteikirche Siegburg
gearbeitet hatte, goss wieder Godfried Dinckelmaier aus Köln 1732
eine schwere Gk>ckc für Dorsten, 1733 eine kleinere für Polsum bei
Recklinghausen. Aus dem Clevischen von Isselburg kamen vor fast
hundert Jahren die Voigts, um zunäshst als fürstlich -privilegirte
Glockengiesser im Münsterischen von Bochold bis Werne und neben-
bei in Dortmund und Umgegend von 1766—1790 verhältnissmässig
ansehnliche Arbeiten zu machen ; sie gehörten zu den besten Vertretern
des Gusses, insofern der Kunstguss damals meist mit der Stückgiesserä
verbunden und zu einem handwerksmässigen Erwerb geworden war.
So sind ihre Concurrenten, die Mabillots aus Goblenz ausdrücklich „chur-
fürstlich Trierscbe Stuck* und Glockengiesser'^ ; sie verlieren sich auch,
nachdem sie nur von 1777—1781 filr Mesum, Billerbeck, Nottuln, Rorup
bei Coesfeld und Stromberg meistens die Mängel der Geläute ausgefüllt
hatten, schnell wieder aus dem Lande, wahrscheinlich um den berühm-
testen Wandergiessem des 18. Jahrhunderts zu weichen. Die Familie
Petit nämlicb, welche aus den Niederlanden stammte und angeblich
von den berühmten Emonys und de Graaf die Kunstgeheimnisse ererbt
hatte, kam tbeils vom Emdande, theils und namentlich von ihrem am V
Niederrbein zu Dinslaken aufgeschlagenen Wohnsitz seit 1749 (zuerst
Jean nach Bochold) immer häufiger in's Westfälische, bis zu Anfange
dieses Jahrhunderts Alexius Petit zu Gescher seinen bleibenden Wohn-
sitz nahm, um dem westfälischen Glockenguss entkleidet von jeder
Gdbgiesserei gründlich wieder aufzuhelfen^^).
Sonst hat Westfalen seine ruhmreichen Kunstbahnen bis in den
dreissigjährigen Krieg selbständig weiter verfolgt und, ohne die
Gothik für das Kirchliche ganz aufzugeben, treffliche Werke der Re-
naissance in allen Verzweigungen der bildenden Kunst hervorgebracht.
Die Stadt Münster behauptete ihre Kunsthöhe noch fast zwanzig Jahre '
68 Die kanstgeiohiohtl. Besiehnngen zwiBchen dem Eheinlande u. Westfalen.
•
aber den westfälischen Frieden hinweg; denn während alle deutschen
Lande und Städte an den Wunden des grossen Krieges bluteten oder
nachblateten, hatte sie im Schutze der Abgelegenheit und der Friedens-
gesandten den Faden ihrer Gultur angehalten ; statt auswärtiger Hülfe
zu bedürfen, konnte sie auf den Wunsch des grossen C!hurfdrsten 1651
den Baumeister Gottmann zur Bestauration des Schlosses Sparenbei^
nach Bielefeld entsenden und brauchte höchstens für grössere Arbeiten,
so 1622 für 4ie Flügelgemälde des Domaltars, den Amsterdamer
Maler Adrian von dem Bogardt und für die Portraits der Friedens-
gesandten den Jan Baptist Floris und Terburg als auswärtige Kräfte
in Anspruch zu nehmen. Doch als sie 1661 durch die Erstürmung
des Bischofs Bernhard von Galen ihrer Rechte beraubt und in den-
selben kläglichen Zustand versetzt war, der auch den Rhein seit dem
grossen Kriege der Gultur und Kunst entblösst hatte, mussten aus-
ländische Künstler wiederholt Aushülfe leisten. Schon* Bernhard von
Galen wandte sich 1676 an die Augsburger Goldschmiede, Johan
Spring und Isac Boxbart, als er von einem erbeuteten Franzosenschiffe
ein silbernes Modell für den Dom anfertigen Hess; zumeist waren es
Holländer, welche von ihrem im Frieden errungenen Kunstvorrat dem
Nachbarlande mitgeben mussten. Im 18. Jahrhundert gehen auf Grund
der Verbindung des Kölnischen mit einem oder anderm westfälischen
Bisthum wieder gemeinsame Kunstspuren auf von Glemenswerth im
Emslande über Münster, Köln bis Bonn; sie waren jedoch an die Per-
son des Fürsten geknüpft und so wenig volksthümlich, dass der Adel,
der für ästhetische Zwecke allein Geld hatte, als Stadt und Land geistig
und materiell daniederlagen, für seine höfischen Kunstbedürfnisse,
für Stuckaturen und Deckengemälde, Italiener kommen liess"^).
Denken wir lieber noch einmal an die altem Zeiten zurück, so
' ergeben sich schon im Lichte meiner Angaben die Züge des erfreu-
lichen Bildes, wie sich Rheinland und Westfalen bereits in romanischer,
besonders in gothischer Stilzeit und über dieselbe hinaus von den
schönsten Blüthen ihrer edelsten, idealen Lebensgüter gegenseitig mit-
theilten, was das eine Land eben vor dem andern errungen hatte.
Die Beziehungen des Oberrheins einerseits, und der westfälischen Ost-
hälfte anderseits kommen kaum in Betracht. In romanischer Stilzeit
treten Westfalen und die Architektur in den Vordergrund, in der
Gothik Köln und die Kölnische Malerschule; Köln verhält sich zu
Westfalen mehr gebend, der (clevische) Niederrhein mehr nehmend.
' Der ästhetische Verkehr erstreckt sich von den Hauptkünsten auf die
Die kiuiBtgesohichtl. Besiehangen zwischen dem Rlieinlande a. Westfalen. 69
Nebenzweige und bringt beiden Ländern schöne, stolze Früchte. Und
wie viele Werke und Nachrichten mögen der Vergessenheit anheim-
gefallen sein, welche weitere Zeugnisse für diesen freundlichen Kunst-
austausch ablegen könnten, wie viele Stücke mögen hier noch als hei-
misch betrachtet werden, die dort enstanden sind, ohne dass ihr
eigentliches Vaterland ermittelt werden kann oder ermittelt istl
Gott Dank, sind schöne Zeiten wiedergekehrt, für die Kunst,
noch mehr aber für ihr Fundament, die Gultur. Da& deutsche Vater-
land ist eitriger und stärker, als in den Tagen Meister Wilhelm's,
seine stolzen Töchter Rheinland und Westfalen verbinden sich wie
Zwillingsschwestern durch tausend Bande des Verkehrs und der Inte-
ressen weit inniger, wie in den Tagen der Hanse. Und wenn dennoch
unsere Väter in der Kunst Grösseres und Geschmackvolleres geleistet
haben, als die Gegenwart» so ist es um so mehr unsere, der Nach-
kommen, Pflicht, nicht nachzulassen im Specialforschen und Vergleichen,
im Durchsuchen der Bücher und Archive, um das Bild ihres Kunst-
lebens immer mehr aufzuhellen; und damit der Bausteine mehr ge-
wonnen, und das Gewonnene sich schleuniger und vollkommener wieder
zu dem grossartigen Bilde der Vergangenheit füge, müssen wir uns
dabei vom Rheine und von Westfalen stets hülfreiche Hand bieten.
Mit diesem lebhaften Wunsche schliesse ich.
Anmerkungen.
*) ROckblickend auf die psychologische AesUietik eines Burke, Gerard und
Home sagt H. Heitner, Literaturgeschiohte des achtzehnten Jahrhunderts (1866)
l, 420: „Es ist überraschend, dass von diesen psychologischen Grandlagen aus
die englische Wissenschaft doch nirgends zur Erfassung der in der innigsten
Durchdringung und Wechselwirkung des Geistigen und Sinnlichen wurzelnden
Konstidealitat vordringt. Dazu haben die Engländer offenbar nicht künstlerische
Unbefangenheit genug, und nicht philosophische Scharfe. Erst der Sinnigkeit
und Tiefe eines Winckelmann, Lessing und Kant war es besohieden, das von
den Engländern nur Geahnte und dunkel Gefühlte zur zwingenden und ab-
schUessenden Begriffsklarheit zu erheben/' Denn was die geschwätzige Ennstr
hteratnr der Engländer, Franzosen und Italiener an Theorien und historischem
Material lieferten oder geliefert hatten, das hat Winckelmann zunächst gierig
in sich aufgenommen und beherzigt, bis er im Lande der Kunst „mit eigenen
Augen sah; da erschien ihm seine frühere Weisheit aus Büchern keinen Schuss
70 Die kunstgescbiohtl. Beziehaogen zwiaohen dem ' Rheinlande a. Westfalen.
Pulver wertb. loh habe erfahren, schreibt er im ersten Briefe aus Rom, dass
man halbsehond von Altertbümem spricht aus Büchern, ohne selbst gesehen zu
haben. loh glaubte, ich hatte alles ausstadirt, und siehe da, ich sah, dass ich
nichts wusste. 0 . . . schreibt er im Sommer 1766' an Franke, . . . wie viel
wollte ich Ihnen erz&hlen, wie viel sollten Sie hören, was in keinen Büchern
stehty und was selbst Richardson nicht gewusst hat. ..... Nun nennt er de
Piles jämmerlich, Bellori „einen der gelehrten Betrüger und Windmacher" ; Da-
bos rechnet er zu den Rhapsodisten, die alles in ein Buch schütten, was sie
wissen." C. Justi, Winokelmann. Sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen
1866 I. 801. Wie dennoch Winokelmann, befangen von den Ideen der Zeit, das
Wesen des Schönen und der Kunst zu eng fiuste, zeigt Hettner a. a. 0 III. 2, 430 ff.
') Abgesehen von den rudimentären und meist praktischen Alterthums-
Studien des Mittelalters, hatten seit Petrarca der Humanismus und die Philolo-
gie diesseits wie jenseits der Berge der Antike eine bis auf die letzten Antiqui-
täten durch Quellenforschung, Sammeln und Kachgraben ermöchlichte Unter-
suchung angedeihen lassen, so dass zur Zeit Winckelmanns ein grosses, grade
durch die Entdeckung von Herculanum und Pompeji und die Publioationen der
Engländer aus Griechenland erquicktes, Material von Antiquitäten und Kunst-
resten der beiden classischen Völker in Werken verschiedener Sprachen und
Stärke vorlag. (Vgl. L. Waohler, Geschichte der histor. Forschung und Kunst,
Göttingen 1812—20. 5 voll. F. Mortons, Die Baukunst des Mittelalters 1850.
S. 3.). Doch „es bedurfte grösserer Kraft, um den versunkenen Schatz
der alten Kunst wieder in's Licht zu heben. Job« Joach. Winokelmann war,
von einem unwiderstehlichen Instinkt getrieben, nach Rom gewandert und ent-
deckte dort die alte Kunst gleichsam von Neuem. Vorbereitet durch philo-
logische und historische Studien, eingeweiht in die Auffassung der griechischen
Dichter und Denker, war er nicht allein befähigt, die Erklärung der alten
Kunstwerke, indem er sie auf das Gebiet der griechischen Mythologie zurück-
führte, von Grund aus zu reformiren: seinem begeisterten Blicke offen-
barte sich zuerst wieder in der bildenden Kunst die Schönheit als dasjenige
Element, welchem sie ihr Leben verdankt* Indem er den Wegen nachspürte,
auf welchen die Alten die Schönheit bildlich darzustellen bemüht gewesen waren,
schuf er die Geschichte der Kunst, in welcher zum ersten Male ge-
zeigt wurde, wie das geistige Leben eines Volkes nach einer bestimmten Rich-
tung hin sich unter dem bedingenden Einfluss der natürlichen und politischeu
Verhältnisse im Zusammenhange seiner gesammten Gultur stetig entwickelt.
Wenn die Wiederherstellung der Kunst des Schönen von allen Gebildeten als
eine Wohlthat empfunden wurde und lauten Widerhall fand, so war die Auf-
fassung der historischen Entwicklung kein geringerer Gewinn für die Wissen-
schaft liehe Forschung". (Otto Jahn, Aus der Alterthumswissenschaft.
186a S. 1 ff. S. 27. 2a). Dabei „treten wir den Verdiensten Winckelmanns
nicht zu nahe, wenn wir auch eingestehen, dass diese (vgL Note 1) architekto-
nischen Studien der Engländer zu Winckelmanns Kunstgeschichte eine sehr
wesentliche Ergänzung bilden''. H. Hettner a. a. 0. I, 437.
Die knoBigeechichil. Bexiehongen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen. 71
') Schon vom frohem Humanismaß behauptet. Burckhardt, die Gnltur der
Benabeance in Italien 1860 8. 241 : „Das Studium des Alterthums allein hat
das des Mittelalters möglich gemacht; jenes hat den Geist zuerst an olijectives
geschichtliches Interesse gewöhnt.'* Geleitet vom patriotischen und Forschtmgs-
triebe des Humanismus gingen auch dessen Anhänger in Deutschland bald bo
tief auf die Geschichte ihres Vaterlandes ein, dass Jakob Wimpfeling dem Dome
in Speier eine ausführliche poetische Beschreibung widmet und 1502 in seiner
Epitoma Germanicarum rerum, mit der frühem auch die gleichzeitige Kunst-
blüthe werthschätzend, das Strassburger Münster, die Werke Martin Schön's und
Albrecht Dürers, welche sogar von Italienern gesucht würden, mit gerechtem
Stolze erhebt; er feiert die deutsche Architektur als die Blüthe der ausgezeich-
netaten Künstler und mit nicht geringerer Wärme die deutsche Plastik, die sich
im gewohnten Hansrath zeige und selbst einem Choroilos Bewunderung würde
abgenöthigt haben. Vgl. R. von Raumer, Gesch. der Germ. Philologie (Gesch.
der Wissenschaften in Deutschland. Neuere Zeit B. IX) 1870. S. 12. A. Haro-
witz in V. Sybels Histor. Zeitschrift XXV, 76, 77, 99; derselbe hat den kunst-
literarischen Theil in dem eben erschienenen Heft 4 der von Lützow'schen Zeit-
schrift für bildende Kunst 1878 S. 126 f. eigens erweitert und namentlich die
Nachrichten des Beatus Rhenanus über frühere und zeitgenössische Kunst und
Künstler in Deutschland hinzugefügt. Heinrich Bebel glaubt De veterib. german.
Encomion. c. XVH bei Sohard, Histor. opus. Basileae 1674 I, 275, die römischen
Glassiker, welche Germania als eine Art £inöde dargestellt, würden, quam si
hodie viderent . . , dicerent, commutato ordine, Greciam in Germaniam commi-
grasse . . . . si urbes, arces et edificia, nihil Ulis pulchrius, magnificentius at-
que munitius inrarent. Franz Irenicus betheuert Exegesis historiae germaniae
IV, 29 ed. loan. Ad. Bernhard, Hanoviae 1728 p. 196: Sunt praeterea artifices
longo optimi in Germania, quia graecis joQivrai ij Qaßionrfyoi (?) dicuntur, quorum
artificio nihil absolutins alius orbis produxit. Nicht zufrieden mit einer
so allgemeinen Anerkennung deutscher Künstler und Kunstwerke versacht Geltes
in der Descriptio urbis Norinbergae a 5 ibid. p. 441 sohon ein anachacdiches,
technisch -reales Büd zu entwerfen de arce imperiali (Norinberg.), fontibus
aedificiisque et foris orbiS) hortis et of&cinis metallarüs. In die Fussstapfen
dieser Humanisten traten Walter Rivius in seinem „Vitruv teutsch*' 1548
fol. XXI. V für die Werke Dürers, später der Strassburgeii Buchhändler Jobin
and 1589 der Festangsbanmeister Daniel Speoklin mit ihren Vertheidigungs-
Schriften zu Gunsten der deutschen Kunst ein. „Auch in unserer Zeit waren
jene, welche dem Mittelalter nnd dessen Kunst ein sym pathisches Interesse zu
wandten, „die Begründer der romantischen Schule, aus eigentlich philologischer
Schule hervorgegangen, und weder ihre Kritik noch ihre Poesie hat diesen
Ursprung je verläugnet.'' Otto Jahn, a. a. 0. S. 29. Hettner zeigt a. a. 0. HI.
2,496, wie die Geschichte überhaupt zuerst von Winckelmann tiefer, cultorge-
schiohtlioher, mit einem Worte als geistige Verknüpfung von Ursache und
Wirkung erfasst sei, und fi^hrt fort : „Hatte Herder schon kurz nach dem Er-
scheinen von 'Vfinokelmanns grossem Werke die Forderung nach einem
72 Die kunstgeschichtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande a. Westfalen.
Bliche geäussert, das „uns den Tempel der griechischen Weisheit und Dicht-
kunst so eroffne, wie Winckelmann den Künstlern das Geheimniss der Griechen
von ferne gezeiget", so suchte zuerst Friderich von Schlegel diese Forderung aus-
zufuhren und bekennt dabei willig seine Abhängigkeit von Winckelmann; und
sicher ist es kein Zufall, dass grade die sinnigsten Schüler Winckelmanns,
Welcker und Otfried Müller, zugleich auch die tiefsten Geschichtschreiber der
griechischen Literatur wurden. Von hier aus kam sodann der AnstosB zur
mittelalterlichen und neuern Kunst- und Literaturgeschichte. Kunst- und Litera-
turgeschichte hat längst aufgehört, eine bloss äusserliche Künstler- und Dichter-
geschichte zu sein; sie ist Naturgeschichte des wissenschaftlichen und künst-
lerischen Geistes/'
*) Es hiesse dem Raum einer Note zu viel zumuten, wollte ich hier
auch nur eine dürftige Skizze geben, wie die mittelalterliche Kunst (Gothik) in
England; Frankreich und Deutschland einzelne Ausläufer bis in die Neuzeit,
stellenweise bis ins 18. Jahrhundert trieb, und wie sie nächst der Antike in dem
Masse, als das Unnatürliche des damaligen Kunstgeschmacks blossgelegt zu
werden anfing, anerkannt (das Strassburger Münster 1772 von Göthe, der Kölner
Dom 1790 von G. Forster) und erforscht wurde, um sodann, in unserm Jahr-
hundert nicht nur historisch gewürdigt, sondern auch praktisch verwertet zu
worden. Hinsichtlich der „Rennaissance der Gothik" bringt das Organ für
christliche Kunst (1859) IX, 55 ff. nur literarische Aphorismen ; werthvoll, jedoch
kaum mit Rücksicht auf die cultur- und allgemeingeschichtlichen Motive ent-
worfen, sind die Skizzen von Franz Mortons im ersten Theile seiner Baukunst
des Mittelalters, Berlin 1850 S. 1 ff. und die ,, Historische üebersicht der bis-
herigen Abhandlungen, über die Baukunst des Mittelalters'* in (Kugler's) Museum,
Blätter für bildende Kunst 1835 Nr. 15, 17, 23, 25, 26.
*) Seine „Ansichten vom Niederrhein, Brabant, Flandern, Holland u. s. w.
1790'* nehmen noch auf die diesseitige Bewegung der Romantiker einen so nach-
haltigen Einfluss, dass ihnen Friedrich von Schlegel für seine Grundzüge der
gothischen Baukunst 1804/1805 die schwungvollsten Reflexionen, besonders auch
die Details des Kölner Domes, den Vergleich der Säulen mit Rohrbündeln ent-
lehnt (Sämmtliche Werke. 2 Originalausgabe VI, 184, 196, ^00 vgl. mit Forster
I. Ausg. I, 453, 481, 90) und zu ihrem Nachtheile etwas umredet, ohne seine
Quelle zu nennen.
^) Die Translation der Niebelungensage von Westfalen an den Rhein
nach dem Hundeshagenschon Codex bringt F. von Schmitz, Denkwürdigkeiten
aus Soest's Vorzeit 1873. S. 13. — Nach der Legende de s. Reinoldo monaoho et
martyre in AA. SS. Jan. I, 385, 387 war Reinold Mönch von St. Pantaleon zu
Köln und ex praecopto abbatis sui lapicidarum raagister geworden. Ubi, cum
plus ceteris laboraret, lapicidac magnam concepcrunt adversus ipsum invidiam
et qualiter cum morti tradereut inter se conspiraverunt ..... Habuit
autem in consuetudine monasteria et singulas longo vel prope positas
frequentare ecclesias. Dabei zerschlagen sie ihm mit ihren Hämmern den
Schädel. Nachdem dann die Leiche durch ein Wunder wiedergefunden und von
Die kanatgescbichtL Beziehuagen swischen dem Rheinlande u. Westfalen. 73
den Dortmundern aasgebeten war, oonveniens clerus cum omni populo honorifice
felicissimnm martyrem Reinoldum capsulao deoenter adornatae imposuefnnt
atque ad Tremonienses partes deferendum, tnrba eum ab urbe Colonia cum
innumeris laudibus per tria millia prosequente, tradiderunt. — Köhis allerdings
nur geringer Antheil an der Bekehrung der Sachsen (cf. Annal. reg. in Monam.
6enn. Histor. I, 138, Evelt in der Zeitschrift für Geschichte u. Alterthumskunde
West&lens XXXIII, 28 ff.) und erzbischöfliehe Hoheit über die Sprengel Münster,
Osnabrück und Minden (nicht über Paderborn wie Moyer, Onomasticon Chron.
Hierarch. German. 1854 p. 80 angibt, vgl. Potthast, Bibliothcca Histor. med.
aeyi. Supplement- p. 878), die Beziehungen Xantens zu Vreden (Vgl. Wilmans, Kaiser-
Urkunden I, 416, Yita s. Norberti in Mon. Germ. Hist. XII, 671) und zu den
Pfarren Dorsten, Dülmen und Schwerte, der Cappenbergischen Grafenfamilie
(Eyelt a. a. 0. 28, 51. 62. Tibus, Gründungsgeschichte der Stifter, Pfarrkirchen,
Klöster u. b. w. I, 761 ff.) und des Paderbomer Bischofs Meinwerk zum Nieder-
rbein (Elton. Wilmans a. a. O. I. 421, 430 ff.) und des Kölners Anno zu Pader-
born und Münster (Evelt a. a. 0. XXIX, , 2. S. 98 ff.) und andere dauerndere
oder zeitweise Umstände bildeten in alterer Zeit schon mehr, als nachbar-
sohafUiche Berühi*ungspunkte ; wenn desungeachtet der* Verkehr des Rheines
mit Westfalen noch kein durchgreifender und allgemeiner wurde» so lag das
sowohl in den eigenthümlichen Gulturzuständen hier wie dort. Mit dem hier
Yorzugsweise in Betracht kommenden Niederrhein nahm ganz Lothringen bis
in die Zeiten der Salier eine gegen Francien zu unsichere Stellung ein, um mit
dem Herzen Deutschlands so fest zu verwachsen, wie die übrigen Länder ; daher
allen Schwankungen und namentlich feindlichen Verwüstungen ausgesetzt, hat
es weder eine heryorra^^ende wissenschaftliche (Vgl. Wattenbaoh, Deutschlands
Geschicht^aellen im Mittelalter II § 16, III § 6) noch künstlerische Regsamkeit
entfaltet. Denn dass Otto III zur Ausstattung des Aadicner Münsters einen
Maler Jobannes aus Italien berief (Fiorillo, Geschichte der zeichnenden Künste
in Deutschland und den vereinigten Niederlanden I, 75 ff.), gestattet wohl den
Schluaa, dass die Rheinlande dermalen denselben Kunstmangel, wie andere Terri-
torien, und zu dessen Abhülfe dieselben Mittel, wie jene, zu ergreifen hatten.
Hat doch selbst die Kunstblüthe Karls d. Gr. hier die Arbeiten der gleich-
zeitigen Italiener immer noch als leitende Vorbilder im Auge behalten (Sohnaase,
Gesch. der bild. Künste 2. Aufl. III, 632). Die Ottonen und die mit ihnen ver-
schwägerten Geschlechter Widukinds und der Billunger (Wilmans a. a. 0. I.
409, 481) fachen die karolingische Cnltur wieder an und breiten sie namentlich
über das Sachsonland aus, wo ihnen die ererbten Besitzungen und das Entgegen-
kommen des Volkes freiere Hand Hessen. Das ganze Sachsenland bildet bis ins
11. Jahrhundert eine in den Ottonen gipfelnde, systematische Gultureinheit. Die
Segnungen des Friedens und die Erträge der Kriege, die vom Hofe ausströmende
Bildung und Kunst, die vom Süden kerangezogenen Gulturelizire, der unter dem
schützenden Arm der Stammesherrscher gediehene Verkehr und Volkswohlstand
kommen zunächst dem Hofe und Volke der Sachsen zu Gute. Und dieses höhere
gedeihliche Leben des Hofes strahlte wieder in den Brennpunkten der hohen
74 Die kuoBigeschichtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen.
Stifter von Magdeburg bis Vredeu, und dann in den mit den besten Kräften
besetzten ßisohofsstühlen yon Hamburg bis Paderborn. (Vgl. Wattenbadi a. a.
O. II § 14y 16, lli § 1—5) Das Volk sonnte sich in dem Glänze seiner Herrseher
nnd war in sich von den einheitlichen Banden der Herkunft, Einrichtungen nnd
des Stammesbewiisstseins so innig umschlungen, dass noch zum Jahre 10G5 der
Gorreyer Mönch wie erbittert über das Bhicksal seiner Stammeageuossen jenseits
des Meeres in die Klosterannalen schrieb: Willehem basthard, legitimo rege
Anglorum expulso, regnum sibi arripuit Mon. Germ. Histor. SS. III, 6. Bischof
Thietmar von Merseburg erzahlt mit sichtlichem Stammesstolze Ghronieon YI,
S. Mon. Germ, Histur. SS. III, 807;, dass Kaiser Heinrich 1004 auf seiner Rückreise
von Italien durch das Elsass gekommen, dann aber per Franciam orientalem
iter faoiens Saxoniam, ut sepe professus est, securitatis ac tocias
ubertatis quasi florigeram pardisi aulam revisit. S<^che Gultur-
einheit und Blüthe musste sich auch in der Kunst aussprechen, und wohl kein
Land bat aus den frühem kunstarmen Zeiten bis ins 11. Jahrhundert einen
solchen Kreis von Bauresten aufzuweisen, wie Sachsen in den Kirohenbauten zu
Gernrode (Lucanus im Anzeiger des Germ. Museums 1857, 12 fi. 42), Quedlin-
burg (Ranke n. Kugler - in des letztem Klein. Schriften I, 693), Gandersheim,
Corvey (Schnaase a. a. 0. lY, 2, 61, 61), Paderborn, Yreden (Lfibke a. a. 0.
S. 69 f., 63 ff.) und Essen (v. Quast, in der Zeitschr. für ehr. Arohaeologie und
Kunst I, 1 ff.). Wenn nun das älteste Stück diesseitiger Bauthätigkeit, der west-
liche Yorbau der St. Pantaleonskirche zu Köln, als ein Werk dos Erzbisohofs
Bruno, de« sächsischen Königsbruders, dasteht, und zu Essen dieselben jonisiren-
den S&ulenkapitale, wie zu Quedlinburg und Gandersheim (v. Quast in d. Rhein.'
Jahrb. X, 196 u. in der Zeitschr. für ehr. Archaeologie u. Kunst I, 4),' und
ebenso in den ICrypten zu Emmerich und Paderborn wieder dorisitende vor-
kommen (E. aue'm Weerth, Kunstdenkmäler des ehr. Mittelalters in d. Rhein-
landen Text I, XY), sollte man da nicht fast behaupten können, der wahre
Heerd dieser Kunstübung sei das Sachsenland, und die rheinischen Werke dieser
Art Strandl&ufer, Früchte derselben Sonnenwärme, gewesen — gleichviel, welches
Land eben den ältesten Kunstrest bewahrt hat? Und ebenso wie einst Otto lU.
zu Aachen, bemft später der grosse Adalbert von Bremen einen Maler aus Italien,
der viele Kirchen mit seiner Kunst verherrlichte (Stenzel, dentsche Gesch. unter
den Frank, Kaisern I, 141), und so wenig mustergültig erschien ihm der für
seine Zeit epochemachende Dom zu Köln, dass er den darnach von seinem Yor-
ganger für den Dom zu Bremen genommenen Plan aufgibt und den Dom zu
Benevent als würdigeres Muster wählt (Adam. Bremens. Gresta Hammaburg.
ecclesiae pontificum 11,68, 78, III, 8. Schumacher im Bremischen Jahrbudi I,
294 f.). Freilich änderte sich die Stellung und Kunst Sachsens und Widstfolens
zu den andern Ländern schon mit dem Aussterben des sächsischen Königshauses
und besonders mit der Auflösung des Herzogthums.
') Gleich bei der Organisation des Sachsenlandes erscheinen als die Haupt-
pioniere der Gultur und Kunst die fränkischen Beamten, die Klöster und ihre
ersten Leiter, meistens Kinder vornehmen oder gar königlichen Geblüts, und die
Die kuQftgeschiühtl. Beziehungen swischen dem Rheinlande u. Westfalea 75
Qeisilioheo überiiaupt, insofern ihnen im Aachener Capitular 801 der Bau der
Kirchen ausdrücklich anbefohlen ward (Monnm. Germ. Hist. III, 87). C^naaere
Belege sind hier nicht am Ort; beseichnend erscheint schon jene Stelle der
vita B. Idae (Mon. Germ. Uistor. II 569 sq.) o. 8. Erat antem praefatus Bert-
gerus (presbyter) ex illorum contubernio, quos beata. Ida primum de
Galliis secum advexerat quippe eorum disciplinis informatus, qui
in l^e Dei sui sine qaerela incesserant, qui etiam ipsam ecclesiam et
Sacra mausolea aliquot annis strennissime divinis humanisquo obsequiis
excolttit, honoravit et venustavit. — Uebeif Ida's Bau spricht die Yita
c. 8. Kon multo post in loco supradicto, ubi quondam densissima silvarum
obductione astra ipsa occulebantur, lapidea basilica constmitur ac in sanctae
Mariae genitricis Dei honore sanctique Germani episcopi oonsecrata est. lAe
reichere Anlage derselben ergfibt sich aus den cc. 5, 6. 7, 10 (vgl. Note 8) Die
erwähnte Imitation der frankischen Klostereinrichtung bezeugt später König
Ludwig in einer Urkunde död^^/» bei Wilmans, Kaiser-Urkunden (1867) I, 119.
. . • Is (abbas Warinus) peciit celsitudinem nostram recordari, quod pi^ memorie
genitor noster Hindowious imperator ambo hpc monasteria oonstrui
justit ad normam videlicet precipuorum in Gallia monasteriorum,
Novam utique Gorbeiam ad similitudinem Antique Gorbeie, Heri-
fordense vero cenobium ad exemplum monasterii sanctimonia-
lium in Suossionis civitate consistentium .... Die auf den Kloster-
bau zu Schildesche bezügliche Stelle ist von Strunck aus einer alten Hand-
schrift des Klosters mitgetheilt und abgedruckt in Regesta Historiae Westfoliae . .
herausgeg. von fl. A. Erhard I. S. 125 Ibi dum in loco arae summae
dostinato crux erecta . . . . ^ essety domina Marcsuidis primum lapidem
suis ipsa manibua in scrobem detulit Mox etiam accedere jussi, quos e
Galliis accessiverati fabri, murarii, et cementarii, eorumque laboribus in-
defesBia operi coepto tarn ardenter institum, ut ecclesiae totius fundamenta eadem
adhnc aestate quaquaveraum de terra consurrexerint. Dass in diesen Berichten das
Land Gallia nicht Lotharingia (cf. Index in Mon. Germ. Histor. XI s. v. Gallia)
oder dal Rheinland bedeutet, dürfte sich aus den sachlichen Gründen der vorigen
Note ergeben.
^) Ausreichende Aufschlüsse geben schon die vita Bennonis ep. Ospabru-
genBis t 1088, anotore Norberte abbate Iburgensi a. 1118 conscripta in Mon.
Germ. Histor. SS. XH, 58 sq. — und die vita Meinwerci ep. Paderbornensis
1009— 10S9 in Monum. Germ. Histor. SS. XI 106 sq., die letztere insbesondere
e. 155 (ib. p. 139): luxta principale quoque monasterium oapellam quandam,
capeUae extructae in honore Mariae perpetuae virginis a Gerolde Koroli
magni imperatoris consanguineo et signifero contiguam, per Grecos
operarios oonstruxit eamque in honore sancti Bartholomei apostoli dedicavit. —
c 216 (ib. p. 158): Episcopus ergo pro obtinenda celesti Jerusalem ecclesiam
ad similitudinem sanotae Jerosolimitanae ecclesiae facere disponens Winonem
abbatem de Hebnwardehusun, quem de monaohis civitatis suae ibi praeposuerat^
ad se aocersivit, eumque Jerosolimam mittens, mensuraa eiusdem eodesiae et
76 Die kuDstgesohiohtl. Boziehungon zwischen dem Rbeinlande u. Westfalen.
sancti Sepulcri deferri sibi mandavit. Die Literatur bei W. Lotz, Kunsttopo-
graphie Deutschlands (1, 1862) I, 493 f. s. v. Paderborn : S. Bartholomäusk. u.
Stiftsk. Bustorf). Die Monachi civitatis suao waren die Benedictiner des Klosters
Abdinghof und von Meinwerk (vitae c. 30) ans Cluny, jedenfalls zugleich behufs
Künstlerdienste, nach Paderborn heimgeföhrt; denn wie leicht auch für den ganzen
Norden die Kuust der Klöster gegen jene der Domplatze im 11. Jahrhundert
übertrieben zu werden pflegt— die dies^itigeThatigkeitAbdinghofB bezeugen jene
Sendung Winos, der Bau der Klosterkirche (Lübke, Mittelalterliche Kunst in
Westfalen 1858, S. 60 f.), vielleicht auch die figurenreiche Kreuzabnahme und
die Kapellen der Externsteine (E. Giefers, in der Zeitschrift für Gesch. u, Alter-
thumskunde Westfalens (1867) XXVI, 13) und nicht weniger das früh rege
Mmstleben des Mutterklosters Cluny (Acta Sanctorum Cff. Vitae Bemonis,
Guilclmi I abbatb s. Beuigni Divionensis« Odilonis Jan. I, 827, 828, 61, 62, 69
vita. s. Hugonis ib. April III, 646, 646), sowie die epochemachenden Bau-
leistungen Burgunds überhaupt (vgl. F. Mertens, a. a. 0. S. 91, 92). Uebrigens
leitet der Vergleich der Stützenverschiedenheit und der dorisirenden Gapitale
der Krypta zu Emmerich, und der noch von Meinwerk erbauten Abdinghofer
Krypta zu Paderborn (E. aus'm Werth, Kunstdenkmälor des ehr. Mittelalters in
den Rheiulanden. Text I, XV N. 78) auf die ansprechende Ansicht: „die Be-
ziehungen Meinwerks zu Emmerich durch das Erbe seiner Mutter Adela machen
es wahrscheinlich, dass er die Bündels&ulen zu Abdinghof nach dem Motive
derjenigen zu Emmerich machen Hess.
*) F. V. Quast, Die romanischen Dome des Mittelrheines zu Mainz, Speier,
Worms 1853 S. 26, bemerkt über den Fortschritt des Speierer Dombaues unter
Heinrich IV. bis zur Weihe 1061 : „Aber auch damals scheint 'er noch nicht
vollendet gewesen zu sein, vielmehr drohten die hart an der Ostseite vorbei-
strömenden Wogen des Rheines den Untergang des Bauwerks. Der in der Bau-
kunst hochberühmte Bischof Benno von Osnabrück 1068—1088 ward zu Hülfe
gerufen und half jenem Üebel nicht nur ab, sondern scheint überhaupt den Bau
gefördert zu haben", von dem er S. 37 noch bedeutende Reste in dem heutigen
Riesenbau wiederfindet. Vgl. Schnaase, Geschichte der bild. Künste 2. Aufl. IV,
377 ff. — Wer nach der Ausbreitung des sächsischen Stammes und der frühem
Landesgrenze (W. Bolevinck (f 1502), De laude veteris Sazoniae nunc West-
phaliae dictae herausg. von L. Tross 1865. I. 1. S. 6 und darnach B. Wittius
c. 1500 Historia Westphaliae ed. Monasterii 1778 p. 6), Essen zu Westfalen zahlt,
mnsB umgekehrt einen frühern auf Westfalen ausgeübten Einfluss constatiren,
insofern der polygone Westchor des Münsters zu Essen aus der Mitte des 10.
Jahrhunderts nach dem Vorbilde des Karlsmünsters zu Aachen aufgeführt ist.
(v. Quast in der Zeitschrift für christl. Archaeologie u. Kunst 1856. I, 18.)
„Preussen** (oder dessen Provinzen Rheinland und Westfalen) „besitzt (darnach)
jetzt die(se) beiden einzigen, die(se) beiden ganz namhaften Ueberreste der
Baukunst vom Ende des 4. Jahrhunderts bis gegen die Zeit des Anno (von
Köln) .... 1060, nicht nur in Deutschland, nicht nur in Frankreich, sondern
in den gesammten Ländern des Nordens j und noch muas man sagen, dass auch
Die kmutgeschichtl. Besiehangeti zwisohen dem RheinlaDde n. Westfalen. 77
der AnfaD(|r der folgenden Periode sich mit am ersten und kräftigsten in diesen
preussischen Landestheilen zeigt. Diese Thatsaohen sind einigerroassen bezeich-
nend fnr die Verhältnisse der Cultur^eschichte" (F. Mertens, Die Baukunst des
Mittelalters 1850. S. 90) — ein Urtheil, das heute in seinen Vordersätzen nach
den Thatsachen der Note 6 zu erweitem ist und dann die Schiassfolgerung noch
deutlicher bewahrheitet.
^*) F. Mertens meint a. a. 0. S. 92: ,,Man muss auf den statistischen
Tafeln sehen, in welcher Weise hier in Köln von dem Jahre 1059,
welches ich als das Anfangsjahr des Baues von St. Georg angegeben habe, die Bau-
werke continuirlich durch alle Jahrhunderte bis zii unsern Tagen aufeinanderfolgen.
wie in Hinsicht des Anfanges .der Kunst oder der Früheeitigkeit oder der An-
leitung in der Baukunst nur die Orte Trier, Lüttich, Nivelles (in Brabant) ijs
gleichberechtigt neben Köln gelten können, wie dann vom Niederrhein aus,
seit dem Anfang des 12. Jahrhunderts, die Baukunst sich erst am Mittelrhein,
in Westfalen und Niedersachsen und erst später gegen die Mitte des 12. Jahr-
hunderts und selbst gegen das Ende und nach dem Ende desselben in den nun
noch übrigen Provinzen des südlichen Deutschlands sich zeigt, um zu begreifen,
was diese eine Stadt, was der Niederrhein überhaupt, in Hinsicht der Givilisation
und der Hinfuhrung zu solcher für Deutschland und selbst für Europa gegolten
habe.'* — Schon in der Entfaltung des romanischen Baustils brachte Köln
es zu einer Meisterschaft und zu einer weit über die Grenzen der Rhein*
lande gelangten Berühmtheit, die als ein Vorspiel der grossartigen Verbreitung
der Kölner Kunst des gothischen Stils gelten darf. Das ergibt sich aus folgen-
den Nächrichten. Als der heilige Norbert 1121 in der Einsamkeit von Goucy
das Mutterkloster Prämonstrat erbauen wollte, wurde erst eine Kapelle errichtet
und dann zum Bau geschritten. Es waren Caementariorum autem quidam Teu-
tonici, quidam Gallici .... woher die Teutonici kamen, sagt die andere vita
B. Norbert! : Porro pars caementariorum Teutonici erant — conduxerant
enim eos Golonienses amici hominis Dei — pars nostrates, amici jam
Praemonstratensium. Vita s. ^rberti archiepiscopi et institutoris ordinis
Praemonstratensis ed. Wilmanns in Monimi. Germ. Histor, SS. XH, 666, AA.
SS. Juni. I. 838. — Das Prämonstratenserkloster Floridus hortus zu Wittewerum
in Ostfriesland baute in den Jahren 1288—1259 eine grosse Klosterkirche; der
dritte Abt Menco (Chronicon in A. Mathaei Veter. aevi Analect. ed. 2. II,
132 sq.) erzählt umständlich den Verlauf des Baues, mit der Berufung des Meisters
beginnend: ,, . . . anno Domini MQCXXXVHI, anno ab inchoatione lateritii
operis tertio, praedictus Abbas veniens in ortum Sanctae Mariae de oonsilio
Domini Sibrandi Abbaus ibidem conduxit magistrum Everardum lapioi-
dariae artis peritum natione Goloniensem adnovamecclesiam inFlorido
orto faciendam, mercede ipsius* taxata tam hyeme quam aestate videlicet ut
reciperet praeter victum aestivo tempore ad diem VII daventrienses, hyemali
vero tempore a festo Martini ad puriücationem tres et hoc tempore sederet ad
secandoB lateres, sed satis dampnose propter diei brevitatem et aeris obscuri-
tatem . . .'* Dennoch lassen sich merkliche Spuren Kölns in der romanischen
7$ IM« koflitgMebMtL IkMmogmk tmimhm dem Bhehilaiida il WaitfOeii.
AnihiUkUir Watifalent niobt nftchweiteo. und C. Mrnaate, m. a. 0. lY. 2,
104, d, Aufi, Wf 896 hmutrki hintlebilieh einet des weeentliobtten Oliedee der
HmtmimUMiun^ t ,,0b nnn die Bitte der dorebgftngigen Ueberwölbang ans den
li^MiinKi*Kenden bSerber gelangt, oder ob eie bier lelbstiUidig gefonden let^ Iftest
»iuh freiliob niobt ermitteln. Indeteen deutet keine nihere AebnÜcbkeit der
Form auf jnne Kinführung» violmebr ipriobt die eigeothumlicbe, der Rheingegend
unbekannte, Vorbindung der Sftale mit dem Ge^ölbeban dafari dass dieser hier
in Folge eigener Voraucbe, die freilich nicht an bo mächtigen Domen wie dort,
«ondern an Gebinden von geringen Dimensionen vorgenommen wurden, ansge-
bildst sei,*' — F. v. Qtiast will Überhaupt im Mittelalter keine Baneinflüsse vom
Hhttlnlatulfl aulassen und die Helbitindigkoit der i^cstfalisohen Architektur retten,
lodern er versichert: „in den Banton der Diöcesen des ehemaligen westfälischen
Landes keine wesentlichen Unterschiede, sondern nur etwa locale Ein-
flüsse bemerkt su haben, die sich wohl auf einEclne Ortschaften, nicht aber auf
ganae ÜlÖoesen erstreckten; jedoch seien Unterschiede innerhalb der Diöcesen
wahraunehmon, sobald man die eigentlichen Grenaen West&lens fiberschreite,
und so gehörten die Östlich gelegenen Theile des Mindenschen Sprengeis lum
, niederslohslsohen' Baukroise, w&lurend umgekehrt die westfUischen Theile des
Kölner Hprengels von den rheinischen desselben Sprengeis völlig verschie-
den sich den übrigen Westfalens anreihen/^ Correspondenz-Blatt des
Uttsammtvereines der deutschen Geeohiobts- und Alterthomsvereine (18&5)
Jahrgang 111, 85.
'*) Der Vergleich der Bannaohriohten mit den Formen und Stildmrakteren
an den verschiedenen Tbeilen bestimmen auch mich, für den einen grosseren
HautheU des Soester Domes ein höheres Alter, als daa 12. Jahrhundert in
Anapruoh au nehmte und midi gegen die Ansichten gewiegter Bauforecher
(Oorrespondentblatt 111« 2&» Lota a, a. 0. I, 559) tu Gunsten der Annahme
liübke's a. a. IK S. 78 ff. (K^yeer's) im Organ für ohr. Kunst (1864) XIY, 14,
Gief^rNi und Kaievr'e» die Soester PalrooU-Kirobe n. Nicolai-KapeUe 1863 S. 1 iL
tu enUobeldeii : %,Die Patrooli*Kirobe au Soeel^ gewöhnlich der Dom genanst» ist
«Um In ranem fonianiaoheii Slüe erbaute Pfoilerbaailika und gekört an den
berv^rragendalea Gebiudea dieser Art in gana Weatfalen. Daa
gMie OelAvide bat ttimUoh «im Lftnge von 9S4 Fuaa; daa Mitlebehiff iat S7
I\mi^ jedes der beide« S^itensbbifits U\, Fuas br«i; der Darcksebaili dar besdos
Krs«ialH^ VMii Nvvrdeii Mob SUett ist 106 Faaa kag« Doeb ist daa gewaltige
GiMwde niebl aia» Rinew Guas bwiroigf'gangea, aoudeni etenmt ans awei ver-
StfMe4ei>e<l HwepetMkik Maslibk daa Omv das Kreeoaebifi« aowie der öetKebe
TWa dee llilUlsicbii^ bia awai Amlbw PMatpaare mü desi UAidBuid
l«a dir »IbMSS^bUlfe sMl «« die Mlttie des eiUlift labitendeKa (H»)
4mx dir iW%i^ wesOiefci TVeü der iaroba iig^nn «i& der
wdvdMpNn AidaiP» der VvwMtte m«) dce «Mt deraalbtsi ivrtasiplbMa
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«i^y^^ 1^ AM^ikir^^li« U^r|{ Ws <>iisbrhl. «^ Labl» a. a. a
Die kimstgeschichiL Beziehongen swiscben dem Rkeinlande u. Westfalen. 79
8. iSO, deren Chor 1070 daroh BiecLof Benno von Osnabrück, ihrem Gründer,
eingeweiht wurde and die im Jahre 1084, von welchem die Stiftnngsnrkande
datirt, im Bao beendet erscheint, zeigt trotz eines nüchternen spätgothischen
Umbaaes ihres aus drei gleichhohen Schiffen bestehenden lAnghauses bedeut-
same Reste der romanischen Anlage, die ich dem arsprüngliohen Baue
zuschreibe; namentlich sind die Mauern des Chores und Kreuzschiffes alt,
letzteres hat auch die gedruckten rundbogigen Gowölbegurte and in den Ecken
ab Träger derselben, wie in der Kirche zu Marienmfinster kraftige Säulen.
Ihre Kapitale gleich denen der Pfeiler des Schiffes, sind in der Rococozeit mit
Stuckomamenten überklebt; / ihre steilen attischen Basen zeigen das
Eokblatt Auf der Kreuzung ein Glockenthurmchen als Dachreiter. Die
Kirohe hat eine herrliche Lage auf einem steilen Abhänge des Teutoburger
Waldes, der weit in die Ebenen des Münsterlandes hinaussieht.*' Unmöglich
lassen sich jene älteren Theile ins 12. Jahrhundert versetzen; einmal, weil der
Bau, den der architectus praecipuus, der caementarii operis sollertissimus dis-
positor seiner Zeit persönlich und unter den grossartigsten Znrüstungen leitete,
vielleicht schon auf ein Gewölbe berechnet und in einer Bauzeit von 1070 bis
zu seinem Tode 1088 noch nicht vollendet war, schon nach Verlauf von kaum
100 Jahren wieder umgebaut sein sollte; sodann kennt auch der Abt Norbert
von Iburg selbst, der 1118 Bennos Leben und Thaten beschrieb, keine andere
Kirche als jene Bennos und statt sie fua bald restaurationsbedürftig zu halten»
gibt er gleichsam episch zu verstehen, dass sie der Stolz des Klosters und der
Umgegend sei (Cf. Vita Bennonis c. 23, 36, 29, 19, 40, 24, 41.) An einem'
Bennosbau hat auch das zierende Eckblatt an steiler attischer Base nichts Be-
fremdendes für das 11. Jahrhundert. — Die Pracht der Kunstwerke im Dome
zu Münster besengt der Kölner Handeli^ode Herman, der sich hier um 1131
aufhielt, um auf die Rückzahlung eines dem zeitigen Bischof Egbert, in Mainz
geleisteten Geldvorschusses zu warten, und der zum Zeitvertreib die Domschule
und die Fredigten im Dome besuchte, so dass er am Ende Christ und Prämon-
stratenser des neu gestifteten Klosters Cappeuberg wurde. In der Schrift de
soa oonversione c. 2. bei von Sternen, Beschreibung der Gotteshäuser Kappenberg
and Scheda 1741 erzählt er : Processu temporis ex orebris eorum (Christianorum)
oon£ibulationibns ad exploranda diligentius ecclesiastioa sacramenta factus alacrior,
basilicam (oathedralis ecclesiae) non tam adhuc devotus, quam ouriosus iutrabam,
quam antea velut delubrum quoddam exhorrueram. Ubi studiosius omnia per*
lustrans, inter artifioiosas caelaturarum ac picturarum v^rietates
monstrosum quoddam idolum aspioio. Cemo siqnidem unum eundemque hominem
humiliatnm et exaltatum et ejectum ignominiosnro et gloriosum, deorsum in
cruce mirabiliter pendentem, pictnram sursum metienti yenustissimum ac velut
deificatnm residentem .... dass ihm überhaupt die Bilder und Bilderverehrung
damaliger Zeit viel zu schaffen machten, bezeugt o. 8 seine Unterredung mit
Abt Rupert von Deutz.
^*) Das Genauere geben meine Artikel },die Ludgerikirohe zu Munster^ im
Organe für christl. Kunst. (1868) XYIII, Nro. 2, 8, 4
80 Die kanBtgeschiohtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen.
'3) „Der Dom zeigt drei Schiffe yon gleicher Höhe; der Papst berichtet»
wie diese Anordnung anf seinen Wunsch getroffen worden sei, nachdem er
solche Hallenkirchen in Deutschland gesehen/* A. yon Reumonty Gesch, der
Stadt Rom HI. 1, 398.
^*) Eine genauere Beschreibung der hier zur Sprache kommenden Kirchen-
bauten des Niederrheins würde zu weit fahren und muss vorbehalten bleiben.
^') Der Tuffstein kömmt in Westfalen nur mehr als Grenzläufer vbr, so
als Verkleidung der grossen Kirche zu Bochold (Lubke a. a. 0, S. 281), an dem
benachbarten malerischen Thurme der romanischen Uebergangszeit zu Dingden
und angeblich an den romanischen Bauresten der Kapelle zu Haas Dülmen bei
der gleichnamigen Kreisstadt; am Niederrhein wurde er theils aus den Ruinen
der Römerbauten gewonnen (von Dechen in den Jahrbüchern des Vereins 88,
1 ff. gegen Schneider das. 98, 84. Eyck van Zuylichem bl. 14), theils zu Schiffe
bezogen, wie er dann wohl nur auf diesem Wege bis nach Ostfriesland, sogar
bis Bremen (Sibrandi Leon. Chronicon apud.Matheum, Analecta ed. secunda VIII,
856, Schumacher im Bremisch. Jahrbuch I, 299) gef&hrt sein kann. Der sich
mehrende Gebrauch des Ziegelsteins und anderer benachbarter Bruchsteine ver-
drängte ihn in gothischer Zeit so gut wie völlig, falls er nicht von altern Bauten
übernommen werden konnte. Vgl. Aus'm Weerth a. a. 0, Text I, XIV, XIX, 29t
So erweisen auch die Xantener Baarechnungen den Bezug der Baumberger
Steine in den Jahren 1474, 1495, 1600, 1609, 1611, 1684 bei Schölten Baurech-
nungen der St. Victorskirche zu Xanten 1862. S. 88, 60, 72 f., 76, 80, 84 ff. II, 2.
'^) Eine Abbildung des Wisseler Taufsteins gibt Ernst aa8!m Weerth,
a. a. 0. I Taf. X, 7. Mit geringen Abweichungen stellen eine gleiche Form dar
die Westfälischen Taufsteine zu Haselünne bei Meppen, Südkircfaen bei Werne,
Metelen bei Burgsteinfart, Wetteringen bei Rheine, Gescher, Ramsdorf, Borken.
Der erste ist der einfachste, der Borkener der reichste, dem- Wisseier ähnlichste,
weil hier wie dort Menschenköpfe, die sonst fehlen, im Ornament des untern
Beckenrandes abwechseln; am Taufsteine zu Südkirchen nimmt ein Fries von
Säulen, unterbrochen von Blumen und Menschenköpfen, die Stelle der Palmetten-
zier des untern Beckenrandes, an jenem zu Wetteringen Menschenfratzen die
Stelle der vier aufrechten Löwen des Fusses ein, an jenem zu Borken wechseln
am Ständer zwei Löwenköpfe mit zwei Menschenfratzen, an dem Taufsteine zu
Gescher hat die Verbindung des den Fuss abdeckenden Wulstes mit der Becken-
ausladung durch eine Kehle statt. Dem Becken nach gehört hierher der Tauf-
stein zu Recke bei Jbbenbüren, der Fuss ist in drei getrennte Träger zerlegt
(Abbild, von Alf. Hartmann in der Zeitschrift für christl. ArchaeoL n. Kunst
II, 268). Einfachere Formen und Vorstufen jener entwickelten Reihe bilden die
Taufgefösse zu Ochtrup bei Burgsteinfurt und die sich fast ganz gleichen zu
Gimbte bei Greven und Ostönnen bei Soest, nur dass der letztere, welcher sich
am weitesten ins Land gewagt hat, durchgehends feiner empfunden ist. Alle
drei haben gemein den kahlen oben fast den Durchmesser des Beckens erreichen-
den und nach unten stark verjüngten Fuss und als Hauptbelebung der Becken-
fläche Arkaden. Während diese an dem Ochtruper Exemplar unten ein Band
Die kunatgeaohiolitl. Beziehungen Bwischen dem Rheinlande u. Weetfalen. Bl
Yon einfachen schräg nebeneinander, oben ein solches von je zwei winkelig zu
einandergestellten Blättern einfasst, verlaufen sie an den beiden andern zwischen
einer doppelten Tauverzierung, und erlangen ihre Arkaden einen Abschluss
mit zur Hufeisenform neigenden Bögen. An diesen zeigen die Füsse die stärkste
Veij&ngung und vertritt die untere Tauverzierung von rundlichem Profil zu-
gleich den, FusB und Becken verbindenden, Wulst; den Uebergang des verengten
Fusses zu der breiten Base vermittelt eine Profilirung, zu Gimbte und Ostönnen
ein Wulst und darunter eine starke, ausladende Schräge. Diese drei Stücke
vertreten ohne Zweifel den rein romanischen Stil, in der zahlreichem und ent-
wickeltem Reihe dagegen scheinen mehrere in den viereckig stilisirten
Traubengebilden, welche die wellenförmigen Windun^n des Beckengeränks ab*
wechselnd mit einem gefingerten Blattwerk (Pal motten) ausfallen, schon ein
gewisses gotiiisches' Stilgefühl zu verraten, so handwerksmässig und steif auch
sonst die übrigen Formen gehalten sind. Erwähnt sind die Taufsteine zu Me-
telen und Ramsdorf bei Lübke a. a. 0. S. 378.
*') Hinsichtlich der hanseatischen Verbindung und* des gemeinsamen
Londoner Handels sei nur verwiesen auf L. Ennen, Geschichte der Stadt Köln
U. 551 UI. 705. Geisberg in der Zeitschrift für Gesch. und Alterthumskunde
Westfalens (1866) XYII, 174 ff., 869, und auf Schnaase a. a. 0. VI, 889, der an-
lisslich der Grabplatte des 1812 in Boston gestorbenen und beerdigften Münste-
rischen Kaufmanns, Wisselus von Smalenbergh, das Vorkommen vollständiger
(nicht aus Theilen bestehender) Metallplatten unmittelbar deutschen oder aus-
landischen Einflüssen zuschreibt. Vgl. die genannte Zeitschrift XVII, 170 ff.
^^) Gothische Thürme mit Strebepfeilern eignen in Westfalen nicht ein-
mal allen Prachtwerken dieser Art und fehlen sogar dem Thurm der Lieb-
frauenkirche zu Münster. Nordhoff im Organ für ehr. Kunst (1868) XVIÜ, 124.
— Soest nennt die Vita Idae in Mon. Germ. Histor. II, 574 im 10. Jahrhundert
eine civitas .... commeantium populorum frequentia nobilis. — Die
Bürg^raufhahmen der Stadt Dortmiud sind aus dem dortigen 2 Folianten starken
Bargerbuche ausgezogen und publicirt von Fahne, die Herren und Freiherren
von Hövel II, 44 ff. Unter den pictores wird einer zum Jahre 1381 de Susato,
unter den aurifices, cnprifabri einer aus Münster^ unter den lapicidae, Stein-
bickem und Steinmetzen werden zwei ,^Ton Kettwig'S auch ein cntellifex aus
Soest 1864 genanüt — die einzigen Angaben über das Herkommen der Künstler.
— Die Chronisten des Elsasses erzählen nach F. von Schmitz a. a. 0. S. 186,
187^ dass der Sohn Ervins von Steinbach, des Schöpfers des Strassburger
Münsters, Namens Johannes, sich mit seinem Vater überwerfen und den Wander-
stab nach fernen Landen ergriffen habe. Auf solcher Wanderung nach Münster
in Westfalen gekommen, habe er dort die schöne Liebfrauenkirche zu Ueber-
wasser erbaut. Diese Sage ist den gleichzeitigen Chronisten unbekannt und ihr
specieller Inhalt schon desshalb hinflillig, weil die Liebfrauenkirche erst 1840 be-
gonnen wurde, Johann von Steinbach aber schon 1389 starb. (Joh. Schilter zu
J. V. Königshovens Chronik S. 559. Tgl. dagegen Hegel, in den Chroniken der
deutschen Städte IX, 1014 Note 6.) — Hinsichtlich der Lambertikirche erzählt
6
62 Die kanstgeschiohÜ. Beziohungen zwischen dem Rheinla&de a. Westfalen.
Kock, Series episooporum Monasteriensiam eorundemque vitae ao gesta in
eoclesia. Monasterii 1601, II. 14—17: Hie ptaeterire non poi^am traditionem
adhuc vigentem de ecclesiae exstractione; Fenint, operarios Tyrolenses huic
operi adliibitos ferunt quoque, eosdem operarios de die exstruendae eccle-
siae Lambertinae et ad vesperam exstruendae ampliori, quam olim foit ecclesiae
Minoritarum incubuisse. Die evangelische, vormals Minoritenkirche zu Münster
beschr. von Nordhoff Organ XYIII, 198 ff. Uebrigens sind nach der Erinnerung
älterer Leute Tyroler Maurer bis in unser Jahrhundert des Sommers bei bedeuten-
den Bauten in Westfalen thätig gewesen. Nach dem Vorbilde der Liebfrauen-
kirche wurden im Münsterlande theilweise noch während des Baues aufgeführt
die Kirchen zu Wolbeck, Havixbeck (Lübke a. a. 0. S. 251), die elegante schon
1844 vollendete Kreuzkapelle auf dem Strombwge (Münster. Geschichts-Quellen
in, 306) und, von allen die grbsste, die Kirche zu Altenberge; die Lamberti-
kirche diente zum Muster den stattlichen, weiträumigen Kirchen zu Nottuln
und Lüdinghausen. (Lübke a. a. 0. S. 290, 293). — Die Berufung Meister
Kurds nach Bremen ist mitgetheilt von Ehmck imd Schumacher im Bremischen
Jahrbuch £1, 294 ff. 367, 419 ; — der Bau und der Mebter der Albreohtsburg
zu Meissen besprochen von Klemm in den Mittheilungen des sächsisch -thürin-
gischen Vereins Heft XI, 19 ff. und Lotz I, 438.
^*) Der Hanptchor des Domes zu Köln schliesst mit 5 Seiten des 12ecks,
jener der Petrikirche mit ebenso vielen des lOecks (vgl. über diese seltene Bil-
düng Otte a. a. 0. S. 475), die Seitenkapellen dort und die Seitenchöre hier
mit drei Seiten des Achtecks, letztere jedoch unregelmässig. (Grundriss bei Lübke,
Tafel V). — Die Nachricht über den Steinmetzen Johann von (Dron)Steinfart
und die später nicht weiter belegten Angaben über Kölnische Künstler finden
sich in dem fleissigen, alphabetisch geordneten und deshalb leicht zu hand-
habenden Sammelwerke Joh. Jac. Merlo's : Nachrichten von dem Leben und den
Werken Kölnischer Künstler. Mit 174 Monogrammenbildungen. Köln 1850.
Die dort S. 160 benannten Kölner Steinmetzen „von Hamm" kamen auch
unseres Erachtens aus dem rheinischen Dorfe Hamm und nicht aus der gleich-
namigen, bis in die neueste Zeit unbedeutenden Stadt Westfalens.
'^) Grabsohrift, Werke und biographische Notizen über Meister Philipp
Hermann bringen nach Begin's Werke über die Kathedrale von Metz, der An-
zeiger für die Kunde der deutschen Vorzeit Jahrg. V Nro. 3 und die Zeitschrift
des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde Westfalens (1858) XIX, 366 f. —
'^) Der Zunftbrief der Kölner Gilde, Glaswörter Bildschnitzer, einer der
frühsten seiner Art vom Jahre 1449 in den Annalen des historischen Vereins
für den Niederrhein Heft XVI, 184, 185 besagt: Vort so wer einich werck
geloiffde zo machen vanOliefarven, der sali dat nit machen von wasserfiurven
und an wem man dass gewar wurde, der sali gelden zo boissen funff marck
und darzo besserong des wercks doin Eine andere Stelle des Briefes
sei des seltenen Inhalts wegen hier in Erinnerung gebracht: Vort wer saoh,
dat einich man zo Colin queme, der sich dieser Ampter anneme und sich
damit gedeoht zn emeren, idt were mit Bildensohnitaen, ofderenicheer-
Die kunstgeschichtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen. 88
h«Ten bilder drackde, darvan sioh dat stuck verlief boven ein marck, der
sali nnsem ampt gehorsam sein in allen Sachen und punten vnrg. sonder
argelist. Hinsichtlich der Altcrsstellung des Briefes und der Bedeutung des
Bilderdruoks vgl. K. • Falkenstein, Geschichte der Buchdruckerkunst 1840, S.
18 ff. Sotzmann in Baumerts Histor. Taschenbuch 1841 S. 517 ff.
'^) Die vielleicht noch im 11. Jahrhundert wurzelnde Malerei Soest's^ —
wenigstens zeigten die dem 11. Jahrhundert entstammenden Bautheile des
Domes (vgl. Note 11) in den Apsiden die jetzt restaurirten ernsten Wandge-
mälde — wird nach den Werken und Meistern ästhetisch und technisch ge-
würdigt von Lübke a. a.'O. S. 321 ff., Giefers und Kaiser a. a. 0. S. 17 ff. und
erscheint den Arten wie der Verbreitung nach immer bedeutsamer, je mehr
Beste von Tafel- und Wandmalerei in der Stadt und Umgegend entdeckt werden.
Der älteste dieser Fimde in der Kirche Maria zur Höhe ist zugleich der merk-
würdigste, sowohl in Absicht auf den Reichthum der Darstellungen, wie der
Technik und Dimensionen. (Vgl. Leipziger Illustr. Zeitung 1870 S. Sil). Es
ist nämlich auf eine mit Leinwand überzogene und bemalte kreisrunde Holz-
scheibe ein hölzernes Cmcifix derart gdegt, dass die Enden der drei oberen
Balken sieh mit der Peripherie der unterliegenden Scheibe decken; unter den
nach unten über die Kreisscheibe hinweghangenden Kreuzesfuss hat man später
eine viereckige Unterlage gelegt und diese oben durch schräge Giebel mit der
Kreisfläche des Bildes verbunden, die Unterlage durch farbige Linien in vier-
eckige Felder zerlegt und diese schwarz in Gold verziert mit Blattmustem,
Thiermotiven, grotesken und andern Menschengestalten ; das Kreuz nun enthält
in hohem Belief acht eingesohnitzte Scenen aus der Leidensgeschichte, die von
der Kreisscheibe gefüllten Winkel des Kreuzesbalken 4 runde, die Enden der-
selben 4 quadratische Darstellungen aus dem Leben Jesu, so dass die des
untern Kreuzbalkens mit der Grablegung abschliesst. Ueber jedem Ende des
Querbalkens schwebt ein geschnitzter Engel, die beiden Rundbilder in den
untern Winkeln des Kreuzbalkens zeigen das eine Christus vor Pilatus, das an-
dere den Einzug in Jerusalem. Malerei und Sculptur gehen hier völlig Hand
in Hand, falls der Farbenauftrag nicht der Restauration des Bildwerks ange-
hört. Es gehört nämlich das Kreuz mit der Kreisscheibo und den Bildern
der romanischen^Stilzeit Vielleicht, wie der Thurm der Kirche, noch dem 12.
Jahrhundert an; dagegen kann der viereckige Untersatz mit den quadratischen
Ziermustem und der oberste Farbenauftrag wohl nur in der Zeit gemalt sein, wo-
rauf die Inschrift hinter dem Bilde an der Wand hinweist: Anno Domini
MGGCGLXX primo die assumptionis b. Marie virginis gloriose hec tabula cum
cradfixo et aliis reformata fuit. Dominus Johannes Eppynck, dominus Johannes
Warendorp capellanus, Thomas Myle, Johannes Schone, Ratte provisores. Ma-
gister Theodericus de Tremonia pictor huius tabule. — Dem Anfange des 13 Jahr-
hunderts entstammt das vom Baurath Bucholtz zu Arnsberg gefundene und von F.
V. Quast in der Zeitschrift für ehr. Archäologie u. Kunst (1858) U 28S f. be-
schriebene Altargemälde der Wiesenkirche: eine in allen Theilen frei und
lebendig empfundene Kreuzigung mit den Seitenstücken des Verhörs vor Kaiphas
84 Die kunstgesohichtl. Beziehungen swiachen dem Rheinlande n. West&len.
und der das Grab besuohenden Frauen. „Für ein Staffeleibild ist dies so früh,
dasB hiermit in Deutschland nur noch das zweite Bild desselben Altars und ein
anderes aus Soest stammendes, welches sich jetzt im Museum zu Münster be-
findet — es ist das Antipendium aus dem Walburgiskloster .mit dem Salvator
und Seitenfiguren (Lübke S. 884) -< verglichen werden kann Von andern
etwa gleichalterigen Staffeleibildem lassen sich unter den bekannt gewordenen
nur die des Guido von Siena vom Jahre 1221 nennen'*. — In der Umgegend
gehören die Wandgemaide der alten Ghortheile in der Marienkirche zu Lipp-
stadt wahrscheinlich noch dem Yollendungsjahi^ ihres Substrats 1198 an (Lübke
S. 166). Es sind Engelfiguren bewegt und belebt, die Gontouren entbehren der
greUen farbigen Gegensätze, das den Bildern als Basis dienende Deoorationsband
besteht an der einen Wand aus einem Netz geometrischer Ornamente, an der
andern aus Ereiswindungen und Mustern, denen man absieht, dass sie den
mannigfaltigen Teppichomamenten der Zeit abgeschaut (Vgl. Springer in den
MittheilL der E. K. Gentral-Gommission (1860) Y, 67 ff.) und in Farbe über-
tragen sind. — Jünger erscheinen die meisten Figuren der vor 8 Jahren ent-
deckten Wandgemälde in der alten Thurmkapelle der Klosterkirche zu Liesbom
nordostlich von Soest. Sie stehen unter Arkaden mit runden Bögen, über deren
Säulen sich eine thurmartige Zierarchitektnr — Alles in Farbe — entwickelt,
indess der über den Rundbögen der Arkaden angelegte Spitzgiebel, der an den
Seiten anscheinend mit kräftig bestielten Knollen besetzt ist, die Einflüsse der
romanischen Uebergangszeit deutlich bekundet. Andre Figuren ohne Umrahmung
passen sich frei den Flächen der von Bögen durchbrochenen Wände an, oder
sie deuten* mit den Emblemen der fünfblätterigen Rose auf eine Beziehung zum
Hause Lippe, welches die Yog^tei des Klosters inne hatte. Soweit man erkennt,
verbindet ein Typus, eine Technik und unterzieht ein Zierband mit romanischen
Mustern diese figürlichen Darstellungen — welche stilistisch der Mitte des 18.
Jahrhunderts angehören möchten und für damals um so eher Soest's Malerschule
beizumessen sind, als sich in dieser Stadt bis 1239 der Liesbomer Abt Burchard
Gbsundheits halber aufhielt und starb. (B. Wittius 1. a p. 761.) Zwei Figuren der
südlichen Wand dagegen sind unzweifelhaft jünger und jedenfalls um 1322 ge-.
malt, als Abt Florin, während die Kirche im Baue begriffen war, die Thurm-
kapelle für den Gottesdienst wieder einrichtete und mit Zustimmung des Yogtes,
Simon von der Lippe, reich dotirte. (Staatsarchiv zu Münster Urkk. No. 120,
122, 127 A. B. Wittius 1. c. p. 768). Da ich die Kunstnachriohten über Soest,
Lippstadt und Liesborn hier nach alter Erinnerung beigebracht und überdiess
die erwähnten Wandgemälde wegen der Dunkelheit der Räume und des ver-
letzten Zustandes nur höchst unklar sehen konnte, so werden sie vielleicht in
manchen Punkten zu corrigiren sein, wenn einmal eine behutsamere Unter-
suchung zu Lippstadt und Liesbom vorgenommen werden sollte. Wahrschein-
lich würde auch eine Entfernung der Tünchschale in den romanischen, Soest
benachbarten Kirchen zu WeslarUi Borgeln, Ostönnen und Bremen den Cyolus
der von Soest ausgegangenen Wandmalereien noch erweitem.
'') Das Missale zu Münster, seither nur mehr erwähnt als beschrieben
Die knnstgeschiohil. Benehnngen zwischen dem RheiDlande n. Westfalen. 85
▼on Becker in Euglers Museum 18S5> S. 398 f. und Lübke a. a. 0. S. 345, ver-
diente «nicht nur wegen des Stiles, sondern auch wegen der Erkenntniss der
seitigen Heiligensymbole und -Attribute, der Kostüme und Liturgik, wie sich
dies Alles in dem Cydus von 57 lieblichen Miniaturbildern entrollt, eine mög-
lichst genaue, mit Facsimilirung der lehrreichsten Stücke verbundene, Würdigung.
— üeber die Liesbomer Kunstübung und Malerei vgl. Nordho£f, Chronisten
S. 32-40.
'*) Von dem sogen. „Oldenburgisohen Hörn** der dänischen Sammlung
auf dem Schlosse Rosonburg, einem Meisterstüoko der spätgothischen Metall-
kunst, sagt G* Andersen, Die chronologische Sammlung der dänischen Könige,
Kjobenhavn 1872. S. 5: „Was die Entstehung dieses Horns betrifft^ (von dem
eine alte Mythe sogar erzählt, dass es im Jahre 989 dem Grafen Otto I von
Oldenburg von einer Bergnymfe, welche aus dem Berge OSenberg heraustrat,
als er sich auf der Jagd verirrt hatte und müde und durstig sein Boss vor dem-
selben anhielt, gereicht wurde) so hat die Yermuthung am meisten Wahrschein-
lichkeit für sich, das9 König Christian I. es im Jahre 1474 von dem nach
Danemark berufenen westfälischen Bildhauer Daniel Aretäus fertigen Hess.** —
Welche Stellung Münster einnahm bezeugen die Geschichtschreiber, wie Wittius
1. c. p. 329 und die Fraterherren. Ein von ihnen kunstreich hergestelltes Chorbuch
in der Kirche zu Stadtlohn bei Ahaus schliesst mit folgender Inschrift: Anno
Domini millesimo quadringentesimo septuagesimo octavo in urbeMonasterio,
primaria Westphalie, in coUegio presbyterorum et clericorum fontis salien-
iis hie über diligenter scriptus et completus et pro ecclesia sancta parochiali
in Stadtloen. (Bei Nordhoff, Chronisten S. 57.) Das lange Lobgedicht des
Murmellius (bei J. Niesert, Beiträge zur Buchdruckergeschichte Münsters,
Coesfeld 1828 S. 185) benennt sich in der Ueberschrift : In urbem Monasterium,
Westphaliae metropolim, opulentia doctisque ac prudentibus hominibus insigueni
Ode sapphica ab' Joanne Murmellio 1503 und klingt in der Strophe 10
und 7:
Eminent turres nimium levatae, .
Sunt domus altae: speciosa lucent
Templa et obsciirae decorata cingunt
Moenia fossae.
Westphalae gentis decus, aura, splendor,
Civitas Paulo celebris patrono
Notier Delphis, variis Athenas
Artibus aöquat.
Folgende Bemerkung einer alten Chronik des Klosters Marienfeld im Staats-
archiv zu Münster Ms. YH, 1305 leistet zur Kunstgeschichte Münsters und
Westfalens einen nicht unwillkommenen Beitrag, indem sie berichtet vom Abt
Beinold 1443—1477 Tabula in maiori altari, quae per antecessorem
fuerat inchoata, temporibus suis est erecta, quam fecit deaurari et depingi; et
cum pretio non parvo et cum adiutorio fratris Anthonii sartoris fecit scribi
libros cantuales, qui libri scripti (sunt) per fratrem de Osnabrugo nato (sie), cuius
86 Die kanstgeschiohtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlftnde a. Weet&len.
nomen erat Bruno Tollen. Et fecit enim parari Organum, quod nunc antiquom
dicitur, quod Organum cum tabula maioris altaris pro mille florenis (rh.) com-
paravit, uti a fratre Anthonio sntore intellexi, qui adiutor fuit in negotio talL
Insuper et alii boni fratres de licentia domini abbatis parari fecerant tabulas
et omamenta s. Mariae Magdalenae Osnabrvgi praeparata et depiota cum imagine
Brunonis, et aliam tabulam Philippi et Jacobi a magistro dicto Korbe ck
de Monasterio. Das Weitere verbreitet sich über Anschafibngen von Bechern
und Kelchen. Eine kostbare Orgel war schon 1385 errichtet.
'^) Ein doppelter Schriftcharakter, ,,der gerade stehende Missaltypus'' und
,,eine Art länglicher schiefliegender Minuskel von ungleich freierer Bewegung
bildet den weit verbreiteten Handschriftenductus des burgundischen Reiches,
, Jenes grossen Staates mit Flandern, Brabant, Henegau, Geldern und Nieder-
landen in dem weitesten Umfange des Wortes, also auch mit Inbegrifif des be-
nachbarten Niederrheins und Westfalens^' Falkenstein a. a. 0. S. 87. — Auch
in der altem Type des Nordens erkennt Ebert in Ersch und Grubers Ency-
clopädie I. 14, 234 s. v. Buchdruckerkunst eine solche Abweichung von der bis
1476 in Süd- und Westdeutschland verbreiteten, und so viele Anklänge an die
holländische, dass er geneigt ist, die ältesten Drucke in Magdeburg, Hamburg,
Lüneburg, selbst in Köln durch die Fraterherren auf Brüssel zurückzuführen,
welche ja auch 1476 mit einer Brüsseler Type die erste Presse Norddeutsch-
lands in Rostock eröffneten. Druckereien der Fraterherren zu Rostock und
Nürnberg beschreiben Lisch in den Jahrbb. des Mecklenb. Geschichtsvereins IV,
35 ff. Falckenstein a. a. 0. S. 163, 177, 154.— üeber die rheinisoh-westfalischen
Kriege geben die einzelnen Landes- und Localgeschichten Auskunft. — Die
epochemachende Wirksamkeit der Fraterherren im Allgemeinen ist anerkannt
von Ullmann, Reformatoren vor der Reformation (1866) II, 11—167, von Delprat,
Yerhandeling over de Broederschap van G. Grote en over den invloed der
fraterhuizen II. Druck, Amheim 1856; ihre Verdienste um die Kunst, ihr Zu-
sammenhang mit dem Humanismus, ihr Eingreifen in die Buchdruckerkunst,
ihre Beziehungen zum Mutterlande und zu einander sind entweder sachlich und
örtlich zu einseitig oder gar noch nicht behandelt; daher denn bis jetzt von
einer, alle Zweige ihres regen Lebens umfassenden, Würdigung für den Norden
leider noch keine Rede ist, obwohl die hundertfältigen Verbindungen der hol-
ländischen Fraterherren mit dem Rheine, Westfalen und selbst mit dem östlichen
Sachsen aus einzelnen Beispielen einer zeitgenössischeiy GeschichtsqueUe erhellen,
nämlich aus des Joh. Buschii libri II de reformatione monasteriorum oomplurium
per Saxoniam et vicinas regiones in Leibnit. Scriptor. rerum Brunsvic. H,
806 ff. Was Erhard in der Zeitschrift für Geschichte und Alterthumskunde
Westfalens (1838) I, 28 über die bereits 1400 blühende, als Stamm- und Ober-
haus verschiedener männlicher und weiblicher Congregationen Norddeutschlanda
bedeuti^me, Niederlassung der Fraterherren in Münster anführt, lässt nichts
ahnen von ihrer schwerwiegenden Gulturbedeutung. Die Münsterischen Ge-
schichtsquellen I, 160, 331, 338 erwähnen wiederholt dieses Instituts und weisen
auch III, 314 auf seine schon bei der Gründung bestehende Beschäftigung des
Die kunfligesohiobtl. Benehangeo zwischen dem Rheinlande u. Westftklen. 87
Bfichersohreibens hin. Ich fiind allein in den münsterländisohen Kirchen meistens
der holländischen Grenze entlang vom Jahre 1413 ab eine ansehnliche Keihe
Foho-^osser Kirchenbücher theils mit Initialen und Randverziemngen. theils
zugleich mit einem Folio-groBsen Passionsbilde bemalt. Die reichem Exem-
plare sind inschrifllich als Arbeiten der münsterischen Fraterherren beglaubigt,
die einfachem, welche mit jenen in der Form der Schrift, der Initialen und
Randgerimsel übereinstimmen und also auch gleichen Ursprung theilen, ent-
behren dieser Angabe. Eins der schönsten Exemplare dieser Art, ein Anti-
phonarinm der Kirche zu Ennigerloh bei Beckum schliesst mit den in diesen
Büchern fast typischen Worten: Anno Domini MCCCCLXXIX scriptns et
completns est iste über in domo fratrum communis vite ad fontem salientem in
Monasterio. Qni utitur conoret pro ipsis. Die grossen mannigfaltigen Initialen
lassen nach allen Seiten auf die freien Ränder ein Gewebe der zartesten
Yerfadelungen in den hellsten Farben ausspriessen ; eine l^erle der Pergament-
malerei und ein Spiegel des zeitigen Kunststils erscheint ein Passionsbild in
Folio. Den Rahmen bilden vegetabile Muster, zum Theil nach dem Akanthus
genommen, zum Theil Blüthenkolben und Knospen, in den buntesten Yer-
schling^ngen und Farben mit einander verwunden. Im Bilde stehen zu jeder
Seite des Kreuzes vier Personen, links die Gruppe ddr h. Frauen, dem Kreuze
zunächst die h. Mutter, welche ihren tiefen Seelensohmerz weniger im zart-
empfindenden Antlitz als in der Haltung offenbart; sie würde zusammensinken,
«wenn nicht der h. Johannes unter ihre Arme griffe. Rechts die Henker, Maria
Magdalena umklammert das Kreuz, in allen Gesichtern spielt ein edler Schmer-
zensausdrnck, auch die Henker dürfen ihre böse Seele wohl in der Handlung,
aber nicht in den Zügen des (jresichts ausprägen. Namentlich milde ist der Ge-
sichtszug des Gekreuzigten, seine Gestalt noch lang gezogen. Gegenüber
diesen idealen Schönheiten bricht der Realismus in allen Aensserlichkeiten
durch. Die Frauen haben ihre Kopf- und Halstücher, Johannes ein schön ge-
locktes, goldiges Haar und über einem grünen ünterkleide einen rothen Mantel,
die Henker tragen halb weisse, halb blaue Kleidung. Statt des frühem Gold-
grundes wölbt sich oberhalb der Scene der dunkelblaue Himmel, durchflattert
von Spruchbändern, wovon der am obern Kreuzbalken die letzten Worte Jesu
enthält. Unterhalb am fernen Horizont erheben sich Burgzinnen und Kirch-
thürme zwischen sanft gewölbten Hügeln, die sich mit leichten Wölkchen be-
rühren. Die Farben sind mannigfaltig und gut vertrieben selbst in den Ueber-
gängen; die hellen Töne walten 'vor, Schwarz ist gar nicht angewandt. Ein
Ohorbuch mit guter Schrift, schönen Initialen und Randverzierungen, ohne freie
Bildwerke, Folio gross und über 516 Seiten stark, wie es in der Kirche zu
Borken erhalten ist, kostete für die damalige Zeit eine Summe Geldes laut der
Inschrift: Hpnc librum fccit scribi, illuminari et ligari dominus Johannes Wil-
kini, decanus veteris ecclesie sancti Pauli Monasterii, pro triginta octo florenis
Rhenensibns, octo solidis et sex denariis .... Weiteres über die Malerei der
Fraterherren bei Nordhoff^ Chronisten S. 37 ff. — In Betreff des norddeutschen
Humanismus vgl. ausser der zahlreichen Speoialliteratur G. Krafft und W. Cre-
88 Die kanstgeschiohU. BeziehuDgen zwisoben dem Rheinlande u, WestfaleD.
celiuB, Beitrage zur Geschichte de$ Humanismus am Niederrhein und in West-
falen. Erstes Heft 1870; Opera ü. Hutteni ed. Böcking, Suppl. U; Parmet,
Rudolf von Langen, Leben und gesammelte Gedichte 1869, wo S. 2^3 das
Carmen LVIII: Ad clarissimam Coloniam Agrippinensem ; Cornelius, die
Münsterischen Humanisten 1851.
^^) Wemerus Rolevinck, Laerensis, ord. Carthus. (f 1502) de Laude veteris
Saxoniae, nunc Westphaliae dictae .... Im Originaltext nach der ersten Aus»
gäbe (c. 1478) mit deutscher Uebersetzung herausgegeben von Dr. L. Tross.
1865. p. 41, 139, 141, 143 fif 161. — Belege des unmittelbarsten Verkehrs der
Länder geben folgende Inschriften. Johannis Nyderi . . . preceptorii preclans-
simum opus uon pennis ut pristi (sie) quidem, sed litteris sculptis arti-
ficiali certe conatu ex ere remota nempe indagine ingeniique diversa inquietacione
illustre figuratum accurate denique correctum ac per providum Jeorium Husner,
civem urbis famose Argentinensis, completum et terminatum est ydus Februarii
anno 1476 wurde in dem Exemplare, welches die Paulinische Bibliothek zu
Münster H. 158 besitz, laut folgender handschriftlichen Notiz von einem Kölner
Ordensgenossen für das Benedictinerkloster Liesbom in Westfalen angekauft:
Istud preceptorium egregii doctoris Johannis Nider pro monasterio in Leysbom
emptum est pro VUI marcis monete Coloniensis. Item HI alb. expositi pro
pelle et fune, quam pecuniam humiliter peto presencium latori restitui, quia ex
intuitu Dei libenter exposuit.
F. Heinrious de Tremonia etc.
f apud s. Martinum.
Ein Exemplar der Sermones sancti Bernardini de Senis ordinis fratrum Minorum
de evangelio etemo gedruckt gegen 1490 (cf. Graesse, Tresor de livres rares et
preoieux I, 343), in der Paulinischen Bibliothek aufgestellt L. 45 trägt unter
dem Titel folgende Notiz: Honorabilis dominus Henricus Pelsrinck de Lippia>
quondam capellanus in Zwollis, donavit anno Domini 1511 adhuc superstes fratribus
maioribus de observancia conventus Bylveldensis hoc quadragesimale sancti Bemar-
dini eo, quod in nativo situs sit termino, ut eins in oracionibus memores (sie)
requie potiatur eterna atque premium sibi accidentale ex huius libri usu semper
accrescat. Amen. Ein Eelch der Ludgerikirche zu Münster ist laut Inschrift
unter dem Fusse ein Geschenk „Bernardi Mumen, decani s. Ludgeri Monastenensis,
canonici (Jltrajectensis 1502'*. Mümen stand auch als Schüler mit Deventer und
als Humanist mit den auswärtigen Gelehrten in Verbindung. (Parmet 1. o.
p. 51. 68.)
^^) Die Ünnaer Glasgemälde, wahrscheinlich das erste Werk niederläD-
discher Kunst in Westfalen^ erwähnt von Steinen, Westfälische Geschichte ü,
1188— 11Q9. — Von dem Altarbildwerke im Schwesterhause zu Ahlen spricht
das Memorienbuch im Besitz des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde
Westfalens zu Münster, Ms. fol. 17a leider ohne Jahresangabe: 18. Oct „Memoria
vor seligen Elhen Dregers onde Jasper eren soen unde er geschlechte, de uns
bestelt hefift van Antwerpen de thafel up den bogen altaer." — Die Bilder des
Bruders Franco von Zütphen hingen am Eingange des hohen Chores und stellten
Die kunstgesohiohtl. Beziehungen zwiBohen dem Rheinland^ u. Westfalen. 89
das eine die Matter Qottes, das andere den heiligen Johannes vor, wie er
mit dem Finger auf das Lamm Gottes zeigt. .»Diese Bilder waren so schön,
dass ein jeder geschickter Maler sie nicht ohne Erstaunen ansehen konnte, zur
Zeit der Belagerung aber haben sie die Wiedertäufer zerstört. H. von Eerssen-
broich, Geschichte der Wiedertäufer zu Munster in Westfalen nebst einer Be-
schreibung der Hauptstadt dieses Landes aus einer lateinischen Handschrift.
Deutsch in 4^ 1771 S. 38. 511. — Unter den westfälischen Schulen neigt die
Soester, wie ein Altargemälde der Wiesenkirche zeigt (Lübke a. a. 0. S. 855)
entschiedener zum Realismus, dagegen lässt sich an den etwa 2' hohen Statuen
der zwölf Apostel und der h. Luoia zu Merfeld, welche 1475 geweiht wurden,
(Kindlinger Münster. Beiträge (1787) I Urk. 51) noch kaum eineSpur realistischen
Einflusses finden, und handwerkmässige Arbeiten mögen noch länger in ihrer
'Art dem alten Idealismus treu geblieben sein, unberührt von jeder Neuerung.
^*) Den Zusammenhang des Bild- und Buchdruckes namentlich in Holland
entwickeln Sotzmann a. a. 0. S. 517. Falkenstein a. a. 0. S. 15 ff. S. 88. Die
Anfange und künstlerische Ausbildung des Holzschnittes Springer, Bilder 8. 180 ff.,
wo indess die ästhetische Bedeutung des Bücherholzschnittes far das 15. Jahr-
hundert nicht zu hoch angeschlagen wird. — Dass von der „Kölnischen Chronik*'
noch ältere Ausgaben, als jene von 1499, vorhanden seien, wie einige Biblio-
graphen annehmen, stellen Ebert, Panzer, Götze (A. Potthast, Bibliotheca
historica medii aevi, 1862 p. 244) und neusthin Ennen, Geschichte der Stadt
Köln 2, XV entschieden in Abrede. — Die Jahreszahl der Gewölbedecorationen
in der Benninghauser Kirche, wovon die letzte Ziffer bei Abnahme der Kalk-
decke bis zur Unkenntlichkeit gelitten hatte, dürfte genau dem Jahre 1520 ent-
sprochen haben, in welchem inschriftlich auch der noch vorhandene spätgothische
Chorstuhl gefertigt ist. — Hinsichtlich der erwähnten Imitation der Holzschnitte
in Hartmann SchedePs Chronik vgl. man die drei obersten Figuren des Mutter-
gottesaltars zu Calcar bei Aus'm Werth a. a. 0. I. Taf. XIII und die Bilder
des Octavian, der mater amabilis und der Sibylle der Chronik fol 93 b. Die
stilistische und ästhetische Stellung der Schederschen Chronik ist eingehend
mit einem Rückblick auf die Kölner Chronik gewürdigt von Lübke, Geschichte
der deutschen Renaissance 1872. S. 48—52.
^*) J. Niesert, Literarische Nachrichten üb.er die erste zu Köln gedruckte
niederdeutsche Bibel, und Yergleichung derselben mit der Yulgata und den
sieben ältesten oberdeutschen Bib^übersetzungen. Coesfeld 1825 S. 5 sagt : „Die
Holzschnitte, welche die vorliegende Bibelausgabe enthält, sind wohl die ersten,
die in einer deutschen Bibel angetroffen werden*'. Während Naest, Literarische
Nachrichten von hochdeutschen Bibelübersetzungen S. XXXV sie dem Johan
von Paderborn zuschreibt, hält Niesert S. 15 Israel von Meckenen, den Yater,
für ihren Urheber, über dessen Abstammung, Wohnort und Thätigkeit er ein
sehr schätzbares Material beibringt, woraus auch hervorgeht, dass Israel mit den
Werken jenes Pseudo-Israel der Kölnischen Schule, welcher seit der Mitte des
X 15. Jahrhunderts in zahlreichen Tafelgemälden dem Eyck'schen Realismus huldigte,
Nidits gemein hat. (Vgl. Merlo a. a. 0. S. 275.) Stilistisch werden auch die
90 Die kimatgesojiichtl. Beziehungen zwiechen dem Rheixüande u. Wedtüideo.
Holzschnitte der Bibel echverlich einem damaligen Kölner Meister oder Köl-
nischen Werken entsprechen. Üeber den Drucker, Druckort, Drackweise und
die Sprache des Buches ygl. Niesert 16 f., 19 f., 90 f. ; er hält Heinrich Quentell,
Heinrich Lempertz dagegen mit mehr Wahrscheinlichkeit den Kölner Nicolaus
Götz 1474-1478 für den Drucker, (vgl. Falkenstein a. a. 0. S. 154 £); diese
Verschiedenheit der Ansichten in Hinsicht des Druckers braucht indess Nichts
zu ändern an der Herkunft der Holzschnitte.
"^) Den Aufenthalt Rudolfs von Langen am Clevischen Hofe um 1466
erweist nach einer fast gleichzeitigen Handschrift Parmet a. a. 0. S. 85, die
vielsagende Bedeutung des Humanismus und der Humanisten AL Wolters, Conrad
von Herresbach 1667, die bürgerliche und kirchliche Stellung Calcar's Aus'm
Werth a. a. 0. Text I, 28 f., XXJ.^-- Die werthvollsten Aufschlüsse über Cal-
car's Kunstleben am Ende des 15. Jahrhunderts bringen die aus dem dortigen
Stadtarchiv, namentlich aus den Bechnungen der Liebfrauen* und St. Anna-
Bruderschaft 1486—1500 gewonnenen ,,Archivalischen Nachrichten über Künstler
und Kunstwerke der Nicolaikirche zu Calcar, mitgetheilt von Dr. J» B. Nord-
hoff"' im Organ für ehr. Kunst (1868) XVIU, 236 ff., 250 ff. £s wäre ein Jammer,
wenn alle jene Werke des Utrechterlandes und Niederrheins, welche den neuen
Werken Calcars zum Muster dienten, spurlos verschwunden sein sollten; und
ein ebenso erfreulicher Gewinn würde es für die Kunstgeschichte sein, auch
nur ein Stück dieser Musterwerke oder andere Werke auch nur eines der
Calcarschen Künstler wieder zu finden. Hoffentlich wird der Herr Kaplan Wolff
zu Calcar seine Calcarschen Kunstforschungen auch hierüber ausdehnen und
sie der Yeröffentlichung nicht zu lange vorenthalten.
'') Auf Meister Evert von Münster beziehen sich folgende Posten der
Liebfrauen -Rechnungen 1492—1498: Item in den verdingh upt ny meister
Evert van Monster onse taeffel to macken in Jan Telmans huis upgespraeken
II guld. VIII kr. — Item Paephoff van den cedulen dis verdings to sohriven
geg. YlII k. — Item meister Evert voers. voir sinen g^gh ind versamenisse
syns wercks» dat hy hier is gekommen ind dat ick on to Tadden huis utter
herbergen gequy t heb to saemen geg. HI guld. ind XVUI kr. Job. van Haldem
nennt folgende Stelle derselben Rechnung 1491—1492: Item meister Amt bilden-
snider gesant omtrent piuxten XIII goldene ryusche gülden. Item gesant
omtrent nativitatis Christi myt Jan synen knecht ind dat Jan van Halderen van
synre wegen ontfingh XYIIgold. guld. Ind dartoe soe hefft on die richter myn
(des Provisors Nico laus von Wetten) neeff van mynre wegen gedaen, doe hy toe
Kaelen reysde enen Wilhelmus schilt ad XXXVH stuver ind daer toe enen
Kaelschen postgulden voer XXII stuver, ind die gold. gülden is on gesant
voer XXXYI st. Ind hier toe so dede ick on mede een malder hayeren voer
II gülden current, fac. to saemen LYI guld. ourrent ind XXXIX kr. ; ferner die
Rechnung der Bruderschaft unserer lieben Frau 1498—1499: Item is men ver-
draegen in bywesen des borgermeisters cum suis in der provisoeren mit meister
Johan van Halderen van twe parcken,. beneden in den voet van den käst opt
hoighe altair te maeken, vur XXX gold. gülden, der he van Lamt^rt Koedert
r
)
/
Die kanstgesohiobtl. Beriehnsgen zwischen dem Rheinlande q. Westfalen. 91
m gold. golden ontfimgen heft ind yan my XXYII gold. guld. ad XL stuv.
Ind 806 die gold. golden doe meer dan XL etuver golden, bekroende meister
Johan dairop. Soe heb ick oen noch dairtoe gegeven myt consent des bnrger-
meisten XXX st ind synen Knecht to verdrincken IUI alb. fac myn uitgeven
ts— LY gold. Xm st. XII gr. kr. Jedenfalls betreffen auch zwei Stellen der
Rechnung der St. Anna-Bruderschaft aus den neunziger Jahren unsem Johan,
zumal die Bechnungen überhaupt keinen andern Johan kennen : Item noch meister
Johan geg. I gülden levis, fac. gravis XXY kr. Item Conr(ad) van den Steen
van meister Jans wegen gegeven enen gülden levis, fac. gravis L kr. — Lübke
bespricht den Haltemschen Altar mit Beispielen der Dortmunder und Soeeter
Malerei a. a. 0. S, 894, 860 ff., 358, 365. Seinem geringschätzenden Urtheile
über die Tafeln des Kölner Malers Hildegard steht das ältere, sehr günstige
Paasavants gegenüber. Merlo S. 177, 178.
'') Die Ühr, welche ausser den Stunden auch den Lauf der Planeten, die
Jahreszeiten, das Kalendarium sammt den beweglichen Festen anzeigt, ist um
•
1400 im Oldenburgischen Kloster Hnda gefertig^t (H. Geisberg, Merkwürdig-
keiten der Stadt Münster, 5. Aufl. S. 18). Die Zerstörung melden die Münste-
rischen Geschichtsquellen I, 882: Item alle aitare, hilligenkasten, saoramentes-
huse, orgelen, dope und insunderheit de twe schonen orgeln in dome und dat
kunstlich urwerck gantz toschlagen und in grundt verdorven. Der in Rede
stehende Joh. v. Aachen ist nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Maler,
welcher erst 1552 zu Köln geboren wurde. (Fiorillo a. a. 0. II, 518, Merlo S. 1 ff.)
Nachrichten über die Zerstörung, Wiederherstellung und die Kestauration bieten
die Münsterischen Geschichtsquellen I, 345, III^ 6, über die Zeit der Kestaura-
tion und die Herkunft des Nicolaus Windemaker III 828: anno MDXLHQ is
desse (S. Servatii) porte wedderumme dorch godts hulpe reformert. ümb diese
zeit scheinet auch das schone uhrwerck im thum, so die Widertheuffer ver-
dorben, wieder zu gange gebragt zu seien, wie diese inscription meldet:
Juliaca in terra natalibus ortus honestis
Cuius et ingenii sedulitate decus
Laude satis clarus Nicolaus nomine magnus
Huic operi arma novo ferrea restituit.
Der humanistisch gebildete Dietrich Zvivel war Nicolaus* Landsmann, gleichfalls
im Jülioher Lande geboren, von Stand Buchdrucker in Münster (J. Niesert,
Beiträge zur Bnchdruckergeschichte Münsters 1828 S. 27} und dabei namentlich
der Mathematik und Astronomie beflissen. Theodorius Tzyvel, natione (?) West-
phalns, patria Mongavensis, homo bonarum litterarum disciplinis satis stndiosus
et eruditus, qui studia sua longe lateque pauois licet adhuc utpotejuvenis
quibusdam epigrammatis noviter Monasteriensis chalcographie primicijs prepo-
sitis conspergens nominis sui auoupatus est famam. Yivit adhuc maioribus inten-
tus lucubrationibus cito emittendis 159 [1509]. J. Murmellius widmet die Ti-
bulli, Propertii ac Ovidii flores ihm, Theodorico tzvyvelensi, luro literato et
mathematicarum disciplinarum in primis perito und feiert ihn In den Elegant«
mor. II, 8:
92 Die kansigeBchiohtl. Beziehang^en zwischen dem Rheinland u. Westfalen.
Ta qoi certa pio meditare mathemata corde
Altaque semoti suspicis astra poli . . .
(Krafil u. Grecelias a. a. 0. S. 64 f.) 'Hiemach scheint man sich bei der Be-
stauration des Uhrwerks in die Arbeit so getheilt zu haben, dass Zvivel das
Mathematisch-Astronomische, Johan von Aachen das Mechanische vorschrieb,
und Nicolaus Windemaker die Schlosser- und Schmiedearbeiten anfertigte. Die
Uhr, deren Mechanismus heute zum grossen Theüe ausser Gang ist, zeigt das
Kalendarium mit den schönen Allegorien der 12 Monate, gemalt von Herman
tom Ring (Becker in Kuglers Museum (1837) Y, 4), das Zifferblatt mit 24 Stun-
den und einen giebelartigen Abschluss desselben mit Schnitzwerk und phanta-
stischen Schildereien im Stile der Frührenaissance. Die. Mitte der Giebelfront
tragt die noch gothisirende Inschrift: In hoc horologio mobili potueris heo alia-
que multa dinoscere, tempus equalium et inequalium horarum | medium motum
omnium planetarum, ascendens vel descendens signum ortus insuper et occasus
aliquarum | stellarum fixarum, ad hec regnum planetarum in horis astronomicis
utrimque a lateribus operis | supeme vero oblationes trium regum infeme autem
oalendarium cum festis mobilibus | . Unter der Schlagglocke steht : Positum 1696,
im Centrum des Zifferblattes: renovatum 1670.
^) Die anscheinend den bibliographischen Sammelwerken unbekannten
Puerilia zählen 8 Quartblätter mit 38 Zeilen in klaren antikisirenden Typen,
beginnen Fol. 1* Puerilia super Donaturo | und enthalten unter dem darauf fol-
genden Holzschnitt der Anbetung der Könige die Schrift: Gedruckt zu Collen
up deme ald^mart | tzo dorne wilden manne zc Fol. 2* beginnt (p)Rima decli-
natio quot | . Schluss auf Fol. 8*: Expliciunt puerilia fuper donatum | impressa
Colonie Tuper antiquü forü | . Sie sind also aus der Bongart'schen Officin 1498
— 1521 hervorgegangen (Ennen a. a. 0. III, 1042). — Die Münsterischen Ge-
schichtsquellen I, 297 berichten, Bischof Erich 1508 — 1522, der sich überhaupt
der Restauration der Kirchen mit allem Eifer annahm, habe die breviaria, so
men de getyde boeker nhomet, nyes binnen Pariss drucken lassen; Kock
series episcop. II, 262 meiht Coloniae . . . 1518. Niesert, Beiträge erzählt p.
IX, um zu erweisen, wie sehr dermalen die Münsterische Presse den auswärtigen
noch nachstand, „ebenso erschien das erste Münsterische Brevier i. J. 1489, das
zweite 1. J. 1518 in Paris mit einer äusserst schlechten kleinen gothischen Type
gedruckt und die dritte Ausgabe i. J. 1597 zu Köln bei Quentel.*' Da diese
Drucke hier nur eine weitere Beachtung finden können, sofern sie in Köln ver-
anstaltet sind, so will ich nur verbessernd hinzusetzen, dass Kock 1. c. IL 235
als Druckort des Breviers 1489 nicht Paris sondern Argentinae kennt, und dass
die Paulinische Bibliothek in Münster noch ein Brevier aus dem J. 1497 ent-
hält, welches den Historikern und Bibliographen unbekannt und darum wohl
höchst selten geworden ist. Auch das Diu male Monasteriensis diocesis ist 1511
impensis GuiUermi Korver zu Paris gedruckt. Man ist versucht die Vermittlung
der auswärtigen Drucke den Fraterherren zuzuschreiben, wenn man erwägt, dass
die Rostocker Brüder, welche in Münster ihr Mutter- und Oberhaus hatten,
selbst eine fleissige Presse besassen, aber in Ermangelung von Breviertypen
Die kuBstgeschichÜ. Besdehungen zwischen dem Rheinlande xl Westfalen. 93
(1522) far das Domcapitel zu Schwerin den Druck eines 1529 in Paris bei der
Wittwe des Thilemann Eeryers erschienenen Breviers besorgten (Lisch in den
Jahrbb. des Vereins für Mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde IV^
8, 42 ürk. IX| XIX, XX). — Dass man sich nach Strassburg und Paris wandte,
mosste besondere Gründe haben; denn die benachbarte Kölner Presse leistete
damals doch in allen Typen ein Erhebliches und in demselben Jahre 1489, wo
das erste Münsterische Brevier in Strassburg erschien, verliess das erste Missale
eine Ofßcin Kölns. Niesert muss es bei aller Aufmerksamkeit nicht mehr ge-
langen sein^ ein Exemplar zu erwerben und jenes, was er als Seminarist auf
der Seminarbibliothek zu Münster sah, scheint längst abhanden gekommen zu
sein. Ich habe es nur an eiuer Stelle, in der Bibliothek des Staatsarchivs und
hier in zwei Exemplaren vorgefunden, wovon das eine aus fler Scblosslcapelle
zu Vischering bei Lüdinghausen stammt, das andere, dessen Herkunft nicht be-
stimmt ist, des Passionsbildes entbehrt. Es fehlen Signaturen und Custoden, die
Missaltype ist gross und scharf, der Text schwarz, die Bemerkungen, Anweisun-
gen und die Blattzahlen, GYL ausgenommen, roth gedruckt, die Initialen
sämmtlich gemalt, die Wasserzeichen den Hausmarken ähnlich, jede Golumne
31 Zeilen stark.
Fol. 1*. GoL 1. Quatuor decim confilia ,doGtoru pro per|riculis que in
miasa contingere possunt. | Fol. 2* beginnt das 6 Blätter starke Kalendarium.
Fol. 7* Incipit ordo miCCalis p | circulu anni DnTca pri | ma T advetu domini
Injtroittts ad officiü mirre | und damit die Foliirung bis Blatt 148 incl.; es fol-
gen sodann 24 Blätter ohne Zahlen mit Infumis maioribus fesjtivitatibus can-
tabitur und von Blatt 149 läuft die Foliirung bis 335. Fol. 835* CoL 2 Sequu-
tor Sequentie per | totü anu de tpe et de fcTe. | Et primo 7 nativitate dm | In
galliostu I auf 11 nicht foliirten Blättern, deren letztes auf der Vorderseite
Bcbliesst:
([ Cörümmatü est mirfale hoc integru <x correctum | iuxta verü ordinem
eoclerie Monasterien . sine rejquiritiöibus : bene quotatü cü nouis feCbif et no|
iolis fuis pro ordiario lucidiflime interporitis. | Ad laude dei et utilitatem fa-
eerdotum sub eade) eccleria militätium: eorü precipue. q hucufq) exjtraneis
qoibnrdam puta Eolo | niefi. feu alioZt lo|co24* müTalibus in graue eclTal|, sna2i
periculü uCi pjhibentnr. cü nuUa vel modica rit illorü mirraliu) | cü isto Mona-
sterien. missali cocordantia et decet | semper ut mebra capiti Tuo : hoc est ecclel ie
cathe|draH fefe coforment ([ -P Lodouuicü de rechen al|me civitatis Colonien. in-
cola) Anno domini M|ocGcLxxxix Ipso die Pauli primi heremite-:. | Das Pas-
sionsbild zeigt die alte (niederländische?) Auffassung des Gekreuzigten, der
Bfaria und des Johannes mit drei theils schwebenden das Blut in Kelchen auf-
fangenden Engeln, Die Figuren sind steif und stämmig, jedoch im Ausdruck
und in der Gewandung frei von niederländischer Manier. Der 4eckige Rahmen
bildet massvoll geleg^s Blumen- und Blattwerk, jenem der niederdeutschen
Bibel nicht unähnlich. Es gehört dies Missale der Blüthezeit der Benchenschen
Presse an, zumal von späteren Leistungen nur ein Druck aus dem J. 1606
94 Die kanstgesohichtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen.
bekannt ist. (Norrenberg, Köhiisohes Literaturleben 1873 p- XI. Ennen
setzt a. a. 0. III, 1041 die Blüthezeit der Renchen'sehen Presse in die Jahre
1485 — 1489.) Doch 1520 erschien gleichzeitig mit einem Kölner Missale das
zweite Münsterische in Köln. Fol. 1*: das reiche Titelblatt füllen in 4eckigem
Renaissancerahmen, der jedoch unten mit herabhangendem Blumenkamm besetzt
ist, ein in drei Abtheilungen zwischen ebenso vielen Säulenstellungen aufge-
bautes Bildwerk und die dazwischen vertheilte Schrift: ([ Miffale ad usum
dyocesis Monairterienfis Nouiter imprefCum ao emedatnm, Anno difi. M.GGCCCXX
I Unten: ^ Venale habet Colonie apud Fräcircü birchma ^x Goffredü hect Fol.
lb_2b Preparationes miffe, Fol. 3»-8*> Kalendarium nicht foliirt, Fol. 9» wie-
der von üppiger Renaissance umrahmt enthält in der obem Hälfte ein grosses
Bild mit gothisireiftLer Bekrönung und in der untern die Schrift: ([ Incipit ordo
mirfalis per circujlum anni ad uFum et confuetndi{nem diooeris Monafterienfis
Et I primo. ([ Dominica prima in ad|yetum dm introit* ad offioiu milTe | Das
Missale umfasst 60 Folien und schliesst Fol. 60^ Col. 2 | Finis | und das Sancto-
rale hat 98 Folien und schliesst 98*Mirrale ad ufu | diocerisMonarterienfis: poli-
tirß|mis formulis in alma Parißorum aoademia tpreffum : additis plnri |
Impefis Fräcisci byrck|man et Goffredi hector hoc T opefre sociomm. Anno dni
M. CCCCGXX I Der Canon FoL ^2 und 63 des ersten Theiles ist auf Pergament
gedruckt, Fol. 62^ mit dem schönen Holzschnitt des Crucifizus, der h. Maria
und des h. Johannes versehen. Ausser den grösseren Bildwerken sind auch die
oft sehr decorativen Initialen und die kleineren Bildwerke im Beginne grösserer
Abtheilungen in Holz geschnitten, und, mit geringer Ausnahme, alle decorativen
Zierarten im Geiste und in den Formen der freisten Renaissance ausgeführt; das
Figürliche entbehrt der Manierirtheiten des gleichzeitigen deutschen Stiles und
das Passionsbild erfreut sich in der Composition wie in den Einzelfiguren einer
so würdevollen Auffassung, dass es wahrscheinlich in Paris gezeichnet ist. Die
wenigen Blätter im Eingange abgerechnet, hat das ganze Buch Blattzahlen und
Signaturen und abwechselnd rothen und schwarzen Druck. In dieser Ausstattung
ragt das Missale als eins der bemerkenswerthesten Erzeugnisse der altem Presse
hervor. — Nach den Wiedertäuferwirren liess das Münsterische Domcapitel an
sonstigen Ritualbüchem zuerst in Köln 1536 — 1537 folgende drucken: 1, ein
Gra duale 295 Blätter stark* mit Signaturen und an den Rand gedruckten
Blattzahlen. Das Titelblatt umfassen oben und unten Bildwerke, unten aosserd^
noch ein omamentaler Besatz, an den Seiten aus allerhand Motiven, so aus
Delphinen und posaunenblasenden Putti, gewundene Säulen. Die Bilder in den
4 Ecken stellen die 4 Evangelisten in einer nicht gewöhnlichen Auffassung und
dazwischen oben den Salvator, unten anscheinend eine Sibylle vor. Die Initialen
sind in Holz geschnitten und oft reich mit Bildwerken verziert, die architekto-
nischen Einfassungen der Bildwerke in Renaissanoeformen gehalten, der Titel
lautet:
GRaduale, omnia sacre Mirre cantica | per totum annum | ad nfum et
confue|tudinem Ecclelle et dioceris Monasterienfsis | continens, iam primü im-
prerfum ac emedatum. Anno dni M. D. xxsivi. |
Die knnsigesciuchtl. Beziehungen zwischen dem Rheinlande u. West^itlen. 95
^nnc qoi aperia et volais libru: | Et no laceres oaueto |
Mandas habeto manua. | Nodulos eti» modeste attingito |
Folia leniter vertito, | Et semper librum bene claudito. |
In dem Bildwerke vertheilt steht unten auf dem Titelblatte Excndebat H
Alopecitts Expenfis capituli Maieris Ecclefie Monafterienfis 1536.
2. Das Antiphonarium 501 Folien gross. Das Titelblatt hat an den Seiten
eine Einfassung, oben und unten grössere Bilder und unten die Renaissanceeier
wie in Nr. 1. Die obere Bilderreihe zeigt die Herabkunft des h. Geistes mit der
üeberachrift links Spiritus sanctus, in der Mitte Salvator Mundi, rechts Maria
mater Dni, die untere Petrus apostolus, in der Mitte PauP doctor getiü unter
reichem Renaissance-Baldachin, rechts JohSnes eüagelirta, in der Mitte die
kleineren 4eckigen Bilder des Mat(theu8) links und des Mar(cus) rechts. Der
Titel lautet: ANtiphonariü, Oia pia Ganojnicarum horarum cantica: secundu
ordine atq} vfum Ecclefie et dioceris Monafterien: coplecjtenB iam primum
summa dili|gentia excnrum.
t
Hunc qui aperis et voluis librü: | etc. wie in Nr. 1. Unter dem Bilde des
Paulus: Excudebat Hero | Alopecius. Anno 1537. Ein Exemplar fand ich auf
Pergament abgezogen.
3. Den 154 Blättern des Psalterium ^ Sequuntur Vigijie Mortuoruip auf
20 Blattern ohne Zahlen, aber mit Signaturen; die sonstigen Eigenthümlich-
keiten entsprechen jenen des Antiphoniarium Nr. 2, ebenso im Titel die Seiten-
einfassung und das Monitum: Hunc qui aperis etc. Zur obem Einfassung des
Titels dienen die 4eckigen neben einander gestellten Bilder der 4. Evangelisten,
anten jene der Bekehrung des Paulus links, des SaWators rechts und der beiden
Apostelfursten in der Mitte. PSalteriü cum freque{tioribus Canonicarü horarü
Antiphonis: et Hymnis, pro Ecclefia ft dioceß Monartejrien. singulari diligetia
excufum. Kalenjdario 'X Vigiligs mortuorü adjectis | . Es wechselt der schwarze
Druck mit rothem. Einzelne Initialen und die kleinen Inschriften der Bilder
sind wie in Nr. 2 römisch. In allen drei Büchern erscheint dasselbe Bild des
Salyators und beherrscht die freieste, flottste Renaissance das Decorative, der
realistische die Gewandung in Augen brechende Stil das Figürliche, jedoch so
massvoll und gefallig, dass von einer Manier in vollem Umfange kaum die Rede
ist. Laut einer mir in Abschrift vom frühern Domwerkmeister Herrn A. Krabbe
mitgetheilten Urkunde des Capitelarchivs stellt das Münsteidsche Domcapitel
über den Druck des Graduals, Antiphpnars und Psalters dem »Meister Heroni
Alopecio, Buchdrucker zu Cölnc einen Schuldschein von 400 Joachimsthalem
aus mit dem Versprechen, diese Summe in gewissen Raten abzutragen, was 1540
laut der Rückschrift geschehen war: »Weddergekoft und berichtigt van den
Buchdrucker 1540. c ~ Das Bibliographische in Betreff des Gotius' Gedicht auf
die h. Jungfraui gibt Niesert Beitrage S. 27. — Das erste auswärtige Renais-
sance-Siegel, welches ich im Staatsarchiv zu Münster fand (Fürst. Münster, 2645)
hangt an einer römischen Urkunde des J. 1603, worin der Cardinal Raimundns
Ton St. Maria Novelia dem Uünsterischen Bischof Konrad mehrere Reliquien
96 Die kunstgeschichtL Besiehungen zwischen dem Rheinlande u. Westfalen.
vermacht. Die heimischen Siegel der Kaiser, Bischöfe, Fürsten, selbst der Ritter
verlassen am 1610 schon den gothischen Typus und nehmen von 1619—1582
immer mehr das Gepräge der Renaissance an.
^*) Au£fallend und bezeichnend für Nachlässigkeit und Geringschätzung,
mit der die Archäologie der Glocken betrieben wurde, ist es, wenn man bis
jetzt in der Entwickluugrggeschichte der Type vom Briefdruck bis zur beweg-
lichen Letter einerseits und beim historischen Verfolg der gedruckten Initialen,
gravirten Metallplatten und Holzmodeln bis zum mcchanisch-vervielfaltigenden
Gebrauch behufs des Holzschnitts und Kupferstichs anderseits die Lettern und
Formen der wandernden Glockengiesser (Voy. Viollet-le-Duc, Dictionnaire III,
288) unter den Vorläufern des Buch- und Bilddrucks ganz übersehen hat; denn
der Glockengiesser führte doch Formen für Blumen, Kreuze, Punkte und andere
Zeichen zum Eindrücken in die Form und zum Abdruck im Guss — und ebenso
alle Buchstaben des Alphabets, natürlich in den Zügen der Zeit, bei sich, um
sie entweder einzeln zu gebrauchen oder zu Worten zu componiren. Dies Ver-
fahren entsprach dem Buch-, jenes dem Bilddrucke. Da der Giesser gewöhnlich
nur ein selbstgegossenes oder sonst wie angefertigtes Alphabet mit den nöthigen
Formen für Zeichen und Ornamente besass, so lassen sich daran die Werke
eines und desselben Meisters unschwer erkennen, beziehungsweise solche, welche
nicht datirt oder mit dem Meisternamen versehen sind, nach seinen genauer
bestimmten Arbeiten bestimmen. Um dies Verfahren indess mit möglichster
Sicherheit handhaben zu können, bedarf es der genauesten Formbeschreibung
der Glocken und besonders bibliographisch exacter Copien der Inschriften, so
schwer diese auch in vielen Fällen wegen der dunkeln oder nur halbzugäng-
lichen Lage der Glocke zu nehmen sein mögen. — Die Hauptglocke zu Sinzig
ist laut Organ f. ehr. Kunst XIII, 164 reich mit Wappen und Medaillons (?)
verziert. Von den Majuskelinschriften lautet die untere für die ältere Zeit cha-
rakteristische: 0 rex glorie veni Cum pace, Anno Domini m^cc^Lxxxx^ mense
Mai fni fusa, die obere: Maria, rector celi nos tu dignare nos salvare. 0 et
Alpha nos ac^uva. A -f- i2. Die grösste Glocke zu Castrop entbehrt jener auch in
älterer Zeit nicht üblichen äusseren Decoration; nur verläuft ein rundlicher
Reifen über dem Schlagring, und oben an der rundlichen Biegung der Haube
fassen zwei Doppelreifen die Majuskelinschrift ein : Rector. celi nos. exaudi. tu. dig-
nare. nos. salvare. 0. et AUa. nos. adiwa (sie). Auf denselben Meister weisen Form
undSohriflzüge der zweiten und der kleinsten Glocke, diese mit dem altüblichen
Spruch: 0. rex. glorie. veni. cum. pace, jene mit: Vincit. xps. regnat. xps. inperat.
xps. — Gerhard de Wou, vielleicht der Sohn des gleichnamigen Glockengiessers Wil-
helm, gilt nun einstimmig für ein Kind der Stadt Campen in jenem Theile von Hol-
land, dem Deutschland dermalen so viele andere Kunstwerke verdankte; seine Wirk-
samkeit lässt sich von 1472 oder wie Andere wollen erst vonl476 bis 1602 nachweben.
(Smeddingk a. a. 0. VHI 163 f., v. Tettau, Meister und Kosten des Gusses der gros-
sen Domglooke zu Erfurt (Abdruck aus der Erfurter Vereins-Zeitschrift) 1866 S. 10
ff.). Drei seither unbekannte Werke hat er der Lambertikirche zu Münster hin-
terlassen, eine kleinere Glocke ohne Namen aus dem J. 1497, eine mittlere und
die grösste aus dem J. 1493. Die grösste, ein Pracktstück des Tones, der Form-
Die kunttgesohiolitl. fiasiehongen zwisohen dem RheinlAnde o. Westfalen. 97
Tollendmig und Schönheit omsiehen am Schlage 3, über demselben 5 zu dem
mittleren in elegantem Metallprofile an* und absteigende Reifen, die Schrift
oben am Mantel verläufb beiderseits zwischen einer stehenden oder hangenden >
Einfassung von Perlschnur, weich anschwellenden Beifen und Blumenkamm i
und wird unterbrochen von Rosetten und einem Revers-Abdrucke eines Ham-
burger Groschens:
Sum tuba magna Dei, divi sub nomine patris
Lamberti populos ad sacra templa vocans.
Gherardus de Wou Campensis me fecit anno Domini Moooozoin.
Gleiche Behandlung und Ausstattung zeigt die mittlere Glocke, nur unterbrechen
die Schrift 5 Abdrucke, nämlich die Evangelistensymbole mit namentragenden
Spruchbändern und das Gottesiamm in der Mitte. Der Schluss der Inschrift
lautet: Gherardi Wou Campensis erarij opus ^nno Domini Mooooxom. Das noch
grössere Geläut zu Elecklinghausen zeigt die hier genannten Formsohönheiten
in vergrössertem Maasse; die Blumenkämme der Sohrifleinfassung schwellen
förmlich zu Trauben an. — Wolter Westerhues wohnte zu. Münster auf der
Rothenburg und lieferte seine form- und klanggerechten Kunstwerke seinem
Yaterlande und der Umgegend, vom Emslande bis zum Niederrhein in den J.
1499 — 1526. üeber sein Leben und seine Arbeiten liefert inschriftliches und
urkundliches Material Kordhoff im Organ für ehr. Kunst (1868) XVIII, 89 f.,
(1669) XJX, 19 f. Seine Glocken zu Grieth und Niedermörmter erwähnt Zehe,
Histor. Nachrichten über Glockengiesserkunst 1867, 8. 11. — Die Arbeiten
Johan's von Düren zu Siegen und ihre Inschriften bringt Lübke a. a. 0. S. 416. —
Ueber die Arbeit Joh.'s v. Neuss zu Weitmar ertheilte mir Herr Dr. C. Mertens
zu Kirchborchau briefliche Auskunft: die schöne Glocke zieren an beiden freien
Seiten im ganzen 4 Bildwerke, oben rundliche Reifen und die einzeilige In-
schrift Jus X Maria z heissen x ich x Jan van Nuis gois mich XYXXII. -*
Die erwähnte Glocke zu Werth umziehen in regelmässiger Anlage Reifen und
oben die Inschrift: Henürick van Trier hat mi gegoten 1576, jene zu Anholt,
über Mittelgrösse, trägt zwei kleine Reifen über, und ebensoviele an dem stark
aasladenden Schlagring, oben am Mantel über dem Schriftbande einen noch
gothisirenden Blumenkamm, unter der Schrift ein kraus verflochtenes Zierband
von Blättern, Meeijungfem und andern Renaissance- Ornamenten: Doer dat vyer
byen ick gevloteui Peter van Trier ende Johan Philipsen hebben mi gegoten
. . . 1636. — Claudius Lamiral und der Westfale Antonius Paris gössen 1647
ein schweres Geläut für die Abteikirche zu Siegburg (Smeddingk a. a. 0. YIU.
214); der erstere, dem auch die grösste Glocke zu Olfen von 1640 angehört,
ist dem Namen nach Ausländer, vielleicht wie die beiden Paris aus Lothringen
gebürtigi wenigstens kam dorther nach einer brieflichen, dem Pfarrarchiv zu
Ahsen entnommenen Anzeige des Herrn Pastors Lorenz zu Waltrop Johannes
Paris, der als frater laicus minoris ordinis s. Francisci, oder ordinis minoris
strictioris observantiae, oder als observans, wie er sich nannte, von 1638—1656
eine Reihe von Glocken meistens im Münsterlande gegossen hat und deshalb
vielleicht früh ins Minoritenklost^r zu Münster getreten war. Werke seiner Hand
7
98 Dia kaiutgefloliielitl. Bdsielrangen swisehen dem Rheinlande u. Westfalen.
finden Bich sra Sfldkirchen bei Werne 1688, in Albachten bei Müneter 1661, m
Seppenrade und Olfen bei Lüdinghansen 1664, En BöBensell bei Münster 1666,
an Weslam bei Soest nnd in der Petrikirche zu Dortmnnd. Die Namensgleich-
heit, der schlechte meist unToUständige Gnss, die überladene Decoration des Man-
tels, das Bild des Kreuzes gestellt zwischen mehrere yielleicht iiir mystisch gehal-
tene Blätter (Kratz, Zeitschr. des bist Yer. f. Nieder^achs. 1866, k 868 f.), die
Arbeitszeit sind dem Johan wie dem Anton Paris nnd Lamiral gemeinsam und deuten
also anf eine gemeinsame Herkunft hin. Jedenfalls hat Anton Paris, als Lamiral's Ar-
beiten aufhörten, das hiesige Geschäft allein fortgesetzt. Von Steinen nennt a. a. 0.
m, 1209 als Meister der 1660 **/a gegossenen Brandglocke zu Altena »Anton von
Pariss aus Schwerte bürtig«. Die Lösung dieser Widersprüche sp&tem Funden
Überlassend, haben wir von seinen Arbeiten noch 3 Glocken zu Freckenhorst
(1646), eine in der evangelischen Kirche zu Hattingen 1662 und eine zu Alt-
lünen 1661 zu verzeichnen. — Die grosse Dinckelmaiersche Glocke zu Dorsten
zieren Reifen an und über dem Schlage, eine Johannesfigur am Mantel und oben
ein herabhangendes Blattwerk aIs Stütze der Inschrift : Godfried Dinckel-
maier von Collen hat mich gegossen 1782; die kleine zu Polsum hat nach einer
Mittheilung des Herrn Notarp jun. zu Münster die Inschrift: Ich rope euch zur
Kirchen, um euer heil zu wirken. Gottfried DInckelmaier van Collen hat mich
gegossen. 1788. üeber die Kölner Giesserfamilie Dinckelmaier, die wahrschein-
lich von Nürnberg stammt, und andere Werke am Eheine vgl. Smeddingk im
Organ f. ehr. Kunst. VIII, 224. — Die Arbeiten der Voigts von Isselburg halten
für ihre Zeit eine löbliche Höhe in Form und Ton. Nachdem 1746 in einem
vom Blitz aus heiterm Himmel entzündeten Thurmbrande die 7 alten, schönen
Glocken zu Bochold bis auf eine als zerschmolzene Metallstücke herabgefallen
waren (Nunning, Monumenta Monasteriensia I, 411), wurde allmälig die grösste
Glocke wiedergegossen mit der Inschrift: Chrbtian Voigt et Christian
Diederich filius duc(atu8) Cliviae Isselburgenses me fnderunt. Als »ohurfürst-
lich-münsterischer privilegirter Klockengiesserc arbeitete Christian Wilhelm
Voigt 1766 für Wulfen bei Haltern, 1776 für Bamsdorf, 1777 für Dühnen, 1786
für Wesecke bei Borken, als ducatus Cliviae Isselburgensis 1779 für Watten-
scheid und Hövel bei Werne — ; Christian Wilhelm Voigt der Vatter et Rutt-
gerus Voigt der Sohn für Dortmund, 1767 für Herbem, 1768 für Werne, —
Johann Rutger 1790 für Dingden. — Die Mabillots aus Coblenz nennen sich
Stuck und Glockengriesser. Sie pfiegen ihre Arbeiten formel mit Ornamenten zu
überladen, die Schrift mit Zierb&ndem einzufassen, den Mantel mit einem von
Blattwerk umgebenen Bilde zu beleben und die Inschrift durch Handweiser
einzuleiten. Maurice Mabillot (beide Namen klingen nach französischer Herkunft)
Stucke- und Klockengiesser goss 1777 eine kleine Glocke für Mesum bei Rheine,
Andreas Mabillot, vielleicht des erstem Sohn, goss in unschönem Formen eine
grössere für die Kirche zu Notuln und 1777 eine kleinere für die Ludgeri-
kirche zu Billerbeck, als »churfürstlich-Trierscher Stucke- und Glookengiesser
1777 eine grössere, 1778 eine kleinere für Rorap. Von Joan et Andreas Mabillot
stammen die drei Glocken au Stromberg bei Oelde aus dem Jahre 1781. — Das
k*--^
Die kanttgesohiohtl. Beoehongeii zwiaehen dem Rheinlande u. Westfalen. d9
weitgreifende Material über die Petita einigermassen tu verarbeiten, geht
hier nicht an.
'*) Unviderleglicher, als gleichzeitige Berichte, beglaubigen das üppige
Kunst- und Culturleben der Stadt Münster während des dreissigjährigen Krieges
jene stolzen (von 1540) bis 1667 in fast ununterbrochener Folge sich erhebenden
Giebel an den belebtesten Strassen der Stadt, und ebenso schlagend bezeichnet
das Benehmen Bernhards von Galen die Yemichtung der Stadtblüthe, da seit
1661 nur mehr ein Haus (1668) im missverständlichen Renaissancestil erstand,
wahrend ein anderes vom J. 1665 in edlern Formen als adeliger (Schmiesinger)
Hof die der bürgerlichen Kunst gefolgte adelich-höfische einleitet. Einflüsse
rheinischer Benaissancearohitektnr sucht man vergebens; nur die sehr reiche
Fa^^ade einea Bürgerhauses (Ohm), welche die Sage wegen der ungewöhnlich
prunkenden Stilcharaktere von Italien (Mantua) direkt nach Münster versetzt,
dürfte wegen der Aehnlichkeit des geometrischen Ornaments — , der Atlanten
und Karyatiden unter dem Eindrucke des Kölner Rathhauses geschaffen sein.
— Die Berufung des Baumeisters Gottmann zur Restauration des Sparrenbergs
enthält L. v. Ledebur's Sperrenberg 1842, S. 74. — Auffallend ist, dass Leon-
hardt Thumeisser 1570 zu Münster für die Tafeln seiner Archidoxa und Quinta
Essentia keine Formschneider in Holz finden konnte (Becker in der Zeitschrift
für Geschichte und Alterthumakunde Westfalens I, 245)» wie solche doch den
altern Druckern zu Diensten gewesen waren (Vgl. Niesert, Beiträge zur Buch-
dmckergeschichte S. 14 ff.), und dass er deshalb die ihm von dem Maler Her-
man tom Ring ^ angefertigten Zeichnungen von Remigius Hogenberg in Köln
musste stechen lassen (Becker in Kugler's Museum (1837) Y, 4). — Die dom-
oapitularischen Rechnungen »circa annum Domini 1622 & 28« über die Her-
stellung des Hochaltars im Dome und die Anfertigung der Flügelbilder sind
noch im Original vorhanden. — Von den 86 Portraits der Friedensgesandten
im Bathhause führen insohrifUich nur zwei von Gerhard Terburg, und wenn er
dennoch nach Fiorillo lU, 132 auf dem Friedenscongress 1648 »beinahe alle dort
versammelten G^esandten mahlte«, so kann sich diese Nachricht nicht auf die
Einzelportraitsi sondern auf das Bild der den Frieden beschwörenden Gesandten
beziehen. 34 Portraits fertigte laut Contracten und Rechnungen im Stadtarchiv
sein Landsmann Jan Baptist Floris. (Vgl. Westfal. Merkur 1873 Nr. 89.) — Die
Verhandlungen Bernhards von Galen mit den Augsburger Goldschmieden Johan
Spring undlsac Bozbart, der sich auf Grund seiner Seereisen nach Indien als Kenner
dea Sofaiffabaua ausgab, über die Anfertigung des silbernen Schiffes fallen in
das Jahr 1676 und aind mir vom Herrn Archivsecretar Sauer aus dem Münste-
riacfaen Staataarchiv mitgetheilt. — In dem Dunkel, welches bis jetzt die Kunat-
geechichte der beiden letzten Jahrhunderte umhüllt, findet man Nachrichten,
wie sie F. v. Mering, Geschichte der Burgen, Rittergüter, Abteien und Klöster
in den Rheinlanden und den Provinzen Jülich, Cleve, Berg und Westphalen (1842j
TI, 61—78 über den kunstliebenden Bischof Clemens August von Köln und
Münster veröffentlicht, schon dankenswerth. — Die Angabe über italienische
Künstler beruht auf Acten in Privatarohiven.
^^.
F4. '
"^
3. Ein romischer Fund in Bandorf bei Oberwinter.
Hierzu Tafel XIII u. XTV.
Bereits im März 1870 wurden nahe am Wege von Bandorf nach
Oberwinter, kaum einige hundert Schritte vom erstgenannten Orte
entfernt, beim Umspaten eines Feldes in der geringen Tiefe von
IV2 Fuss eine römische Ära und ein Götterbild gefunden, das, in
liegender Gestalt, die linke Hand auf eine Urne stützt, während dem
linken Fusse sich ein Defphin anschmiegt. Unverkennbar ist der dar-
gestellte Gott ein Neptun, oder ein Flussgott, der, wie die Urne zeigt,
einen Brunnen geziert hat. Als mir im Sommer desselben Jahres die
Nachricht zukam, dass man an diesem Orte einen Stein gefunden
habe, auf dem ein Ritter zu sehen sei, dem ein Vogel in den Fuss
picke, glaubte ich, dass es sich um irgend ein Steinbild aus dem
Mittelalter handle und schenkte der Mittheilung wenig Beachtung.
Erst am 14. Februar vorigen Jahres begab ich mich mit Prof. Bitter
nach Bandorf. Als uns der Besitzer des Feldes und d6r Finder der
beiden Denkmale, Herr J. Loosen daselbst, das erste Bruchstflck des
zerbrochenen Steinbildes brachte, erkannten wir sofort, dass es sich
^ um einen werthvollen Fund des römischen Alterthums handle. Nach
der Angabe des Finders wurde zuerst in der angegebenen Tiefe eine
k 6' Rh. lange, 4' breite und 2V2' hohe Steinplatte gefunden, die wie
ein Feuerheerd aussah aber zerbrochen war, sie soll wie von Feuer
[:; geschwärzt gewesen sein und Kohlem^este lagen daneben. Loosen hat
f'J-^ : an der Ecke eines neuen Hauses ein Stück dieses Steines eingemauert,
q. es ist ein Berkumer Trachyt, der also von den Römern schon gebrochen
wurde. Zwei Fuss neben dieser Steinplatte lagen die Bruchstücke der
kleinen IOV2" Rh. grossen Ära, und zwei Schritte daneben die drei
Stücke der 20'' langen und 14" hohen Brunnenfigur. Beide liessen
'^'' sich indessen vollständig wieder ergänzen. Auch einen schweren
^^'^V römischen Dachziegel, 16" lang und 12 Vs'' breit, sowie eine viereckig^
Ein romisoher Ftind in Bandorf bei Oberwioter. 101
11 '' lange und breite und 1 V2 '' dicke Ziegelplatte, an der sich keinerlei
Abzeichen fand, hatte der Finder aufbewahrt. Auch Stücke gebrannten
Thones, die mit Blumengewinden verziert, aber abhanden gekommen
waren, sowie das Ende einer Geweihspitze vom Hirsch lagen an derselben
Stelle. Als wir den Fundort, ein Kleestück, in Augenschein nahmen,
« entdeckten wir noch eine grosse Menge kleiner Scherben von Thon-
gefassen und Ziegeln und mussten es fUr sehr wahrscheinlich halten,
dass eine Nachgrabung hier auf Fundamente eines römischen Gebäudes
fuhren werde. Der Besitzer des Grundstückes erklärte sich auch
bereit, im Spätherbste vorigen Jahres eine solche zu gestatten. Noch
. jetzt kreuzen sich an dieser Stelle drei Wege und ein Bach fliesst in
der Nähe vorbei. Die ganze Gegend ist wasserreich, eine nahe gelegene
Wiese besitzt 3 Quellen, die, wenn die Brunnen des Ortes bei langem
Regenwetter trübes Wasser geben, als Trinkwasser benutzt werden.
Loosen zeigte uns auch in der Nähe dieses Ortes die Spuren ge-
mauerter unterirdische^ Wasserleitungen in seinen Feldern. Es kann
nicht fiberraschen, in diesem fruchtbaren, mit vortrefflichem Quell-
wasser versehenen Thale, dessen besonders geschützte warme Lage
der ' üppige Baumwuchs noch heute erkennen lässt, die Spuren einer
römischen Niederlassung zu finden, während die Erhaltung eines so
bemerkenswerthen römischen Bildwerkes in so geringer Tiefe des
Bodens und nahe am Wege sich aus der von der grossen Verkehrs-
Strasse am Rheine abgelegenen stillen Lage des Ortes erklärt. Bandorf
liegt in einer Abzweigung des Unkelbachthales, das unterhalb Remagen
gegen den Rhein sich öffnet. Unzweifelhaft hat von Remagen aus
«ne römische Strasse .zur Verbindung des Rheines mit dem Binnen*
lande durch das bei Remagen sich weit öffnende Thal des Unkelbachs
bestanden, in der Richtung nach Gelsdorf, wo römische Gräber mit
werthvoUen Glas- und Thongefässen aufgefunden worden sind ^). Die
erste Mittheilung über den Fund der Ära und des Neptun machte ich
in der in Bonn zur Winckelmannsfeier veranstalteten Sitzung des Vereins
von Alterthumsfreunden im Rheinl. am 9. Dezember 1872. Ich sprach
mich für die Annahme aus, dass an einer vielgebrauchten römischen
Heerstrasse, da, wo sich mehrere Wege kreuzten, ein öffentlicher
Brunnen und zugleich ein vielleicht in einer Kapelle aufgestellter
römischer Altar gestanden hätten, und erwartete weitere Aufklärung,
wenn eine sorgfältige Aufgrabung auf der Fundstätte werde ver-
>) Jahrb. XSSUL und XXXIV 1868. S. 224.
102 Ein römiBOher Fond in Bai^dorf bei Oberwinter.
anstaltet werden können. Diese wurde denn auch auf Kosten des
Vereins am 18. Dezember in Angrifif genommen und unter des Herrn
Prof. aus'm Weerth und meiner Aufsicht bis zum 24. Januar 1873
fortgesetzt. Die aus Jurakalk gefertigte Ära trägt, wiewohl der Stein
etwas verwittert ist^ die noch leicht lesbare Inschrift:
DEO
INVICT
REGIPR
OBONO
COMVN
Auffallend erscheint es> dass das Wort Deo auf dem Gesimse
der Ära selbst eingehauen ist. Dies ist indessen auf einem Votivstein
mit einer dem Mercur geweihten Inschrift, Nr. 888, sowie auf d^n
dem Mithras geweihten Yotivsteinen Nr. 645 und Nr. 1456 des Bram*
bach^schen Verzeichnisses auch der Fall.
Die Buchstaben sind die des 3. und 4. Jahrhunderts unserer v'
Zeitrechnung. Die einfach schöne Weiheschrift : „Dem Gotte, dem un-
besiegbaren Herrscher, für die öffentliche Wohlfahrt,'* erinm^ mit
grosser Bestimmtheit an den Mithrasdienst. Die Bezeichnung Invictus
ist für diese Gottheit ganz gewöhnlich. Auf einer Münze des Kaisers
Elagabalus, der selbst Mithraspriester war, lautet die Inschrift des
Reverses : Invictus Sacerdos Aug. Auf Münzen des Probua kommt der
Revers: Soli Invicto, auf dem des Constantinus magnus das Soli
Invicto Gomiti häufig vor. . Unter römischen Inschriften, die in den
Rheingegenden gefunden sind, begegnet man solchen, die sich auf den
Mithras beziehen und ähnlich lauten, nicht selten. Bei Brambach,
Corp. Inscript. Rhenan. 1867, finden sich die folgenden, deren Vor-
kommen auf die Verbreitung des Mithrasdienstes durch die römischen
Legionen bezogen werden darf. Die Bezeichnung D(eo) I(nvicto)
M(ithrae) kommt vor auf Nr. 1036 aus Mainz, Nr. 1413 von Friedberg,
1463, 1464 und 1465 von H^dernheim; Deo Dol(icheno) auf Nr. 1456
und 1457 von Heddemheim; I(nvicto) M(ithrae) auf Nr. 1466 von
Heddemheim, Soli Invicto Mi . . ae auf Nr. 1584, bei Heilbronn
gefunden, hier wird die 8. Legion erwähnt; D(eo) S(oli) I(nvicto)
M(ithrae) auf Nr. 1730 von Osterburken in Baden, in dieser Gegend
stand, wie aus mehreren anderen Inschriften hervorgeht, die 8. und
die 22. Legion; 'S(oli) I(nvicto) M(ithrae) auf Nr. 1568 von Murrhardt
im Neckarkreis, Soli Invicto %uf Nr. 55 von Vechten bei Utrecht ; hier
Ein römitoher Fond in Bandorf bei Oberwinier. 108
werden mit dem Mithras aach Jupiter, Apollo, Luna, Diana, Fortuna,
Mars, Victoria und Fax genannt ; Deo Soli I(nvicto) M(ithrae} P(ro)
S(alute) I(mperii) auf Nr. 285 von Dormagen, D(eo) S(oli) I(nYicto)
Imp(eratori) auf Nr. 286 von ebendaher. Das Deo Sol(i) kommt
vor auf Nr. 1719 aus Lobenfeld in Baden, Deo Invicto auf Nr. 384
aus Cöln, auf Nr. UOl und 1402 aus Lengfeld in Hessen und auf
1720 aus Lobenfeld, Deo Invicto C(omiti) auf Nr. 1467, auf diesem
Steine aus Heddemheim wird die 32. Gehörte genannt, ^(ithrae)
kommt vor auf Nr. 1579 von Feibach in Würtemberg, Soli auf
Nr. 388 aus COln, Soli Serapi auf Nr. 330 ebendaher, Soli et Luna^
auf Nr. 1838 aus Nfthweiler im Elsass, auf zwei andern Inschriften
derselben Gegend werden wieder die 8. und die 22. Legion erwähnt;
Lunae Solique (?) auf Nr. 151 von Birten bei Xanten, hier wird die
30. Legion angefahrt. Ein Sacerdos Dolicheni wird auf Nr. 645 aus
Remagen genannt. Dieses Denkmal gab Braun Veranlassung zu seiner
Schrift: „Jupiter Dolichenus.'' Die ganze Inschrift lautet: In honorem
domus divinae Arcias Marinus sacerdos Dolicheni donum donavit equi-
tibus cohortis primae Flaviae Decio et Orato consulibus. Dieser
Yotivstein wurde also unter dem Consulate des Decius und Gratus,
das ist im Jahre 250 errichtet. Braun führt merkwürdiger Weise
einen in Camuntum in Pannonien gefundenen Stein an, mit der
Widmung I(ovi) 0(ptimo) M(aximo) D(olicheno), auf dem ebenfalls
ein Marinus als Priester des Jupiter Dolichenus genannt ist. Der
Wechsel der Standquartiere in Pannonien und dem Bheingebiet ist
für viele römische Legionen festgestellt. Der Name Dolichenus kommt
von der Stadt Doliche, die in der römischen Provinz Commagene am
Euphrat im nördlichen Syrien lag und zur Zeit der Antonine blühend
war, von Strabo aber noch nicht genannt wird. Die Beziehungen der
ersten flavischen Gehörte zu dieser Provinz sind auch anderweitig
nachweisbar. In einer von Mommsen beschriebenen Inschrift der
Sammlung in Neapel wird der cohors prima Flavia die Bezeichnung
Commagenorum zugefügt Auf einem zu Friedberg in der Wetterau
gefundenen gebrannten Steine heisst die erste flavische Ciohorte Da-
mascenorum milliaria und auf einer ebendaselbst gefundenen Inschrift
kommt dieselbe auf Syrien hinweisende Inschrift vor. Diese Cohorte
hat aber auch ihr Standquartier in einer Stadt von Palästina gehabt,
wie Panqirollus angiebt. Die Beziehungen der Stadt Doliche oder
Dolichene zum assyrischen (Gottesdienst gehen aber aus einer von
Reinesius mitgetheilten Inschrift hervor, in der es heisst: Junoni
-l'*
V
t.:--.
104 Ein römischer Fand in Bandorf bei Oberwintar.
Assyriae Beg. Dolichenis ^). Wir entnehmen aus unserer Inschrift und
den andern beigebrachten Daten, sagt Braun, dass, während römische
Soldaten in verschiedenen Gegenden Deutschlands, namentlich an den
Ufern des Rheines, dem Jupiter Dolichenus Gelübdesteine errichteten,
ein Priester dieses in weiter Feme, an den Ufern des Euphrat ver-
ehrten Gottes in unserer Nähe zu Remagen seinen Wohnsitz hatte.
Es ist gewiss eine auffallende Bestätigung der Annahme, dass durch
die römischen Legionen der Mithrasdienst aus den östlichen Provinzen
des Reiches an den Rhein gebracht worden ist, wenn wir erfahren^
dass eine mit der Bandorfer nahe übereinstimmende Inschrift in Ofen,
also einer Stadt Unterpannoniens, gefunden worden ist. Sie ist bei
Orelli-Henzen III unter Nr. 5854 aufgeführt und lautet:
SOLI
INVICTO
ETPRO
BONOC
OMVNI
Schmidt, Oesterr. Blätter 1846. p. 380.
Ueher die Verlegungen römischer Legionen aus den östlichen
Provinzen des Reiches in die westlichen uud umgekehrt verdanke ich
Herrn Prof. Floss folgende Angaben: Der Prätorianische Flügel, ala
Praetoria, der in Cöln erwähnt wird, lag unter Domitian; 85 n. Chr.
in Pannonien. Der Frontonianische Flügel, ala Frontoniana, stand bei
Neuss, war unter Vespasian und Domitian in Britannien, unter Trajan
106 n. Chr. in Britannien und später in Dacien. Die Legio XIV
gemina lag seit 71 n. Chr. in Mainz, scheint aber schon unter Nerva
nach Ober-Pannonien abgerückt zu sein. Die Legio I adjutrix lag zu
Mainz und wurde aus Dalmatien und Pannonien rekrutirt; um 140
lag dieselbe in Pannonien. Eine Cohorte der Asturer und Galläcier,
zweier spanischer Völkerschaften, stand bei Mainz ; sie lag unter Titus
und bis zu den Zeiten des Marc Aurel und Lucius Verus in Pannonien.
In Cöln wird eine dritte Lusitanische Cohorte genannt, sie stand unter
Trajan, Marc Aurel und Lucius Verus in Vorder-Pannonien. Die erste
thracische Cohorte ist im 1. Jahrhundert und wieder um 116 am
Mittelrhein, unter Hadrian rückte sie nach Pannonien, wo sie sich noch
bis ins 5. Jahrhundert verfolgen lässt. Die zweite asturische Gehörte
>) Braun, Jupiter Dolichenus Bonn 1852, S. 6.
w
t
Bin rdmifldier Fund in Bandorf bei Oberwinter. 105
ist unter Trajan im Brohlthal; unter Domitian lag sie in Pannonien,
unter Hadrian ist sie in Britannien, unter Marc Aurel und Ludns
Verus, Yielleicht auch unter Antoninus Pius wieder in Pannonien, zuletzt
vielleicht in A^^ypten. Der erste Flügel der Thraker steht in den
Niederlanden, unter Domitian war er in Judäa, unter Trajan in
Britannien, unter Marc Aurel und Lucius Verus in Nieder-Pannonien.
Eäne sechste thracische Gehörte ist in Mainz bezeugt, sie lag unter
Domitian in Pannonien. Ein Flügel der Ituraer steht bei Frankfurt,
er stand unter Trajan in Da^en, unter Marc Aurel und Lucius Verus
in Pannonien. Ein erster Flngel der Scubuler unter Vespasian und
Trajan in Ober-Germanien, stammte aus einer Pannonischen Völker-
schaft dieses Namens. Die Legio X gemina aus Spanien stand seit
71 in Nymwegen, Antoninus Pius verlegte sie nach Unter-Pannonien.
Wiewohl diese häufigen Versetzungen römischer Legionen sich
meist in einer firöheren Zeit ereigneten als die ist, aus welcher der
uns hier beschäftigende Fund herrührt, so enthalten sie doch den
Beweis für die wiederholten Beziehungen, die zwischen den Besatzungen
•
des Bheingebietes und Pannoniens stattfanden und gewiss auch später
fortdauerten. Die Uebereinstimmung römischer Inschriften aus beiden
entfernten Gegenden, die sich auf einen besonderen Cultus beziehen,
erhalten dadurch eine befriedigende Erklärung.
Ungewöhnlich muss auf unserer Ära die Bezeichnung *des Mithras
als Bex erscheinen; wiewohl die als Imperator vorkommt und die
Widmung Mercurio Regi auf einem bei Nymwegen gefundenen, von
Brambach unter Nr. 70 angeführten Steine sich findet, und noch
einmal, wiewohl zweifelhaft, auf Nr. 79. Auch darf hier angeführt
iferden, dass nach Winckelmann ^) auf einer Münze des Kaisers
Claudius Gothicus Vulkan mit Amboss, Zange und Hammer abgebildet
ist; dieselbe hat die Umschrift: Regi Artis. Die Widmung Junoni
Beginae kommt sehr häufig vor, zumal in Verbindung mit Jovi optimo
maximo. Im Brambach'schen Verzeichniss stammen die meisten dieser
Inschriften aus Mainz und seiner Umgegend, und, was für uns Be-
deutung hat, viele von Orten, wo Mithras verehrt wurde, so Nr. 1451,
1453 und 1493 von Heddernheim, 2063 von Osterburken. Wir dürfen
schliessen, dass die Beiworte Bex und Begina um diese Zeit üblich
waren. Stark bemerkt in Bezug auf die Inschrift des einen oben an-
geführten Steines von Dormagen, auf dem er mit Lersch D(eo) S(oli)
^) Joh. Winokebnann'B sämmtL Werka, Donsueflchingen 1826. IX. S. 85.
106 Ein i'ömisoher Fand in Bandorf bei Oberwinier.
I(nyicto) Imp(eratori) und nicht mit Fiedler Imperio statt ex Imperio
oder Impensa statt sua Impensa liest, dass er den Beinamen Imperator
für den Mithras nicht kenne, wiewohl er für Jupiter gelte« Doch
findet er, dass derselbe der mit der Verehrung des Imperators eng
verbundenen Natur des Mithraskultus im römischen Heere sehr wohl
entspreche. Der Gebrauch des Wortes Begi in unserem Falle recht-
fertigt wohl die Lesung Imperatori in jener Inschrift Auch möchte
die Deutung der Buchstaben P. S. I. in der Inschrift eines zweiten
Steines von Dormagen als : Pro Salute. IiQperii, wie Lersch vorschlug,
durch die auf unserer Ära ausgeschriebenen Worte Pro Bono Gomun(i)
ihr Gleichniss finden.
Nicht so leicht wie die dem Mithras geweihte Ära ist das Bild
des Neptun zu deuten, und es entsteht sogleich die Frage, ob nicht
blos ein Fluss- oder Quellengott in dieser Figur dargestellt sei. Das
Bildwerk besteht aus demselben Jurakalk wie die Ära, und zeigt eine
etwas derbe aber stilgemässe Ausführung des fast ganz nackten
Körpers. Der kräftige Gliederbau, die breite muskulöse Brust, das
in eigenthümlicher Weise geordnete Haupthaar, welches über der Stime
emporstrebt und der in regelmässige Zwickel getheilte Bart, endlich der
Delphin, dessen Mund den linken Fuss des Gottes berührt, während
die rechte Hand des letzteren auf der Schwanzflosse desselben liegt, endlich
das hinter dem Rücken herabhängende, und nur die linke Schulter
und den rechten Vorderarm bedeckende Gewand deuten sehr bestimmt
auf die Darstellung des Neptun. Schon Meyer bemerkt in einer Note
zu Winckelmann >) dass die Bilder dieser Gottheit, deren Verehrung
bei den Griechen eine allgemeinere war als bei den Römern und von
diesen unverändert aus der griechischen Mythologie übernommen
worden war, im Alterthum sehr selten seien, und dass ausser der
von Winckelmann angeführten grossen Statue eine kleinere zu Dresden
(Becker, August. Taf. 40) und auch einige Figuren Neptuns auf er-
habenen Arbeiten bekannt seien. Auf geschnittene Steine und Vasen-
gemälde bezieht sich diese Bemerkung nicht, sondern nur auf die
plastischen Darstellungen des Neptun. Auch am Rheine sind solche
Funde selten. Im Mainzer Museum befindet sich nach einer Mit-
theilung von Liudenschmit weder unter den Skulpturen noch unter
den Bronzen und Terrakotten ein Bild dieses Gottes, ebensowenig ist
') Winckehnann a. a. 0. lY, S. 186.
Ein römiaoher Fand in Bandorf bei Oberwinter.
107
ein solches in Wiesbaden vorhanden. Auf mehreren der bereits an-
geführten Votivsteine der Nehalennia von Zeeland, auf Nr. 27 bis 31
bei Crambach, ist dem Hercules gegenüber Neptun dargestellt, auf
Nr. 28 mit Delphin und Dreizack, auf Nr. 45 mit der Pappel und dem
Dreizack, lieber die Art der Darstellung des Neptun bei den Alten
macht Winckdmaon folgende Angaben. Es ist ihm eigenthümlich,
dass er wie Jupiter unbekleidet mit prächtiger gewölbter Brust
dargestellt wird; Winckelmann erinnert dabei an die Ilias n 479.
,,Gewöhnlich ist er auf einem Wagen von Meerpferden gezogen; auf
einem Steine des Stoschischen Museums aber steht er auf einem Wagen
von 4 wirklichen Pferden gezogen und entführt die Amymone, die er
in den Armen hält. Sein dreizackiger Scepter soll nach dem Plutarch
das dem Neptun zugefallene dritte Loos, das Meer bedeuten; es ist
dieser Scepter aber nichts anderes als ein Fischerwerkzeug, womit
diese die grossen Fische, zumal den Spada fangen und tödten, es hiess
fusdna. In der linken Hand hält Neptun zuweilen ein aplustre, ein
Zierrath am Hintertheil des Schi£Ees. Eins von dessen Zeichen ist ein
Pferd, wovon die Ursache aus der Fabel bekannt ist An einem
Oefässe von Erz in dem Herkulanischen Museum macht ein Pferd den
Henkel, indem die Vorderfüsse auf dem Rande des Gefässes liegen;
es kann dies bedeuten, dass das Gefäss bei Opfern dieser Gottheit
gebraucht worden. Auf dem Pferde hat sich ein Delphin um den
Trident gewunden. Einen Delphin hält Neptun, weil er durch den-
selben die Amphitrite, die sich vor seinen verliebten Verfolgungen
verbarg, entdeckte. Wo ein Knabe mit einer Schale in der Hand
neben demselben steht, kann dieser den Pelops bedeuten, der von
Nepton wegen seiner Schönheit entführt wurde. Was der Hippokam-
pns ist, welchen nach Strabo eine Statue des Neptun in der Hand
hielt, wissen wir nicht; einige meinen, es könne vielleicht ein Pferde-
zaum sein, wir finden ihn aber auf keinem alten Denkmal mit diesem
Zeichen. Von dieser Gottheit hat sich nur eine einzige grosse Statue
zu Rom erhalten, die in der Villa Medicis steht'^ 0- An mehreren
SteDen spricht er von dieser grossen und schönen Statue, die zu
Korinth nebst einer Juno ausgegraben worden und zu J. Caesars Zeit
oder nicht lange nachher verfertigt worden ist. Auf dem Kopfe des
Delphin, zu den Füssen der Statue findet sich die griechische Inschrift,
welche besagt, dass die Statue von Publius Licinius Priscus, einem
^) Winckelmaan a. a. 0. IX, S. 83.
■«
106 Ein rtmiflcher Fand in Bandorf bei Oberwinter.
Priester des Neptun gesetzt worden ist <). Winckelmann macht wieder-
holt darauf aufmerksam, wie schon durch die Behandlung des Haupt-
haares und des Bartes einige der Hauptgöttergestalten sich unter-
schieden. Die Darstellung des Neptun, ist der des Jupiter verwandt,
mit ihm führt er auch den Blitz. ,;An der Neptunstatue in der Villa
Medicis ist der Bart krauser, und über der Oberlippe dicker, die Haare
sind lockichter und erheben sich auf der Stirne verschieden von dem
gewöhnlichen Wurfe dieser Haare am Jupiter *). Der Bart ist nicht
etwa länger oder so wie er bei andern dem Neptunus untergeordneten
Meergöttem zu sein pflegt, das heisst: gestreckt und gleichsam nass,
sondern er ist krauser als beim Jupiter und der Enebelhart ist
dicker^' '). Beim Jupiter bezeichnet Winckelmann das Haar als von der
Stirne aufwärts gerichtet und im Bogen herabfallend und das Ohr
bedeckend wie beim Löwen, indess. beim Herkules das Haar aber der
kurzen Stirne kurz ist wie beim Stier. „Der Herkules auf einem
Altar des Museum Capitolinum hat kein anderes Kennzeichen als den
Bart, welcher spitzig ist und woran sowohl als an den Haupthaaren
die Locken durch kleine Ringeln oder vielmehr Kügelchen reihenweise
angedeutet sind, welches die älteste Art der Form und der Arbeit der
Barte war" ^). Dass die Behandlung des Haars auch von der Kunst-
epoche abhängt, räumt Winckelmann selbst ein. Er sagt : „an Figuren
des ältesten Stils pflegen die Haare geringelt und in kleine Locken
zerlegt zu sein, frei und ungezwungen in der Blüthe der Kunst, müh-
selig und fast bbs mit dem Bohrer gearbeitet, als die Kunst in Verfall
zu gerathen anfieng''^). Nach K. 0. Müller*) wird Poseidon oft mit
gesträubtem, wild durcheinander geworfenem Haar gebildet, während
Zeus einen von der Mitte der Stirn emporstrebenden und mähnenartig
zu beiden Seiten herabfallenden Haarwurf hat. An unserer Neptun-
statue sind die Haare des Hauptes über der Stirne hoch emporgerichtet
und fallen in regelmässigen langen Locken nach den Seiten herab,
lassen das Ohr aber frei, auch die Haare des Bartes sind in gerade
abwärts gerichteten Zwickeln regelmässig geordnet und liegen wie
von Wasser triefend dem. Halse an. Diese Anordnung scheint mehr
») Winckelmann a. a. 0. VI, 8. 140.
>) Winckelmann a. a. 0. IV, S. 186.
•) Winckelmann a. a. 0. VIT, S. 115. ^
^) Winckelmann a. a. 0. III, S. 826.
») Winckelmann a. a. 0. YII, S. 148.
<") K. 0. MüUer, Handb. d. Archäologie der Kunai 1866. 8* 504.
^^^•
■V.
Ein römiioher Fond in Baadorf bei Oberwinter.
109
f&r einen Flussgott zu passen. Die Beigabe des Delphin muss aber
wieder auf den Neptun bezogen werden, wenn auch der Dreizack fehlt
In Bezog aof diesen bemerkt noch Winckelmann, dass auf alten
Münzen der Stadt Posidonia Neptun den dreizackigen Scepter wie eine
Lanze hält, im Begriff damit zu stossen, er ist wie Jupiter nackt,
ausser dass er sein zusammengenommenes Gewand über beide Arme
geworfen hat 0> Winckelmann schildert eine Reihe von geschnittenen
Steinen mit verschiedenen Darstellungen des Neptun. Auch hier führt
er wieder als eigenthümlich an, dass das Haupthaar in Reihen von
geraden und parallelen Locken auf den Hals herabfällt, welche An-
ordnung auch, wo man ihm wallende Haare gemacht hat, sich wenigstens
am Barte erkennen lasse *). E. 0. Müller macht auf die grosse
Mannigfaltigkeit in der Darstellung des Poseidon bei den Griechen
aufmerksam, indem er stehend un(f thronend, heftig schreitend, den
Dreizack schwingend, bald nackt bald bekleidet dargestellt werde. Dass
dem Meer- und Fluss- und Quellengott das Pferd geheiligt war, erklärt
sich wohl aus dem Umstände, dass auf den quellenreichen Wiesen-
gründen Griechenlands das Pferd vortrefflich gedieh oder auch aus der
Thatsache, dass das Steppenpferd auf weite Entfernungen hin die
Anwesenheit des Wassers mit seinen Nüstern wittert und ein Quellen-
finder genannt werden kann. In einer neuen Arbeit ^) erhalten wir
eine üebersicht der Darstellungen des Neptun in der ältesten grie-
chischen Kunst, und zwar auf Vasenbildem, Reliefe und Münzen.
Schon in der ältesten Zeit wussten die Künstler, dass die Kraft und
Gewalt dieses Gottes am nackten Körper am besten ausgedrückt werden
konnte. Wie das Meer bald spiegelglatt, bald stürmisch erscheint, so
wurde auch er bald rahig bald bewegt vorgestellt. Auf Vasen ist die
stehende Figur des Gottes meist mit dem Dreizack dargestellt, in
Gesellschaft der Minerva, häufig mit dem Merkur. Die Eigenthüm-
lichkeiten seiner Darstellung bildeten sich in der Kunst allmählich aus;
am schwersten ist dieselbe von der des Jupiter zu unterscheiden, oft
nur durch den Dreizack. Die ursprünglich langen Gewänder wurden
später kürzer, wie es für den mit Polybotas kämpfenden oder ein
Weib verfolgenden Gott besser passte. Erst als die griechischen
Künstler mit rother Farbe malten, tritt das in kleine *Löckchen ge-
>) Winokelmann a. a. 0. Y, 8. 176.
*) Winokelmann a. a. 0. IX, S. 881.
') Dr. CtroL Munilii», De antiquiisima Neplam figora.
, 1878.
110 Ein römifloher Fand in Bandorf bei Oberwinter.
ordnete Haar des Neptun auf, das früher ungeordnet in üppiger Fülle
den Kopf bedeckte. In allen den angeführten zahlreichen Bildein ist
Neptun immer stehend oder schreitend, selten sitzend dargestellt. Sein
Fuss steht auf einem Felsen, auf dem Vordertheil eines Schiffes, oder
auf dem Delphin, die Rechte ist gestützt auf den Dreizack. Auf S. 38
wird unter o ein Bild desselben aus dem Museum Gapitolinum 1. 1 als
fontem aperiens bezeichnet Wenn er auf einem Seepferd reitend auf
Vasen und Münzen gesehen wird, so soll diese Darstellung des Gottes
unwürdig und dem Merkur zuzuschreiben sein; den Dreizack führen
auch Amphitrite und Andere. In den ältesten Zeiten wurden dem
Neptun am meisten die Delphischen Gottheiten und der Merkur bei-
gesellt. Es mögen deshalb, da auch aus dem römischen Alterthum
die Darstellung eines liegenden Neptun nicht bekannt ist, gewiss
Manche in unserm Funde nur einen Flussgott sehen, für den auch
die Urne spricht, auf welcher seine linke Hand ruht Winckelmann
hält diese für entscheidend, er führt einen liegenden Fluss auf einem ge-
schnittenen Steine an, dessen Linke auf einer Urne ruht, in der
Rechten hält er den Dreizack, unter ihm sind zwei Delphine, welche
anzeigen, dass der Fluss seine Mündung ins Meer hat. Er bemerkt
dazu: „Derjenige, welcher den Stein gezeichnet hat, gab nicht Acht
auf die Urne und darum hat der Erklärer diese Figur für einen
Neptun gehalten^' ^). Im Münzkabinet des Berliner Museums befindet
sich eine Münze des Postumus mit dem Rheine als liegendem Fluss-
gott, der die eine Hand auf das Hintertheil eines Schiffes legt und
eine Urne unter der andern hat Dass dem Rheine göttliche Ver-
ehrung gezollt wurde, geht aus Inschriften *) hervor, und, was vielleicht
nicht ohne Beziehung auf unsere fragliche Göttergestalt ist, gerade in
Remagen wurde ein Votivstein aus Drachenfelser Trachyt gefunden,
der die Widmung hat: I(ovi) 0(ptimo) M(aximo) et Genio Loci et
Rheno etc. Im Museum Pio-Clementinum ist der Nil als Flussgott
dargestellt mit einem Crocodil unter den Füssen, ebenso der Tiber
mit einem Ruder und den Symbolen der Fruchtbarkeit. Ein dritter
Flussgott hält die Urne, keiner hat den Delphin. Doch befindet sich
wieder auf einem Basrelief der Villa Albani, welches den Achill und
Agamemnon 'darstellt, das Bild eines Flussgottes mit der Urne und
mit kleinen Delphinen, die sich im Wasser tummeln. Der Flussgott
') WinokeUnann a. lu 0. IX, 8. 887.
') J. de Wal, MyihoL septentr. monom. Jahrb. XVII, 8. 178. Bramb. 647.
Ein römischer Fund in Bandorf bei Oberwinter. 111
der Donau auf der Säule des Marc Aurel ist mit üppigem und lang
herab wallendem Haare aber ohne die gebietenden Züge des Neptun
dargestellt, ebenso derselbe Fluss auf der Trajanssäule ; dieser lässt
einen Theil des Gewandes um die Hüften erkennen und trägt einen
Kranz von Schilfrohr um das Haupt. Im Wallraffschen Museum in
Köln befindet sich der Kopf eines Flussgottes unter Nr. 56, dessen
Haupthaar wild und verwirrt ist; das Relief ist von sehr[schlechter Arbeit
Der Name des Neptun kommt auf Inschriften im Rheingebiet
höchst selten vor, bei Brambach findet er sich auf Nr. 26 von Zecland,
Nr. 1433 von Hanau, Nr. 1668 von Baden-Baden und Nr. 1678 von
Ettlingen; auf dem der Dea Nehalennia gewidmeten Steine Nr. 45
von Zeeland steht auf einer Säule Neptun, in der Rechten die Pappel,
in der Linken den Dreizack haltend. Auf Münzen des Agrippa hat
er in der Rechten den Delphin, in der Linken den Dreizack.
Die rechte Seitenwand unserer Neptunstatue lässt einen Baum er-
kennen, der einen Lorbeer oder eine Pappel darzustellen scheint, er hat
genau 12 Zweige oder Blätter und das ist gewiss nicht ohne Bedeutung.
Winckelmann 0 bemerkt bei Besprechung eines geschnittenen Steines
mit dem Bilde der Isis und einem Palmzweige, man behaupte, dass
der Palmzweig das Jahr vorstelle, weil man ihn für den einzigen
Baum hielt, der bei jedem Mondeswechsel einen neuen Zweig trieb,
80 dass am Palmbaum das Jahr durch 12 Zweige vorgestellt war.
Mit Rücksicht auf die Oertlichkeit kann man nicht zweifeln, dass
aas der Urne dieses Wassergottes das Wasser einer der Quellen floss,
deren die nahe gelegenen sogenannten Entzfelder Wiesen mehrere
enthalten. Die Reste sehr sorgfaltig durch Gämentguss hergestellter
Wasserleitungen sind auf langen Strecken in den nahe gelegenen
Aeckem noch vorhanden und zum Theil wohl erhalten. Es sind zwei
nach verschiedenen Richtungen laufende Leitungen, von denen die eine
in gerader Linie auf das Haus von Loosen, das Hauptgebäude des
Ortes, hinläuft. Diejenige, welche unserem Brunnen das Wasser zu-
fithrte, konnte indessen nicht aufgefunden werden. Die oberflächliche
Lage der anderen, die oft nur V/t' Rh. tief in den Aeckem liegen,
lisst vermuthen, dass dieselbe durch die Vertiefung der Bodenfläche
in der Nähe des Fundortes längst zerstört worden ist. Die Rinne des
Kanals besteht aus Gussmörtel, der V2 F. stark ist, und in dem
eckige, bis 1 Zoll dicke Steine enthalten sind ; im Lichten ist derselbe
*) Winckelmann a. a. 0. IX, S. 804.
lia Ein römiMber Fund in Bttidorf bei Oberwinter.
6'' Bh. hoch tmd 8'' breit, die Rinne ist innen mit feinem'Kalkmörtel
glatt verputzt und mit starken Schieferplatten bedeckt, Taf. XIV, Fig. 10.
Welchen Werth die BOmer auf gutes Quellwasser legten, das
beweisen die Aquädukte in aUen Ländern, wo Bömer sich niederliessen,
in unserm Bheinlande ist Zeuge dessen der in Köln mündende Bömer-
kanal. Den Quellen bezeigten die Bömer Verehrung, in ihrer Nähe
pflegten sie Haine, Altäre und Tempel zu errichten. An den Quellen
goss man Wein aus und schlachtete ein Böcklein, wie uns Horaz und
Martial berichten 0- Ob nun unsere Brunnenfigur ein Quellengott oder
ein Flussgott und zwar der Bhein ist, oder Neptun selbst, möchte dess-
halb sch^for zu entscheiden sein, weil ohne Zweifel das Bild des Fluss-
gottes sich aus dem des Neptun allmählich entwickelt hat, wie denn
auch die spätere mittelalterliche Kunst und die Zeit der Benaissance
den Fluss- und Quellengöttem die Beigaben des Neptun freigebig zu-
ertheilte. Schöpflin ') erwähnt des bei Ettlingen im Badischen ge-
fundenen Beliefs, wekhes den Neptun mit dem Dreizack und dem
Delphin in der Hand neben einem Meerdrachen vorstellt und welches
Yon einer Schiffergilde dem Gotte geweiht ist. Habel bemerkt hierzu,
man sehe, dass nicht nur Seestädte ihn verehrten, sondern auch Fluss-
bewohner und Schiffer ihm Altäre errichteten. Erwägt man, dass in
Bemagen eine römische Beiter-Gohorte stand, so darf man auch daran
erinnern, dass Neptun zugleich als Seegott und als Gott der ritterlichen
Uebungen galt. Als der letztere scheint er, wie Preller bemerkt,
besonders im Gircus Flaminius verehrt worden zu sein, denn bei diesem
Gircus stand der einzige Tempel des Neptun in Bom. Am wenigsten
kann es auffallen, wenn eine Beiter-Gohorte den Neptun verehrte, da
ihm das Pferd heilig und er der Bändiger der Bosse war.
Man muss hier noch die Frage aufwerfen, ob auch sonst wohl
«
eine Beziehung des Neptun zum Mithras beobachtet worden ist Es
ist eine EigenthQmlichkeit der Mithrasreligion, dass mit der Verehrung
dieses Gottes die Vorstellungen von den übrigen Gottheiten sich ver-
binden und der Polytheismus dem Glauben an einen das All um-
fassenden Gott weicht In den Darstellungen des Mithras finden sich
desshalb auch die Zeichen und Attribute der übrigen Gottheiten ver-
einigt, sie werden als signa panthea oder polythea bezeichnet Braun
*) Horat. Od. m, 18, Msrtial. VI, 47.
*) AUaUa ill. I, 490. Vgl Annalen des Vereini für naM. Aliertlraniskand«
n, 8 HO. 8. 168.
Ein römisoher Fund in Bandorf bei Oberwinier. 118
macht in seiner Schrift über den Jupiter Dolichenus besonders anf
diesen Umstand aufinerksam und fuhrt als Beispiele auch die Bflder
des Jupiter und der Juno Dolichene auf der Heddemheimer Bronze-
pyramide an. Jener steht in Rüstung auf einem Stier, in der Hechten
ein Schlachtbeil emporhebend, in der Linken den doppelten Dreizack
haltend, nicht den Blitz, wie in einem Belief aus Ninive, die Juno
steht auf einer Hirschkuh in faltenreichem Gewände, den Modins auf
dem Haupte, in der Linken den Galathus, in der Hechten dasSistrum
der Isis. Von dem Tempel der syrischen (jöttin zu Hierapolis schreibt
Lucian: „ii^ dem Innern desselben stehen die Bilder der Götter, der
Juno nämlich und eines Gottes, der kein anderer als Jupiter ist.
Diese Juno zeigt, wenn man sie Daher betrachtet, ein Mannigfaltiges
in ihrer Gestaltung. Im Ganzen zwar ist sie unstreitig die Juno, sie
hat aber auch etwas von der Minerva, der Venus, der Luna, der
Rhea, der Diana, der Nemesis, und den Parzen. In der einen Hand
hält sie einen Scepter, in der andern einen Spinnrocken; auf dem
Haupte hat sie Strahlen und einen Thurm und um den Leib einen
Gürtel, womit man sonst nur die Venus Urauia schmjQckt 0« D&ss
Jupiter Dolichenus gewöhnlich als ein streitbarer Gott im Harnisch
dargestellt wird, mag sich auf seine Verehrung im römischen Heere
beziehen, daher auch die Beinamen Imperator und Rex, das Invictus
erinnert an den Herkules, der auf dem in den Brohler Tuffsteinbrflchen
gefundeneu Votivsteine, Nr. 654 des Brambach'schen Verzeichnisses, so
genannt wird. Auf der Heddernheimer Bronzepyramide') hält aber der
Jupiter Dolichenus oder Mithras in der linken Hand einen doppelten Drei-
zack, also das Abzeichen des Neptun. Dies Zeichen bann nicht etwa für
den BUtz gehalten werden, der als ein geschlängelter oder im Zickzack fort-
schreitender oder strahlenförmig aus der Hand des Jupiter auseinander
gehender Strahl dargestellt wird, während wir hier deutlich dem ge-
häuften Schwulst der Darstellung entsprechend eine doppelte Harpune
vor uns haben. Wenn in den Darstellungen des Mithras selbst die
Bilder und Zeichen der übrigen Götter sich gleichsam vermengen, so
kann es auch nicht überraschen, wenn neben einem Mithrasaltar die
Bilder anderer Götter aufgestellt waren. An unserm Fundort wurde ja
noch der Kopf eines dritten Gottes und das Fussende sowie Bruchstücke
einer vierten StatuOj die doch wahrscheinlich auch ein Götterbild war,
>) De des Syria 32.
^ Vgl. die Abbildang in Brauns: Jupiter DoUohenos. Bonnt 1852.
8
U4
Sin romiieher Fond in Bimdorf bei Oberwintar.
gefunden. Wir werden aber noch auf eine andere Erklärung der Ab-
zeichen des Neptun, auf Mithrasdenkmälem geführt Sie können die
Abzeichen oder Wappen römischer Gehörten sein und gerade solcher,
welche auch den Mithrasdienst übten und verbreiteten. So konnte
Habel nachweisen, dass der Gapricomus, bekanntlich die Figur eines
Steinbocks, der hinten in einen Fischleib übergeht, ein Gohortenzeichen
der 22. Legion, der Primigenia Pia war; es ist ein solches bei Wies-
baden 0 gefunden worden und wird im dortigen Museum aufbewahrt.
Die 22. Legion, wird aber auch auf dem Brohler Mithrasdenkmal an-
geführt. Das Gaprikorn kommt mit dem Namen dieser Legion auf 2
Steindenlonalen in Mainz,, auf gebrannten Ziegeln und auf Münzen,
auch auf einem Relief aus Heddemheim vor. Da der Eintritt der Sonne
in das Zeichen des Steinbocks die Winter-Sonnenwende bezeichnet, die
für Aegypten, wo der Thierkreis seinen Ursprung hat, die Zeit der
üppigsten Fruchtbarkeit ist, so hat das Zeichen zunächst diese Be-
deutung, daher das Füllhorn als Attribut der Fortuna und Abundantia
so oft mit demselben verbunden ist. Aber der Fischleib und die See-
muschel, welche das Gapricom mit den Vorderbeinen hält, bringt es in
Verbindung mit den Wasser-Gottheiten. So ist es nach Habel dar-
gestellt auf einem Basrelief bei Piranesi in einer Gruppe von Tritonen
und Meergdttem, auch auf Münzen und geschnittenen Steinen in Be-
gleitung eines Ruders, Ankers oder Schiffes. Die Verehrung dieses
Zeichens unter den römischen Soldaten erklärt sich auch daraus, dass
Augustus unter demselben geboren war und auch die späteren Kaiser
es gern, wie er gethan, auf ihre Münzen setzten. * Merkwürdig ist
nun, dass auch der Dreizack Neptuns auf emigen Ziegelplatten als
Gohortenzeichen der 22. Legion vorkommt, die bei Heddemheim und
Nied gefunden worden sind. Habel') tadelt Hansselmann's Meinung,
dass der Dreizack als Feldzeichen von der Gründung von Patrae her-
rühre, er sieht darin nur die mächtige Waffe, von den Gyklopen
geschmiedet, die den Titanen furchtbar war. Des Letzteren Ansicht
gründete sich darauf, dass man von der 22. Legion auch Golonie-
münzen von der Stadt Patrae in Achaia finde, auf deren Rückseite
dn stehender Neptun mit dem Dreizack gebiUet ist. HabeP) bildet
gebrannte Ziegel mit den Gohortenstempeln der 22. Legion ab, auf
*) Annalen a. a. 0. ü, 3. Heft, S. 98.
>) Annalen a. a. 0. IL 8. Heft S. 151.
*) Annalen a. a. 0. 3. Heft Tab. V.
j.
Ein'römbolier Fond in Bandorf bei Obex^vinter. 116
den Figg. 5 und 6 ist es der Dreizack Neptuns auf Ziegeln von Mainz und
Heddemhdm. Auf dem Backstein der 22. Legion, Fig. 4, siebt er den
Donnerkeil Jupiters; er hat an beiden Enden einen harpunenartigen
Dreisack, während von dem mittlem Theil des Keils jederseits 3 Zacken
abgehen. Hansseimann £and denselben Stempel auf gebrannten Platten
eines Lakonikums bei Oehringen und ist zweifelhaft, ob die Figur als
Zeichen der ersten Gohorte anzusehen sei oder einen doppelten Drei-
zack Neptuns darstellen soll. Das fragliche Zeichen ist das von uns
schon besprochene auf der Bronzepyramide von Heddemheim. Wie-
wohl Habel auf die mannigfaltige Art der Darstellung des Fulmen
aufinerksam macht, das bald als zusammengerollter Keil ohne Blitz-
strahl, bald angerollt mit dem Blitze dargestellt werde, dessm Strahlen
bald gezackt oder ungezackt, bald mit oder ohne Widerhacken er-
scheinen, der auch zuweilen geflügelt vorkommt, so passt doch keines
dieser Bilder auf das vorliegende Zeichen, das in der That wie ein
doppelter Dreizack aussieht und in dem Doppelbeil, welches Mithras
auf der Heddemheimer Bronzepyramide in der Bechten hält, ein
Gregenbild hat. Es sei hier noch angeführt, dass auf Ziegeln der 22.
Legion noch andere Zeichen vorkommen, von denen viele, wie das mit
Strahlen umgebene Haupt des Apollo, der Halbmond, Löwe und Stier,
wie Habel selbst hervorhebt, in den Mithrischen Bilderkreis gehören,
woraus wir schliessen dürfen, dass diese Legion dem Mithrasdienst
ganz besonders ergeben war, nicht aber, was jener Forscher damals
glaubte, dass sie denselben aus Aegypten mitgebracht habe.
Der Kopf, Taf. XHI Fig. 3 und 4, dessen üppiges Haupthaar und
Bart einen Gott erkennen lässt, bietet der Forschung manches Eigen-
thOmliche. Während die Ära und das Neptunbild aus Jurakalk be-
stehen, ist der Kopf aus Sandstein gefertigt. Die glatte untere Fläche»
auf der er stehen kann, lässt vermuthen, dass er nicht von einer
Statue abgeschlagen ist, sondern als blosser Kopf aufgestellt war.
Bemfflicenswerth ist, dass unter den zahlreichen römischen Funden in
dar Umgegend von Schwarzerden, wo auch ein Mithrasbild auf einer
Felswand erhalten ist, auch ein in gleicher Weise gearbeiteter Kopf
aas Sandstein von VU Fuss Höhe sich befindet, dessen herabwallende
Locken eine Art phrygischer Mütze deckt, welche auf ein Mithrasbild
schliessen lässt 0- Derselbe wird in der Sammlung des St. Wendeler
^) Elfter Bericht dee antiquar. Iiistor. YereioB for Nahe oad Hoairüoken
von 1869—1871. 8. 16.
116 • Ein römisoher Fand in Bandorf bei Oberwinter. •
AlterthomsvereiDS aufbewahrt. Der in Bandorf gefundene Kopf ist nur
5V2" Rh. hoch. Wiewohl derselbe durch Verwitterung gelitten, ist
doch erkennbar, dass das Haupthaar, welches um den ganzen Kopf
in regelmässige Locken gelegt ist und einer Perücke gleicht, über die
Mitte der Stime herabhing. Dieser Umstand und das milde Lächeln,
welches sich mit einem Ausdruck der Güte in dem Gesichte ausspricht,
weisen auf den Pluto. Herrn Prof. Bergk hierselbst fiel sogleich die
Aehnlichkeit dieses Kopfes mit dem eines Pluto aus der Sammlung
des Palazzo Ghigi in Rom auf 0 ; sie zeigt sich namentlich im Ausdruck
des Mundes und in der Behandlung des Bartes. Schon Winckelmann*}
-giebt'an, dass sich dieser Gott durch das Herunterhängen der Haare
über die Stime vom Jupiter unterscheide, bei dem sie sich von der
Stime erheben. Wenn aber Winckelmann ") sagt, dass Jupiter mit
einem heiteren Blicke gebildet werde und die Köpfe, die keinen gnä-
digen und gütigen Blick haben, dem Pluto zuweist, so bemerkt Meyer
zu dieser Stelle, dass zwei Köpfe des Pluto und Serapis keineswegs
diese strenge Miene, sondem ein gütiges Aussehen haben. Im Mu-
seum zu Mainz findet sich ein grosser Steinblock, den in einem Me^-
daillon ein kolossaler Plutokopf schmückt. Derselbe ist an einem Pfeiler
der festen Rheinbrücke zu Mainz gefunden, deren Erbauung in die
Zeit der Garolinger gesetzt wird. Das üppige Haar dieses Pluto, der«
an dem Modius mit Sicherheit erkannt wird, ist in der ihm eigen-
thümlichen Weise dargestellt, sein Gesichtsausdruck ist eher mild als
ernst oder furchtbar. Merkwürdig erscheint das in regelmässige Locken
gelegte Haupthaar des uns vorliegenden Kopfes, welches auf Taf. XIV
Fig. 1 in der hintem Ansicht dargestellt ist. Dasselbe ist verschieden
von den steifen wulstigen Perücken der Matronen der spätem römi-
schen Zeit. Ein stufenförmig gekräuseltes und in parallel laufenden
Rollen perückenartig geordnetes Haar, coma in gradus formata, kommt
indessen auch in früher Zeit schon vor, wie ein zu Venedig befind-
licher Kopf des M. Antonius zeigt. PerUckenartig ist die Haartracht
der Kaiserinnen Julia Domna, Mammaea, Plautilla und anderer. Den
bekannten Darstellungen des Pluto aus besserer Zeit kommt eine solche
keineswegs zu, indem Winckelmann dessen Haar vielmehr als verwirrt
') Mosee Pie-Glement. Müan, 1819. Bd. II Tab. a VI, Nr. 9.
*) Winckelmann a. a. 0. lY. S. 128.
') Winckehnann a. a. 0. YII. S. 114.
Ein römioeher Fand in Bandorf bei Oberwinier. 117
bezeichnet. Habel 0 bildet, was für unsern Fond von Wichtigkeit ist,
ein zu Heddernheim gefundenes Bronzestflck ab, auf dem über den Brust-
bildern von Sonne und Mond ein bärtiger Kopf mit dem Scheffelmaas
auf dem Haupte dargestellt ist, also ein Jupiter Serapis oder ein Pluto.
Das Kopfhaar ist in regelmässige Bollen gelegt und von der Stime
aufwärts gerichtet. Auch dieser Kopf hat eine freundliche Miene. Dass
das künstlich geordnete Haupthaar auf den asiatischen Ursprung der
Mithrasreligion hindeutet, könnte man vermuthen, wenn man an die
in künstlichster Weise mit zierlichen Löckchen versehenen Köpfe persi*
^er Mithrasbilder denkt, die Lajard abgebildet hat, eine Mode, die auch
auf persischen Münzen vorkommt, aber diese Bildung wird sonst auf
unsern Mithrasdenkmalen nicht beobachtet.
Es ist ausserdem nun noch der Sockel einer aufrecht stehenden
Statue gefunden worden, auf dem ein halber Fuss und der Rest eines
bis auf den Boden herabfallenden Gewandes sichtbar ist. Dieses Büd-
werk war aus Jurakalk, und nach dem Fusse zu urtheilen war die
Gestalt ohngefähr so gross wie die unseres Neptun oder Flussgottes.
Betrachten wir nun die vollständig blosgelegten Fundamente des
kleinen Gebäudes, in dessen Schutte sich diese Bildwerke nebst Scher-
ben von feinen und groben Thongefässen, Kohlen, Thierknochen, sowie
einige Bruchstücke von Gläsern, Münzen, zahlreiche Dachziegel, grös-
^re und kleinere sehr sorgfältig gearbeitete viereckige Ziegel, auch
einige runde Heizziegel, femer einige bronzene und eiserne Geräthe
gefunden haben, so zeigt sich, dass dasselbe ein gleichseitiges Viereck
von 13 Va F. Rh. Länge und Breite, Taf. XIY Fig. 8, A, bildete. Die Mauern
scheinen bei der Anlage des Ackers bis auf 4 ' Höhe vom Grunde aus
horizontal abgetragen zu sein, sie kamen in etwa 2' Tiefe zum Vor-
schein und umschliessen nur einen Raum; die Mauer an der Nord-
seite ist 32 ", die der anderen 3 Seiten nur 20 '' stark, die untersten
2 Fuss der Mauer sind um einige Zoll stärker, so wie auch wir die
Fundamente bauen. Der Innenraum fand sich durch einen Kalk- oder
Gämentstrich geglättet, über dem wahrscheinlich Platten gelegen hatten.
Dieser Boden lag etwa 3V2 Fuss unter der Oberfläche des Ackers.
Zwei an der Südseite^es Gebäudes wie Pfeiler vorspringende Mauern
scheinen den Eingang gebildet zu haben. Dafür spricht ein 5 Vs' langer
und 1' hoher Deckstein aus Berkumer Trachyt, Fig. 8"*", der m der
Nähe lag und wohl die Thürkrönung bildete; zwei scharf gehauene
') Annalen des YereinB för nass. AlterthumBk. I, Taf. YU, Fig. 8, s.
/
V
118 Ein römischer Fond in Baodorf bei Oberwinter.
Tiereckige Löeher deuten darauf, da8S er mit zwei Eisen nach hinten
befestigt war. Ein bis unter das Fundament an der Westseite gegra-
benes Loch zeigte, dass der ganze Boden hier jetzt von Quellwasser
durchdrungen ist. Das Gebäude liegt regelmässig zwischen 3 Wegen,
die seinen Seiten parallel laufen und nach.Sttden und Norden etwa 25%
nach Osten 36' davon entfernt sind. Vor der Ostseite des Hauptge-
bäudes wurde in nur 4^1% ' Entfernung das Mauerwerk eines zweiten klei-
nem viereckigen Baues, Fig. 8, B, gefunden, der mit semer nördlichen
Mauer genau in der Frontlinie des ersten Gebäudes lag. Dieser klei-
nere Bau hatte nur 6Vs 'Länge und 5Vs' Breite. Die Mauerdicke be-
trug 15". .In seiner westlichen Mauer war ein kleiner Tu£bteinsarg
eingelassen, mit rundlicher Vertiefung und eigenthfimlich verzierter
Vorderseite. Wiewohl man zunächst schon mit Rflcksicht auf die Kep-
tunstatue an einen Brunnensarg denken konnte, an dem aber eine
Ausflussöffliung fehlte, stellte sich doch bald aus der ganzen Anord-
nung und dem Umstand, dass einige Kohlen- und Knochenreste in der
Vertiefung lagen, heraus, dass der Sarg eine Aschenkiste war, wie
solche in hiesiger Gegend mehrfach gefunden und einige, auch aus
Tuff gefertigte im WaUraff'schen Museum in Göln aufbewahrt
werden. Die Aschenkiste ist 28 V2'' lang, 14" breit und 1272'' hoch.
Die Vorderseite hat in der Mitte eine Inschrifttafel von der gewöhn-
lichen Form, wie sie zweimal auf dem Mithrasbild von Ladenburg,
•aber auch auf Votivsteinen vorkommt, z. B. auf Nr. 52 und Nr. 667
des Brambach'schen Werkes, der letztere ist aus der Zeit des Nerva
Trajan. Auch eine Platte an der Wand eines Hauses in Pompcqi mit
einer öfifentlichen Ankündigung hat diese Form, ebenso die Schwelle
dnfö andern Hauses mit der Aufschrift Salve ^). Neben dieser Tafel
ist die Vorderseite mit Rauten und Zickzacklinien verziert, die, wie
die deutlichen Reste der Farbe zeigen, roth und weiss gemalt waren,
wie es in unserm Bilde Taf. XIV Fig. 2 dargestellt ist. Da auf der
Tafel eine eingehauene Inschrift sich nicht befand, darf man vermu-
then, dass eine solche darauf geschrieben war. Trotz einiger Farben-
reste darauf kann aber doch keine Spnr einer Schrift mehr erkannt
werden. Der ganze Raum ist demnach fUr eine Grabstätte zu halten,
die vielleicht frtther nach Art der.Columbarien mehrere solcher Aschen-
behälter oder auth Urnen enthielt. Als die Mauerreste blosgelegt
wurden, zeigte sich der Innenraum sorgfältig mit zerbrochenen Dach-
') Ani. Rieh, niuBtr. Worterb. p. 19 und 661.
Ein römiscber Fund in Buidorf bei Oborwinter. 110
pfannen zugedeckt, aus welchem Umstände, sowie aus dem Mangel an
Orabgefiissen man scUiessen moss, dass diese Grabjstätte, yielleicht
beim Wegrilumen der Beste dieser Gebäude, schon einmal aufgedeckt
worden war und als ein geweihter Ort in der bezeichneten Art vor
gänzlicher Zerstörung geschützt werden sollte. Auffallend bleiben die
hier gefundenen 18 Münzen, von denen nur 6 in der Eiste, die an-
dern davor, ursprOnglich aber wohl bei der Asche lagen. Von einem
Deckel der Kiste fand sich keine Spur. Im Mainzer Museum stehen
solche Aschenkisten mit rundlicher Vertiefung, in einer sind mehrere
Glasgefässe, auch eine Münze enthalten, die über den Enochenresten
liegen. Das Museum in Wiesbaden enthält solche Aschensärge, die
im Innern viereckig sind.
Die meisten Gegenstände wurden in dem vor der Süd- und Ost-
seite des Gebäudes liegenden Schutte gefunden, und zwar bei A, Taf.
XIV der Mithrasaltar, bei N die Neptunstatue, bei E der Kopf, im In-
nenraum bei P die grosse Steinplatte, bei M die Münzen. Die grossen
Ziegel Fig. 13 sind genau viereckig, 11'' lang und breit, 1'' 10'"
dick, viele sind auf einer Seite mit schräg sich kreuzenden Rinnen versehen,
die kleineren sind 4" lang,3Va" breit und 1" 2/" dick. Auch dünnere
Platten kamen vor, wie zum Belegen der Wände auf einer Seite mit wellen-
förmig gekrümmtei^ Rinnen zur bessern Verbindung mit dem Mörtel. Die
runden Heizziegel haben 7V2'' Durchmesser und sind 2" dick. Ausser-
dem wurden mehrere 4 " breite und 5 " lange viereckige Plättchen ge-
fanden, Fig. 11, und vier wahrscheinlich dazu gehörige scharfkantige
5" breite, 47«" lange und 2V2" hohe dachförmige Steine, Fig. 12,
beide aus Jurakalk, deren Verwendung unbekannt ist. Zahlreich waren
die Bruchstücke schwerer Dachpfannen, sie sind 16" hoch und gerade
1 " breit, einige waren ganz geblieben. Dabei fanden sich die thönemen
Wulste, welche die aufstehenden Seitenwände zweier aneinander lie-
genden Pfannen bedeckten, eine Einrichtung, die wir beim Legen von
Zinkdächem, die Italiener aber an Ziegeldächern noch heute nach-
ahmen ; es sind die imbrices und tegulae der Schriftsteller. Auf Taf.
XIV Fig. 9 ist diese Art der Bedachung genau angegeben, zumal in
der Profilzeichnung sieht man, wie zweckmässig die obem Zi^el auf
den unteren ruhten. Diese Dachpfannen sind so schwer, dass man
annehmen soUte, nur die in Stein gewölbten Häuser seien auf diese
Weise gedeckt gewesen. Auf der Säule des Marc Aurel und auf der
Trajanssäule in Rom sind Häuser mit solchen Dächern abgebildet, am
120 Ein römiaoher Fund in Bandorf bei Oberwinter.
deatlichsten auf Tab. 112 des die letztere illustrirenden Werkes 0-
Im Museum von Wiesbaden hat Oberst von Gehäusen ein römisches
Pfannen* und ein Schieferdach aufstellen lassen. Das erste hat genau
die Construction, wie sie hier gezeichnet ist. Der Umstand, dass von
Cohausen auch Ziegelplatten gefunden hat, die am Seitenrande, wo sie
von dem Hohlziegel bedeckt sind, Löcher haben, lässt nur die Deutung
2U, dass hier Holzpflöcke oder eiserne Nägel die Pfannen auf den
• Dachsparren befestigt haben, dass also auch in Holz gebaute Dilcher
80 gedeckt waren. Müller giebt an, dass der unterste der Hohlziegel,
um die Höhlung zu verbergen, am Kopfe mit einer Platte versehen
zu sein pflegte, die man mit Zierrathen schmückte, wie deren Hirt
abgebildet hat. Dass die Römer auch schon Dachschiefer benutzten,
ist wenig bekannt, aber schon von Habel mitgetheilt worden '). In
Ant. Rieh's Illustr, Wörterbuch der römischen Alterthümer, übers, von
G. Müller, Leipzig 1862, ist als Probe des römischen Ziegeldaches das
Dach des Portico der Octavia zu Rom abgebildet, dessen Ziegel von
weissem Marmor sind.
Von den 22 Münzen in Kleinerz wurden 4 in dem Schutte vor
dem Hauptgebäude gefunden, es sind ein Glaudius mit dem Revers:
Felicitas Aug., ein Grispus, R. : Glaritas* reipublicae, ein Gratianus, R.
Gloria novi saeculi, ein Valens, R. : Securitas reipublicae. Die übrigen
18 lagen in dem inn^n Raum der Grabstatte und 6 in dem Aschen-
sarge selbst. Es sind die folgenden: ein Antoninus pius, eine Faustina
(junior), ein Gordianus, R.: Laetitia aug., zwei Tetricus, R.: Salus aug.,
ein Probus, R : Felicitas sec, eine Helena (I), R. : Fax publica, zwei
Gonstantinus (Magnus), R.: Soli invicto comiti und Beata tran-
quillitas, zwei Urbs Roma, R.*. die Wölfin mit Romulus und Remus,
zwei Gonstantinopolis, ein Gonstantius (junior), R. Gloria exercitus, ein
Magnentius, R.: Gloria Romanorum, zwei Valens, R.: SeCuritas reipu-
blicae und Gloria Romanorum, ein Gratianus, R. Gloria novi saeculi.
Alle diese Münzen gehören mit Ausnahme der des Antoninus pius und
der Faustina, die durch den längern Gebrauch auch fast unkenntlich
sind, dem 3. und 4. Jahrhundert an ^). Unter den Scherben von Thon-
^) Golumna Gochlis M. Aarelio Antonino Aag. dio. Roma 1704 und P. S.
Bartoli, Golonna Trajana Tab. 112.
') Annalen des Vereins für nassauisehe Alterthomsk. und GeBchichtsf. I,
2. and 8. Hft. Wiesb. 1830. 8. 160.
') Später worden noch 9 Münzen im Schutte gefanden, daronter eine äl-
tere Faustina, R.: Angnsta, ein Claadius, R.: Yirtas Aug., ein Grispus, R.: wie
oben, ein Yalens, R. : Securitas reipublicae.
£m römiiolier Fond in Baadorf bei Oberwinter. 181
gdäasen waren Stücke von Schalen ans feiner rother terra sigülata,
ein kleines Schälchen aus gelbem Thon, Taf. XIV Fig. 3, die Bruch-
stücke mehrerer grosser bauchiger Gefasse mit 1 F. weiter Oeffnung,
deren eines ergänzt dargestellt ist, Fig. 4; in der Wandung sind die-
selben fast 1 " dick, der dicke obere Sand hat eine vertiefte Ausguss-
öfibung. Ausser der ein&chverzierten bronzenen Fibula, Fig. 5 wurde
ein dünner Bronzering, Fig. 6, und em aus 3 zusammengedrehten
Bronzedrfihten bestehender Henkel, Fig. 7, der wahrscheinlich einer
kleinen Schale angehörte, gefunden ; ferner ein grosser eiserner Meis-
sei, Fig. 15, und ein eiserner Löffelbohrer, Fig. 16, ein in römischen
Gebäuden häufig vorkommendes Werkzeug, welches, wiewohl in dieser
Form veraltet, noch jetzt von unseren Schreinern gebraucht wird.
Unter einigen Glasscherben ist ein flaches 2'" dickes Stück hellgrü-
nen fast weissen Glases mit rund geschliffenem geradem Bande be-
merkenswerth, es ist auf einer Seite mattgeschliffen, auf der andern
glänzenden sieht es wie gegossen aus; man kann dasselbe nur für
das Bruchstück einer Fensterscheibe halten; ein Stück azurblauen
Glases, von einer Schale, ohne Spur einer chemischen Veränderung,
zeichnet sich durch die Schönheit der Farbe aus. Auch A. von Co-
hausen 0 hat bei der Saalburg Bruchstücke römischen Fensterglases
ausgegraben, deren Beschreibung fast vollkommen auf unser Stück
passt. jpDas Glas ist hellgrün, klar durchsichtig und gut erhalten; die
untere Fläche der rechtwinkeligen Scheiben ist eben, aber rauh und
daher blind, während die Oberfläche sanfte Unebenheiten, aber voll-
kommene Glätte und Glanz zeigt. ^ Die Bänder sind an dem Glase
der Saalburg rundlich geflossen, als sei die glühende Glasmasse durch
einen Bahmen begrenzt worden, wodurch die Bänder des Glases wul-
stig anschwollen. An dem Glase von Bandorf ist der Band rund-
lich abgeschliffen. Die Knochen sind Ueberreste vom Schwein und
vom Ochsen und eine Geweihspitze vom Hirsch. Die Mauern sind
aus Bruchsteinen von Thonschiefer hergestellt, aber mannigfaltig waren
die Gesteine, die sich im Schutte fanden, Berkumer Trachyt, Basalt,
abgerundete StUcke von Jurakalk, grauer Sandstein, Brohler Tuff, ein
Tuff mit grossen Bimssteinstücken.
Suchen wir nun die in Bandorf entdeckten Mauerreste, welche den
vollständigen Grundriss der dort gestandenen römischen Gebäude uns
vor Augen stellen, mit den auf derselben Stelle gefundenen Alterthü-
') „Römischer SohmebMobmiiok'' in den AniuJeD des Vereins fär nsss.
AHerthiimsk. XU, Wiesbaden 1878.
13d Ein römiseher Fund in Bftndofff bei Obarwinier.
mern in einen Zusammenhang zu bringen, so erscheint als das Wahr-
scheinlichste» dass hier ein kleiner Mithrastempel gestanden hat, in
welchem aach die Bilder anderer Götter aufgestellt waren; dabei be-
fand sich ein laufender Brunnen mit dem Neptunbilde und ganz in der
Nähe auch noch eine Grabstätte. Die Inschrift der Ära: pro bono communi
deutet vielleicht darauf, dass der an drei Wegen liegende Brunnen ein
öffentlicher war. Der nur ISVa" im Gevierte messende Raum des Haupt-
gebäudes erscheint zu klein für ein Wohnhaus, während der beschränkte
Raum der Büthrastempel auch anderwärts beobachtet ist ^). Die iä
demselben gefundene grosse Steinplatte, die wegen der daraufliegenden
Kohlenreste für eine Heerdplatte gehalten wurde, sowie die übrigen im
Schutte gefundenen Gerätbschaften, selbst eine Heizvorrichtung, kön-
nen ebensowohl mit dem Tempelbau als mit einer Wohnstätte in Ver-
bindung gebracht werden. Sehr merkwürdig ist es, dass die Richtung
des Gebäudes gegen den Himmel, wie die dem Grundriss auf Taf . XIV
beigefügte Polangabe zeigt, genau dieselbe ist, wie die der beiden
Mithrastempel von Heddemheim ■). Die Platte kann der Altarstdn ge-
wesen sein. Dass man eine Grabstätte nahe einem Tempel baute, ist
zwar kein im römischen Alterthum gewöhnliches Vorkommen, ab«:
eine dem menschlichen Gefühle zusagende Sitte, die sowohl in der
germanischen Vorzeit Gebrauch war, indem man in der Regel bei den
heidnischen Opferstätten auch die Todtenäcker findet, als auch bei den
Christen in Uebung blieb, die zuerst in den Katakomben bei den Grä-
bern ihren Gottesdienst feierten und dann in den Kirchen oder in
deren Nähe die Todten bestatteten, bis erst in unserer Zeit aus Rück-
sicht für die Gesundheit die Kirchhöfe in den Städten untersagt und
die Begräbnissplätze ausserhalb derselben angelegt wurden. Da der
Mithrasdienst ursprünglich in Höhlen oder unterirdischen Räumen ge-
feiert vrurde, so war bei der angeordneten Ausgrabung darauf unsere
Aufmerksamkeit gerichtet ; an der Fundstätte fand sich indessen nichts
der Art, doch verdient es angeführt zu werden, dass die Einwohner
von Bandorf auf Befragen eine nur einen Steinwurf von dem Fundort
^tfemte Stelle am Berge bezeichneten, wo sich früher eine Höhle be-
funden habe, die man die Kohlkaul nannte; sie ist jetzt verschüttet
und kann, da im Bandorfer Thale und seinen Umgebungen zu ver-
schiedenen Zeiten, wie noch heute, auf Kupfer, Blei und Eis^erz
') Annslen des Vereins für nara. Alterihomik. II, 8. 92.
^ A. ft. 0. I, 2. u. 3. Hft. Taf. lY a. V.
V-
Ein rdnoBOlier Fimd in Bndorf bei Ot^rwintor. 198
Bergbau getrieben vatde, ein alter Stollen oder Schacht gewesen sän.
In der Nähe des Mithrasdenkmals von Schwarzerden, sowie bei dem
freilich irrthflmlich als Bfithräum bezeichneten Denkmal vdn Schwein-
adned sind Höhlen, die merkwürdiger Weise beide vom Volke »das
Wildfranloch« genannt werden. Von der letzteren giebt Engelmann an,
dass sie ein verschütteter Stollen sein könne, wie es deren in jener
Gegend viele gebe. Als eine Erinnerung an die Bömerzeit kann es
wohl gedeutet werden, dass das neben der Fundstätte gelegene grosse
Ackerfeld, auf dem das Haus des Loosen steht, und die Fundamente
starker Mauern in der Erde liegen, noch heute in der Eatasterkarte
der »Hermes-Ackert heisst. Da es in den letzten Jahrhunderten in
unserer Gegend ni^nals üblich war, Felder mit den Namen der Be«
sitzer zu bezeichnen, so darf man diese Benennung vielleicht für eine
römische halten. An ' den griechischen Gott Hermes ist dabei wohl
nicht <zu draken, sondern an den römischen Familiennamen Hermes,
der in unsem Bheingegenden mehrmals auf Inschriften vorkommt, so
bei Brambach auf Nr. 1629 aus dem Schwarzwaldkreis, auf Nr. 1064
aus Mainz und auf Nr. 2005. 1 aus Wiesbaden. Doch ist es auffallend,
dass an dem grossen Mitfarasbilde von Heddemheim- in den vier
Ecken Köpfe angebracht sind, die wie Mercur mit Flügeln ver-
sdien sind. Auch wurde in diesem Mithrastempel eine Statue des Mer-
cur gefunden. Wichtiger ist noch; dass ein nahe dem Fundort zwisdien
Unkelbach und Bemagen gelegener Berg noch jetzt der Sonnenberg
heisst, welcher Name wohl als eine Erinnerung an den hier einst ge-
übten Scmnendienst betrachtet werden kann.
Die Ausbreitung der ursprünglich persischen Mithrasreligion im
römischen Beiche, die wie ein Vorläufer des Christenthums angesehen
werden kann, bietet ein besonderes Interesse für die Culturgeschichte.
Während dne Verehrung der Sonne und der Gestirne mit den ersten
Begnügen des religiösen Gefühls im Menschen sich zu verbinden pflegt
und sich desshalb in den ältesten Beligionen wie bei lebenden rohen
Völkern so gewöhnlich findet, wobei indessen die Verehrung des Mon-
des, als des dem Menschen näher stehenden und bekannteren Gestirnes
älter ist, als der Sonnendienst, * ist es gewiss eine auffallende Erschei-
nung, dass ein so alter Gultus mit neuen und voUkommneren Vor-
stellungen von der Gottheit gerade in einer Zeit verfeinerter Geistes-
bildung und Cultnr dem Glaubensbedürfhisse der Menschen wieder
näher tritt und die Verehrung dnes allmächtigen und höchsten Gottes
unter dem Bilde der Sonne an die Stelle der Vielgdtterd setzte womit
»-
134 £in römifoher Fund in Baadorf tiei Oberwiater.
eine sinnliche AufiEassung der Natur Erde und Himmel belebt und
sich verständlich gemacht hatte. Wiewohl unzweifelhaft dieser Ver-
ehrung dei' Sonne schon die einfache Ueberlegung des Menschen zu
Grunde liegt, dass er dem Tagesgestim, seinem Lichte und seiner
Wärme alle Gaben des Lebens zumeist verdankt, so dürfen wir doch
heute hinzufügen, dass diese Ansicht auch von der gegenwärtigen Wis-
senschaft die glänzendste Bestätigung erfahren hat, indem diese in der
Lehre von der Verwandlung der Kraft jede in der Natur, in den Pflan-
zen und Thieren wie im Menschen wirksame Kraft auf die Sonne zu-
rückzuführen im Stande ist. Ganz besonders hatten die Perser den
Sonnendienst ausgebildet, der auch in Syrien der herrschende war und
hier mit dem Baaldienst der Babylonier und Phönizier zusammenhiog.
Im Baal wurde die befruchtende Kraft verehrt. Auch der höchste Gott
der Aegypter, Osiris, war Führer des Sonnenjahres, sein Sinnbild der
Stier> ein bezeichnendes Bild der Kraft und Fruchtbarkeit. In den
Mithrasbildem wird der Stier als die dem Lichte entgegengesetzte
irdische Natur gedeutet; am Pallaste von Persepolis aber überwindet
der Löwe den Stier. Auch im indischen Alterthum fehlen diese Vor-
stellungen nicht. Mitras ist in einem Hymnus des Zendavesta die höchste
Macht des Lichtes, ein streitender Held und Gegner aller finstem Da*
monen, der auf gewaltigem Schlachtwagen daherfährt. Die Sonne über-
windet Nacht und Winter; den Mitra nannte man Mittler zwischen
Licht und Finstemiss ^). Nach Lactantius ') haben die Perser die Sonne
in Höhlen gefeiert, die Stierhörner, welche Mithras in Händen hält,
sind auf die Mondsicheln zu beziehen, denn Luna wird die zweihömige
genannt. Daher auch der Stier in Mithrasbildem mit mondsichelför-
migen Hörnern abgebildet ist. Stark bezieht gewiss mit Recht den
Skorpion, den Hund, die Aehren, die Schlange, das Wassergefäss, den
Raben auf den Mithrasdarstellungen auf die Sternbilder der Ekliptik;
die in Dormagen gefundenen 12 Kugeln verschiedener Grösse er-
innern an die 12 Monate des Sonnenjahres. Auf dem grossen Mithras-
bilde von Heddemheim ist die Ekliptik mit den 12 Sternbildern voll**
ständig dargestellt^). Deutet der Baum unseres Neptunbildes nicht
auch auf den Mithras?
*) L. Preller, Römische Mythologie. Berlin 1858.
>) Vgl. E. B. Stark, über die Büthrassteine von Dormagen. Jahrb. XLVI
leed. 8. 16. '
') Annalen des Yereios f&r naisauische Alierthamskunde; Wiesbaden 1890
I, 2. n. 8. Hft. Tab. I. ' «
Ein rdnÜMlier Fond in Bandorf bei Oberwintar. 19S
Man pfl^ die Verbreitang der Mithrasreligion unter den römi-
schen Kaisern aus dem Zusammenfliessen der religiösen YorsteUangeii
der Terschiedensten Völker des Alterthums zu erklären, während frflher
mit grosser Strenge der römische Gottesdienst von fremder Beimischung
rein erhalten wurde ; denn im letzten Jahrhundert vor Christus wurde
der ägyptische Gottesdienst als schändlicher Aberglaube in Rom wie-
derholt verboten. Auch will man in der Annahme der neuen Religion
rine Rttckkehr zu einer mehr innerlichen und einfacheren Gottesver-
ehrang, im Gegensatze zu einem prunkvollen aber glaubenslosen Got-
tesdimst in den Tempeln so vieler verschiedener Götter erkennen. Es
ist aber wohl richtiger, dieselbe als einen Fortschritt in der Entwick-
lung des religiösen Denkens zu bezeichnen, der in einer hochgebildeten
Zeit nicht ausbleiben konnte. Hatte doch dieser Gottesdienst so Man-
ches mit dem christlichen Cultus gemein, dass die Kirchenväter sich
veranlasst sahen, die Bekenner des Ghristenthums gerade vor einer
Vermischung mit dieser Religion ausdrücklich zu warnen. Die Bezeich-
nung des Teufels als Lucifer bezeugt, welcher Verachtung man diesen
heidnischen Glauben Preis gab. Das Stieropfer war ein Sühnopfer, in
dem in der Borghesischen Samndung aufbewahrten Bilde leckt ein
Hund begierig das Blut des Opferthiers, und daneben stehen die Worte:
nama sebesio(n), beiliges Blut Liegt nicht dieselbe Vorstellung auch der
christlichen Religion zu Grunde? Ein anderes Mal kommen auf einer
Inschrift die Worte : nama cunctis vor, die als )»das für Alle vergossene
Blatt gedeutet zu werden pflegen. Diese in der Villa des Hadrian zu
Tivoli gefundene Inschrift hat indessen, worauf mich Herr Prof. Bergk
aufmerksam machte, eine ganz andere Bedeutung. Sie lautet ') : Soli
Invicto Mithrae | sicut ipse se in visu | jussit refid | Victorinus Caes.
N I vema dispensator | numini praesenti suis in | peudls refidendum |
coravit dedicavitque | nama cunctis. Diese Worte dürfen mit grösster
Wahrscheinlichkeit auf die Herstellung eines Götterbildes und auf die
Fassung einer dem öfientlichen Gebrauche bestimmten Quelle bezogen
werdm. Ist diese Ansicht richtig, so würde das Denkmal, wozu diese
Inschrift gehört hat, mit unserm Bandorfer Funde eine auffallende
Uebereinstimmung zeigen; das pro bono communi unserer Ära würde
dem nama cunctis entsprechen und auf die Quelle hindeuten, die aus
der Urne unseres Brunnengottes floss. Nur durch eine Reihe strenger
>) G. Zoega's Abhandl herausg. ron Welckei^ Göttingen 1817, S. 143.
*) Orelli, InBcripi laiin. sei. ooU. I. Torid» 182a n». 19U.
\H Ein römiMker Fond in B«ndorf bei Ob^nvmtar.
\
Prüfungen und Bassungen, durch Proben von Muth und Seelen-
stärke wurde man in die Geheimnisse dieses Gottesdienstes einge-
weiht Die Hithrastempel von Heddemheim erinnern in ihr^n Grund-
riss an die christliche Kirche, der Tempel ist in 8 Schiffie getbeilt, das
mittlere verlängert sich durch einen vorspringenden Ausbau, welcher
das Sacrarium bildete; bei dem einen dieser Tempel hat das Mittel-
schiff sogar die Kreuzesform. Man kann kaum zweifeln, dass aus dem
Mithras-Heiligthum der christliche Altar mit seiner Chornische ent-
standen ist, oder doch darin ein Vorbild hatte.
Wie Friedländer in treffender Weise hervorhebt, ist es ein Irr-
thum, zu glauben, dass die heidnische Religion bei Stiftung des Chri-
stenthums sich ausgelebt hatte. Der Götterglaube herrschte in unver-
änderter Stärke und den christlichen Wundem wurden heidnische ent-
gegengesetzt, an die auch fast alle Gebildeten glaubten. Die zahlreichen
Inschriften religiösen Inhalts, die uns erhalten sind, beweisen mehr
wie die Literatur die Innigkeit des Glaubens im Volke. Währ^d frei-
lich ein Lukrez und Plinius Gott und Unsterblichkeit läugnen, bekennt
Tadtus seinen Götterglauben, und Mark Aurel und Juvenal ermahnen
zum Gebete. Die stoische Philosophie entwickelt Betrachtungen, wie
sie bei Seneca sich finden, die den christlichen Anschauungen nahe
verwandt sind ; eine religiöse Schwärmerei sogar, die an den christ-
lichen Pietismus erinnert, spricht sich in den Schriften des Redners
Aelius Aristid^s aus, der 117 geboren war'). Dass der zumal unter
Hadriau und den Antoninen in Rom eingefnhrte Mithraskultus mit den
durch Prlfungen erlangten verschiedenen Rangstufe seiner Bekenner
den Soldaten besonders zusagen musste, ist oft hervorgehoben worden ;
dass die römischen Legionen denselben aus dem Osten des Reiches
wie nach Frankreich und England so auch an den Rhein gebracht
haben, dafilr ist der Fund von Bandorf in der Nähe des von der ersten
flavischen Gehörte besetzten Remagen ein neuer Beweis. Während erst
im 3. Jahrhundert die Gottheiten aller Länder sich in Rom zusammen
fluiden, hatte, wie Friediänder anführt, doch sdion Mark Aurel bei
dem allgemeinen Schrecken des markomannischen Krieges Priester aas
allen Landein kommen lassen, um die Stadt Rom mit allen Arten
religiöser Gebriluche zu söhnen. Die BfithrasmTBterien wurden indessen
schon frQher daselbst gefeiert, und vor Hadrian sollen in denselben
^) L. Fnedlftndqr, Dantellangen aus der SitteDgetobicbte Bon», 8* Tbeil,
Leipzig 1871, 8. 48».
^
EiB romifoher Fond in Bandorf bei Oberwiater, 127
sogar Menacbenopfer herkömmlich gewesen sein, wie auch dem indischen
Indra solche gebracht wurden 0* Hadrian verbot die Menschenopfer, aber
^ter soll noch Commodus eigenhändig dem Mithras einen Menschen
geopfert haben, aus dessen Eingeweiden er wahrsagen liess. Zuerst
brachte Pompejus im Jahre 68 vor Chr. aus dem Seeräuberkriege deu
Mithrasdienst nach Bom. Die Bilder von Sonne und Mond finden sich
schon auf Münzen des Augustus, des Yespasian und Trajan, die Beger
abbildet. Preller macht darauf aufinerksam, wie der Jupiter Dolichenus
in römischer Kriegsrüstung gleichsam eine Verherrlichung des römi-
schen Kaisers darstellte. Stark erwähnt einer Münze des Commodus,
auf der das Bild des siegenden Sonnengottes auf den Kaiser selbst
übertragen ist, der mit Mantel und Strahlepkrone die Erdkugel in. der
Hand hält Die römischen Legionen hatten seit Septimius Severus eine
besondere Vorliebe für den Mithrasdienst Elagabalus war selbst früher
Oberpriester im Sonnentempel zu Emesa in Phönizien und Aurelianus
der Sohn einer Priesterin des Sonnengottes in Sirmium. Er richtete
m Rom einen Sonnenkultus ein und nannte sich auf Münzen Dens et
Dommus natus Aurelianu» Augustus, eine Selbstvergötterung, gegen
die das von unseren Herrschern beliebte »von Qottes Gnaden« doch ein
sehr bescheidener Titel ist Auch Diocletian . und Constantin waren
dieser Religion noch zugethan. Auf einem in Paris befindlichen grosses
Onyx mit dem Bilde des Constantinus magnus, der früher der Gastor*
kirche in Cobienz angehörte, trägt der Kaiser auf der Brust eine
Spange mit dem Bilde der Sonne. Auch Julian nennt sich noch den
Diener des Sonnenkönigs. Da im Mithrasdienst das licht verehrt wird,
welches die Finstemiss überwindet, so fand derselbe in Höhlen oder
unterirdischen Räumen statt Die Mithrashöhlen in Rom, Gonstantino-
pd und Alexandrien werden noch im Anfang des 5. Jahrhunderts von
Paulinus von Nola erwähnt und man feierte in Rom das Fest dieses
Gottes nach dem Vorbilde der Phönizier und Perser um die Zeit des
kürzesten Tages, am 25. December'). In der Inschriften-Sammlung
von Orelli-Henzen *) kommt in Nr. 5846 die Widmung: lavicto vor,
wozu Henzen bemerkt, dass in einem alten Galendarium dies VIO Ca*
lendas Januarias »Natalis Invicti« benannt sei. Hieraus folgt aba*
nichts dass, da jener Tag der 25. December, also unser Chrisfetag ist»
>) Porphyr, de absün. U, 66 und AeL Lamprid. Comm. 9.
^ L. PreUer, Bomiache Mythologie. 8. 766.
*) Insortpi. Latinar. Select Coli. ampl. T. 8.
128 Ein römiaoher Fund in Bandorf bei Oberwinter.
das Natalis Invicti nicht auf Mithras, sondern auf Christus zu beziehen
sei, denn das Fest der Geburt Christi wurde, wie auch andere christliche
Feste, z. B. das Johannisfest, absichtlich auf den Tag eines einigermaassen
entsprechenden heidnischen Festes •gelegt. Ehe man die deutlichen
Beweise für die Verbreitung des Mithrasdienstes unter den späteren
römischen Kaisem zur Hand hatte, war man wegen des alten asiati-
schen Ursprungs dieser Religion geneigt» einige dieser Denkmale als
asiatische Alterthümer zu betrachten. Selbst von Raumer und Ritter
sprachen die Meinung aus, der Mithrasdienst sei nicht erst durch die
Römer in das südöstliche Deutschland verpflanzt worden, sondern un-
sere Vorfahren hätten selbst ihn aus dem asiatischen Stammlande
mitgebracht. Alle künstlerischen auf die Mithrasreligion sich beziehen-
den Darstellungen, auch die asiatischen, welche F. Lajard seinem
Werke ^) einverleibt hat, gehören einer fortgeschritteaen Culturperiode
an und enthalten nur ausnahmsweise Andeutungen einer ältesten Vor-
zeit Es ist eine bekannte Thatsache, dass sich bei fast allen Cultur-
Völkern in religiösen Verrichtungen der Gebrauch steinerner Werkzeuge
lange Zeit erhalten hat, weil er der ursprüngliche war. So bediente
sich der Pontifex Maximus in Rom beim Opfer eines Steinmessers,
die Leicheneröfihung bei der Mumienbereitung in Aegypten geschah
auf dieselbe Weise, ebenso die Beschneidung bei den Juden, auch
die Priester der Gybele entmannten sich mit einem Steinmesser;
selbst die Oberpriester im alten Mexico opferten die Kriegsgefangenen
auf diese Art. Wiewohl unter den Ruinen von Persepolis Stein-
waffen gefunden worden sind, so ist in den Mithrasbildem die Waffe
des Stiertödters doch in der Regel der persische Dolch oder ein langes
Messer, dessen Form auch die oft dargestellte Scheide erkennen lässt.
Auf dem in den Jahrb. XLVI, Taf. III wiedergegebenen Mithrasdenk-
male der Eremitage von St Petersburg sieht das Werkzeug in der
rechten Hand des mit entblössten Schaamtheilen Opfernden aber wie
ein Steinbeil aus. Dass in der alten Kunst Steinwaffen dargestdlt
worden sind, sieht man z. B. in den Denkmälern der Kunst des Alter-
thums zu Winckelmann's sämmtl. Werken, Donaueschingen 1835,
Vignette 12, wo ein geflügelter Genius den Opferstier mit einer wie
ein Feuersteinmesser gestalteten Waffe tödtet, die am Griffe einen
Knopf hat. Ebendaselbst ist, Vignette 14, Merkur mit einem Stein-
^) F. Lajard, Introduotion k l'^tade da oalte de Mithra eto. Paria 1847.
\
Ein römiflcber Fand in Bandorf bei Oberwinter. 129
hammer dargestellt. Zu den \?en]gen in der EuBst der klassischen
Völker nachweisbaren Ueberlieferungen der Urzeit muss aber die Keule
gerechnet werden, welche Waffe die Griechen dem Herkules zuertheilen.
In der persischen Mythologie ist die Keule auch Symbol des Mithras.
Im Zendavesta wird die Keule dreimal als Waffe des Mithra gepriesen.
Nach Arrian wurde den indischen Stieren das Zeichen der Keule ein-
gebrannt.
Das Bheinland und sein angrenzendes Oebiet sind reich an be-
merkenswerthen Mithrasdenkmälern. Die bedeutendsten sind die von
Dormagen *), das von Schwarzerden *), die von Neuenheim und Laden-
burg') und die von Heddernheim. Dass sich die von Freudenberg be-
schriebene, dem Hercules Saxanus geweihte Altarinschrift auf einer Fels-
wand des Brohlthales aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts, die sich jetzt
im Wallraff 'sehen Museum zu Cöln befindet, wegen der daraufgemalten
Bilder von Sonne und Mond auch auf den Mithras beziehe^ ist zwar nicht
sicher nachweisbar, aber doch sehr wahrscheinlich. Freudenberg er-
gänzt die Inschrift als: Deo Invicto Herculi, und fahrt an^ dass im
Brohlthale noch zwei Altäre mit der Widmung Herculi Invicto sacrum
gefunden seien. Herkules hat als Beschützer der Steinbrüche den Na-
men Saxanus erh|lten; der bei Brambach l5mal in Funden dieser
Gregend vorkommt. Gegen die Meinung, als hätten sich diesem Gultus
vielleicht germanische Elemente beigemischt, führte bereits Grimm an,
dass diese Inschriften über Deutschland hinaus vorkommen. Dass solche
Weihesteine und Altäre von römischen Soldaten errichtet wurden,
kann nicht auffallen, wenn man weiss, dass man dieselben mitunter zu
öffientlichen Arbeiten benutzte. Die Erwähnung der Legio VI Victrix Pia
Fidelis und der Legio X Gemina führt zu dem Schlüsse, dass dieser
Altar an der Felswand nicht vor Vespasian und nicht nach Hadrian
errichtet ist. Die an dritter Stelle erwähnte Legio XXII Primigenia
Pia kommt in zahlreichen Inschriften vor, deren älteste vom Jahre 65
ist. Diese Legion stand mehrere Jahrhunderte in Deutschland, meist
in Mainz. Die Erwähnung des Legatus Qu. Acutius, der auch auf einer
Nymweger Inschrift vorkommt, lässt vermuthen, dass dieser mit dem
Consul suffectus Acutius Nerva des Jahres 100 nach Chr. derselbe ist.
Freudenberg bemerkt nun: num an einen Dens In victus (Mithras) und
*) Jahrb. XLVI, Taf. I u. ü.
*) Schöpflin, Alsaüa iU. I p. 61 und Engelniaim, Elfter Bericht deaatitiqa.
Mit Ter. f. Nahe und Hansrücken 1869—71.
•) Jahrb. XLVI Taf. IV.
9
190 Ein romisöher Fand in Bandorf bei Ob^rwinter.
Hercules zu denke]}, wie bei Mommsen Inscript confoed. Helv. Nr. 64
der Deus Invictus und Genius Loci verbunden sind, ist unsere Inschrift
zu alt, wenn auch die räthselhaften Zierrathen aber den Seitennischen,
Sonne und Mond, eine solche Annahme zu begünstigen scheinen.« Es
ist indessen die Uebereinstimmung des Qu. Acutius mit dem Acutius
Nerva, worauf die Altersschätzung der Inschrift beruht, nicht ganz
zweifellos, dagegen weisen der Beiname Invictus im Munde römischer
Legionen, die auf den Mithrasbildern so gewöhnlichen Darstellungen
von Sonne und Mond und gerade der Umstand, dsss mit der Verehrung
des Mithras skh die anderer Götter vermischt hat, mit grosser Be-
stimmtheit auf den Mithraskultus hin. Freudenberg selbst spricht an
einer andern Stelle die Vermuthung aus, dass die Bilder der Sonne,
die durch 7 in Pfeilspitzen auslaufende Strahlen dargestellt ist und
des sichelförmigen Mondes mit aufwärts gekehrten Hörnern zu dem
Heros, dem das Denkmal geweiht ist, eine nähere Beziehung haben
und gesteht, dass es am nächsten liege, an einen Einfluss der Mithras-
religion zu denken, welche nach Plutarch den Römern bereits in Folge
des durch Pompeius beendigten Seeräuberkrieges bekannt wurde und,
nach römischen Denkmälern zu urtheilen, bereits gegen Ende des 1.
und zu Anfang des 2. Jahrhunderts in Rom sich festsetzte. Wiewohl
der unter Domitian lebende Dichter Statins schdb auf die Mithras-
verehrung anspiele, sei sie erst unter Septimius Severus und seinen
Söhnen in den Staatskultus übergegangen. Das dem Hercules beige-
legte Invictus deute darauf, dass sich der asiatische Sonnendtenst mit
der Verehrung dieses Heros vermischt habe. Vielleicht sei eine der
an dem Denkmal betheiligten Gehörten, z. B. die Cohors U aus Spa-
nien gekommen und die Bilder der Sonne und des Mondes rührten
von dem Cultus des tyrischen und zumal des gaditanischen Herkules
her. Es waren besonders die Kaiser Galba, Trajan und Hadrian, von
denen die beiden letztem aus Spanien stammten, welche diesen Heros
verehrten. Diese Verehrung scheine aber aus Spanien auch früh nach
Gallien gekommen zu sein, worauf gallische Inschriften des H^r-
«
cules Andossus hinweisen. Die im südwestlichen Frankreich gefundene
Inschrift Helioucmouni (Deo), über welcher das Haupt des Gottes um-
geben von 7 Strahlen und der die Homer nach oben kehrende Halb-
mond dargestellt sind, kommt dem Bilde auf der Felswand im Brohl-
tbale sehr nahe ').
^) J. Freudenberg, das Denkmal des Hercules Saxanus im Brohlthal. Fest-
programm des Vereins von Alteribumsfreanden. Bonn 1662. S. 25 fg.
Ein röadfoher Fnad in Bandorf bei Oberwintor. ISl
Der MithrasteiDpel von Dormagen wurde bereits 1821 entdeckt
Beim Umgraben eines Ackers in der Nähe dieses Ortes traf man auf
ein GewMbe von Gussmauer und neben demselben auf ein Gemach
von 10 F. Höhe und Breite und 40 F. Länge. In diesem Baume stan-
den an die Wand gelehnt zwei trefiTlich gearbeitete Mithrasmonumente,
an der Erde lag das Bruchstück eines Isispriesters, sämmtlich mit In*
Schriften versehen, die oben angegeben sind. Femer wurden hier zwei
Altäre aus Tuffstein ohne Inschrift, der eine in Form und Grösse dem
van Bandorf ähnlich, gefunden, sowie Lampen, Münzen und 12 Kugeln
aus Tufitein. Diese Denkmäler wurden in diesen Jahrbüchern ein-
gehend von K. B. Stark besprochen 0- Ueber das in der Nähe des
Dorfes Schwarzerden, 3 Stunden von St. Wendel, auf einer Felswand
befindliche Miihrasbild, welches durch die Witterung bereits sehr be-
schädigt ist, hat kürzlich Engelmann berichtet und eine von ihm vor
30 Jahren entworfene Zeichnung desselben veröfifentlicht '). Er macht
hierbei auf die zahlreichen Mithrasdenkmale in den Donauländerui in
Oestenreich und Tyrol, in Neapel, Rom, Oberitalieo, Gallien und Bri-
tannioi aufmerksam, sowie auf die in den Felsen gehauenen Mithras-
bilder von St. Andeol an der Rhone und von Roshang in Niederkrain.
Hierbei sei angeführt, dassSeidl in seiner Schrift: »Der Dolichenuskult,
Wien 1854t, gegen 60 Monumente dieses Gottesdienstes verzeichnet,
die in die Jahre 139 bis 318 fallen. Das im Jahre 1751 von Schöpflin
merkwürdiger Weise in der Alsatia illustrata gelieferte BUd von
Schwarzerden scheint ihm vom Zieichner ergänzt zu sein. In der Ab*
handlang des Professor Stark : i^Zwei Mithräen der Grossherzogl. Alter-
thttmer*Sammlung zu Garlsruhe, Heidelberg 1865tt, worin die Mithras-
bilder von Osterburken im Odenwald und von Neuenheim ^) bei Hei-
delberg beschrieben sind, wird irrthümlich mit Berufung auf Schöpflin
und Lajard dieses Felsenbild nach Schwarzerd in der Grafschaft Dachs-
burg im Elsass versetzt. Auch bei Beschreibung der Mithrassteine von
Dormagen scheint derselbe Verfasser das Denkmal im Elsass anzu-
ndimen. Eogelmann theilt ferner mit, dass Prof. Fiedler in einem am
21. Dec. 1869 an ihn gerichteten Briefe sich darüber wundert, dass
das von ihm gezeichnete Denkmal bei einem Dorfe desselben Namens
*) Jahrb. des VereinB von Alterthnmsfr. XL VI. Bodq 1869, 1. Vgl. Jahrb.
XXI, 29 and XXIII, 146.
*) Elfler Bericht des antiqnar. Vereins für Nabe und Hunsrlioken. 1889
-1871, S. 15.
') Vgl. Creaser, über das Mithräiim von Neaenheim, 1838.
182 Ein römischer Fnnd in Bandorf bei Oberwinter.
sich befinde, wie das von Schöpflin beschriebene, und gibt endlich eine
Aufklärung über den Ursprung dieses Irrthums, dessen Fortbestehen
nur desshalb auffallend ist, weil das bei St. Wendel befindliche Denk-
mal doch in verschiedenen Schriften erwähnt worden ist. Schöpfiin gab
nämlich an, dasselbe sei im Gebiete der Grafen von Leiningen-Dachs*
bürg gelegen, und zwar in Lothringen, während die Herrschaft Ober-
kirchen, in deren Nähe Schwarzerden liegt, nur ein lothringisches Lehen
war. N. Müller ^), der mehr als 1000 25eichnungen mithräischer Denk-
male gesammelt hat, gibt in seiner Mithrasgallerie, in der er 22 Mi-
thrasbildwerke abgebildet hat, unter Fig. 5 eine Darstellung desselben.
Er bemerkt, dass die Franzosen dieses zwischen Pfeffclbach und
Schwarzerd gelegene Mithrasbild das vogesische nennen und fügt hinzu :
Ich sah dieses mächtige Monument vor etwa 30 Jahren und traf es
leider nicht mehr in dem frischen Zustande, in welchem es Schöpflin
für seine Alsatia illustrata abbilden liess. Also dieser Forscher, der
an Ort und Stelle war, lässt ihm die Bezeichnung des vogesischen. Ein
Umstand könnte in Zukunft noch einmal dazu beitragen, an zwei ver-
schiedene Denkmale zu glauben, es sind nämlich die von diesenrBilde
gegebenen Zeichnungen nicht ganz übereinstimmend. In dem von Müller
gegebenen Bilde, welches wohl nach Schöpflin verkleinert ist, erhebt
der Hund den Kopf zum Stier und hat eine Schlange neben sich, in
der Zeichnung von Engelmann liegt der Hund und die Thiergestalt
daneben ist nicht deutlich, dort steht links in der Ecke die Sonnen-
scheibe, hier ein Brustbild des Sol, auf dem Bogen über dem Stier-
tödter sind dort zwei Köpfe im Profil, hier zwei andere Figuren, dort
senkt der Stier den Schweif, hier hebt er ihn, die stehende Figur
links vom Beschauer ist in beiden Zeichnungen ganz verschieden. Diese
Verschiedenheiten können nur dadurch entstanden sein, dass die Zeich-
ner das beschädigte Bild willkürlich ergänzt haben. Engelmann er-
innert noch daran, dass wie im Odenwald ein Osterburken vorkommt,
so bei Schwarzerden ein Osterbrücken, ein Osterbach, ein Osterthal
und fragt, ob diese Namen nicht mit Astarot, Ostara zusammenhängen,
woher unser Ostern, ursprünglich vielleicht ein Frühlingsfest, den Na-
men hat. Da sich an der Felswand von Schwarzerden die Locher zum
Einlegep der Balken noch finden, so lässt sich die ursprüngliche Grösse
des Tempels genau angeben, das Mittelschiff des Tempels war 10 F.
lang, SVa F. breit und 12 F. hoch, das ganze Gebäude hatte eine
^) Annalen des Vereins für nassauisohe Alterthnmsk. IL 1. S. 12. Tab. L
Ein römischer Fund in Bandorf bei Oberwinter. 188
Breite von 16Vt F. und eine Höhe von 14 F. Die Mithrastempel von
Heddernheim waren der eine 39 F. lang und 25 breit, der andere 46
F. lang und 21 breit. Der in der Gegend von Schwarzerden gefundene
15'' hohe männliche Kopf 0, dessen schon früher gedacht ist, hat in der
That eine phrygische Mütze, wie der das Opfer verrichtende Jüngling
sie auf den Mithrasbildern gewöhnlich trägt, und gehört wahrschein-
lich zu einem Mithrasbilde, auf denen die Darstellung blosser Köpfe
sehr häufig vorkommt und eine Eigenthümlichkeit zu sein scheint, wie
insbesondere das Denkmal von Heddernheim zeigt. Das Mithrasbild
von Ladenburg am Neckar ist unlängst von Stark in diesen Jahr-
büchern^) beschrieben worden. Dagegen ist das in den Felsen ge-
hauene Denkmal bei dem früher hessenhomburgischen Dorfe Schwein-
schied, welches in diesen Jahrbüchern lY, S. 94 irrthümlich als Mi-
thräum bezeichnet worden ist, und in seinem Hauptbilde einen Reiter
vorstellt, wie Engelmann mit Ilecht hervorhebt, kein solches, sondern
scheint vielmehr das Grabdenkmal eines im Kampfe gefallenen Helden
zu sein '). Drei grosse Denkmale dieser Art, auf denen ein Reiter dar-
gestellt ist, unter dem ein gefallener Krieger sich mit dem Schilde
deckt, enthält das Mainzer Museum. Auch ist dieses Bild als Revers
auf Münzen häufig. Die neben dem Hauptbilde von Schweinschied
dargestellten Figuren scheinen indessen doch auf die Mithrasverehrung
sich zu beziehen, wovon später die Rede sein wird. Auf den beiden
Silberplatten des Berliner Museums, die Gerhard ^) beschrieben hat,
ist der sonst streitbare Gott Jupiter Dolichenus nackt vorgestellt, in
dem einen Bilde ist aber an den vier Ecken des Reliefs ein bewafif-
neter Flügelknabe dargestellt, und der Gott selbst hält einen mit einer
Pfeilspitze versehenen Herrscherstab; in beiden Bildern hält er Pfeile,
in dem einen auch einen in Pfeilspitzen endenden Donnerkeil in der
Hand. Gerhard vetmuthet, dass diese Reliefs von einem rheinischen
Funde herrühren.
Das grosse Heddernheimer Mithrasdenkmal ^), welches im Museum
^) Erster Bericht des Vereins für Erforschung upd Sammlang von Alter-
thümern in den Kreisen St. V^eudel und Ottweiler. Zweibrücken, 1838, Tab. IIl
Fig. 1.
«) Jahrb. XLIV und XLV. 1868.
'} Neunter Bericht des antiquar. histor. Vereins für Nahe und Hunsrücken.
1867—68; und Jahrb. XLVI. 1869. S. 169.
*) Jahrb. XXXV. 1868. S, 31.
' *) F. G. Habel, die Mithrastempel in den röm* Ruinen bei Heddemheimj
ite Ein römischer Fund in Bandorf bei Oberwinter.
von Wiesbaden aufgestellt ist, wird schon von N. Müller mit Recht
als das vorzüglichste und werthvollste von allen bezeichnet. Hier wur-
den zwei Mithrastempel entdeckt, in die man zwar auf sieben Treppen-
stufen hinabstieg, die aber doch grösstentheils, wie man schliessen
muss, überirdische Bähten waren. Beide bildeten ein Mittelschiff mit
zwei Seitenschiffen, am Ende des ersten befand sich das Sacrarium, in
welchem das grosse drehbare Mithrasbild des einen Tempels sich be*
fand. Bei dem zweiten Tempel bildet der mittlere Raum geradezu ein
Kreuz. Wenn der von Habel nach den Mauerresten entworfene Grund-
riss dieser Gebäude zuverlässig ist, so muss die dem Bau der christ-
lichen Kirche entsprechende Einrichtung als höchst, auffallend bezeich-
net werden. Das Mithrasbild in dem abgesonderten nach aussen vor-
springenden Räume am Ende des Mittelschiffs steht an der gleichen
Stelle wie der christliche Altar im Chor. Man würde das sich drehende
Mithrasbild vielleicht dem drehbaren Tabernakel vergleichen dürfen,
wenn nicht dieses erst im 12. Jahrhundert in Gebrauch gekommen
wäre und keineswegs allgemein diese Einrichtung hat. Lajard hatte
behauptet, die Eingänge zu den Mithrastempeln seien meistens gegen
Norden gelegen, bei diesen beiden Tempeln findet er sich gegen Sü-
den. Der muthmassliche Eingang in das Gebäude von Bandorf war
auch an der Südseite. Die H^ddemheimer Denkmale bieten noch meh-
rere Eigenthümlichkeiten, die auf unsern Bandorfer Fund einiges Licht
zu werfipn scheinen. Das häufige Vorkommen blosser menschlicher Köpfe
in den Reliefdarstellungen des grossen Mithrasbildes gestattet die An-
nahme^ dass der jedenfalls einen Gott darstellende Kopf aus Sandstein,
dem wir einen bei Schwarzerden gefundenen Mithras- oder Attiskopf an
die Seite stellten, eine ähnliche Aufstellung auf Steinblöcken hatte,
wie es vier Köpfe in dem das Hauptbild umgebenden Rahmen des gros-
sen Mithrasdenkmals zeigen. Habel hat nur an dem einen Kopfe oben
rechts ') es deutlich gezeichnet, dass der Kopf mit glatter Fläche am
Halse endet und gleichsam aus einem Haufen von Steinen hervor-
kommt. Betrachtet man das Denkmal selbst, so scheinen auch die
übrigen drei entsprechenden Köpfe aus Steinen hervorzuwachsen, wie
auch noch die Gestalt eines Kindes und der halbe Leib eines Mannes
gleichsam aus Felsen hervorgehen. Auch ist ein Mensch dargestellt,
Annalen des Vereins für nassauische Alterthumskunde nnd Gteschiditsforsohung.
Wiesbaden, 1830. 1. B. 2. u. 3. Hfl. S. 161.
') Habel a. a. 0. Tab. L
Ein römischer Fund in Bandorf bei Oberwinter. 185
<)er aus einem Baume hervorwächst. In dem zweiten Mythräum von
^ieddemheim sind zwei Bildwerke *) gefunden worden, die wahrschein-
lich Bruchstücke eines grössern Mithrasbildes sind, sie stellen ?wei
^albe Jünglinge dar, welche aus Steinen emporwachsen. Die von Bram-
^ach unter den Inscriptiones spuriae (Append. p. 361. Nr. 23) aufge-
^^ährte Inschrift Deo Invito Mithir Secundinus dat befindet sich nach
\iersch, Centralmuseum rheinl. Inschriften in 1842, Nr. 148, auf einer
zu Neuss befindlichen Bronzestatuette, die im Besitze der Frau Hertens
in Bonn war. Sie stellte eine jugendliche Gestalt dar, die einen Schild
mit einer Schlange hält, worauf jene Worte stehen. Lersch bemerkt
dazu : Secundiner müssen den Mithrasdienst sehr verbreitet haben, und
verweist auf sein Gentralm. n Nr. 17, wo dieselbe Inschrift auf einem
bronzenen Votivtäfelchen vorkommt, das oben in ein Mithrasbild aus-
läuft, zu dem sich eine Schlange emporwindet. Dies Bronzetäfelchen
ist im Bonner Universitäts-Museum; auch seine Aechtheit wird von
Overbeck (vgl. Katalog, 1851, Abth. 11. 1, Nr. 21) für zweifelhaft ge-
halten, wiewohl dieselbe Inschrift noch einige Mal vorkommt. Lersch
inl aber, wenn er meint, dasselbe sei als in Lyon befindlich von Gru-
ter XXXin. 11 abgebildet worden. Denn N. Müller*) giebt in seiner
Mithrasgallerie Fig. 15 die Zeichnung eines Votivsteines mit derselben
Inschrift, der ein vielbesprochenes Denkmal ist und aus Lyon stammt.
Auf diesem Steine steht ein Kopf, der nach Art der Mithrasbilder aus
demselben hervorzukommen scheint; um den Stein windet sich eine
Schlange empor. Schon vor piehr als 250 Jahren hielt der Florentiner
Symeoni dies Denkmal für einen dem Aesculap geweihten Votivstein.
Müller begreift nicht, wie dieser Forscher die auffallende Inschrift an
der Seite des Steins: Deo Invi(c)to Mithir Secundinus dat übersehen
haben soll und spricht ebenfalls die Vermuthung aus, dass sie ge-
fälscht sein könne. Die Art der Aufstellung des Kopfes spricht für die
Aechtheit des Steines und der Inschrift und es ist deshalb auch kein
Orund vorhanden, an der Aechtheit der übrigen gleich lautenden In-
schriften zu zweifeln. Die Darstellung blosser Köpfe auf Mithrasbildern
ist auch sonst beobachtet. Im Mainzer Museum befindet sich das Bruch-
stück eines Mithrasaltars, der mitten auf dem Markte der Stadt ge-
funden worden ist. Im viereckigen Felde ist ein Kopf mit phrygischer
Mütze dargestellt; daneben steht ein Schütze mit Mantel und phrygi-
1) Habel a. a. 0. Tab. lY Flg. 4 u. 5.
*) N. MüUer a. a. 0. S. 17.
186 Ein römischer Fand in Bandorf bei Oberwinter.
scher Matze, er schiesst auf eine Gestalt, die im Hiutergrunde des
Bildes aus dem Felsen kommt. Mitbras selbst wird als der Steinge-
bome geschildert. Die vier Hermesköpfe auf den Ecken des grossen
Heddemheimer Bildes beweisen einen Zusammenhang beider Gott-
heiten. N. Müller sagt geradezu: Mithras und Hermes sind so nahe
verwandt, dass Mithras in mehrfacher Beziehung Hermes und dieser
ebenso Mithras ist. Er weist auf ein von Schöpflin ^) veröffentlichtes
Mercurbild, das auf den vier Ecken ebenfalls vier Köpfe zeigt, die,
wie er glaubt, die vierfache Natur des Mercur bezeichnen, den Götter-
boten, den Orakelgeber, den Beschützer des Verkehrs und den Führer
der Träume. Erwägt man diese Beziehungen, so möchte doch vielleicht
der Hermesacker in der Nähe des Mithrasaltars zu Bandorf aus einer
solchen sich erklären. Ein Brunnen fliessenden Wassers, auf welchen
unsere Neptunstatue deutet, scheint, wie die oben erwähnte Inschrift
von Tivoli schon zeigte, den Mithräen nicht fremd zu sein. In dem
zweiten Mithräum von Heddemheim fand sich ein kleiner Löwe aus
Sandstein'), der zum Wasserausgusse durchbohrt ist. Im südlichen
Frankreich befindet sich, wie Habel mittheilt, das bei Bourg St. Andeol
in den Felsen eingehauene Mithrasbild zwischen zwei hervorrieselnden
Quellen. Auch das Felsenbild bei Schweinschied, dessen Hauptdarstel-
lung, wie bereits oben angegeben ist, gewiss kein Mithrasdenkraal ist,
welches aber in seiner ganzen Anordnung mehrerer neben einander-
stehender Bilder von symbolischer Bedeutung doch lebhaft an diese
erinnert, wie insbesondere durch die unverkennbare Figur eines Attis *
und den Oel- oder Lorbeerbaum, wie er auch auf anderen Mithrasbil«
dern vorkommt, lässt uns in dem Seepferd eine Darstellung wahrneh-
men, die in den Vorstellungskreis des Gottes Neptun gehört; denn
Poseidon auf dem von Hippokampen gezogenen Wagen dahinfahrend
oder Nereiden auf Hippokampen reitend sind gewöhnliche Darstellun-
gen der griechischen Kunst. Doch könnte dies Thierbild an dem Dcjpk-
mal auch als das Zeichen der römischen Gehörte angebracht sein, die
dasselbe errichtet hat. Zuweilen verräth uns nur eine einzelne Figur
auf Denkmälern die Verehrung des Mithras, wie die trauernde Gestalt
des Gottes Attis auf den Denksteinen römischer Soldaten, die in Bin-
gerbrück gefunden sind und in der Sammlung zu Kreuznach aufbe-
wahrt werden.
1) Alsaüa in. p. 4S7, Tab. IV.
») Habel a, a. 0. Tab. V Fig. 7.
,^ '
Ein römisoher Fund ia Bandorf bei Oberwinter. 187
Der kleine Ort Bandorf hat, wie der vorliegende Fund zu be-
weisen scheint, vor sechszehnhundert Jahren eine grössere Bedeutung
gehabt wie heute, und es lag die Aufigabe nahe, zu erforschen, ob
über die Geschichte dieses Ortes in späterer Zeit etwas in Erfahrung
zu bringen sei. Das massive Haus mit hohem Dach, welches Herr
Loosen bewohnt, das einzige ansehnliche Gebäude des Dorfes, scheint
der Eest einer alten Burg zu sein, es heilst nodi: »der Thurm« und
war, wie alte Leute angeben, früher mit einem Weiher umgeben. Es
hat im Erdgeschoss 5 Fuss dicke Mauern und ein rund gewölbtes
Thor. Die Ecken desselben sind mit starken Quadern aus Drachen-
felser Trachyt gebaut und an der Nordseite sind noch zwei vorstehende
Xragstelne übrig von einem Balkon oder einem Aborte. Die unter dem
Dache angebrachten eisernen Anker stellen die Jahreszahl 1657 dar
und bezeichnen jedenfalls nur die Zeit einer Erneuerung des innern
Holzbaues oder des Daches. Dieses feste Gebäude, das in der That
-wie ein Thurm über alle andern Häuser emporragt, könnte recht wohl,
wie manche mittelalterliche Burg, römischen Ursprungs sein. Eine der
ohen geschilderten römischen Wasserleitungen, die auf langen Strecken
in den Feldern bei Bandorf noch erhalten sind, geht in gerader Rich-
tung auf dieses Haus und hat wohl schon den römischen Fischweiher,
das Yivarium, mit Wasser versehen. Da mir die Angabe gemacht war»
<la8S das Gehöfte, wozu dieses Haus gehört, bis zum Jahre 1808 dem
Hospital zum h. Lambertus in Düsseldorf angehört hatte, so ersuchte
ich die Herrcy» Archivräthe Dr. Harless in Düsseldorf und L. Eltester
in Coblenz um gefällige Nachforschung über dieses Besitzthum, welcher
£itte dieselben in dankenswerther Weise bereitwilligst entsprachen.
Ans den Mittheilungen geht hervor, dass dieser Ort auch im Mittel-
silter ein in Urkunden oft genannter ist und sogar einem angesehenen
Hittergeschlechte den Namen gab. Dr. Harless schreibt darüber: »Die
Ijandeshoheit über die Herrlichkeit Winter (Ober- oder Lützeiwinter)
uit den Kirchspielen Birgel, der Mutterkirche und Oberwinter,
der Filiale, war zwischen Jülich-Berg und Kur-Köln streitig. Pfalzgraf
I*riedrich IV hatte die beiden Kirchspiele als pfalzgräfliche Passiv«
Xieben der Herren zu Tomberg und Landskron im Jahre 1565 dem
Herzoge Wilhelm HI von Jülich-Cleve-Berg tauschweise überlassen,
demnach war letzterer Chorherr daselbst geworden. Nichtsdestoweniger
steht im Jülich'schen Geistlichen Erkundigungsbuch von 1676, Ober-
winter sei zu Köln gehörig und die Eickholt'sche Beschreibung des
Erzstiftes Köln führt Birgel und Klein-Winter ftls Ortschaften im Amte
188 Em römiacher Fand in Buidorf bei Oberwintar. •
Godesberg-Mehlem an. Die Kölnischen Rechte gründeten sich aof eine *
PfandYerscbreibung von 1420 seitens Friedrich von J'omberg und
Landskron zu Onnsten £rzbischofs Dietrich II von Köln. Die Spezial-
Akten über das kombinirte JQlich'sche Amt Sinzig-Remagen, wozu
jeden&Us der jetzige Weiler Bandorf gehört hat, sind zur Zeit der
Fremdherrschaft an das damalige Präfektur- Archiv des Rhein- und
Mosel-Departements nach Goblenz gelangt Aus dem Staats-Archiv zu
Coblenz hat wohl von Stramberg seine Angaben geschöpft, die er im
Rhein. Antiquarius III. Abth., 9. Bd. S. 387 mittheilt. Danach hat das
Düsseldorfer Hospital seinen Hof zu Bandorf einem Bürgermeister von
Beyweg abgekauft; ursprünglich hat derselbe den Herrn von DoIIen-
dorf zugehört. a Dr. Harless bemerkt nun femer: »was die alte Na-
mensform von Bandorf betrifft, so glaube ich diese mit Wahrschein-
lichkeit in dem Bacherendorp wiedererkennen zu dürfen, welches in
der Schenkungs-Urkunde der Königin Richeza an die Abtei Brauweiler
vom 7. Sept. 1054 genannt wird (Lacombl. ü. B. I Nr. 189, p. 121).
Die Hauptstellen dafür sind bei Guden, Cod. diplom. II p. 1289 und
13 15. in der Landskroner Urkunde vom Jahre 1441 und 1450, wo ein-
mal Wyntern, Birgel, Bacherendorp und Entzfelt zusammen als Pfal-
zisches Lehen genannt werden, und dann es heisst: solich manlehen,
nemelich die Krispel und Gericht zu Winteren und zu Birgel mit
Bachendorff und Entzfelt, die zu Birgel gehorich sint Von Baggerdorp
oder fiacherdorp führt ein ritterliches Geschlecht den Namen. Reinol-
dus de Baggerdorp (1276) kommt vor bei Guden, Cod.- diplom. H p.
963 (1280), ebendas. S. 969. Giselbert de Bacherdorp (1298) ebendas.
S. 977. Im Lehnregiäter der Abtei Deutz 1318 steht: Reynoldus de
Baggerdorp recepit quandam dedmam ibidem.« Da sich ein Ort Ba-
cherdorf in der Nähe der genannten Orte nicht findet, so dürfen wir
wohl mit Harless in Bandorf das alte Bacherendorp, welches, wie er
meint, an Bacharach erinnert, wiedererkennen. Archivrath Eltester be-
stätigt, dass der alte Name von Bandorf, nämlich Baggerdorp und
Bacherdorp auch im Coblenzer Archiv urkundlich nachweisbar ist Dort
befindet sich auch das Siegel des bei Guden II p. 963 erwähnten
Reynoldus de Ba^erdorp^ welches einen Adler mit Turnier-Krempen
zeigt. »Der Adler ist sowohl das Wappen des grossen Geschlechts von
Sinzig, wovon auch die Burggrafen von Landskron stanunen, an-
knüpfend an den Adler des deutschen Reiches, dessen sehr getreue
Ministerialen sie Waren, als auch des Edelherrengeschlechtes von Dol-
lendorf (bei Blankenheim an der obern Ahr). Diese müssen die jfingern
Bin rdmiicher Fand in Ba&dorf bei dberwinler. 180
86hne oder deren Nachkommen von den von Bachendorp gewesen sein ;
die letzten dieses Namens sind zwei Schwestern Katharina und Nese
(Agnes) von Bachendorp^ wovon die erste 1376 an Roland von Vilpge
(Vilip) vefheirathet, die ^andere Nonne zu Eppinghoven war.« Der in
den Urkunden erwähnte Ort Entzfelt ist verschwanden, kommt aber
in der Fhirbezeichnung noch vor, die quellenreichen Wiesen bei Ban-
dorf heissen die Einsfelder Wiesen. Wie schnell sich die Sage emes
' solchen Ereignisses bemächtigt, zeigt sich hier, indem die Landleute
erzählen, nahe bei Bandorf habe eine Stadt gestanden, die durch den
vulkanischen Ausbruch des Rodderberg verschüttet worden sei, Sie
geben an, im Walde sehe man noch, dass der Boden beackert ge-
wesen, auch stosse man auf Mauerreste von Gebäuden, und es fänden
sicknoch verwilderte Weinreben daselbst.
Fragen wir endlich, ob f&r eine römische Niederlassung im Thale
von Bandorf, abgesehen von der warmen geschützten Lage des Ortes
an einem alten Heerwege, nicht vielleicht noch besondere Ursachen
von Einfluss gewesen sind, so können wir diese allerdings in dem Me-
tallreichthum der nächsten Umgebung finden, in welcher noch heute
mehrere Bergwerke Kupfer-, Blei- und Eisenerze ausbeuten. Wie sehr
die Römer bei ihren Kriegen und Eroberungen am Rheine die Gewin-
nung der Natui'schätze des Bodens sich angelegen sein liessen, dafür
haben wir zahlreiche Beweise zur Hand. Bei dem grossen Kupferwerk
Josephsberg an dem auf der andern Rheinseite unserm Fundorte fast
gegenüber gelegenen Virneberge bei Rheinbreitbach hat man in einer
uralten bemoosten Berghalde am Ausgehenden des Erzganges eine
Münze des Antoninus pius gefunden ^) ; der durch die Eifel nach Göln
hinführende ROmerkanal steht mit seinem Fundamente an einer Stelle
bei Clommem auf einer alten Halde ; diese Bleibergwerke waren also
schon vor Erbauung des Kanals, die wahrscheinlich unter Trajan und
Hadrian stattfand, im Betriebe ; hier beobachtete Flach im Jahre 1866,
dass sich 4 Fuss Torf über einer alten Halde fanden, unter dieser war
wieder eine Torfschicht und darunter wieder eine alte Halde. In
dem Bleibergwerk zu Roggendorf bei Gommern wurden auch jene
seltsamen aus Saüdsteinkugeln gehauenen fratzenhaften Köpfe >) ge-
funden, denen man nicht wohl einen andern als römischen Ursprung
zuschreiben kann, und in dem Bleibergwerk bei Keldenich kürzlich
') F. Wurzer, Taschenbuob zur Bereisong des Siebengebirges, Göln, 1806.
*) Verhaadl. des naturluBt. V. Bonn 1862, Sitzungsber. S. aOl.
140 Ein römiwher Fand in Bandorf bei Oberwintar.
ein Erztrog aus BucheohoLfi uud auf derselbeu Sohle des alten Stollens
mehrere römische Münzen und eine Fibula; in Commem selbst sind
die Fundamente römischer Häuser aufgedeclct worden. Vielleicht ist
auch die Braunkohle schon von den Römern gewonnen worden. Auf
den Brauokohlengruben Urwelt und Fortuna zwischen Quadrath und
. Oberaussem sind, freilich nur in der die Braunkohle bedeckenden Erd-
schicht, nach den mir von Herrn Kaplan Dornbusch in Cöln gemach-
ten Mittheilungen, häufig römische Gefässe und Münzen und auf der .
letztgenannten Grube der Stein einer Handmühle in 3 Fuss Tiefe und
beim Ebenen einer alten Halde 5 runde Steinperlen gefunden worden.
Auch Aschentöpfe und SteinwaiTen fanden sich in der Nähe der Gru-
ben, die ganze Umgegend ist reich an römischen Alterthümern. Auf
der Grube Blissenbach bei Engelskirchen, wo Blei- und Zinkerz ge-
wonnen wird, sind römische Münzen und Bronzegeräthe, darunter ein
Waagebalken mit Bingelchen, auch Steingeräthe in alten Halden nach
Aussage des Herrn H. Mülhens gefunden worden. Bei dem Bergwerk
Silberkaul zu Uckerath hinter dem Siebengebirge, wo noch heute
Blende gewonnen wird, finden sich so grossartige alte Bauten, dass schon
Engels ^) die Ansicht aussprach, dieselben möchten von den Römern
herrühren. Er führt die Stelle des Tacitus an, Annal. XI, Gap. 20,
worin dieser eines Silberbergwerks erwähnt, welches der Feldherr
Gurtius Rufus in dem agro mattiaco betrieb und von welchem Habel
in dem Nassau-Usingischen Amte Naurod bei Idstein deutliche Spuren
entdeckt haben wollte. Der Zusatz et quia plures per provincias similia
tolerabantur lasse vermuthen, dass dergleichen Schürfarbeiten den
römischen Legionen mehrfach auferlegt worden seien. Engels führt an,
dass schon Werner der Ansicht gewesen, der deutsche Bergbau habe
in den Rheingegenden seinen Ursprung gehabt, indem seit dem Ver-
falle der römischen Herrschaft derselbe zuerst in denjenigen Theilen
des alten Galliens, welche der Rhein begrenzte und namentlich in den
Ländern von Limburg, Aachen und MaiAZ stattgefunden, von dort
aber sich nach Franken, dem H^rz und weiter nach Sachsen hin ver-
breitet h^^be. Zahlreiche römische Denkmäler, die in den Tuffsteingru-
ben des Brohlthales entdeckt worden sind, beweisen die Anwesenheit
der Römer daselbst ; auch in den Tuffgruben zu Kretz ^) wie bei Pleidt
') J. D. Engels, Ueber den Bergbau der Alten in den Ländern des Bhei-
nes, der Lahn nnd der Sieg. Siegen 1808, S. 13 u. S7.
') Yerhandl. a. a. 0. 1W9, S. U3.
Ein römischer Fand in Bandorf bei Oberwinter. 141
und Kraft in der Nähe von ÄDdernach fehlen die römischen Funde
nicht Der letzte Ort hat, wie Nöggerath vermuthet, daher seinen Na*
men, dass der Tuff hier ehemals in unterirdischen stollenähnlichen Aus-
höhlungen gewonnen wurde. Dje Gegend von Niedermendig und Mayen ^)
ist reich an den Spuren römischer Ansiedelungen, in den Basaltgruben
des letztern Ortes fand man römische Aschenurnen ; und sehr häufig .
kommen in den Ruinen römischer Gebäude vom Rheine ab bis in das
Innere von Deutschland und die Schweiz kleine zu Handmühlen be-
stimmt gewesene Mühlsteine aus niedermendiger Lava vor'). Die Rö-
mer brachen den Trachyt des Drachenfels wie den von Berkum ^). Zu
diesem Orte führt die Strasse von Remagen durch das 'Thal von Ban-
dorf. Dass die Römer auch bereits Basaltbrüche am Rhein angelegt
hatten, beweist ein Fund, der in Folge des im Jahre 1846 bei Ober-
wint^ stattgehabten Bergschlüpfes ^) gemacht wurde. Beim Wegräu-
men des Schuttes faüd man zwischen den alten Basaltwänden, ohnge-
fähr in der Höbe der vorbeiführenden Landstrasse einen römischen,
dem Hercules gewidmeten Altar aus Tuif, unter dem nach dem Be-
richte eines Augenzeugen, des Geometer Schäfer, noch mehrere mäch-
tige Tuffquadem lagen, die wohl das Fussgestelle des Altai*s gebildet
hatten. Als im Jahre 1857 an dieser Stelle die Rheinische Eisenbahn
gebaut wurde, kamen die Reste einer römischen Wasserleitung, die in
bekannter Weise durch weite Röhren aus gebranntem Thon hergestellt
war, zum Vorschein. Sie kann hier nur den Steinbrechern gedient
haben und deutet wie der Altar auf e!nen ausgedehnten und nachhal-
tigen Betrieb des auch heute noch höchst ergiebigen Steinbruches
schon in römischer Zeit.
Bonn, den 30. April 1873.
H. Schaaffhausen.
») Jahrb. LH 1872, S. 156.
*) J. Noggerath, III. Zeit. Leipzig, 1868, Nr. 786.
') Vgl. J. Nöggerath : Zar architektonisohen Mineralogie der RheinproTii»
10 Karsten's and ▼. Deohen's Arohiv XVIU. Berlin 1844, S. 455.
*) J. Nöggerath, Der Bergachlüpf vom 20. Dec. 1846 an den Unkeier Ba-
laltsteinbracben bei Oberwinter, Bonn 1847.
4. Römische Inschriften vom Mittelrhein.
Alxei.
l. Votivaltar der Dea Sulis, von rothem Sandstein, i. J. 1872
in zwei Theile zerbrochen aufgefunden, so dass die (bis jetzt unedierte)
Inschrift unten theil weise zerstört ist:
DEA- SV U Dea(e) Sali
AT TON IS Attonius *
LVC/%NV5 Lucanus
Der Göttin Sulis Hess Attonius Lncanus (diesen Altar errichten).
Ueber die Dativform Dea s. Bonner Jahrbücher XLII S. 93 f.
Die Dea Sulis war bis jetzt nur durch sechs in dem englischen Bade-
orte Bath, den Ptolemäos einfach »warme Quellen«, das Itinerariam
Antonini nach der besseren Lesung nAquaeSulisu nennt, aufgefundene
Vitivinschriften bekannt gewesen, von denen drei sie mit der Minerva
identifizieren, weiche C. Julius Solinus polyh. p. 114 ed. Mommsen als
Vorsteherin der Heilquellen in Britannien bezeichnet: vgl. Archiv für
Frankfurter Geschichte und Kunst. N. F. III. S, 17 f. Unsere Alzeier
Yotive ist das erste Denkmal der Dea Sulis auf dem Festlande und
dürfte für die uralte, auch in anderweitigen Spuren vorliegende Ver-
bindung Britanniens und des mittelrheinischen Vangionenlandes ein
weiteres Zeugniss abgeben. Der Name Attonius, in welchem das V
verkleinert über das I gestellt ist, findet sich ebenso wie Lucanus auch
auf anderen Inschriften der Bheinlande: vgl Brambach 1336, 17Ö9 u.
2003. Die obem Theile der vier vorletzten Buchstaben des Wortes
Lucanus sind zerstört, vom S am Schlüsse findet sich kaum noch
eine Spur.
2. Scheerenklinge, i. J. 1872 ebendort gefunden, mit der im s. g.
Tremolierstich ausgeführten (unedierten) Inschrift :
SEN0CENN4^
Römische Insohrifien Tom Mittelrheia.
148
Dieser offenbar gallo-römische Namen (wessen? ist schwer zu sagen)
ist gebildet aus dem in vielen Personen- und Ortsnamen vorkommenden
Stamm SEN und dem mittels des Bindevokals 0 damit verbundenen Worte
CENNA. Von erstgenanntem Namtn leitet sich der erste Theil des Na-
mens der Senones ab, dessen Singularis in dem Seno (Steiner cod. inscr.
n, 3289), wohl auch in den MATRONAE SENO vorliegt, femer
der vicani Senot(enBe0), wie auch der Personennamen Senomagus, Se-
nomacflus, Senognatus, Senovir, Senocondus, Senodius, über welche
Kuhn und Schleicher Sprachvergleichende Beiträge III, 3 S. 358 und
R. Smith collect antiq. lU, 2 p. 99 zu vergleichen sind. Insbesondere
aber istunserm Senocenna der Namen Senodonna bei Grivaud de la
Vincelle antiq. gaul. et rom. II, pag. 246 zur Seite zu stellen. Das
Wort cenna findet sich vornehmlich in den Ortsnamen Nemetocenna
und Sumelocenne, vielleicht auch in dem Namen der Göttin Nitiogenna
(Mr Nitiocenna) in einer römischen Inschrift der Schweiz bei Mommsen
Inscr. Helv. 61.
Bingen.
3. Grabstein des Metzgers Gaius Vescius Primus, im Mai 1869
in der Rochusstrasse zu Bingen gefunden. Das mit Laubwerk (Mohn?)
und einer Rosette und zwei Delphinen ausgefüllte dreieckige Giebel^
feld ist aber seinen oberen Randleisten mit einer Art Stimziegeln be-
krönt; unter der Inschrift ist in der Mitte ein Ochsenkopf, rechts ein
Schlachtmesser, links eine Pfanne mit langem Stiele, ein Beweis, dass G.
Vescios Primus wirklich ein lanius, ein Metzger, war, nicht blos den
Namen führte; ein negot. lanius findet sich bei Brambach 324. Vgl.
Mainzer Wochenblatt 1869 Nr. 152 vom 3. Juli, 6. Spalte. Archäolog.
Ztg. 1869 N. F. II. 2 u. 3. S. 30. Ephemeris epigraphica Rom. et
Berol. fasc. 1872. p. 228:
C • VESCiVSC LIB
PRIMVSLA/IVSHSE
CVESCiVS CFSEVR/S
ETPERECR'NAC-
VESCIFILIAFECER/
NT PER A/CTOREM
TVTOREMCVESCIO
G'LlB VAARO
Gaius Vescius, Gai libertus,
Primus, lanius, hie Situs
est. Gaius Vescius, Gai li-
bertus, Severus et Pere-
grina, Gai Vescii filia,
fecerunt per auctorem
tutorem Gaio Vescio,
Gai liberto, Vaaro.
144 Römische Inflchriften vom Mittelrhein.
Gaius Vescius Primus, des Gaius Freigelassener, Metzger,
liegt hier. Gaius Vescius Severus, des Gaius Sohn, und Peregrina,
des Gaius Vescius Tochter, Hessen (diesen Grabstein) unter dem Bei-
stande ihres Vormundes, des Gaius Vescius Varus, des Gaius Freige-
lassenen, setzen.
Deutlich ist die Sigle G (nicht C) für Gaius. Der Namen Ves-
cius ist ein sehr seltener. Nur in einer römischen Inschrift bei Gruter
1149, 9 findet sich ein T- VESCIS -T- F • VEL-TERTI, wo Gro-
tefend'T • VESCI • ST • F- VEL • TERTI zu verbessern geneigt ist. Einen
VESCINIVS in Rom hat Gruter 1000, 4 und mehrere in Capua
Mommsen Insc. Neap. 3855. Was die Schreibweise VAARO für VARO
anlangt, so bietet Gruter 998, 10 einen VAARIVS und 171, 8 einen
a-BETILIENVSVAARVS. Bei dem zu dem vorausgehenden Ac-
cusativ nicht stimmenden Ablativ des Eigennamens hat dem Ver-
fasser der Inschrift offenbar das geläufigere curante oder curam agente
u. s. w. vorgeschwebt; im übrigen findet sich per in ähnlicher Weise
gebraucht bei Brambach 754 u. 912. Z. 3 ist in SEVRVS uns von
einer Ligatur von E und B, wie sie Klein und Grotefend annehmen,
nichts ersichtlich: bei Brambach 1223 ist derselbe Namen SVERVS
geschrieben, lieber den Unterschied der Bedeutung der beiden For-
meln «per Tutorema und i» Tutore auctorea im römischen Rechte ist
die Ephem. epigr. a.' a. 0. mit besonderm Bezüge auf unsere Inschrift
ztt vergleichen.
Ü12 und Umgegend.
4. Votivaltar (Jupiter und Juno) aus Mainz, nicht mehr vor-
handen. Nach einer Mittheilung des Hm. Prof. Th. Mommsen in einem
uns zugänglichen Briefe an den zu Mainz verstorbenen Prof. E. Klein
aus dem Jahre 1850 findet sich in einem CoUektaneenbande der Bogar-
sischen Sammlung auf der Hamburger Bibliothek folgende, so viel
bekannt, bis jetzt nirgends veröffentlichte Votivwidmung, mit der
Ueberschrift : »zu Maintz auf einem Stein unter dem Boden gefunden,
als man daselbst geschautzet hat.<( Sie lautet:
\
Bdmiselie Inschriften vom Hittelrhein. 146
I O M d- b. wol Jovi optimo maximo
ET IVN REG et Junoni reginae
OPOMPVA Quintus Pompejus (Pom-
LS^SVICGXXII ponius) Valens, centurio
PR 3P0SEESV legionis vicesimae secundae
I O M primigeniae, pro se et suis
(votum solvens posuit laetus
lubens merito?)
Juppiter, dem besten, dem grössten, und Juno, der Herrscherin,
(Uess) Quintus Pompejus (Pomponius) Valens, ZugfQhrer der 22 Legion,
der erstgeworbenen, für sich und die Seinigen setzen sein Gelfibde
gerne und freudig nach Gebühr lösend).
Z. 3, 4 u. 5 wird von Hm. Prof. Mommsen verbessert: Q* POMP*
VALENS > LEGXXII PP F PRO SE ET SVIS; es scheint in-
dess, wie öfter, blos P R CR O gewesen und das I O M am Schlüsse
der Best der Votivformel V • S • L • M mit vorausgehendem P zu sein.
POMP l&sst sich entweder in das auf römisch-rheinischen Inschriften
nicht seltene POMPEIVS (vgl. Brambach C. I. B. Ind. p. 373) oder in
POMPONIVS ergänzen; em T POMPONIVS VALENTINVS
findet sich bei Muratori p. 737, 1.
5. Votivaltar (Genius einer Genturie d* h. eines Zuges von Sol-
daten) i. J. 1877 in Mainz gefunden. Auf den Nebenseiten: rechts
Opferbeil und langstielige Opferschale, links Ausgusskanne (praefae-
culum), Schöpfkelle (patera) und ein unbestimmbares dreieckiges, oben
ausgezahutes Opferinstrument, auf der Vorderseite die (unedierte) In-
Bchrift:
GENIO> Genio centuriae
NIGIDI * Nigidii Censorini .
C3M S O U N AeUus Verinus
AEL - VERIN architectus, Gemi-
A R C H i "E C nius Primus, custos
G E M I N I ^ armorum, ex voto
PRIMVSC * A suscepto posuerunt
EXV0T08V8CEPTP08VER
Dem Genius (Schutzgeist) der Genturie des Nigidius Censorinus
10
146 Romitche InBehriften vom Mitteblieiii.
Hessen Aelitts Verinus, Ingenieur, und Geminius Primus^ Waffeawart,
in Folge eines gethanenen Gelübdes (diesen Altar) erric)iten.
Dem Genius einer Centurie sind noch mehrere Votivinschriften
des Mainzer Museums gewidmet, wie bei Brambach 1025, 1026, 1028,
1029; hierbei und sonst pflegt die Centurie öfter durch einen
Namen, wie 1029, oder durch zwei, wie in unserer Inschrift u. 1025,
1102, 1103, 1104, 1105, 116, 1093, 1554, 1153, seltener durch die
drei Namen des Centurionen bezeichnet zu werden, am wenigsten wol
durch das vom nomen gentilicium gebildete Adjectiv, wie centuria Clau-
diana (Brambach 2087), Passiniana; Lucaniana, Hilariana (Benier Insc.
d'Algärie 1125, 594, 664). Die Namen des Centurionen Nigidius Cen-
sorinus und der beiden Soldaten seiner Centurie Aelius Verinus und
Geminius Primus sind nicht selten, wie die Indices bei Gruter und
Muratori bezeugen, ihr militärischer Charakter dagegen um so be-
merkenswerther, als der eines architectus hier zum zweiten Male
(vgl. Brambach 468) auf einer römisch-rheinischen Inschrift, der eines
custos armorum aber auch nur auf einer kleinen Anzahl römischer
Inschriften der Rheinlande vorkommt. Die Legion, wozu jene Centurie
und die beiden Soldaten gehörten, kann kaum eine andere gewesen sein,
als bei Brambach a. a. 0. unzweideutig angegeben ist, nämlich die 22., die
so lange Zeiten am Mittelrhein stationirt war, dass die ausdrückliche
Bezeichnung derselben auf solchen Votivsteinen als selbstverständlich
leicht weggelassen werden konnte : so dürfte es auch bei den ähnlichen
Centuriensteinschriften aus Mainz bei Brambach 1028 und 1029 sein,
in welchen gleichfalls zwei, beziehungsweise ein Dedikant, und zwar
erstere ohne weitere Bezeichnung als Soldaten, genannt sind, während
1025 und 1026 sich ausdrücklich auf C!enturien der 22 Legion beziehen.
Wie der Charakter eines custos armorum ist nämlich auch dereines archi-
tectus hier, wie bei Brambach ein militärischer. Architectus')
bezeichnete ohne Zweifel bei dem römischen Militär diejenige Truppengat-
tung, welche jetzt Pionier- und Genietruppen heissen. So wird ein sol-
cher bei Orelli 3489 zugleich als Soldat zweier prätorischen Cohorten
^) Mit der Schreibvariante arcitectns bei Mommsen Insc. Neapel.
2485, 8916 (Marat. 947, 5 arquitectofi), OreUi 1145, Orelli-Henzen 5795, 5881,
5892; auch in einer griechischen Inschrift ans Alessandria in Oberitalien bei
MnraC 949, 6 steht in gleicher Form APXITEKT02, während sonst mehr
APXITEKTSIN vorkommt, insbesondere als machinarius oder Ingenieur in
einem Bergwerke: vgl Beoker-Marquardt Rom. Alterth. II, 2 p. 201. f. u. III,
2 p. 362, 486.
Romiscbe Inschriften vom Mitielrbein. 147
bezeichnet, bei Orelli-Henzen 7420 a. v. als solcher der 3 Augustischen
Legion : auch von der Flotte zu Misenum wird ein solcher ebendort
6888 erwähnt; ausgediente Soldaten der prätorischen Gohorten und
Legionen werden ebendort 6796 der eine als architectus armamentarii
imp. d.h. des kaiserlichen Zeughauses, ein anderer bei Mommsen a. a.
0. 2851 gradezu als architectus Augustorum, d. h. des Kaiserlichen
Hauses bezeichnet. Aber auch als civile Funktion, und zwar von
Freigeborenen, Freigelassenen und, wie es scheint, von Sklaven aus-
geübt, erscheint die Bethätigung des architectus auf Inschriften ; vgl. .
Mommsen a. a. 0. 1323, 3308, Murat. 982, 3, 976, 4, 972, 6, Orelli
1145, Orelli-Henzen 5881, 5892; Mommsen 3918, 2405, 2238, Orelli
4145, 2896 u. a. m. Privat-Ingenieur oder Baumeister scheint der
architectus Nicanorianus bei Murat. 298, 3 gewesen zu sein. Nicht
minder zahlreich sind die Erwähnungen der militärischen Funktion
eines Waffen- oder Zeugwartes, armorum custos, welche
Senfeca de Tranq. 3 mit den Worten: qui armamentario praeest be-
zeichnet. Wie der architectus, so wird auch der armorum custos zu-
nächst als Soldat, miles, des betreffenden Truppenkorps, als welche
letztere sich bis jetzt jedoch nur die Legionen und die equites singu-
lares, noch nicht aber die prätorischen Gehörten und die Stadtwache
von Rom haben nachweisen lassen, so bei 4er leg. II adiutrix, leg. IH
augusta, leg. XXH primigenia, pia, fidelis, vielleicht jedoch auch bei
einer kleineren Truppenabtheilung, einem sogenannten Numerus (Bram-
bach 1762): vgl. Murat. 855, 1, Renier Insc. d'Algörie 1220, 556, 639,
Ö14, 788, 888, 777, 793, Grut. 568, 11; Murat. 774, 3, Brambach
1294. Bisweilen scheint man auch ausgedienten Soldaten, veterani,
diesen Posten übertragen zu haben; vgl. Orelli 3500, Grut. 568, 11,
Mitth. des hist. Ver. f. Steiermark (1852) III, S. 98. Zur Bezeichnung
desselben bediente man sich auch mit Weglassung des überdiess CVST,
CVS, CV, C abgekürzten Wortes custos des Wortes armorum
schlechthin, wie bei Renier 514, 556, 639, 778, 888, Murat. 347, 2 0-
Da das Wort armorum bei dieser Funktionsbezeichnung eines
armorum custos das vorwiegende ist, so erklärt sich einestheils die
Auslassimg des Wortes custos, anderestheils die constante Voran -
*) Nahe läge es dem armaturae oder armatara leg. XXII auf zwei
Mainzer Inschriften bei Brambach 1068 und 1178 eine gleiche Bedeutung beizu-
legen, wönn nicht schon Borghesi in den Annal. deFinst. 1839 p. 181 das Wort
armatara hier als gleichbedeutend mit miles erklärt hätte.
148 RömiBche Inschrifben vom Mitteirhein.
Stellung des armorum. Erst die Inschrift aus Wachenau bei Bram-
bach 942 zeigt ausgeschrieben custos armorum ohne nähere
Bezeichnung des betreffenden Truppenkorps, gibt aber damit auch den
Schlüssel zur sichern Deutung der Sigle CA auf unserer und an-
deren römisch-rheinischen Inschriften bei Brambach: so 1762 der
CAIIXNVM ferner die C < A • LEGXXIi Magissius Hibernus
(Murat. 729, 3 =» Orelli 1395), Titus Devillius Victorinus (Brambach
1024), Pervincius Ursinus (Brambach 1294); diesen Waffenwarten der
22 Legion dürften dann ohne Bedenken der Titus Saturio (Brambach
942) und unser Geminius Primus anzuschliessen sein, da bei dem
langen Aufenthalte dieser Legion am Rheine kaum eine andere ge-
meint sein kann ; ebenderselben gehörte dann auch wohl der Secundus
EX . C • A der Mainzer Inschrift bei Brambach 1117 an, deren Schluss
leider durch Abbruch des Steines verloren ist. Was die dienstliche
Stellung des custos armorum betrifft, so gehörte er zu den Unter-
gebenen des praefectus castrorum, Platzcommandanten, dem die An-
lage neuer befestigter Plätze, sowie die Aufsicht über das Kriegs- und
Festungsmaterial, Geschütz, Train, Gepäck oblag; vgl. Becker-Mar-
quardt Rom. Alterth. III, 2 S. 428. — Die letzte Zeile unserer
Inschrift ist in viel kleineren Schriftzügen gehalten, so dass insbe-
sondere die 3 letzten Buchstaben VER in eine Ligatur zusammenge-
drängt sind.
6. Unediertes Bruchstück einer oberhalb Mainz in der soge-
nannten neuen Anlage gefundenen Inschrift:
D I I N
NONSP
NAMHIC
OTCARI
PECTO
Vorstehendes Bruchstück findet sich auf einem Zettel, welcher einem
Exemplare von Fuchs Alte Geschichte von Mainz U. Einleitung p. XXY
eingeklebt und mit der Anmerkung versehen ist : »diess ist der Stein,
den ich ohnlängst in der ehemaligen Favorite abgeschrieben habe.«
Die Favorite war bekanntlich das kurfürstliche Schloss, welches auf
der Stelle der heutigen »Neuen Anlagere bei Mainz stand und L. am
Schlüsse ist ohne Zweifel die Sigle des Namens des bekannten Mainzer
Inschriftenforschers Friedrich Lehne.
k
Rdmisohe Insohriften vom Mittelrhem. 149
7. Grabstein eines Gallo-BSmers aus Sandstein im Anfange des
Jahres 1870 im Felde zuWechenau bei Mainz aufgefunden; das
Giebelfeld ist mit Arabesken geschmückt. Vgl. Archäol. Zeit N. F.
1870, m, S, 53.
PVSA • TROVCILLI • F Pusa Trougilli fiUus
AN • CXX • HIC • SITVS annorum centum viginti,
EST • PRISCA • PVSA - F Wc situs est ; Prisca, Pu8a(e)
AN • XXX • HIC • SITA filia, annorum triginta,
EST • VINDA - ATEC Wc sitä est; Vinda, Ategnio-
NIOMARI*F-HIC mari filia, hie sita futura
SITA • FVTVRA- EST est. annorum octoginta.
ANLXXX.
Pusa, des Trougillus Sohn, 120 Jahrs alt, liegt hier; Prisca, des
Pusa Tochter, 30 Jahre alt, liegt hier ; Vinda, des Ategniomar Tochter,
wird hier liegen. 80 Jahre alt.
Zu dieser Inschrift bemerkt Hr. Archivrath G. L. Grotefend
brieflich folgendes: »Ausser dem hohen Lebensalter der ersten hier
genannten Person sind besonders die keltischen Namen dieses Steins
von Interesse. Der 120jährige Pusa möchte leicht der älteste Mann
sein, der auf römischen Grabsteinen genannt wird, eine 115jährige
Spanierin finden wir in Corp. Insc. lat. 11 n. 2065. Der Name Pusa,
der nach Z. 3 auch im Genitiv Pusa lautet, ist mir neu. Einen PVSVA
hat Brambach Corp. insc. Rhen. 296. Ein Trougillus findet sich
auch auf einem in Lengfeld gefundenen Stein bei Brambach n. 1401.
Den Frauennamen Vinda finde ich nur in der stark corrumpirten In-
schrift bei Gruter 1082, 2, Muratori 854, 3 und eine Yindilla be-
Steiner n. 3014. Zur Erklärung des zusammengesetzten Namens Atei
gniomarus bieten sich uns einerseits die Ategnia bei Muratori
1082, 2, die Ategnata Gruter 758, 11 und 763, 6, die Ategenta
im Archiv fQr Kunde österr. Gesch. IX, 112 und die mancherlei Zu-
sammensetzungen mit Ate bei Becker in den Beiträgen zur verglei-
chenden Sprachf. III, 4 S. 438, andererseits die mancherlei gallischen
Namen auf marus, der Aeduer Viridomarus bei Caesar, der Gallier
Aegritomarus bei Cicero in Q. Caecilium divin. XX, 67 und in Verrem
act. secunda n, 47, 118, vor Allem aber der Gallische FtLrst Atepo-
marus bei Plutarch Pärallela 30 und de fluviis (Arar) VI, 4. Den
letzteren Namen würde ich mit Hinsicht auf den Ategniomarus unserer
160 Römische Insohrilten vom Mitielrhein.
Inschrift unbedenklich in ATEFIOMAPOS corrigieren, wenn nicht
der Namen ^AteTtoqi^j welchen uns Strabon XII, 3, 37 p, 560 als den
eines galatischen Tetrarchen aufbewahrt hat^ durch eine Ancyranische
Inschrift (Corp. inscr. gr. III, 4039), deren Leseart durch Ueberein-
stimmung von Montfaucon, Lucas, ChishuU und Hamilton bestätigt
wird, vollkommen festgestellt würde; es heisst dort unstreitig
AABIOPia ATEnOPEir02. Wie "Atenogi^ wird also auch
^ATBTtofxaQoq ein keltischer Name sein, verschieden von unserem Ate-
gniomarus.tt Hierzu sei weiter bemerkt, dass der Genetiv PVSA
(denn so, nicht PVSAE, steht auf dem Steine) offenbar derselben
römisch-keltischen Flexionsweise angehört, wie der Dativ keltischer
Eigennamen auf a, worüber in den Bonner Jahrbüchern XLU S. 93
Näheres bemerkt ist. — Die zahlreichen keltischen Personennamen
auf — illus und — marus sind von uns in den oben citirten Beiträgen
zur vergleichenden Sprachforschung IH, 3 S. 352 u. UI, 4 S. 431 zu*
sammengestellt worden; ihre Zahl könnte jetzt noch weiter vermehrt
werden. Die letzte Zeile der Inschrift, welche die Lebensjahre der
Vinda angibt, die auf dem Steine selbst in absonderlicher Wendung
als dereinst hier liegend bezeichnet wird, ist selbstverständlich später
beigefügt worden, obwohl die Schrift nicht sehr von derjenigen der
übrigen Zeilen verschieden ist
8. unedler tes, nicht mehr vorhandenes Bruchstück der Grab-
schrift eines römischen Soldaten i. J. 1795 zu Zahlbach bei Mainz
gefunden, nach einer handschriftlichen Notiz Bodmanns in seinem*Hand-
exemplare von Joannis Bes. Mog. III S. 63 auf der Stadtbibliothek
zu Mainz, als Zusatz zu Huttich collect, antiq. XXXIX:
F • L • STIP • X (annorum?) quin-
H • S • E S T quaginta, stipendiorum
decem, hie Situs est.
50 Jahre alt, im Dienste 10 Jahre, liegt hier,
Z. 1 scheint das angebliche F der letzte Strich eines mit A ver-
bundenen (legierten) N gewesen sein, da der Angabe der Diensljahre
(stipendia) in der Regel die der Lebensjahre vorangeht. Die übliche
Schlussformel römischer Grabschriften H S E findet sich mit der hier
beliebten Ausschreibung des EST genau so auf drei anderen Zahl-
becher Grabschriften bei Brambach 1234, 1260, 1261.
RdmiBche Insohriften vom Mütelrhein. 161
9. Un ediertes, nicht mehr vorhandenes Brachstttck einer Orab-
säale ]. J. 1803 zwischen Oppenheim und Nierstein oberhalb Mainz
gefanden, nach einer handschriftlichen Notiz Bodmanns in seinem Hand-
exemplare von Joannis Res. Mog. III auf der Stadtbibliothek zu Mainz.
Bodmann tbeilt a. a. 0. die Abbildungen dreier Stücke desselben
Fundorts mit, und zwar 1. die Büste einer umschleierten weiblichen
Figur, offenbar einer gallischen Muttergottheit, mater, matrona. 2. Die
(kopflose) Büste einer in eine weitärmliche Tunika gehüllten weib-
lichen Figur; beide Büsten scheinen hermenartig, d. h. auf Säulen-
postamentchen angebracht. 8. endlich Untersatz und Capitell einer
bruchstücklichen Grabsäule, auf deren (sechsseitigem?) Untersatze
zweimal
und auf einer Seitenfläche
gelesen wird.
D M
ID M
10 VIN
Danustadt.
10. Oben verstümmelter Grabstein eines von Räubern er-
schlagenen Campaners i. J. 1868 oder 1869 bei dem Gehaborner Hof
unweit Darmstadt im Walde aufgefunden und ins Darmstädter Mu-
seum verbracht: vgl. A. Klein und £. Hübner in der Archäol. Zeitg.
1869 S. 30. Die Inschrift lautet theils nach Autopsie, theils nach den
dankenswerthen Mittheilungen des Hm. Museumsdirektors R. Hof-
mann also:
fclV . . . . Clodius
EHICiN ... (filius Peri)gen(es annorum)
. . . • ^ E L A T R O NE S ( — hie situs est in(terfece)re
. . • MC3MVITTE-A latrones (que) m genuit
^^SIDICINOEXCM Teano Sidicino
P A N I A ^ ALTERA ^ C o N ex Campania. Altera
TEXITTELL VS03)IT contexit teUus, dedit
ALTERA.2rNASCIP3^l altera nasci. Perigenes
C 3\E SH ABET ^ TITVL NM habet titulum, Secundus
SECWDVSOFFICIVVI officium . PubUus
P^CLOO-SECVAOVS Clodius Secundus
F RAT Rl P lENTISSIM O patri pientissimo.
V-.
168 Römifohe Intohriften vom Mittelrhem.
.... Qodias Peri)gen(e8, alt . . . Jahre) liegt) Uer. Hier ver-
wundeten Räuber denjenigen, welcher entstammte aus Teanum Sidid-
num in Gampanien. Das eine Land deckt ihn mit Erde, das andere
gab ihm. das Dasein. Perigenes hat nun seine Grabschrift, Secundus
seine Liebespflicht erfüllt Publius Glodius Secundus (liess diesen Grab-
stein) seinem geliebtesten Bruder (setzen).
In Z. 3 ist NE, Z. 4 EN, Z, 5 AH, Z. 7 ED, Z. 8 ER, Z. 9
ENE, Z. 9 (wie 10) VM, VN, Z. 10 VND durch Ligatur verbunden.
Da der Verstorbene Z. 8 u. 9 PERIGENES mit seinem cognomen ge*
nannt wird, sein Bruder sich Z. 11 Publius Glodius Secundus nennt,
die gens Glodia auch durch Inschriften von Teanum Sidicinum bei
Mommsen Insc. NeapoL p. 208 ff. n. 4004, 4005, 4006 bezeugt ist, so
fahrte demnach auch Perigenes den Gtentilnamen Glodius. Da nun
weiter in den Buchstabenresten der 1. Zeile unschwer lES als Best
von (Perig)en(es) zu erkennen ist, vor diesem EN aber, nach Massgabe
der Zahl der Buchstaben in den vollständig erhaltenen Zeilen wenig-
stens 6—7 Buchstaben gestanden haben müssen, so sind wahrschein-
lich vor dem PERIG(EN)ES noch die Sigle fQr das praenomen
seines Vaters nebst dem B.uchstaben F (filius) auszufüllen. Aber auch
hinter dem vervollständigten Namen (PERIG(EN)ES) fehlet wenig-
stens noch zwei Buchstaben und diese glauben wir mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit durch AN (annorum) ergänzen zu dürfen, wenn
sich im Anfange von Z. 2 die Angabe der Zahl der Lebensjahre nebst
der Formel H S E anscMoss, von welcher letzteren das E noch übrig
ist. Da nun weiter auch das I N am Schlüsse von Z. 2 nebst demRE
in der vom verstümmelten Z. 3 bereits ebenso durch IN(TERFEGE)RE
hergestellt ist, wie das (QVE)M im Anfange der 4. Seile und das (N)0
in dem der 5. ; so liesse sich der jetzt zerstörte Kopf der Grabschrift
vielleicht also wieder ergänzen:
DM.- CLODI VS
(.•F-PERIG)EN(ES. AN
. . . HS)EHICIN(TER)
(FECE)RELATRONES
(QVE)MGENVITTEA
(N)OSIDICINOEXCAM
u. s. w.
Der Anfang der Inschrift wäre demnach genau so, wie oben bei
- r ■
K'^
Romisohe Inaohriften vom MittelrheiiL
168
Nr. 7 (vgl. auch Nr. 3). Mit besonderer RQcksicht auf die Gebart in
dem fernen Italien and den Tod and die Beerdigang in Grermanien
scheint das HI C im Gegensätze za dem QVEM GEN VIT a. s. w.
betont werden za wollen. Hier (d. h. im nordischen Germanien) starb
der, welchen das italienische Gampanien gebar: der Mann scheint also
unfern des Ortes begaben worden za sein, wo er anter den Händen
von Baabem seinen Tod fand. Aehnliche Erwähnungen von Gebarts-
und Todesarten finden sich aach sonst auf römisch-rheinischen In-
schriften: so auf dem Grabsteine eines Mösiers zu Mainz (Brambach
1077) und eines Afrikaners zu Bedburg (163): ähnlich wie auf unserm
Steine lautet es hier: QVEM GEN VIT TERRA MAVRETANA —
OBRVIT TERRA .... Diesem tragischen Schicksale eines ge-
waltsamen Todes ferne von der Heimat gibt der Bruder nicht blos
einen besondem Ausdruck in der Erwähnung des Geburtsorte, sondern
auch in dem Anlaufe zu einem poetischen Ergüsse: Altera content
tellos, dedit altera nasd, den er wol irgend einer andern ihm bekann-
ten Grabschrift entnahm, in welcher das Distichon sich etwa, wie
Hübner bemerkt hat, mit dem Pentameter: Meta habet titulum, filius
offidum abschloss, in welchem er statt mater das cognomen des Ermor-
deten, Perigenes, statt filius sein eigenes, Secundus, substituirte. •—
Zwischen TE und A von TEANO hat der Steinmetz irrthümlich eine
starke Interpunktion angefangen, aber, wie man sich an dem Origi-
nale zur Genüge überzeugen kann, unvollendet gelassen. Die Auso-
nische Völkerschaft der Sidicini im nordwestlichen Theil von Gampa-
nien hatte zur Hauptstadt Teanum Sidicinum (jetzt Teano) am nörd-
lichen Abhänge des Mons Massicus an der via Praenestina, mit nicht
unbedeutendem Handel; seit Augustus war es römische Colonie, vgl.
Forbiger Handb. der alten Geogr.HI S.730; über die dort gefundenen
Inschriften vgl. Mommsen a. a. 0., Münzen bei Eckhel D. N. I, 117.
Wenn nicht Alles trügt, so ist auch unsere Inschrift eine neue Illu-
stration zu der Tacitus Germ. 29 gegebenen Schilderung der Misch-
bevolkerung, welche in das leerstehende Zebntland zwischen Rhein,
Main und Neckar in römischer Zeit nach und nach aus dem jenseiti-
gen Gallien einwanderte: bereits liegt eine Anzahl Inschriften vor,
welche den Zusammenfluss und die Niederlassung überrheinischer Gal-
lier dortselbst beurkundet: vgl. Mommsen Epigraghische Analekten I
8. 196 und Archiv für Frankfurts Gesch. u. Kunst N. F, I. S. 8—9.
Bezeugt unsere Inschrift auch keinen weiteren »levissimus Gallorum«,
wie Tacitus sagt, so ist es immerhin ein weithergekommener Südländer,
154 Röinisehe Ixurohriften yom Mittelrbein;
welchen wol nebst seinem Bruder Handel und Wandel anf das solum
dubiae possessionis gefahrt hat; auch die Art seines Todes durch
Räuberhand, welche auch sonst wohl auf Inschriften vorkommt, dürfte
für die Zustände des Landes bezeichnend sein.
Frankfurt am Hain.
10. Oben verstümmelter Votivaltar (unbekannte Gottheit) im Juli
1872 als Gesimsstück an der nördlichsten Mauer des ältesten Theiles
der Domkirche (alten Bartholomäuskirche) aufgefunden, wahrschein-
lich von dem Trümmerfelde des ehemaligen NO WS ViCVS zwischen
Heddernheim' und Praunheim, oder aus dem Odenwalde hieriier
verschleppt; die rechte Seite und die letzte Zeile der Inschrift ist
gänzlich abgeschliffen. Vgl. Frankfurter Zeitung 1872 N. 236, Erstes
Blatt ArchäoL Zeitung 1873, Januar S. 82 :
ATO D (Sedato deo sacrum?)
. oHI • SEQ- Jl ■ (c)ohors prima Sequanorum
. VRAMAC ßt (Rauracorum c)uram
. EXTILIOP .... ag(ente S}extilio P(rim)o
, O > LEG XX . . . centurione leg(ionis)
. PColVMoD'VII vicesimae (secundae
primigeniae) imperatore
Commodo septimum(et
PubUo Helvio Pertinace iterum
consulibus).
Dem Gotte Sedatus geweiht. Die erste Cohorte der Sequaner und
Rauraker (liess) durch Fürsorge des Sextilius Primus, des Zugführers
der 22. Legion, der erstgeworbenen (diesen Altar errichten) unter dem
7. Ck>nsulate des Kaisers Gommodus und dem 2. de^ Publius Helvius
Pertinax.
In der ersten Zeile, von der nichts zu fehlen scheint, war der
Namen einer nicht römischen Localgottheit enthalten, kaum wol, wie
E. Hübner meint, irgendwelcher Matronen, viel wahrscheinlicher, wie
er andeutet, des Sedatus deus, wie bei Orelli 2048 u. 5972 : doch steht
das A vor T nicht ganz sicher : hiemach wären die Reste der ersten
ZeUe ATO(XTO?) D(EO Sacrum) zu vervollständigen. In allen fol-
genden Zeilen ist der Anfangsbuchstabe infolge der Zurüstung des
Steins zum Qesimsstttck zerstört, lässt sich aber unzeifelhaft ergänzen.
k.
•^-^-
Bömische Iiuohrifteii vom Mitielrhein.. 156
Die cohoTS prima Sequanorum et Raaracorum ist durch Inschriften
von Steinbach in Baden (Brambach 1738) und Miltenberg am Main
(1740, 1744) bezeugt: die Abkürzung des Rauracorum lautete auf
unserm Steine ohne Zweifel RAVR, wovon der Hauptstrich des R noch
übrig ist. Die Formel curam agere bedarf bei dem Hinweis auf Orelli-
Henzen 3340, 3722, 6737, 6753 keiner weiteren Erörterung. Ein
Haruspex P. Sextilius Primus und eineSextilia Prima finden sich bei
Grut. 304, 6 und 661, 4. Das siebente Gonsulat des Kaisers Commodus
und das zweite des Publius Helvius Pertinax fällt ins Jahr 193 n. Chr. ;
da die eine Ära von Miltenberg ins Jahr 191 gehört, muss also die be-
sagte Gehörte zu Ende des zweiten Jahrhunderts .am untern Main sta-
tionirt gewesen sein. Dasselbe Gonsulat des Kaisers Gommodus aus
seinem letzten Regierungsjahre findet sich auch auf einer Mainzer
Inschrift (Brambach 993), welche das älteste datierte inschriftliche
Denkmal von Mainz ist
Heddernheim.
11. In dem Archiv für Frankfurts Geschichte' und Kunst, N. F. I S.
25 n. 3.(Brambach 1475) ist von uns ein der Mittheilung des verstorbenen
Frankfurter Rektors Voemel verdanktes Bruchstück (üntertheil) einer Vo-
tivinschrift aus Heddernheim zum erstenmale ediert, deren Original aus
dem Besitze des verstorbenen Hrn. v. Meyer in den Besitz des Hrn. Pfarrers
Wolf zu Frankfurt gelangt, von diesem nunmehr geschenksweise an
die Stadtbibliothek abgegeben wurde. Bei dieser Gelegenheit konnte
das Original selbst von uns genauer eingesehen und danach die erste
bruchstückliche Zeile der Inschrift genauer statt LON vielmehr als
Rest einer halb zerstörten Zeile also 1 1 u IV I festgestellt werden ;
demnach lautet die Inschrift:
llulVl
VSFLORE
N T INVS
ARAMINS
VoROSVIT
LLM
Die erste Zeile enthält nur noch die Untertheile der Buchstaben
ITONI oder TTONI, so dass also ein Gentilnamen entweder auf
— ttonins oder itonius u. a. m. dem FLORENTINVS voransgegan*
166 Römiiohe InBohrifteii vom Miitelrheiii.
gen sein kann : zahlreicbe Namensformen auf — ONIVS sind in Kuhns
und Schleichers Sprachvergleichenden Beiträgen m, 4 S. 408 f. von
uns zusammengestellt worden. Am wahrscheinlichsten ist ATTONIVS
zu ergänzen (vgl. oben N. 1 und Brambach 1336, 1768); ein L -
PETRONIVS FLORENTINVS findet sich auf einem Steine zu
Obernburg in Franken, ein L.SEPTVMIVS FLORENTINVS zu
Kirchheim in Rheinbayern bei Brambach 1748 u. 1786; vgl. 1533.
12. Gleich dem Originale vorstehender Votive ist nun auch das
einer andern Heddemheimer Weibinschrift wieder zum Vorschein ge-
kommen. Es ist die bei Brambach 1483 mit einem »periit« be-
zeichnete:
lOMhR
AELCRE
SIA/VSSE
DATIAB
ASSINA
VSLL-M
welche nunmehr in dem Museum zu Cassel in so defektem Zu-
stande der Inschriftseite bewahrt wird, dass schon Fr. Stoltz in seiner
^^Beschreibung des Kurfürstlichen Museums zu Cassel im Jahre 1832«
8. 75 n. 83 bemerkt; »ein anderer Altar von Sandstein^ von dem die
Inscription verwischt ist.« Wir haben uns durch Autopsie von der
Identit&t flberzeugt
Wiesbaden.
18. Folgende kleinere Inschriften des dortigen Museums wurden
uns von dessen gelehrtem Gonservator Hm. Oberst A. von Cohausen
mitgetheilt, welche noch unediert zu sein scheinen: a. Bronzering mit
dem Namen des Besitzers im Genetiv: FIRMI, b« ein gleicher Ring
mit '.der Aufschrift TVN (d. h. wol Juni oder Sunii) und c der Fa-
brikstempel SILVANVSF auf dem Stiele einer Casserole. Ueberdies
wurde ein Siegelstempel aus dem Besitze des Hrn. Grafen von Elz zu
Eltville im Bhemgau vorgezeigt mit der rückläufigen Aufischrift:
CTITI
SEVERI
X
\*
Römiaehe Insohrifteii vom MüMrhein.
167
Cassel.
Nach freundlicher Mittheilung des gelehrten Gonservators des
Museums zu Cassel, Hm. Dr. E. Finder, findet sich in einem alten
Inventare dortselbst die Abschrift einer Anzahl römischer Inschriften,
welche nach einer Notiz des vormaligen Gonservators Hofraths Völkel
verschwunden waren, nachdem im Jahre 1808 der Umbau eines Tbei-
les des Museumsgebäudes zu einem Ständesaal erfolgt war; sie sind
möglicherweise in den damals gemachten runden Anbau wieder vermauert
worden. Diese Inschriften sind bei Brambach 840. 1325, 1206 u. 1492
aus anderen Quellen mitgetheilt, und die von dem alten Inventar ge-
botenen Varianten sind von keiner sonderlichen Bedeutung. N. 1206
ist in bei Dr. Stoltz a. a. 0. S. 76 u. 91 als in zwei Stücke zerschla-
gen angegeben, deren eines von uns in den Nass. Annal. VIU S. 572
n. 12 irrthümlich als noch vorhanden bezeichnet und darnach von
Brambach 2082 in die Addenda aufgenommen wurde. Ausser diesen
bereits bekannten Inschriften findet sich aber in vorgedachtem alten
Inventar noch folgendes Bruchstück einer Grabschrift aufgezeichnet.
0
0 • VIC •
M • VICI
SONIVS
1 V T O R
SECVND
A • VICTO
COH
welche leicht zu ergänzen sein dürfte: D(M)Q||-VICT . . . . ||
MVECI i SONIVS II (A0)IVTOR f SECVND(I) || (N)AVICTO(R!|
(INA) CON||(IVCI) .... Ein Vegisonius Primus findet sich auf
einer verlorenen angebUchen Frankfurter Inschrift bei Brambach 1438 ;
ein Caupinius. Adiutor 1329, ein Omullius Adiutor 825.
15. Weiter i^t in dem mehrerwähnten alten Inventar verzeichnet
»ein römischer Altar, wo auf beiden Seiten die Fortuna zu sehen und
I O.« Dieser Altar war sicherlich ein s. g. Viergötteraltar mit den
Reliefbildem der Fortuna, sodann wol der Juno regina und einer un- .
bekannten Gottheit, sowie wol auf der Vorderseite einer Dedikation an
rO-M (Juppiter optimus maximus).
158 Bonifche Inscbriftdii vom Mittelrhein.
16. Erwäbnenswertl^ erscheint auch noch ein dortselbst aufbe-
wahrter Wochengötteraltar aus der Umgegend von Mainz, bereits bei
Stoltz a. a. 0. S. 77 u. 83 und Appel Hand-Katalog des Kurf. Mu-
seums IX, E, S. 24 u. 93 erwähnt. Die Reliefbilder der 7 Tagesgott-
heiten Satumus, ApoUo-Sol, Luna-Diana, Mars, Mercui*ius, Juppiter,
Venus sind nach einer brieflichen Mittheilung des Hrn. Dr. Pinder jetzt
thellweise sehr verwischt. Den Wochengottheiten schliesst sich übrigens
noch ein Genius an.
17. Von kleineren Inschriften des Casseler Museums er-
wähnt Stoltz a. a. 0. S. 44 besonders Töpferstempel, dören viele vor-
handen sind und näherer Feststellung ihrer Legenden, durch Hm. Dr,
Pinder entgegensehen. Von Fabrikstempeln bronzener Geräthe schlies-
sen wir an den unseres Wissens unedierten einer Schöpfkelle mit
Q • MASVRI. Der Namen Masurius findet sich öfter bei Gruter Ind.
s. V. belegt; ein Masurius Agatho auch bei Muratori 601, 1.
18. Bemerkenswerth sind endlich einige gleichfalls, wie es scheint,
unedierte Ring- und Siegelinschriften, nämlich:
1. u welche Legende in der 3. Zeile nicht ganz feststeht und
C • PA sich einer näheren Deutung entzieht.
CM
2. I V 1 1 N gleichfalls unbestimmbar.
3. Sfegelstempel mit Handhabe, in erhöhter Schrift:
C • HOSTI
A-EX A
d. h. Gai Hostii Alexandri. Der Name ddr Hostii ist nicht selten ; ein
C. Hostius Hilarius ist bei Muratori 1687, 3 ; ein Hostius Festus und
ein P. Hostius Severus ebend. 687, 6; ein M. Hostius Sampseros
ebend. 1026, 10.
Frankfurt a. M.
J. Becker.
5. Römische Alterthflmer in Lothringen.
Die nachfolgenden Bemerkungen haben nicht den Zweck einen
neu gemachten Fund aus dem in der Ueberschrift genannten Gebiet
zu veröffentlichen, noch auch eine abschliessende Uebersicht zu geben
aber alles bereits dorther bekannte. Sie sollen nur die Aufmerksam-
keit der Mitforscher, besonders der rheinischen, auf ein Gebiet lenken,
das durch die neuen Erwerbungen des deutschen Reiches einen er-
neuten Anspruch auf die Beachtung seiner antiken Denkmäler erlangt
hat Trier und seine Umgebungen^ so wie^ das Saargebiet werden von
dem rheinischen Alterthumsverein in Bonn und der Trierischen Ge-
sellschaft für nützliche Forschungen mit Sorgfalt überwacht; für das
benachbarte Luxemburg hat das dortige historische Institut der glei-
chen Verpflichtung sich unterzogen >). Nicht minder reich an Resten
der römischen Gultur ist Deutsch-Lothringen. Zwei gelehrte Gesell«
Schäften, in Metz und in Nancy, haben bisher schon in dankenswerthe-
ster Weise für die Aufbewahrung der zufällig gemachten oder aus
Ausgrabungen gewonnenen Funde gesorgt; für den jetzt deutsch ge-
wordenen Theil Lothringens liegt uns nunmehr eine gewisse Verpflich-
tung ob, nicht mehr blo& aus dem allgemeinen Interesse für unsere
Wissenschaft überhaupt die Erbschaft jener Bemühungen in würdiger
Weise anzutreten.
Ich beschränke mich hier auf einige Notizen über das Museum
von Metz, das ich im vorigen Herbst, freilich nur flüchtig, sehen konnte.
Denn dieses scheint seinen ältesten Bestand bis auf die Zeit Boissards,
>) Wunflohenswerih bleibt nur, dass die jetzt in einem ungünstigen Raum
des Atbenäiuns in Lazemburg mebr übereinander geschichteten als auf*
gestellten Inschriftsteine und Soulptarstücke in angemessener Weise aufgestellt
werden.
160 Römisohe Alterthümer in Lothringen
des berüchtigten Fälschers (der im Jahre 1602 inMetz^ wohin er sich
zurückgezogen hatte, starb), also auf das Ende des sechzehnten Jahr-
hunderts znrückzufCkhren. In neuester Zeit ist es der Mittelpunkt aller
antiquarischen Bestrebungen in jenen Gegenden geworden. Mir fehlt
es freilich leider ganz an genaueren Nachweisungen über die Metzer
Sammlung; die Hand- und Reisebücher ebenso wie die Vorräthe der
hiesigen Bibliothek lassen dafür ^nzlich im Stich; so sind mir z. B.
die Memoiren der Metzer Akademie und selbst Devilly's antiquUis
Mediomatfidennes (Metz 1SK23, 8.) bis jetzt nicht zugänglich gewesen.
Dagegen liegt mir L. Beaulieu's Archiologie de la Lorraine (2 Bde.
Paris 1840 und 1843 8.) vor, ein Buch das manches verdienstliche
enthält — obgleich auf den Tafeln des zweiten Bandes einige offenbar
moderne Stücke als alte abgeliildet sind — , das sich aber nicht mit Metz
selbst beschäftigt, sondern nur mit den übrigen antiken Ortschaften
der Gegend ^). Das Museum befindet sich, vereint mit der Stadtbiblio-
thek, in der rue Ch^vremont, nahe dem Dom ; in den gro&en Räumen
des Erdgeschosses der früher zu kirchlichen Zwecken benutzten An-
lage (im oberen Geschoss sind Gemälde- und naturwissenschaftliche
Sammlungen aufgestellt) ist die reichhaltige Sammlung römischer
Sculpturen und Inschriftsteine aufgestellt; die kleineren Alterthümer,
Münzen, Erz- und Thongerilthe, Waffen und ähnliches befinden sich
in einem Raum des oberen Geschosses. Leider war der verdiente Gon-
servator der Sammlung, Hr. Lorrain, verreist, so dass ich allein auf
die eigene Betrachtung angewiesen blieb.
*) Falsch, d. h. eine Arbeit des sechsehnten oder siebEehnten Jahrhan-
derts scheint mir die Bd. 2 Taf. 2 Fig. 8 abgebildete Bronsegrappe eines dra-
cheniödtenden Hercules, wie Beauliea erklärt (2 S. 187 £f.), tu sein. Sie soll im
Bett der Mosel zwischen Scarpone und Pont k Mousson gefanden sein und be-
fand sich in Beauliea's Besitz. Aecht dagegen ist unzweifelhaft -eine kleine
Bronzefigur, die derselbe in einem aus den Mimoiree der SociiU des sdenceSf
leUres et arte de Nancy von 1849 besonders abgedrackten Aufsatz veröffentlicht
hat, welcher überschrieben ist : de Vemplaeemewt de la Station Bomaine cPAndisina
(Nancy 1849 8. S. 11 ff.). Sie stammt aus La neme tHHe im Vogesen-Departement —
das ist seiner Meinang nach das römische Andesina. Die offenbar ziemlieh
treue Abbildang, die er davon giebt, verdient Aufmerksamkeit^ weil die Figur
deutlich den Schlafgott Hypnos darstellt, ganz Ähnlich den bisher bekannten
gröfseren Darstellungen (s. meine antiken Bildwerke in Madrid S. 66 ff.). Beauliea
erw&hnt daselbst noch einer andern ahnlichen Figur aus Cbran (oder Qrand) im
Yogesen^Departement.
Römisolie Alierthümer in Lotbringen 161
Die Sammlung übertrifft zanachst an Umfang die Trierischen (in
der Porta Nigra und in der Bibliothek). Ausserdem überwiegen dort,
wie bekannt, die Denkmäler aus spätester Zeit, aus dem vierten und
fünften Jahrhundert^ die ja eine Zeit des Glanzes fElr Trier waren,
besonders christliche Inschriften; aus der älteren Zeit hat sich ausser
der Porta Nigra selbst (die ich, nebenher bemerkt, an meinen
früheren Auseinandersetzungen festhaltend % fortfahre fOr ein Bau-
werk aus der Oründungszeit der Stadt durch Claudius zu halten,
ehe meine Ansicht nicht durch Beweise widerlegt ist) verhältnissmäs-
sig wenig daselbst erhalten. Die Stadt der Mediomatriker Divodurum
(erst spät Metiy Metti oder Mettis genannt, wie Rheims statt seines
alten Namens Durocartarum später Bemi hiess — daher die modernen
Namen beider Städte >) ) scheint ihre höchste Blüthe in früherer Zeit
gehabt zu haben, d. h. etwa im zweiten und dritten Jahrhundert. Auf
diese Zeit, die Epoche von Traian etwa bis auf Caracalla, aus welcher
ja die gröMe Masse der uns inschriftlich erhaltenen Denkmäler fast
aller Gegenden des römischen Seiches überhaupt stammt, weist der
Schriftcharakter der meisten der in Metz erhaltenen inschriftlichen
Drakmäler deutlich hin. Die inschriftlichen Denkmäler aber an sich
sind, trotz ihrer nicht unbedeutenden Anzahl (sie stammen freilich
keineswc^ blo& aus der Stadt Metz selbst, sondern aus dem ganzen
früheren Moseldepärtement), in ihrer Gesammtheit nicht hervorragend,
obgleich sie manche lehrreichen Einzelheiten bieten. Ich bemerkte z. B.
zwei grölte längliche Steinblöcke, die ich nach der Aehnlichkeit mit
einer ganzen Anzahl gleichartiger früher einmal von mir zusammen-
stellter Werkstücke aus anderen römischen Städten % z. B. den gal-
lischen Arelate, Lugudunum und Nemausus, fär Sitzstufen eines
Theaters oder Amphitheaters halte, mit Au£3chriften, welche wahr-
scheinlich den festen Platz von Körperschaften bei den öfiientlichen
Spielen angaben. Auf dem einen (in rother Farbe mit Nr. 65 be-
zeichnet) steht deutlich in der schmalen und länglichen Schrift etwa
des zweiten Jahrhunderts :
HOliTORES
auf dem anderen (Nr. 66):
TRIM//
1) In den Monatsberichten der Berliner Akademie von 1864 S. 94 ff.
* *) Vgl. Böoking zar Notit. ooc. S. 256.
*) In der Abbandlang iseriziani esiHenti sni sedilt di teatri ed anfUeatri
a0U%ehi in den ÄrmaU von 1856 S. 52 ff. mit dem Naobtrag Annali 1859 S. 122 ff.
11
192 Römitehe Alterthümer in Lotbringen
Die erste Inschrift bedeutet unzweifelhaft holli]tor€8\ die aspirier-
ten Formen holus und holitores^ forum hoUtcrtum sind als die älteren
und besseren auch sonst hinreichend bezeugt. Dass die Gärtner und
Grankramhändler, welche in Rom am 19. August das alte Fest der
vmaiia rustiea feierten ^), auch in den römischen Gemeinden in den
Provinzen eine Zunft oder Genossenschaft bildeten, wie die meisten
anderen Gewerke, ist zwar nicht direct bezeugt, aber durchaus
wahrscheinlich. ^ Ein paar ansehnliche Grabsteine von holüores haben
sich in Rom erhalten, einer aus republicanischer oder augustischer Zeit'),
der andere wohl nicht viel jünger, bei Marini Arv. S. 529 = Oreil.
2861 ^). In Nimes hatten z. B. die nautae Bhodanici d Ararid einen
festen Platz im Amphitheater. Dass es in Metz ganz ähnliche Körper-
schaften gab, zeigt eine schon im Jahr 1523 gefundene jetzt nicht
mehr vorhandene Inschrift. Aus der Metzer Chronik des 1526 verstor-
benen Philipp de VigneuUes ist sie in der bibliathSque de Vicdle des
ehartes (Serie 1 Bd. 5 S. 543) mitgetheilt und scheint acht zu sein,
da sie aus unverdächtiger Quelle stammt und die Ergänzutagen sich
von selbst ergeben. Sie lautet : M. Publicio See[un]dano nauiarum Mo-
8dttieor(um) liber(to) tabtdarioy 8evi(ro) AugustcUL Der Mann fdhrt
nach bekannter Sitte den Namen Publicius als Freigelassener des pu-
blict4m der nautae. Auch das Vorkommen verschiedener viei auf den
in Metz gefundenen Inschriften, eines vicus Honoris ^) und eines vicus
Paeis *), einer Wasserleitung mit piscina^ eamptis und nyn^haeum «)
deutet auf die reiche Entwickelung des bürgerlichen Lebens hin. Eine
Inschrift bei Schöpflin'') nennt einen eaiglarius, d. i. cdigtdarius. Alle
übrigen Metzer Inschriften mit Handwerksbezeichnungen ^) sind Boissard-
sehe Fälschungen. Der andere Stein enthielt vielleicht den Namen
einer benachbarten Gemeinde ; wie in Lyon die Arverni, die Bituriges
^) Ygl. Mommsen^B Gommentar zum römisclien Calender G. I. L. I S. 400.
») C. I. L. I 1057.
*) In der britannischen Inschrift ans Isca G. I. L. YII 106 (ygl. die
Addenda) habe ich hoUtorea neben den Yeteranen yermathet; vgl. Mommsen im
Hen^Bs 7 S. 898.
*) Auf der Inschrift Taf. 8 Fig. 1—3 in dem S. 168 Anm. 1 genannten
Werk von Bobert.
') Auf dem Matronenstein bei Gmter 92, 1.
'} In der Anm. 4 genannten Inschrift und der Inschrift des Mnsenms Nr. 7.
') Alsat. 1, 468.
«) Orut. 641, 1. 2. 648, 1. 648, 6.
Bdmiaohe Alterthümer in Lothringen 168
Gabi, die Triboci oder Tricassi dergleichen feste Plätze im Amphi-
theater hatten. Auf den Inschriften der Stadt selbst oder der Um-
gebung kommen vor die vkani SöHnuxriacenses (in Soulosse)^ deren
Inschriften gröiSsten Theils in das Museum von Epinai gekommen zu
sein scheinen, die vicani Maroscdlenses (in Marsäl), der Genius der
Leuci u. a. Ein Altar der Roma und des Augustus scheint in Metz
gewesen zu sein; und das spricht für Plätze auch auswärtiger Ge-
meinden oder Körperschaften, welche nach Augustus' Bestimmungen
in den Provinzialhauptstädten zu gemeinsamen Festen und Versamm-
lungen {concüia) um den Altar der Staatsgottheiten zusammen zu
Kommen pflegten. Auf einem von zwei Seiten mit Inschriften versehe-
nen Stein in dem Keller des alten hotd du grand S, Christophe, rue"
de la Ute d^ar Nr. 14, den ich nur aus einer Copie de Saulcy's kenne,
kommt ein 8aeerd(os) Itom(ae) ei Aug(usU) vor, welchen man doch aller
Wahrscheinlichkeit nach als nach Metz selbst gehörend zu betrachten
hat Ob aus dem Fundort sich etwas ergiebt für die ursprüngliche
Verwendung jener beiden Steine mit hciitores und Trim . . . vermag
ich nicht anzugeben.
Der Beachtung besonders werth jedoch sind die zahkeichen Re-
liefs, welche sich auf den Altären und Grabsteinen befinden. Von ihrem
Kunstwerth darf man sich allerdings keine hohe Vorstellung machen;
die meisten sind roh und flüchtig gearbeitet, die besseren zeigen die
auch den handwerksmälbigen Leistungen aller Epochen einer reich aus-
gebildeten Kunstthätigkeit eigene Sicherheit und Einfachheit der Be-
handlung. Nur von der einen Klasse dieser Denkmäler, den Altären mit
ä
Weihinschriften, giebt die äusserst sorgfältige und geschmackvolle Ar-
beit des Hm. Robert^) eine klare Vorstellung. Die Reliefbilder von
allerlei Gottheiten (wie z. B. Roberts Taf. 3 Fig. 4—10 zeigen) bieten
jedoch der Mehrzahl nach kein hervorragendes Interesse; abgesehen
etwa von den Eponabildem (bei Robert Taf. 1 Fig. 4 und 6), welche die
Göttin reitend oder zwischen zwei Pferden stehend darstellen. Merkwür-
diger schon ist ein Stein des Museums (bezeichnet Nr. 64, roth 13), der
in einer nischenartigen Vertiefung eine Anzahl von Gladiatoren zeigt; er
^} Epigraphie de la MoaeUe, Müde par Charles Bohert, carrespondant de
Vlhetiiu^ (Academie des inscriptions et helles lettres), membre de la Sociäh des
aniiguaires de France, Bim, Ä. Lhvi editeur. 1869, Fol. Es liegt bisher nur
Tor die erste Lieferang, 5 Bogen Text and S vorzügliche Tafeln, in der Art wie
die schönen Facsimile's Boissieas in dem Werk über die Lyoner Inschriften
ansgefahrt {photogra/owre Bujardin).
\
I
1^
V
[5.
%'
v
!•../•
i^N-
\
164 Römiacbe Aliertbümer in Lothringen
erinnert an die im Trierer Amphitheater gefundenen Gladiatorenreliefs
und bestätigt gewisser Mafeen die Deutung der oben gegebenen In-
schriften auf Sitzstufenaufschriften eines Amphitheaters. Ob und wie
der Stein mit dem Relief an einem Amphitheater selbst angebracht war
oder nur die Erinnerung an Oladiatorenspiele bewahrt, die ja oft ge-
nug auch in vorübergehend errichteten Gebäuden aus Holz g^eben
wurden, ist hierfür gleichgültig.
Ein Kriegerdenkmal ist mir femer aufgefallen (Nr. 117): es
enthält die so oft wiederkehrende Vorstellung eines Reiters mit run-
dem Schild, der den unten liegenden Feind niedei^eritten hat Die
dazu gehörige Inschrift, welche unzweifelhaft Auskunft über den Trup-
pentheil gab, zu welchem der dargestellte Reiter gehörte, scheint zu
fehlen. An solchen Denkmälern aber sind, neben der Mainzer Sammlung,
welcher auch hierin ja der Preis vielleicht vor allen Museen der Welt
gebührt, schon die von Bonn und Köln reicher als die Metzer Samm-
lung. Dass Metz, seitdem es römische Provinzialstadt geworden, ein
militärisch wichtiger Platz war und eine Garnison hatte, ist bei seiner
herrschenden Lage am Zusammenfiuss d^r Mosel und Seille an sieh
nicht unwahrscheinlich, aber so viel ich sehe, nicht erweislich. Die
Inschriften eines beneficiarius des Legaten der 22. Legion, (bei Robert
Tafel 1 Figur 5) und einiger Veteranen der 20. und der 22. Le-
gion beweisen dafür nichts; Dedicationen von Soldaten an verschie-
dene Gottheiten kommen auch in den kleineren Ortschaften der Gegend
vor. Jene Metzer Soldateninschriften sind zuletzt in einer kleinen Ab-
handlung von dem verstorbenen K Klein in Mainz, die in den Jf<^
moires der Metzer Akademie, von 1857/8 erschienen ist, nach den französi-
schen Quellen mitgetheilt ^). Die ebenda behandelten Inschriften Nr. 1 <)
Nr. 2 >) und 3 ^) sind dagegen Fälschungen Boissards, ebenso wie eine
von Klein selbst verworfene *). Sie steht schon bei Orelli «) ; Gruter
hatte sie von Boissard und schon Maffei '') hat sie mit Recht verdammt ;
wie denn überhaupt die Boi^sard'schen Fälschungen in Metz' viel Un-
heil gestiftet haben : hat er doch unter anderem auch eine Oberdruidin
^) Unter Nr. 4 und 6.
') Im MuBeum Kr. SO.
'^ *) Qrnt. 668, 10, die ich im Mnseam nicht bemerkt habe.
^) Im Haas des Baron Marcband.
•) Nr. 6, im Museum Nr. 28. •) Nr. 2908.
\^f^ ') In der Ars crit lapid. S. 351.
^
Bömisohe Alterthömer in Lothringen 165
mit Namen Arete, da ja diese Priesterinnen die Tagend selbst waren,
erfanden 0- ^i^t die zwischen den Jahren 411 und 413 aalgeschrie-
bene Notitia ^) setzt sub disposiHone viri ülustris magistri pedüum
praesentaUs eine der seinen Befehlen unterstehenden legianes pseudoco-
mUalenses, A\% prima FUma^ nach Met%s\ das ist zugleich das älteste
Zeagniss für den jüngeren Namen. der Stadt Wahrscheinlich aber be-
fiind sich in Metz als dem Ereuzungspunkt mehrerer Stra&en (Mei-
lensteine des Tiberius und Nerva sind in den Umgebungen gefunden
worden), ebenso wie in der römischen Station ad Confiuentes am Zu-
sammenfloss von Mosel und Rhein ^); eine Zollstation. In einer der
Inschriften von Metz^) wird, wofern die Lesung sicher ist, ein pre-
f{ectu$) sM(ionis) q(uadragesimae) G(äUiaruin) genannt, in einer andern ^)
ein kaiserlicher Sclav servus vema dispensator a frumento ; in einer
dritten ^) publid ; d. h. servi publiciy Angestellte irgend einer Behörde.
Aach die Häufigkeit der Dedicationen in hmorem domus Augustae
oder divinae (ich zähle deren ein halbes Dutzend) und das Vorkom-
men von Augustalen '') spricht für den Sitz einer kaiserlichen Behörde.
Die Bedeutung der Metzer Sammlung liegt aber nicht vorwiegend
in diesen, wie gesagt, vereinzelten und nur schwer zu einem in sich
zasammenhängenden Bilde zu vereinigenden inschriftUchen Zeugnissen.
Sie liegt vielmehr in dem mannigfachen bildlichen Schmuck, welchen
die begüterten bürgerlichen Bewohner von Metz und den die Stadt
umgebenden Ortschaften auf ihren Grabsteinen angebracht haben.
Darin zeigen sich nämlich die Verstorbenen in kunstloser, aber naiver
und zuweilen offenbar höchst wahrer Darstellung abgebildet, in der
Tracht des täglichen Lebens, mit den Geräthen oder Abzeichen ihres
Berufs oder ihrer häuslichen und bürgerlichen Beschäftigungen. Die
Sitte 3olche Darstellungen der Verstorbenen auf Grabsteinen zu geben,
1) Grat. 62, 9 == OrelL 2200.
*) Vgl. 0. SeecVs quaestionea de notitia dignitatunif Berlin 1872, 8. S. 11 £
') YgL diese Jahrbüoher 42, 1867 S. 48 und meine Bemerkung in der
arcbäol. Zeitang 1872 S. 76. Ich habe daselbst darauf hingewiesen, dass die im
Jahrbuch 50. 51, 1871 S. 295 von Eliester mitgetheilte neue Goblenzer Inschrift
das erste vollgültige Zeugniss für die dort an der Kreuzung der vier Strarsen
einst befindliche römische Zollstation enth<.
*) Orelli 4965; gesehen habe ich sie nichi
•) OreUi 895.
*) Im Museum, ohne Nummer, gefunden in der rue de la tete d>or,
^) Oben S. 162 Anm. 4 und auf einigen anderen Inschriflen.
166 Römisohe Alterihümer in Lothringen
geht ja, wie bekannt, auf die griechischen, besonders attischen Muster
zurück, wie sie in jüngster Zeit in immer grö&erer FttUe und Mannig-
faltigkeit bekannt geworden sind. Ganz fehlen mehr oder weniger ge-
lungene Anwendungen solches Bildschmuckes auf den Gräbern wohl in
fast keiner Stadt des römischen Reiches ; und auch diese vereinzelten
Exemplare verdienen mehr Beachtung als sie bisher gefunden haben.
Wo sie aber so häufig gefunden werden, wie in den Moselgegenden,
und durch glückliche Zufälle oder sorglichen SammlerfleiTs in Museen
vereinigt sind; da bieten sie in der That annähernd ein Bild der unter-
gegangenen römischen Cultur, wie es keine Beschreibung in Worten
erreicht. Auch in unseren rheinischen Sammlungen fehlt es nicht an
dergleichen Bildwerken ; unter den mannigfaltigen, zum grö&eren Theil
mythologischen Reliefs des gröfsten und berühmtesten aller Grab-
denkmäler der Mosellande, des Igeler Steins, sind einige von derselben
Art ^). Noch jüngst sind unter den an der Coblenzer Moselbrücke auf-
geschichteten Sculpturstücken solche Darstellungen zum Vorschein ge-
kommen '). Einen annähernden Begriff von der Fülle dieser Denk-
male im Moselland — aber auch nur von ihrer FüUei nicht von
ihrer Eigenart — geben die Zeichnungen Wiltheims zu seinen ja
auch viel Lothringisches enthaltenden Luciliburgensia^ welche frei-
lich in den Lithographieen der im übrigen ja sehr verdienstlichen Pu-
blication von Neyen {Alex, Wüthemi S. L Lucüiburgensia sive Luxem-
hurgum Ramanum . , . ab Alex. Neyen edüum, Luxemburg 1842, 4.)
jede Spur von Treue verloren haben. Leider ist der gröHste Theil
dieser noch im siebzehnten Jahrhundert vorhandenen Steine, y^e es
scheint, jetzt verschwunden, so dass man dafür allein auf Wiltheim
angewiesen bleibt ; umsomehr würden seine Abbildungen der verlorenen
Steine eine Facsimilierung nach dem in Luxemburg in Besitz der dor-
tigen antiquarischen Gesellschaft befindlichen Original Wiltheims verdie-
nen ^). Man sieht da, um nur einiges hervorzuheben, abgesehen von
^} Anf den sehr unzulängliohcn Abbildungen von Osterwald und Sohmidt,
um von den übrigen gan? wiUkürlichen zu schweigen, erkennt man sie freüioh
kaum in ihrer Bedeutung, welche besonders in der sorgfaltigen Ausführung aller
Details besteht. Besonders merkwürdig sind die genauen Darstellungen der ein-
heimischen Fuhrwerke^ die ja zu den uralten nationalen Erfindungen der Gal-
lier gehören. Die übrigen Scenen aus dem Leben des Verstorbenen harren noch,
wie das ganze Denkmal, einer würdigen Abbildung und eingehenden Deutung.
») Jahrb. 42, 1867 Taf. IV Fig. 76-
*) Ich verweise auf die Darstellungen Tal 8, 6. 4, 7. 8. 9, 9. 10. 11. O, 12.
la. 9Z, 81. 26, 94. 81, 114. 84, 180. 86, 188. 87, 189. 88, 142. 148.
Römiflohe Altorthümer in Lotfaringen 107
den einfachen Bildnissen (und ohne Berücksichtigung einzehier christ-
licher Darstellungen), wofern den Abbildungen zu trauen ist, häusliche
Sctoen vorgestellt, wie Mahlzeiten^), Lectflre') und Toilette'). Fer-
ner die Thätigkeiten def^Ackerbestellung ^), der Walkerei oder Färberei,
wie es scheint ^), der Waarenverpackung und besonders häufig des Trans-
ports in Fuhrwerken '), sowie des Verkehrs in Kaufläden ''), wobei die
Weinfässer nicht selten sind. Eine Anzahl von wahrscheinlich auch
auf ähnliche Dmge bezüglichen Darstellungen bleibt bei der Beschaffen-
heit der Abbildungen mir wenigstens unklar ®). Von den nicht in Metz
selbst, sondern in den umliegenden vki gefundenen ganz ähnlichen
Steinen hat Beaulieu einige recht gute Abbildungen gegeben ^), die
bis jetzt am besten den Charakter jener Darstellungen vergegenwär-
tigen. Unter den Orabsteinen von Solimariaca (oder Solimariatum,
Soulosse), meist ganz rohen Darstellungen der Verstorbenen ^^), ist
zuerst bemerkenswerth der obere Theil eines Beliefs, welches zwei
Männer in einer Nische darstellt, welche groflse Blasinstrumente zu
tragen scheinen ^0. Von besserer Arbeit schon ist ein anderes Belief
eben daher ^^), mit der einfachen Aufischrift Martdlo Satumim f(%lio).
48, 158. 44, 160. 161. 45, 165. 166. 49, 180. 51, 192. 56, 216. 57, 222.
59, 232—234. 60, 235 61, 245. 65, 273. 66, 282—284. 67, 285—288.
68, 289. 290. 69, 291. 292. 294. 76, 295. 71, 800. 301. 78, 303-305.
84, 367. 368. 90, 414. 417. 94, 456. 95, 458. 459. 468. 98, 475—478.
Das sind im gsiizen über 60 Bildwerke dieser Art.
1) Taf. 45, 165. 57, 222. 69, 291. 292.
») Taf. 70, 295. ») Taf. 46, 167.
*) Taf. 8, 6. 67, 286. 288. <») Taf. 6, 12. 18. 84, 367.
«) Taf. 45, 166. 67, 287. 71, 301. 72, 803-306.
') Taf. 4, 7. 8. 5, 9. 10. 88, 112. 48, 158.
") Taf. 59, 232-234 und 60, 285. 61, 245.
») Bd. 1 Taf. 2 Fig. 1—9, Taf. 3 Fig. 1. 2. 3, Taf. 4 Fig. 11, and be-
sonders Tai 5 Fig. 1 und 2; Bd. 2 Taf. 2 Fig. 1. Anderer Art dagegen scheint
das im buüetin der Soeiiti des cmtiquaires de France 1865 auf der Tafel su
S. 54 ff. abgebildete Belief des Meteer Museums aus Betting zu sein. Dort er-
scheint namüoh die traditioneUe Figur des Pädagogen, wie es scheint, mit fünf
Epheben in griechischer Tracht, deren einer einen Hahn tragt. Das Relief bildet
die Basis einer Statue, von der nur ein Fafs noch übrig ist. Wahrscheinlich
war es eine Statue des Merour und kein Grabmonument, wie Hr. Dr. Bluih6-
lemy, der Herausgeber, meint.
><») Bei Beauliett 1 Taf. 2 Fig. 1 bis 9.
") Taf. 2 Fig. 13. ^«) Taf. 5 Fig. 2.
168
RömiBehe Alterthimer in Lothringen
»/:
Zwei Männer sind darauf dargestellt, nebeneinanderstehend; beide tra-
gen matzen&hnliche püei, wie sie Bürger und Bauern jener nördlichen
Gegenden auch sonst zu tragen pflegen. Bekleidet sind sie ndt Ober
die Knie hinabreichender Tunica und Lacema oder Paenula (die Dar-
stellung lässt den Schnitt des Mantels nicht mit voller Sicherheit er-
kennen)« Der rechts vom Beschauer stehende ist bartlos; er hält in
der Lmken vor sich eine groüse beilartige Hacke ; mit der Rechten
greift er nach dem Beutel, den der rechts stehende bärtige Mann in
der Rechten hält In der Linken hält dieser ganz ebenso wie der jün-
gere ein Werkzeug, die bekannte Steinhacke (ascia). Der Beutel findet
sich, wie schon Beaulieu bemerkt hat, fast regelmäHsig in den Händen
der Verstorbenen ^ ; er scheint kaum den kaufmännischen Berufi viel-
leicht nur den Besitz Oberhaupt anzudeuten und mag mit der vielbe-
zeugten Vorstellung von dem Reisegeld, das der Verstorbene mit auf
den Weg nahm, in Verbindung zu bringen sein. Nicht selten halten
die Verstorbenen auch Eästchen, Flaschen oder Trinkgefäite in den
Händen. So hält eine Frau des Namens lassia auf einem schönen
Steip aus Solimariacum im Museum zu Metz') eine kleine lYinkschale;
ein Mann, Regultis Beb(ur)rici % in der Rechten einen Becher, in der
Linken eine gro&e Börse mit Ringen und Quasten. Auf seiner Tunica
sollen sich deutliche Spuren rother Bemalung erhalten haben ^) ; dass
auch auf diesen rohen Bildwerken Bemalung angewendet wurde, ist
an sich keineswegs unwahrscheinlich. Ein alter Mann auf einem Grab-
stein aus Scarpone im Museum zu Nancy ^) trägt in der Rechten eine
an drei Ketten hängende Lampe, die ihm vielleicht den dunkeln Weg
des Todes erhellen sollte; mit der Linken stützt er sich auf einen
Stock. Auch Werkzeuge in den Händen der Verstorbenen sind nicht
selten. So hält z. B. auf einem anderen Grabrelief aus Soulosse im
Museum von Epinal*) die links stehende Frau einen Beutel, den der
Mann rechts mit der Rechten oben anfasst, während er in der Linken
eine messeraitige Hacke hält. Was diese Werkzeuge bedeuten ist nicht
klar; ich bin geneigt ihnen keinen andern Sinn unterzulegen als den
bekannten der ascm auf den Grabsteinen, dass nämlich das Grabmal
1) Z. B. auf dem daneben, Taf. 6 Fig. 1 abgebildeten Relief iweier Halb-
figoren von Kindern, wie es soheint.
«) Taf. 8 Fig. 2. •) Taf. 3 Fig. 3.
«) Beanüen 1 S. 216. «) Beanliea 2 Taf. 2 Fig. 1.
f) Taf. 4 Fig. 11.
Römisehe Alterihfimer in Lothringen 169
für den Verstorbenen von Steinmetz neu hergestellt, gleichsam frisch
von der Hacke weg in Benutzung genommen worden sei ^. Auf einem
andern dieser Steine von Soulosse, der sich ebenfalls in Metz befindet,
sieht man in einer Nische, welche das Dach des Hauses andeutet,
rechts von einem kleinen Basament den Verstorbehen, wahrscheinlich
einen Kaufmann, bekleidet mit kurzer Tunica und die Lacema um
die Schultern geworfen. Das Basament bedeutet wohl seinen Laden-
tisch. Er hält in der Rechten eine Wagschale, in deren eine Schale er
mit der Linken etwas hinein zu legen scheint; wohl dieWaare, die er
zuwiegen will. Auf dem Tisch steht ein Kästchen mit emem, wie es
scheint, kugelförmigen Knopf. Links vom Tisch steht eine Frau in
langem Untergewand, über welche die weite Paenula gelegt ist ; sie
hUt in der Rechten einen Gegenstand, der allenfalls für einen Beutel
gehalten werden könnte. Vielleicht stellt sie eine Käuferin vor; viel-
leicht auch nur die Frau des Verstorbenen. Auf den Seiten sind archi-
tektonische Ornamente von Weinlaub, an den Seiten des Giebels kleine
Köpfe als Akroterien angebracht. Die Inschrift, welche unzweifelhaft
einst auf der Basis des Steins befindlich war^ fehlt ; es ist jedoch nicht
mit Sicherheit vorauszusetzen^ dass sie von dem besonderen Beruf des
Verstorbenen Nachricht gegeben habe. Denn meist enthalten die sehr
kurz ge&ssten Grabschriften der älteren römischen Sitte entsprechend
weiter nichts als die Namen der Verstorbenen. Auch ein etwa hinzuge-
fagtes negotiator würde das Verständniss des Bildwerks nicht beson-
ders gefördert haben ; man ttberliess es eben dem Bildwerk allein durch
den Augenschein im Gedächtniss zu bewahren und zu lehren, was der
Verstorbene im Leben gewesen. Von den* übrigen zahlreichen Darstel-
lungen ähnlicher Art gebe ich keine Beschreibung, da dieselbe ohne
Abbildungen, welche ich nicht zu bieten vermag, doch nicht viel nützen
würde. Es ist ja überhaupt nur der Zweck dieser Zeilen auf eine
ganze Klasse bisher nicht gehörig beachteter Denkmäler die Aufmerk-
samkeit zu lenken. Durch die weit verbreitete Technik der Photogra-
phie (selbst die kleinste Provinzialstadt hat ja jetzt ihren Photogra-
phen), die so viel Unnützes abconterfeit, wäre es leicht genug, der-
gleichen Denkmäler wenigstens vorläufig bekannt zu machen und da-
mit der Wissenschaft wahrhaft zu nützen. Eine genügende Abbildung
ersetzt freilich auch hierfür die Photographie nicht; aber auf Grund-
1) Vgl. meine Bemerknngen in diesen Jahrb. Heft 87, 1864 S. 161.
^ Bei Beanlien I Taf. 8 Fig. 1.
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1^:
170 ROTiifoba Alierikömer in Lotitringwi
läge einer photographischen Aufnahme wird jeder einiger Massen
tüchtige Zeichner, allerdings nur unter der verständnissvolien Anlei-
tung eines Archäologen, eine so vollkommene Darstellung liefern kön-
nen, als sie überhaupt nur verlangt werden kann. Als solcher Publi-
cationen durchaus würdig bezeichne ich im Metzer Museum ausserdem
in erster Linie die Steine Nr. 25, 37, 53, 93 und 98, alle so zu sagen
Genrebilder des römischen Lebens aufweisend; doch ist damit der
Vorrath des bemerkenswerthen noch keineswegs erschöpft. Selbst Otto
Jahn, dessen Scharfblick und umfassender Denkmäler- und Bücher-
kenntniss so leicht nichts entging, hat in seinen lehrreichen Aufsätzen
über die Darstellungen von Handwerk und Handelsverkehr in der an-
tiken Kunst 0 von diesen uns räumlich so viel näher liegenden Quellen
als die italienischen und griechischen Denkmäler, vielleicht weil die
Wiltheim'schen Tafeln ihm zu unzuverlässig schienen, keine Notiz
genommen. Es wäre eine höchst dankenswerthe Aufgabe für die ge-
lehrten Vereine in jenen Gegenden und für den patriotischen Eifsr
ihrer Mitglieder, die Auffindung, Aufbewahrung und Veröffentlichung
dieser Denkmälerklasse in systematischer Weise in Angriff zu nehmen,
was ja nur von den nächstgelegenen Pflegstätten antiquarischer Stu-
dien aus erfolgreich geschehen kann. Selbst der unscheinbarste und
roheste Grabstein, von dem sich der nur das Schöne und dem Auge
Gefällige in der antiken Kunst aufsuchende Blick mit Verachtung ab-
wendet, gewinnt in der Verbindung mit gleichartigen Denkmälern und
in seiner Beziehung zu der nächsten lokalen Umgebung Wichtigkeit
und Interesse ; mind^tens so viel Berücksichtigung wie die kunst-
losesten Producte des Töpfer- oder Glaserhandwerks oder die einfach-
sten Erzgeräthe, welche man ja, und mit Recht, überall eifrig sammelt
und sorgfältig aufbewahrt, verdienen doch jene Grabsteine zum min-
desten auch.
Die, wie bemerkt, im obem Stockwerk des Metzer Museums auf-
gestellten kleineren Alterthümer habe ich ebenfalls nur flüchtig durch-
sehen können. Vor allem fiel mir darunter eine bronzene Helmmaske
^) 0. Jahn DanieUangen antiker Reliefs, welche sieh auf Handwerk und
HandelBverkehr beziehen, in den Berichten der hist. Glasse der Sachfi. Gesell-
schafb der Wissenschaften von 1861 S. 291 ff. Dazu desselben Darstellungen
des Handwerks und Handelsverkehrs auf Yasenbildem, in denselben Berichten
1867 S. 76 ff. und über Darstellungen des Handwerks und Handelsverkehrs auf
antiken Wandgemälden in den Abhandlungen der S&chs. Gesellschaft der Wis-
tensohaften philol. histor. Klasse Bd. Y 1868 S. 265 ff.
w
Bömische Alterthümer in Lothriogen 171
auf, d. h. das Vordertheil eines HelmS; welches des Gesicht bedeckte,
genau in den Formen des menschlichen Gesichts, mit offenen Augen-
höhlen, Nasenlöchern und Mund. Ob diese Art Helme wirklich ge-
tragen worden sind oder welchen Zweck sie sonst hatten, ist meines
Wissens unbekannt. Einen ganz ähnlichen von prachtvoller Arbeit, in
Bibchester (Lancashire) in England gefunden, besitzt das brittische Mu-
seum >) ; ein zweiter ist in Nordschleswig gefunden worden und in
Engelhardts Werk abgebildet. Neuerdings ist ein ähnlicher im Rheingau
zum Vorschein gekommen und in das Mainzer Museum gelangt, wo
ich ihn im vorigen Herbste luiter Herrn lindenschmits sachverstän-
digen Händen sah. Auch in Etrurien kommen ähnliche Helme mit Ge-
sichtsmasken vor, wie z. B. der im Museo Etrusco Gregoriano 1 Taf.
21, 2 abgebildete.
^) Earze Notiz darüber habe ich in der arohäol. Zeitung 27, 1871 S. 90
gegfeben. Ediert ist er in den Yetasta monumenta Bd. 4 (London 1815 FoL)
Taf. 1 — 4. Townley, der ihn besars, hat eine mystische Erklärung dazu geliefert.
Das Gesicht ssbeint das einer Minerva zu sein; das vordere Stirnband bildet
ein diademartiger Kranz von Befestigungen, eine Corona murälis, geschmückt
mit Victorien, Tritonen' und Gonienköpfen. Den ganzen Helmkopf bedecken Re-
liefcr, welche Kämpfe zwischen Römern und Britten darzustellen scheinen. Der
Helm ist lOVj Zoll hoch; Townley vergleicht der vortrefiflichen Arbeit wegen
mit Recht die in Pompeji gefundenen Gladiatorenhelme, denen der Londoner
Helm auch der Zeit nach nahe steht; denn er gehört unzweifelhaft dem ersten
Jahrhundert an.
Berlin, Juni 1873.
E. Hüb n er.
6. Römische Inschriften aus Rohr bei Blankenheim und aus Bonn.
r.
1^
^¥'
Bereits im vorigen (52.) Hefte unserer Jahrbücher S. 175 haben
wir die vorläufige Nachricht gebracht, dass beim Abtragen der bau-
fäUigen Kirche zu Rohr im Frühjahr 1872 zwei römische Inschriften
gefunden worden seien. Beide Inschriftsteine sind seitdem nebst einem
inschriftlosen Steine, welcher die Figur eines Mannes en haut relief
in einer Nische trägt, vom Vorstände des Vereines erworben und mit
nicht unbeträchtlichen Kosten hierhin befördert worden. Aus den uns
vorliegenden Fundberichten des Hm. Pastor Schönhuth von Rohr d. d.
16. Juni 1872 und des Hm. Rector Dr. Pohl in Linz vom 3. Jan. 1873,
so wie des Kreisbaumeisters Hrn. Schütte heben wir hervor, dass der
dem Mercurius geweihte Altar, so wie der mit dem Bilde versehene
Sandstein in einem der äusseren Strebepfeiler in der Weise einge-
mauert lagen, dass die Inschrift-, resp. Bildseite nach innen gekehrt
war. Die Verstümmelung des letztern Steines rührt nach Hm. Schön-
huths Bericht daher, dass die Maurer denselben zum Behufe des Auf-
legens auf einen andern flachen Stein zurecht hauen mussten. Den
dritten Stein mit der Matroneninschrift fand Hr. Dr. Pohl am 20. Sept.
1872 auf dem Kirchhofe zu Rohr unter den noch umherliegenden Stein-
haufen. Durch seine Güte erhielt ich von beiden Inschriften Papierab-
klatsche mit sorgfältigen Notizen und der freundschaftlichen Auffor-
demng, die Veröffentlichung derselben selbst in die Hand zu nehmen.
. * ;
1.
Der Altar, von dem nur der obere Theil erhalten ist, aus grau-
gelben Sandstein, ist 0,48 m. breit, 0,48 m. breit, 0,40 m. hoch und
0,22 m. dick. Die Höhe der Buchstaben beträgt 0,05 m.
.ß
w «
«H
J^-:'^
"i->'
Bömiicbe InBohriften ans Rohr bei Blankenheim und aua Bonn. 178
MERCVRI
CHANNINI
/tili
Z. 1. Da nach der rechten Seite zu der Rand etwas beschädigt
ist, so liegt die Vermutbung nahe, dass ein 0 ausgefallen sei, jedoch
hat eine wiederholte Besichtigung des Steines mich in der Ueberzeu-
gnng bestärkt, dass für diesen Buchstaben kein Baum vorhanden ge-
wesen.
In Z. 2 könnte man auf den ersten Blick in dem Anfangsbuch-
staben ein 0 vermuthen; bei näherer Betrachtung ergibt sich aber,
dass die bogenförmige, bis zu M in die 1. Z. hinauf verlängerte Ver-
tiefung wahrscheinlich beim Reinigen der Buchstaben vom Mörtel durch
Einritzen unwiUkührlich, oder auch in der nicht ganz ungerechtfertig-
ten Voraussetzung, dass der Name des Gottes im Dativ stehen mflsse,
durch Nachhülfe entstanden sei, eine Möglichkeit, welche Hr. Pfarrer
SchOnhuth dem Hm. Dr. Pohl auch zugab. In dem letzten Buchstaben,
von dem nur der Rest des Verticalstrichs erhalten ist, erkenne ich
ein £. Wir haben also hier den seltenen Fall, dass in der Widmung
der Name des Gottes, anstatt im Dativ, im Genitiv steht, wie bei dem
Kölner Weihestein des Mercurius Arvemus 0 und einem ganz ähnlichen
Mercursteine im Antikenkabinet zu Wien '). Andere Beispiele giebt
Zell in seiner Anleitung zur Kenntniss der röm. Inschriften S. 143.
Doch beschränkt sich, wie es scheint, dieser Gebrauch auf die Ver-
bindung mit der Formel SACRVM. £s möchte daher grosse Wahr-
scheinlichkeit für sich haben, dass in der 3. Zeile, worin nur fünf
wenig Anhalt bietende Buchstabenreste erhalten sind, ausser der Er-
gänzung von CHANNINEFATIVM das Wort SACRVM ganz, oder in
SACR. abgekQrzt gestanden habe. Der abgebrochene Theil des In-
schriftsteins wird den Namen des Widmenden nebst der gewöhnlichen
Weiheformel V ' S * L * M enthalten haben.
Der verstümmelte Votivstein nimmt in mehrfacher Hinsicht unser
Interesse in Anspmch: er ist der Stammgottheit eines acht germa-
nischen Volkstammes, der G ann in ef at e n geweiht, welche nach Tacitus
Hist. IV, 15, »in Herkunft, Sprache, Tapferkeit den Batavern gleich,
^) S. das Yen. der röm. Alterth. des Mus. Wallraff-RichArs in Köln
8. 21 Yon Düntser.
') Vgl. die BesohreibuDg desselben von v. Sacken and Kenner S. 109, 28.
174 Römische InBohriften tus Rohr bei Blftnkenheim und aue Boan.
jedoch an Zahl von diesen abertroffen, einen Theil der Batavischen
Insel bewohnten.« Im Anfange des Aufstandes des Batavers Civilis
spielten sie unter Anführung Brinnos eine bedeutende Rolle, indem sie
das Winterlager zweier römischer Gehörten zerstörten und als die
ersten sich dem Civilis anschlössen. Tacitus nennt Cohorten derselben,
welche (nach H. IV, 19) von Vitellius nach Italien gef&hrt Wurden,
so wie (Ann. IV, 73) im frisischen Feldzuge eine ala Canninefatium,
die der Legio X gemina zu Vetera zugetheilt war. Ueberhanpt schei-
nen sie in späterer Zeit nur als Reiter gedient zu haben; im daci-
schen Feldzuge finden wir eine ala zu Vindobona, eine andere zu
Mainz, der leg. I adiutrix beigegeben ^) ; auf drei Militärdiplomen
aus der Zeit des Antoninus Plus wird die ala I erwähnt, welche
auf das Vorhandensein mehrerer Reitergeschwader schliessen lässt.
Die letzte Erwähnung der Canninefaten findet sich auf einer In-
schrift aus Volsinü aus der Zeit des Severus Alexander (3. Jahrh.
nach Chr.)«).
Kehren wir nach dieser kleinen Abschweifung zu unserer Inschrift
zurück, so bieten sich zu dem hier zum ersten Mal vorkommenden
Mercurius Channinefatium, in dem wir den römisch gedeuteten
Hauptgott der Deutschen W u o t a n zu verstehen haben, in Inschrif-
ten mehrfache Parallelen besonders von romanisirten Gallischen Gott-
heiten, wie die des schon obengenannten Mercurius Arvernus oder
Arvernorum, des Mars Talliatium, Mars Caturix, Albiorix
u. a., welche Prof. J. Becker in diesen Jahrbb. XXTT, 170 ff. zusam-
mengestellt hat.
Es erübrigt uns noch, einiges Über die Schreibweise des Namens
der Canninefaten zu bemerken, welcher in den Handschriften des Ta-
citus, Plinius und Velleius Paterculus gewöhnlich CANNINEFATES,
dagegen in den Inschriften bald CANNJ5NEFATES, bald CANNFN-
oder CANNINEFATES geschrieben wird. Prof, Becker »), welcher diesen
Streitpunkt einer besonderen Untersuchung unterworfen hat, ist ztf
dem Resultate gelangt, dass in den Inschriften die Schreibung Can-
naneiates die am sichersten beglaubigte sei. Dieses Ergebnisa möchte
indessen bei der zum Theil onsichem Ueberlieferung der bezüglichen
^) Bonxu Jahrbb. XV, 101.
') OrelL 96 und dazu Henzen I. L. III, p. 6, vgl. Völker, d. Freiheitakampf
der Bataver anter ClaudiaB Civilis, 1. Lief. S. 28.
>) Bonn. Jahrbb. XY, 101 ff.
k
Bdmiflcfae Insohnften aus Bohr bei Blankenheim und am Bonn. 175
Inschriften durch die abweichende und sich der Tradition in den Hand-
schriften anschliessende Schreibweise unserer Inschrift, welche, in
schönen Charakteren eingehauen, ohne Zweifel aus guter Zeit stammt,
zu modificieren sein, zumal da die Schreibung GAanninef. auch zu der
Ableitung des Namens, welche J. Grimm ^ und Zeuss ^) versucht ha-
ben, vortrefPlich stimmt. Beide stellen nämlich den Namen in der Vor-
aussetzung, dass die Bataver centum durch cannin, cannan ausdrückten,
mit dem Oothischen ,hundafadeis' zusammen, so dass also der Name
Hundertmänner (fathes, faths - gomo - homo, Mann) bedeuten
würde, was in der Germanischen Kriegs- und 'Gauverfassung seinen
Grand gehabt haben könnte *). Wenn nun J. Grimm zugleich mit Zeuss
noch das Auffallende hervorhebt, dass man nach dieser Ableitung eigent-
lich GAanninefates, was sich aber nirgends findet, erwarten müsse, so
kömmt unsere Inschrift dieser Anforderung auf das Erwünschteste
entgegen und möchte daher nicht blos die richtige Aussprache des
fraglichen Volksnamens bieten, sondern auch die richtige Schreibung
desselben am nächsten reprilsentiren. ^
Wir schliessen hieran eine kurze Besprechung des in demselben
Strebepfeiler gefundenen Bildsteines. Es ist diess ein gelblich weisser
Sandstein 0,66 met. hoch, 0,41 m. breit und 0,17 m. dick. Die in einer
Nische in haut-relief befindliche unbekleidete männliche Figur ist, wie
oben bemerkt, stark beschädigt, besonders an den Unterschenkeln und
den Füssen, welche letztere fast ganz verschwunden sind; so wie auch
der untere Theil des Gesichtes fehlt. In der rechten Hand scheint sie
eine Keule zu halten, ein Attribut, welches auf Hercules zu schliessen
geeignet wäre, wenn nur die die Löwenhaut nicht fehlte. Ich möchte
die sehr roh gearbeitete Figur eher für einen Mercur halten, da sie
mit dem Mercuraltare in näherer Beziehung zu stehen scheint und
der Gegenstand, den die rechte Hand trug, nach oben so stark her-
anstritt, dass man möglicher Weise »den Beutek erkennen dürfte.
Indessen ist von emem » Schlangenstab k (caduceus) in der abwärts ge-
haltenen Linken nichts mehr zu sehen.
^) GesoK d. dentschen Sprache 2, 586.
') Die Deutschen tind die Naohbarsi&mme S. 102 Anm.
*) 8. Grimm a. a. 0. 491 f. und VöUcer a. a. 0. S. 27.
BSmiache Inadirift«D miu Bohr b«i ffluakenlimiii und ftoi Bonn.
MatroneDinschrift in grünem Sandstein, 0,75 m. lang, 0,47 m.
breit und 0,23 m.' dick. Die Habe der Buchstaben beträgt 0,045 m.
Der Stein ist auf der rechten und der linken Seite abgeschnitten, so
das8 sowohl am Ende als am Anfange jeder Zeile venigstens je ein
Buchstabe fehlen ; am Ende der ersten Zeile so wie am Anfange der-
selben findet sich ein Bruch, Wodurch ein paar Buchstaben im Namen
der Matronen verloren gegangen sind. Die Inschrift, deren Buchstaben
nicht sehr tief und meist verwischt sind, lautet na(^ dem mir vor-
li^enden Papierabdmck :
XvTRONISd
^BVSmCLEM
TINVS IVSTVS
IVLIA CINN
5 V L M
(Ma)troni3 G(abijabus Clem(en)tinus Justu(3) (et) Jnha CinD(a)(?).
Votum (solTenmt) lubentes merito.
Unzweifelhaft ist Z. 1 zu Anfang JlfATROMIS zu ergänzen;
der darauffolgende Buchstabe ist nicht Hir ein G oder 0, sondern,
wie das Ektypon zeigt, für ein G anzusehen. Da nun nach der sich
von selbst ergebenden Er^nzung der in den folgenden Zeilen vorkom-
menden Xamen am Ende der Zeilen je 1 bis l'/i Bachstabea wegge-
fallen sind, so werden wir mit Sicherheit zur Annahme gefflhet, dass
am Schlüsse ein A und am Anfange der 2. Zeile BI oder B' ausser
dem linken Schenkel des A ausgefallen sei. Kein anderer der wenigen
mit G beginnenden Matronennamen, weder die Gavadiae noch die
Guinebae, könnten hier Platz finden, ausser den Gablae, welche im
westrheinischen Ubierlande auf vier zu Rövenich bei Zflipich gefunde-
nen, jetzt verlorenen Altären mit Matronae, and einmal in Köln mit
Innones vorkommen.
Was die Deutung dieses Beinamens betrifft, so hat man bisher
&8t allgemein darin keine topische BeneDiiung gefunden, sondern den-
selben theils mit der deutschen Emtegöttia Fru Gaue (Fra Göde)
zusammen gestellt, wie Lersch '), oder man hat durch Ableitung von
der altdeutschen Form des Wortes Gau (gawi, gavi), dessen v in b
<) Bonn. Jahrbb. II, 127.
Römiselie Inscbriften aus Rohr bei ßlankenheim nnd ftus Bonn. 177
übergegangen, die Gabiae als Gaugöttinnen gedeutet, wie ReinO*
welcher in der Bürgeler Inschrift der Matronae Alagabiae gleich-
Matronen »aller Gaue« versteht. Die neueste Deutung der M. Gabiae
von dem Holländer Dr. Kem^) als »Geberinnen von guten Gaben«,
hat etwas Empfehlendes, doch möchte die uns mündlich von Prof.
Simrock nütgetheilte Erklärung »die Begabenden« noch vorzuziehen sein,
■
womach die in einer Inschrift als Junones bezeichneten Gabiae als
die wohlthätigen Feen erscheinen, welche den Neugeborenen besondere
»Begabungen« zutheilen.
Z. 2 findet sich hinter dem ausgefallenen S ein Zeichen^ welches
ohne Zweifel für das als Interpunktion dienende Epheublatt zu halten
ist Der horizontale Strich des folgenden L ist verwischt, so wie auch
die 2. Hälfte des M.
Z. 3 ist es wahrscheinlich, dass hinter IVSTV bloss ein S aus-
gefallen und mit dem geforderten ET die 4. Zeile begonnen habe. In
dieser Zeile fällt der etwas nach oben gehende Querstrich des ersten
Buchstabens in IVLIA auf, so dass man an 7VLIA statt XyLLIA
denken könnte, jedoch erscheint derselbe bei näherer Betrachtung als
eine Fortsetzung der oben rechts von dem Buchstaben bemerklichen
zufälligen Vertiefung. In dem folgenden Namen GINN sind die zwei
ersten Buchstaben sehr verwischt, so dass die Lesung unsicher bleibt,
namentlich ob der zweite Buchstabe für ein I oder E zu halten sei.
Wir entscheiden uns mit Hrn. Dr. Pohl für CJ5NNA, obgleich wir für
diese mehr einem keltischen Mannesnamen zukommende Form kei-
nerlei Beleg beizubringen im Stande sind. Die einzig anklingende
Form findet sich in einer Mainzer Inschrift (Stein, 327), welche einer
QENIA LINEA GRATA gesetzt ist. Uebrigens möchte die Julia
Genua als Gattin des Glementinus Justus, dessen ersterer Name auf
einer Mainzer Inschrift (Br. 1064) vorkommt, zu betrachten sein.
Z. 5 in der Widmungsformel scheint nach Massgabe der symme-
trischen Entfernung der erhaltenen 3 Buchstaben V L M das sonst
regelmässig gebrauchte S(olvit) zu fehlen; jedoch möchte ich bei dem
verwitterten Zustande der Inschrift lieber den Ausfall, als die Aus-
lassung des S annehmen, welche Zell ') unter den Variationen dieser
1) Hans Bürgel. Crefeld 1866. S. 84 ff. Yergl. B. Jabrbb. XXIII, S.
149 f. Simrook, Handb. d. doutochen Myth. S. 864.
^) H. LH d. Jahrbb. S. 160.
') Anleitong sur Eenntniss der röm. Inschriften S. 145.
12
l *
\
I:
u" •
\
178 BönuBohe Iiudhiifteii ins Bobr bei Blankenhfflm und aas Bonn.
Widmangsformel zwar anführt, jedoch durch kein sicheres Beispiel be-
legt hat.
Znm Schloss wollen wir die Yermathong nicht nnterdrücken,
dass die besprochenen drei Steine, von denen die zwei ersten wahr-
scheinlich einem kleinen Tempel des Mercurins angehört haben, nicht
ursprünglich an der Fundstätte zu Rohr gestanden, da uns von dort ge-
fundenen Alterthumsresten bisher nichts bekannt geworden, vielmehr
halten wir die Annahme für gerechtfertigt, dass dieselben von dem
benachbarten römischen Etappenorte Marcomagus, durch welchen die
sowohl im Itinerar des Antonin als auf der Peutingerschen Tafel an-
gegebene Hauptstrasse von Trier nach Köln führte 0» als Material für
den Bau der alten Kirche, wie diess auch anderwärts so häufig der
Fall war, hergeholt worden sind.
3.
Votivaltar aus Jurakalk, im Jahre 1870 bei der Tieferlegung
der Aussenmauem der hiesigen MQnsterkirche in den Fundamenten
des nördlichen SeitenschiiFes entdeckt. Da die eine Schmalseite ein
Fflllhom zeigte, so schloss man mit Recht auf eine römische ara und
arbeitete den schweren Stein mit grosser Eraftanwendung aus den
Grundmauern heraus. Derselbe ist aber nach der rechten Seite zu
schief abgeschnitten; die Höhe desselben beträgt 0,95 m., die Breite
0,59 m., die Dicke 0,29 m. Die linke Volute der ara ist noch erhalten, so
wie auch der grösste Theil des arg zerstörten Simses. Ebenso reicht
das auf der linken Schmalseite in schönen Formen gearbeitete FfiU-
hom bis zur Basis, während von dem auf der rechten Seite befind-
lichen nur der sich nach unten verjüngende Theil sichtbar ist
Durch Brüche hat der Stein an der obem Hälfte rechts und
links stark gelitten, und ist Qberhaupt in so hohem Grade abgeschlif-
fen und verwaschen, dass die zum Theil schattenhaften Charaktere
sehr schwer zu lesen sind. Was mir mit Hülfe eines Papierabklatsches
und einer recht gelungenen photographischen Aufnahme, die ich der
Güte des Hm. Stud. ehem. Friedrich Krafit verdanke, zu enträthsebd
möglich war, lautet also:
^) J. W. Schmidt über die Römentrassen im Rheinlande in diesen Jahrbb.
Heft XXXI, S. SS ff. üeber die wahrscheinliche Lage des alten Maroomagos
(Mermagen) vgl. noch Eick die röm. Wasserleitung aus der Eifel nach Köln.
S. 16 ff.
L
Römische Inschriften aus Rohr bei Blankenheim und aus Bonn. 179
... 1 VN.
. . . R C V . .
. . • OhL- V-
, . . :>CV • AEN.
5 . . ASSIANVS' •
_ VRIVSSA ....
N V S C
EX VOTO . . .
> ntoNno- •/ -
d. h. forTVNae et heRCVli . cOELiVs FuSCVs . (m)AENius
cASSIAJn^S (et) . ZVRIVS SA(tumi)NVS G • EX VOTO
(posuerunt) • ANTONINO .... cos
Da sich über dem Simse schwache Reste von Buchstaben zeigen ,
so wird die Vermuthung nicht zu gewagt sein, dass daselbst entweder
GENIO LOCI, worauf der erhaltene Strich Querstrich von L zu führen
scheint, oder die Formel In H(onorem) D ' D(omus divinae) gestan-
den habe. In der 1. Zeile ist die Ergänzung forTVNae sicher, eben
80 die von herCVLi in der 2. Z. — Z. 3 scheint es zweifelhaft, ob
der zweite Buchstabe für ein L oder ein E zu halten. Im erstem
Fallist die Ergänzung von LOLLIVs geboten, ein Gentilname, welcher
auch sonst auf rheinischen InschViften vorkömmt; vgl*. Bramb. 389,
wo ein G. Lollius Priscus und 1467, wo ein C. LoUius Grispus genannt
wird. Im andern Falle ist cOELiVs zu suppliren, wozu Bramb. 679
ein Beispiel liefert. Ausserdem wird vor Coelius noch der Vorname
gestanden haben.— Z, 4 ist unbedenklich FuSGVs zu ergänzen; desto
schwieriger ist die Deutung der schwach durchschimmernden Zeichen
A E N, worin der Gentilname des 2. Dedikators der Ära enthalten
sein muss. Ergänzen wir mAENius, so fehlt der Raum für den Vor-
namen; es möchte daher vor diesem höchst seltenen Gentilnamen der
öfter auf rheinischen Inschriften erscheinende AELius sich empfehlen,
da das N nicht unzweifelhaft fest steht. — Zu Anfang der 5. Z. lese
ich gASSIANUS (vgl. Bramb. 1683) und fülle den noch übrigen Raum
durch et und einen das Praenomen bezeichnenden Buchstaben aus. --
In Z. 6 war der 1. Buchstabe ohne Zweifel LVRIVS, welcher Name
bisher auf rheinischen Inschriften nicht vorgekommen ist Bekannt ist
den Nunüsmatikern P. LVRIVS AGRIPP A auf einer Monetarmünze
K*.
180 BömiBche Inschriften aus Bohr bei Blankenheim und ans Bonn.
des Aagustus. Hinter SA sind wahrscheinlich 5 Buchstaben tumi aus-
gefallen, wodurch wir den sehr häufig vorkommenden Namen Satumi-
nus erhalten, obgleich man auch mit der Ergänzung SAmi sich be-
gnügen könnte (Yergl. firamb. 1520). Da jedoch die vorhergehende
Zeile 12 Buchstaben enthält, so ziehen wir die erstere Ergänzung,
wonach in diese Zeite 13 Buchstaben zu stehen kommen, vor. — Zu
Anfang von Z. 7 steht deutlich die Schlusssilbe NVS, alles Uebrige
ist bis zur gänzlichen Unkenntlichkeit verschwunden ausser einem G
oder 6 am Ende. Einer meiner Bekannten, welcher die Inschrift zur
Abendzeit bei Lampenlicht wiederholt betrachtet hat, will Spuren des
Wortes STRATOR entdeckt haben, wovon ich jedoch ausser schwachen
Spuren eines T nichts finden kann. Dürfte ich eine Yermuthung wagen,
so möchte ich VEXILL(arii) (le)6I als ausgefallen annehmen, da die hier
genannten Dedika;toren höchst wahrscheinlich der 1. Legion angehört
haben werden und die zu besonderen Diensten detachirten Vexillarii
auf rheinischen Votivaltären, und zwar namentlich auf solchen, die
dem Hercules geweiht sind, häufig vorkommen. Vergl. das Denkmal
des Hercules Saxanus im Brohlthal. Bonn 1862. Nr. 2. 4. 5. 10. II.
12. 14. und die zwei Inschriften von Neuwied, Bramb. 692 und 693.
Das Nähere über die Vexillarii in engerer Bedeutung, womach sie
aus Veterani bestanden, und in weiterem Sinn als Detachements einer
Legion oder auch eines Hülfstruppentheiles in Beckers Handb. d. röm.
Alterth. HL 2. Abth. S. 366 f.
Z. 8 sind die drei ersten Buchstaben der Formel EX YOTO
vollkommen deutlich, die drei folgenden schimmern noch erkennbar
durch. Dahinter ist sehr wahrscheinlich posuerunt ausgefallen.
^^ Aus dem in der letzten Zeile noch vorhandenen Eaisemamen
ANTONINO lässt sich das Jahr um so weniger bestimmen, als ausser
Antoninus Pius und Antoninus philosophus mehrere spätere Kaiser,
r^ wie Caracalla, Elagabal und Severus Alexander denselben Namen in
^ . öffentlichen Urkunden geführt haben. Unter einem der drei letzteren
l' wird unsere Inschrift zu setzen sein, wenn die von uns angenommene
Devotionsformel In Honorem Domus Divinae an der Spitze der In-
schrift stand, da diese erst g^en Ende des 2. Jahrh. in Gebrauch
^'\ gekommen ist Ergänzen wir dagegen OENIO LOCI, so möchten wir
wohl berechtigt sein, unsere Inschrift in die Regierungszeit des M.
Aurelius Antoninus zu setzen, und zwar unter das Gonsulat des
ANTONINVS ffl et VERVS H « 161 p, Chr., in welches Jahr zwei
I
^
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Römische Inflohriften aus Rohr bei Blankenheim und aus Bonn.
181
von ans in diesen Jahrbüchern ^) besprochene Inschriftsteinc von Sol-
daten der Leg. I Min. gehören.
4.
Grabstein aus Jurakalk, 15" hoch, I3V2" breit, 3" dick, gefun-
den bei der Anlage von Latrinen nahe der Reitbahn ! auf dem neuen
Exercirplatze vor dem Kölnthor, für verwundete Krieger, im Sommer
1870. Der Stein, welcher mit anderen Fragmenten von Säulen und
Inschriften an's Licht kam, wurde als brauchbares Baumaterial von
einem Arbeiter bei Seite geschafft und von mir in diesem Frühling
zufällig entdeckt und für die Vereinssammlung erworben. Die im
Ganzen wohl erhaltene Inschrift lautet:
NELLONIA
PEREGRI^A
VIVA
SlBI FC
Dieser Stein ist dadurch von besonderem Interesse, dass er zu
den wenigen bis jetzt in Bonn gefundenen römischen Denkmälern ge-
hört, welche Privatpersonen gesetzt sind. Die Zahl dieser Grabschriften,
welche in dem ,Urkundenbuch des römischen Bonn' von dem Unter-
zeichneten ') zusammengestellt sind, belauft sich auf fünf, von denen
nur eine vollständig erhalten ist, während die Zahl der Grabsteine
von Soldaten achtzehn beträgt, ein beweis, dass das bürgerliche Ele-
ment vor dem militärischen stark zurückgetreten ist.
Der Name der auf unserer Inschrift genannten Frau Mellonia,
welche sich bei Lebzeiten diesen Grabstein hat anfertigen lassen, dürfte
als vornehm und reich angesehen werden, wenn sie zu der Familie
der* Gebrüder Melonii Garantus und Jucundus gehört hätte, welche
auf einem in Castel bei Mainz gefundenen, dem Juppiter und der Juno
geweihten nnd ausserdem mit 4][Götterbildem geschmückten Altare
als Stifter demselben und zugleich als Gründer eines nach ihnen be-
') Heft L und U S. 186 ff.
^) S. 22 ff. in der Festoohrifb^ zu demjinternationalen Congresse f. Alter-
thomskande und' Geschichte zu Bonn im Sept. 1868.
182 RoiuiBche Inschriften ans Rohr bei Blankenheim nnd ans Bonn.
naDüten Quartiers oder Viertels (Novus Yicus Melomorum) in Gastel-
lum Mattiacorum ^) erscheinen. Jedoch scheint es geboten, unsere MeZ-
tonia, die mit doppeltem 1 geschrieben ist, von der Familie Melonia,
wozu eine Mefonia Junia auf einem Grabstein aus Frankfurt (jetzt^in
Wiesbaden) ^) gehört haben mag, zu trennen. Ein MeZfonius Severus,
Centurio der 22. Legion, kommt auf einem Grabsteine vor, der im J
1858 auf dem Kästrich gefunden wurde und die Datirung Cilone et
Libone cos. = 204 trägt ^). Dazu kommt noch ein Grabstein aus Köln,
der dem Mellonius Eraclius und der Fannia Secunda von ihrem Sohn
Publius Mellonius geweiht ist^). Was die Abstammung des Namens
MeZonius betrifiFt, so hält sie Prof.. Becker ^) für celtisch mit Hinweiä"
auf viele analoge Namen mit der Endung onius und auf den in der
> , Kasteier Inschrift damit verbundenen Beinamen Garantus. Ob ein
: . V Gleiches fQr die Form Meßonius anzunehmen oder ob diese vielmehr
auf ein griechisches Etymon, wie MiiXcDv (bei Xenophon), zurückzu-
:. . fahren sei, wofür der damit verbundene Name Eraclius der Kölner
w Inschrift zu sprechen scheint, lasse ich dahingestellt sein. — Der Zu-
name unserer Mellonia: Peregrina findet sich auf einer Grabschrift
l; aus Worms •). lieber die in unserer Inschrift gebrauchte Formel VIVA
'%. SIBI Faciendum Curavit oder Posuit, wie sie auf Grabmälem vor«
kommt, welche sich einer selbst bei Lebzeiten errichten liess, verweise
;;: , ich auf die lehrreiche Besprechung Braun's in B. J. XVII. S. 108,
wo diese Sitte mit Recht aus dem bei den Römern allmählich ein-
reissenden Egoismus, über den schon Plinius der J« Klage fahrt ^),
iiergeleitet wird.
5.
Nachdem ich diese Besprechung von Inschriftsteinen aus Rohr
){■- und Bonn schon dem Druck übergeben hatte, wurde unsere Samm-
J
- •
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r • ». . >
A
^) Bramb. 1821. C. L. Grotefend in ZimmeimannB Zeitschrift f. Alierth.
Wies. 1888. S. 126, besonders aber J. Becker Gastellam Mattiacomm in d. Ann.
d. Nass. Alterthamsk. u. Gesch. Bd. YII. H. 1. S. 81.
') Br. 1438 nnd J. Becker a. a. 0. 8. 33.
') Bramb. 1026.
*) Yergl. Düntzer in dies. Jahrbb. XLYII u. XLYIIX. a 121.
*) a. a. P. S. 38.
•) Bramb. 802. Stein. 699.
"*) Plin. ep. L YI, 10. Tarn rara in amicitia fides, tarn parata oblivio mor-
tuoram, ut ipsi nobis debeamus etiam conditoria ezstmere, omnia heredum
ofßcia praesunere.
.» '<«.
Römisohe Inschriften aus Rohr bei Blankenheim und aus Bonn. 183
lung noch durch den FuAd eines römischen Grabdenkmals von her-
vorragendem Interesse bereichert, vorüber wir einen genauem Bericht
an dieser Stelle zu bringen um so mehr uns veranlasst fühlen, als
bereits die öffentlichen Blätter die Aufmerks«imkeit weiterer Kreise auf
den neuen Fund gelenkt haben. Es ist diess der Grabstein eines Beiters
der Leg. I, welcher laut der Inschrift nach 15 Dienstjahren im 30.
Lebensjahre starb und von der Hand eines liebenden Bruders dieses
Ehrendenkmal erhielt. Der kolossale Stein aus Jurakalk, dem gewöhn-
lichen Material der römischen Inscbriftsteine, wurde gegen Ende des
Monats August c. vor dem Kölnthore, rechts von der Chaussee, nahe
bei dem Steinbilde des Kreuztragenden Christus, beim Fundamentaus-
werfen eines dem Wirth Hm. Deinert gehörenden Neubaus, ausge-
graben. Nicht weit entfernt von dieser Stelle war schon im J. 1870
der in diesen Jahrbüchern *) beschriebene, mit der Abbildung von pha-
lerae gezierte Grabstein, der die einfache Inschrift VALE • LVCI trägt,
zu Tage gekommen. — Unser Grabstein ist 1,95 m. lang, 0,78 m.
breit und 0,30 m. dick. Den oberen Theil des Grabsteines nimmt, in
der Höhe von 0,75 m., in einer nischenförmigen Vertiefung die Figur
eines hoch zu Boss sitzenden gewappneten Reiters mit eingelegtem
Speere ein, die Brust mit einem Riemengeflecht von phalerae, d. h.
grossen silbernen Medaillen geschmückt, die nur zum Theil noch zu
erkennen sind, so wie auch die Nase des Reiters abgebrochen ist. Das
mit hoch erhobenen Vorderfüssen vorspringende Pferd ist mit einer
Schabrakc bedeckt, welche nicht durch einen Bauchgurt, sondern durch
einen vom Yorderbug ausgehenden, der Länge nach unter dem Schweif
durchlaufenden Gürtel befestigt zu sein scheint*).
Unter dem hoch gehobenen Vordertheile des Pferdes bis zum
rechten Bein des Reiters, das von Beinschienen (ocrcae) keine Spuren
zeigt, ist ein, uns schon von dem früher in der Nähe gefundenen
Grabstein her bekanntes gitterförmiges Riemengeflecht mit neun sym-
metrisch zu je drei neben- und untereinander gereihten x)halerae ab-
gebildet, von welchen man noch das am häufigsten vorkommende
Medusenhaupt und zwei Thierköpfe unschwer zu erkennen vermag. An
das GeflechtiB, welches 0,42 m. breit und 0,25 m. hoch ist, schliessen
sich links zwei grössere Ringe, die ich für armillae oder Armbänder
^) Heft XLIX, 8. 190 f.
^) Vergl. zwei ähnliche bildliche Darstellungen der Säule des Antonin bei
Rieh, inustrirtes Wörterbuch der rom. Altcrtbümer s. v. oqucs. S. 24 fg.
184 Römische Inflohriften aas Rohr bei Blankenheim und aas Bonn.
erkläre, dergleichen wir auch auf dem ältesten romischen Denkmale
der Rheinlande, dem vielfach abgebildeten und besprochenen Grab*
steine des in der Varusschlacht gefallenen Centurio M. Caelius (im
Museum der yaterländ. Alterth. in Bonn) finden ^).
Der mittlere Theil des Grabsteins trägt in fünf Zeilen die in
schönen und wohl erhalteneu Buchstaben, die in der 1. Zeile 0,05 m.,
in den übrigen nur 0,04 m. hoch sind, eingehauene, in Leisten einge-
fasste Inschrift:
C MARIVS • L • F VOL
LVCO AVGVSTO- EQVES
LEG • T • AN NOR • XXX • STIPEN
XV H • S • E • SEX • SEMPRONIVS
FRATER FACIEN CVRAVIT
d. h. C(aius) Marius L(ucii) f(ilius) Vol(tinia) sc. tribu« Luco
Augusto, eques leg(ionis) primae, annorfum) triginta, stipen(diorum) quin-
decim. H(ic) s(itus} e(st). Sex(tus) Senipronius frater facien(dum) curavit.
Z. 1. Der Name Marius kommt auf einer Kölnischen Yotivara
(Bramb. 338) und auf zwei Mainzer Grabsteinen von Soldaten (Er.
1057 und 1145) vor; der erstere ist einem Soldaten der 21. Legion
gleichfalls von dessen Bruder gesetzt. ~ Der tribus Voltinia ge-
hörten ausser zahlreichen anderen Städten in Gallia Narbonensis der
Z. 2 genannte Ort Lucus Augustt«s, nicht Augustt, wie man gewöhn-
lich schreibt; im Gebiete der Vocontii, an; die gleichnamige Stadt, in
Hispania Tarraconensis war in die tribus Aniensis eingeschrieben ^).
Z. 2. Unser Marius war Reiter der 1. Legio, welche in einer In-
schrift den Beinamen Germanica führt und nicht mit der von Domitian
errichteten Legio I Minei*via pia fidelis, deren Standquartier mehrere
Jahrhunderte hindurch Bonna war, verwechselt werden darf. Die Le-
gio I (Germ.) hatte nach Tacitus Ann. I, 37 im J. 14, dem Todes-
jahre des Kaisers Augustus, zugleich mit der Leg. XX, ihr Winter-
quartier in Köln (civitas Ubiorum, wofür c. 39 ara Ubiorum gesetzt
ist), und 'betheiligte sich an dem Aufstande gegen Tiberius, welchen
Germanicus nur mit Mühe dämpfte. Doch erhielt sie wahrscheinlich
') Vergl. die Abbild, in Lerscb, Central-Mua. rheinl. Ins. II, p. 1 ff. lieber
die phalerae überhaupt verweise ich auf 0. Jahn*8 Abhandlung zum Bonner
Winckelmanns Progr. vom J. 1860, ,die Laue^sforter phaleraeS sowie auf A. Rein
de phaleris apud Lauersfort a. 1858 repertis. Romae 1860, p. 176 f.
^) C. L. Grotefcnd imperium rom. tributim descriptum p. 101 und 119.
k.
RönuBche InBchrift^n aus Robr boi Blackenbeim und aus Bonn. 185
schon unter Kaiser Claudios, welcher im J. 50 die Ubierstadt zur
CSoIonie erhob und zu Ehren seiner Gemahlin Agrippina Golonia
Agrippinensis benannte ^), ihr Standquartier in Bonn. Hier lag sie bis
zum Aufstande der Bataver unter Claudius Civilis im J. 69, in wel-
chem sie sich durch Meuterei und Verrath befleckte und nicht lange
darauf, wahrscheinlich sohon unter Vespasian, aufgelöst wurde ^). Von
den 8 Inschriftsteinen, welche überhaupt von dieser Legion bis jetzt
existirten, stammen 6 von Bonn, einer von Lessenich unweit Bonn;
nur ein einziger ist im Kreise Mühlheim näher bei Köln gefunden
worden, ein sicherer Beweis, dass die Legion I die längste Zeit in
Bonn gestanden haben muss*). Unser Stein (der 9.) wird demnach
unter die Regierung des Claudius oder des Kaisers Nero zu setzen sein-
Z. 4. Bemerkenswerth ist, dass der hier Beigesetzte im 30« Le-
bensjahre schon 15 Dienstjahre zählte und demnach schon im 15. Jahre
in den Kriegsdienst getreten ist.
Z. 5. Auffallend erscheint der Name des Bruders Sextus Sempro-
nius, welcher dem Gestorbenen den Grabstein gesetzt hat ; doch erklärt
er sich durch die Annahme, dass er dessen Stiefbruder gewesen ist,
wenn wir nicht annehmen wollen, dass er seinen Namen durch Adop-
tion von einem Sextus Sempronius erhalten habe.
Schliesslich bemerken wir noch, dass der für die römischen Kriegs-
alterthümer werthvoUe Stein, von dessen Bildwerk nächstens eine an-
gemessene Abbildung zugleich mit dem unweit der Fundstelle früher
ausgegrabenen Grabsteine mit Vale Luci gegeben werden soll, für un-
sere Yereinssammlung von Alterthümem im Amdthause angekauft
worden ist, wo auch der Grabstein des Lucius, der höchst wahrschein-
lich derselben Legion angehört haben wird, sich befindet
Diesen zuletzt besprochenen Bonner Inschriftsteinen fugen wir
der Vollständigkeit wegen noch einige Fragmente bei, welche durch
Prof. Gustav Wilmans in Dorpat bei seinem Aufenthalte im Sommer
1871, wo er im Hause der Fraul. von Droste bei seinem Vetter, dem
Hm. Berghauptmann Brassert, eingekehrt war, aufgefunden und in
*) Tacit. Ann. XII, 27. Agrippina ejus vim suam sociis quoque nationi-
bu8 OBientaret, in oppidum Ubioram, in quo genita erat, veieranos coloniamque
dedaoi impetrat, cui nomen inditom e yocabulo ipsius.
>) Bonn. Jahrbb. XLU, p. 189 f.
') Vergl. das römische Bonn in der oben ang. Festschrift S. 27 und B.
Jahrbb. XLU, 139.
i
<^
•.
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186 < Bomiache Inschriften aus Rohr bei Blankenheim und aus Bonn.
der Arch&oL Zeitang Jabrg. XXIX S. 165 fg. veröffentlicht worden
sind. Wenn Hr. Wilmans, dem wir für die Förderung unserer Vereins-
zwecke öffentlich unsern Dank aussprechen, bemerkt, dass diese, wie er
anzunehmen scheint, dortselbst ausgegrabenen Steine fast seit einem
halben Jahrh. in dem von Droste'schen Garten (in der Voigtsgasse 3),
welcher allerdings nicht unbedeutende Substructionen und namentlich
Reste eines römischen Hypocaustums enthält % aufgestellt gewesen
seien, so beruht diese Angabe auf einem verzeihlichen Irrthum. Die-
selben rühren vielmehr von einer kleinen Sammlung von römischen In-
schriftsteinen und anderen Alterthumsgegenständen her, welche unser
verstorbener, so hoch verdienter Präsident des rheinischen Alterthums-
vereins von seinen zahlreichen Freunden aus dem Jülicher Lande und
aus der Eifel zum Geschenk erhalten und unter dem Treppengewölbe,
das zur Aufbewahrung von Gartengerätheh dient, untergebracht hatte.
Während von den wenigen werthvoUeren Steinen die aus Wüstenrode
bei Eschweiler herrührende Votivara der Göttin Sunuxsalis (vgl. Braun
in diesen Jahrbb. XXV, S. 18 ff.) in das hiesige Museum, dagegen
eine im Enabengarten zu Bonn gefundene Herculesstatue aus Sand«
stein ') in die Vereinssammlung gelangte, blieben die von den Erben
des Verstorbenen als werthlos angesehenen Bruchstücke in ihrem Ver-
stecke zurück. Dieselben hat die Fräulein von Droste auf unser An-
suchen bereitwilligst unserer Sammlung überlassen. Sie bestehen aus
vier Fragmenten:
1.
aus dem obem Theile eines grossen Grabsteins, der in der Mitte zwei
der gewöhnlichen Protomen (Brustbilder) trägt und dessen Inschrift
bis auf das zur Linken sichtbare D(is), dem rechts ein M(anibus) ent-
sprach, zerstört ist ;
2.
aus einem zu beiden Seiten, wie auch unten abgebrochenen Fragment
einer Ära:
^. O m
T. G
Die Darstellung eines Adlers auf einer Kugel auf der einzigen
noch erhaltenen Seite beweist, dass die ara dem Jupiter Optimus maximus
geweiht war.
1) Braun in B. Jahrbb. II, 41. und IV. 115.
>) Bonn. Jahrbb. XXV, 206.
BomiBohe Insohriflen aus Rohr bei Blankenheim and aus Bonn. 187
Etwas besser sind zwei Bruchstücke von Matronensteinen er-
halten.
3.
MATRONIS
rVMANErfs
CIA Sl
Die Votivara ist den Matronae Rumanehae geweiht, die auf
anderen Inschriften Romanehae, Rumnehae oder Rummehae
genannt werden. Der Fundort von Altären dieser Mütter, von wel-
chen man den Ortsnamen nicht mehr nachzuweisen vermag, ist die
Umgegend von Jülich <) und Bürgel (Burungum) bei Worringen am
Niederrhein *).
Z. 3 liest Wilmans G * A * S und hält diess für einen abgekürz-
ten NameUi wie G. A(urelius) S(ecundus), Wir können dieser, der
Analogie entbehrenden Annahme nicht beipflichten, sondern glauben
in den theilweise zerstörten Resten des Namens einen GLACSicus, der
sich auf einem Brohler Herculesstein (Bramb. 657) findet, oder einen
GAtSius zu finden, ein Namen, welchen eine Grabinschrift aus Jülich
trägt ')i zumal da die Punkte hinter G und A nicht feststehen.
4.
Links abgebrochenes Fragment einer Matroneninschrift, von wel-
cher nur die 3 Schlusszeilen theilweise erhalten sind.
. . LVII .... SET
A C A T A • EX
z M P I . . .
Die von Wilmans vorgeschlagene Ergänzung des Namens Z. 1
durch Silvinius ist wahrscheinlich, die der letzten Z. unzweifelhaft.
Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass sich unter den Frag-
menten im Treppengewölbe des von Droste'schen Gartens noch ein
sehr gut erhaltener römischer Mühlstein aus Niedermendiger
Lava vorfand, welcher gleichfalls in die Alterthumssammlung des Ver-
eins (im Amdthause) gelangt ist.
Bonn. J. Freudenberg.
>) Lench im Central-Mus. rhein. I. I, 8. 29. B. Jahrbb. XXY, 92.
>) B. Jahrbb. XXIH, 151. XXXI, 92.
*) Bonn. Jahrbb. XXY, 8. 140 N. 4.
»ü«
V
'<'
r«t-'-:
7. Alterthum8for8Chung am Oberrhein.
I.
Als mich im Jahre 1867 ein Aasflug in's Elsass nach Zabern
führte, war ich angenehm überrascht, daselbst ein leicht zugängliches
städtisches Museum zu finden, welches die Alterthümer von Stadt und
Umgegend beherbergt. Zabern, in. Deutschland mehr unter seinem
französischen Namen Saverne bekannt, ist reich an Deberresten
aus der gallisch-römischen Zeit. Freilich findet sich nicht alles mehr
an Ort und SteUe, da auswärtige Alterthümler die Gegenstände ent-
führten, welche nicht zufällig in festen Händen waren. Erst durch die
im Jahre 1858 erfolgte Gründung des stadtischen Museums ist diesem,
fast in allen rheinischen Städten üblichen Unwesen der Zerstreuung
vaterländischer Alterthümer ein Ziel gesetzt. Es ist das ein Werk
des Zabemer Gemeinderathes, gefördert durch die thätige und an- ^
regende Hilfe des jetzigen Bürgermeisters Dagobert Fischer, des
Herrn Emil Audi guier und des französischen Colonel de Morlet,
eines rührigen und kundigen Freundes elsässischer Alterthümer.
Das Museum befindet sich in einer alten Kapelle, die ehemals
zum bischöflichen Schlosse gehörte und dem Erzengel Michael geweiht
war. Sie stammt aus dem 15. Jahrhundert, ruht aber auf einem äl-
teren, romanischen Unterbau. Ihrer Bestimmung wurde sie durch die
französische Revolution entzogen. Die Steindenkmale, welche in ihrem
Innern keinen Raum fanden, sind auf einem Vorplatz, welcher bis
1777 als Kirchhof diente, aufgestellt.
Die vor Gründung des Museums gefundenen und zerstreuten
Reste der gallisch-römischen Zeit waren zum Theil in Strassburg,
Golmar und Nancy untergebracht, sie sind wohl, bis auf die Strass-
burger, noch daselbst zu finden. Die rührige Gesellschaft für Erhal-
AlterthaUBforschnng am Oberrhein. 189
tung der historischen Denkmale im Elsass (Soci^t^ pour la cönser-
vation des monuments historiques d'Alsace) hatte ihre Aufmerksamkeit
den Zabemer Antiquitäten zugewendet und beabsichtigt, das Inventar
des erwähnten Museums in ihrem Bulletin abdrucken zu lassen. Leider
ist es nicht dazu gekommen, da der Krieg die Thätigkeit der Gesell-
schaft unterbrach ; und die jetzigen Zustände im Elsass lassen an ein
einmüthiges Zusammenwirken selbst auf dem neutralen Gebiete der
römischen Alterthümer in nächster Zeit nicht hoffen. Um so anerken-
nenswerther ist es, dass der Zabemer Gemeinderath und insbesondere
Herr Dagobert Fischer im verflossenen Jahre einen Katalog des
Museums selbstständig veröffentlicht haben, welcher eine Fülle inter-
essanter Nachrichten bietet 0-
Bei meinem Besuche des Museums war ich natürlich vor allem
gespannt, zu erfahren, wie es mit der Echtheit der durch den ver-
storbenen Strassburger Bibliothekar Jun^ in Verdacht gezogenen In-
schriften stehe. Da ich vor Herausgabe der Rheinischen Inschriften
nicht in der Lage gewesen war,, nach Zabem zu reisen, so hatte ich
die von Jung gelieferten Nachrichten ohne eingreifende Untersuchung
mittheilen müssen %
Die mir bekannten Legenden der Steine boten kein Anzeichen
von Fälschung, mit einziger Ausnahme des Votivsteines n. 1868. Ich
begnügte mich daher, auf Jung gestützt, die von diesem bezeichneten
beiden Steine unter die Fälschungen (n. 87. 88.) zu verweisen, die
übrigen jedoch unt6r den echten zu belassen und ihr verdächtiges
Herkommen kurz anzugeben. Das Resultat, welches ich durch Autopsie
gewann, war unerwartet. Zwar der von mir aus inneren Gründen als
besonders verdächtig bezeichnete Stein (n. 4868 p. 368 n. 88) zeigte
auch äusserlich unantike Spuren; dagegen sämmtliche übrigen Denk-
male, auch die beiden von Jung und mir unter die Fälschungen ver-
wiesenen, konnten ihrer äusserlichen Beschaffenheit nach nicht als
Fälschungen erkannt werden. Ich nehme also mein Urtheil, soweit ich
es von Jung angenommen und weiter verbreitet habe, zurück.
Zunächst ist es mir eine angenehme Pflicht, die beiden bis jetzt
als Fälschungen verurtheilten Inschriften in ihr Recht einzusetzen.
Die eine (87) ist gebrochen:
^) Masee de Saverne. Catalogae et desoription des objects d*art de Tan-
tiqnite, du moyen-äge et de la renaissanoe exposes au musöe. Saverne 1872.
') Corpus Inscriptionum BhenaDamm p. 868,' vgl. p. 837 u. 1868—1873.
190
AltarthamtforsGhiing «n Oberrhein.
/ETcINTVS
MVS PILI
P c •
Im Vergleich zu dieser Lesart 0 war allerdings die bisher be-
kannte verdächtig. Die Zeilen waren vom Abschreiber, wie es scheint»
verwirrt worden, und dadurch hatte der erste Name eine ungehörige
Form erhalten. Der Inhalt der Inschrift ist einfach und klar, obgleich
ein grosser Theil fehlt. Kinder, wahrscheinlich Tochter und Sohn,
lassen dem verstorbenen Vater oder den Eltern zusammen ein Grab-
mal setzen. Wenn der dritte Buchstabe ein E und der fünfte ein 0
war, so hiess der verstorbene Vater vielleicht LAETVS. Das Fehlen
eines Vor- und Geschlechtsnamens würde darauf hinweisen, dass er
ein Gallier war, der, wie oft geschah, einen römischen Namen ange-
nommen hatte und sich durch Zusetzen des Vaternamens legitimirte.
Wahrscheinlicher aber ist hinter dem Buchstaben L ein Punctum, wie
auch sonst in der Inschrift, weggelassen, und der Verstorbene hiess
Lucius A . t .. . Die frühere Abschrift lautete LATIO, wonach ich
Lucius ATTOnius vermuthen möchte*). Dass unter den Widmenden,
welche collectiv als FILI, das heisst filli, bezeichnet werden, eine
Tochter ist, scheint aus der weiblichen Wortendung . . • VSSA her-
vorzugehen. Der letzte Name findet sich auch sonst auf rheinischen
') Ich habe die ToHkommen lesbaren gebrochenen Buchstaben durch ganze
Typen ersetzt.
*) Aehnlich ist die fehlerhafte Lesung des Töpfemamens auf der schönen
Yase, die de Morlet im BuUetin de la soci6t6 pour la consenration des monu-^
ments hittoriques 1868 hat abbilden lassen : SATIO FECIT, wahrend der Name
SATTO lautete. £in Attonius erscheint auf einer im Jahre 1872 zu Alzei ge-
fundenen Weihinschrifty deren Kenntniss ich Herrn G. Schwabe Terdanko*^
DEA • SVL
ATTONIS
L V C A N I
^^:..
AlieHhamsfonohimg am Oberrbeiii.
191
Denkmalen: dNTVS ist die bäuerische Form des Namens Quintus,
und MVS weist anf Musicus oder Mussicus hin. Ein Gintns
Massic. findet sich sogar auf einer Inschrift aus Murrhardt in Wflr-
temberg.
Der zweite Stein (88) ist von solcher Beschaffenheit, dass sich
die Echtheit der eingemeisselten Buchstaben nicht bestreiten lässt.
Ich habe gelesen:
D M
B II LLA
5ALLOM
R I K I K
Die Form der Buchstaben ist nicht nur antik, sondern auch so
geartet, dass sie von einem modernen Epigraphiker schwerlich wäre
angewendet worden. Die vier L der zweiten und dritten Zeile haben
ihre Schenkel in stumpfem Winkel gekreuzt Die vierte Zeile enthält
das ebenfalls unverdächtige L mit dem in der Mitte des Verticälstri-
ches angesetzten rechten Schenkel. Die Inschrift ist im Katalog durch
die Worte charakterisirt: ä peu prte illisible, moins pour un
^pigraphiste qui ne peut s'aider d'aucune autre connaissance que de
oelle des divers alphabets grecs et latins. Wenn ich mich aber nicht
täusche, so ist der Inhalt folgender: Dis Manibus Bella Dal-
lom(i)ri fil(ia).
Zu meiner Veröffentlichung der übrigen Inschriften aus Zabern,
in so fem ich fremden Lesungen gefolgt bin, habe ich Weniges zu
bemerken, da die früheren Herausgeber, namentlich Schöpflin und de
Horlet, auf richtige Gopieen schon grossen Werth gelegt haben. Die
Legende des Steines im Corpus Inscript. Rhen. N. 1867 steht fest;
die Schriftzttge sind deutlich, ET (3) und VN (4) sind ligirt. N. 1869
ist erheblicher beschädigt, als es nach meinem Drucke den Anschein hat:
3 O
Nlll
SIINV
A VS
Der Name des Verstorbenen lautete wohl Codosenus. N. 1870
liess sich mehr entziffern:
192
Alterthnmsfoncbang am Oberrhein,
0
M
i
t,
6
1^
^9
rif.
C A RAT I
CAITIFIII
Dis Manibus Carati Caiti fi(Ii) ; demgemäss hiess der Sohn Ca-
ratus, der Vater Caitas, und sie Mraren offenbar Einheimische.
Zu dem Steine N. 1871 habe ich noch ein Bruchstück gefunden,
welches die rechte obere Ecke bildete.
0
LAETTM/
MO N I M h
Dis Manibus Laeti Ma . . . ai (oder ae) filii monimentum ^).
Die beiden übrigen Inschriften N. 1872. 1873, welche ich nach
de Morlets Zeichnung habe drucken lassen, sind so oberflächlich ein-
geritzt, dass ich bis jetzt zu einer Deutung oder besseren Lesung
nicht gekommen bin. Dagegen eine neue Inschrift fand ich vor, von
welcher inzwischen der Ratalog Nachricht gegeben hat (p. 19): Ge
petit monument a k\k d^couvert dans la for£t de Greifenstein, canton
Schlosserhoehe. -
i H 0 D
i 0 Mll
\REM
MIHI
Die Höhe wird im Katalog auf 0,41, die Breite auf 0,42, die
Dicke auf 0,27 Meter angegeben, die Lesart lautet daselbst I H D ||
D D N II R E M. Ausser der ersten Zeile In Honorem Domus Divinae
sind die Schriftzüge nicht zuverlässig zu deuten. Man könnte an die
Idaea denken, wenn nicht Abkürzungen (luppiter Dolichenus oder
andere) vorliegen. Auch die letzten Buchstaben gestatten verschiedene
C5onjecturen.
^) Die häufige Form monimentum iat hier wohl eher anzunehmen, alt ein
Eigenname (C. I. Bh. p. 377).
•r- *
Alierthumsfonobung am Oberrhein. 198
Endlich ist im Katalog p. 17 noch eine Inschrift mitgetheilt,
velche im Jahre 1868 gefunden wurde:
D M
MAGIORICI
NATALIS FILIO
Cette pierre formait la paroi d'une tombe franque, trouv^e en
1868 dans un cimeti^re franc situ£ dans la banlieue de Durstel, au
lieu dit Lupbei^'. Ein Magiorix aus Zabern war schon durch den
Weihestein C. I. Rh. 1867 bekannt.
Wenn ieh erklären soll, wie Jung dazu kam, die Zabemer In-
schriften theilweise für Fälschungen zu halten, so möchte ich die Ver-
muthung äussern, dass ihm eine Nachricht über Veränderung, Ent-
stellung oder Zusätze an der allerdings verdächtigen Inschrift C. I.
Rh. 1868 zugekommen ist, und dass er diese Weihinschrift mit echten
Denksteinen verwechselt hat Vielleicht war auch die ihm zugekom-
mene Nachricht so unbestimmt, dass er über den wirklichen Befund
der Fälschung irre geleitet wurde.
Wie die Zabemer, so haben auch andere Gemeinden, z. B. Strasa-
bürg, Golmar, anerkennenswerth für die Denkmale der Vorzeit gesorgt.
Vergleichen wir damit was von städtischen Gemeinden auf der rechten
Rheinseite geschehen ist, so wird das Urtheil nicht überall günstig
ausfallen.
Die Städte des Grossherzogthums Baden wären, so weit meine
Erfahrung reicht, in der Lage, etwas mehr für die Kunde ihrer Vor-
zeit zu thun, als heutzutage wirklich geschieht. An Mitteln und An-
regung hat es nicht gefehlt^ wie die lange Reihe von antiquarisch-
historischen Arbeiten und Unternehmungen zeigt, die seit mehreren
Jahrhunderten in den jetzt Badischen Landen aufgetaucht sind.
Der Sinn für die Erforschung der römischen Epoche erwachte
hier schon während der Blüthezeit des deutschen Humanismus. Wie
man in Köln, Mainz, Augsburg, Basel die Ueberreste der römischen
Cultur zu schätzen begann, so bekundete sich auch im badischen
Rheinthal seit dem Schlüsse des fünfzehnten Jahrhunderts das Be-
streben, alte Denkmale zu erklären und zu erhalten. Einen merkwür-
dige Beweis dafiir liefert die Geschichte des Ettlinger Neptun,
eines zu Ehren des kaiserlichen Hauses im zweiten oder dritten Jahr-
hundert n. Chr. gesetzten Bildsteines, welcher den Wassergott in Be-
13
L
194 AlierthnmsforschttDg am Oberrhein.
gleitung eines Seethiers darstellt and in der beigeffigten Inschrift von
dem Stifter des Denkmals Nachricht gibt. Im Jahre 1480 warde dieser
Neptun von der ausgetretenen Alb an das Ufer geworfen, von den
Ettlingen! aufgestellt, aber zu ihrem Leidwesen 1513 durch den Kaiser
Maximilian I. auf das linke Rheinufer versetzt. Nachdem der Stein
mehrere Jahre im Exil zugebracht, wurde er auf kurze Zeit zurück-
gegeben, dann nach München verschleppt, bis es endlich der Stadt
Ettlingen gelang, sich dauernd seinen Besitz zu sichern. Sie liess ihn
an einem ehrenvollen Platze dicht bei der steinernen Albbrücke ein-
mauern und daneben eine lange stattliche Inschrift anbringen, in wel-
cher die Schicksale ihres Neptun erzählt sind.
Im sechszehnten Jahrhundert sind drei historisch wichtige Mei-
lensteine der römisch-badischen Gemeinde bereits durch den Pforz-
heimer Schulrector Beyer und den Speierischen Geistlichen Beiel be-
schrieben. Im Laufe des folgenden Jahrhunderts finden antike Monu-
mente eine Stätte im Durlacher Schlossgarten und an Markgraf Frie-
drich VI. einen kundigen Beschützer. Derselbe lässt sich von dem
Polyhistor Charles Patin über die Alterthümer und Urgeschichte des
Rheinthaies Bericht erstatten^ und bediente sich dessen gelehrter
Beihülfe bei Anordnung einer Münzsammlung.
Wenige Jährzehnte später begann die Blüthezeit der Alterthums*
forschung am Oberrhein. Sie knüpft sich an die Namen zweier Män-
ner, von denen der eine, geborener fireisgauer, im Elsass unter fran-
zösischer Herrschaft ein seltenes Ansehen erlangte, der andere, gebore-
ner Elsässer, in churpfälzischem Dienste zu Mannheim erfolgreich
wirkte. Der erste ist Joh. Daniel Schöpflin (1694—1771), dessen
Arbeiten über badische Geschichte bekannt sind, und dessen Pracht-
werk Alsatia illustrata auch rechtsrheinische Alterthümer eingehend
behandelt Andreas Lamey (1726—1802) trat in seine Fusstapfen.
Als Secretär der churpfälzischen Akademie der Wissenschaften zu
Mannheim übte er einen hervorragenden Einfluss auf die Veröifent-
lichungen dieser gelehrten Gesellschaft und sorgte in gleicher Weise
für die Erforschung der deutschen, wie der römischen Cidtur am
Oberrhein. In dieselbe Zeit fallen die Schriften und Forschungsreisen
des berühmten Abtes Martin Gerbert zu Sanct Blasien, welche
ebenfalls der Alterthumskunde reiches Material zuführten.
») Corpus I. Rh. 1678.
') Quatre relations historiqnes par Charles Patin, medecin de Paris.
Basel 1673 p. 219.
Alierthumsforsohang am Oberrhein, 105
Im neunzehnten Jahrhundert begannen die culturgeschichtlichen
Studien am Oberrhein mehr in die Breite, als in die Tiefe zu gehen.
Die von Schöpf! in und Lamey angebahnte ruhige und besonnene
Erschliessung der alten Gulturzustände durch genaue Interpretation
der erhaltenen schriftlichen und monumentalen Quellen wurde getrübt
durch das Bestreben, vorgefasste Meinungen über die Sprache und
Abstammung der alten Rheinthalbevölkerung schablonenartig durch-
zuführen. Namentlich war es die keltische Sprache, die in unglaub-
licher Weise zur Erklärung der Ortsnamen und zur Herstellung eines
in allen Theilen unsicheren Bildes von der Urgeschichte der oberen
Rheinlande herbeigezogen wurde.
Ging auf diese Weise die Methode der Geschichtsforschung in
Bezug auf das Alterthum in unserem Lande rückwärts, so erkaltete
doch nicht die Vorsorge für die antiken Denkmale.
Carl Friedrich folgte dem Beispiele seiner Vorgänger; er
schützte und erweiterte die Sammlung von Monumenten, die sich zu
Baden gebildet hatte und liess 1803 nach Weinbrenners Plan
einen Tempel in altdorischer Ordnung für dieselbe erbauen. Es sollten
hier nicht nur die in Baden gefundenen, sondern auch Alterthümer
aus den benachbarten Ländern aufbewahrt werden ^),
Angeregt und unterstützt duröh die vorhandenen Sammlungen
und Funde leisteten Männer, wieC. L. Wielandt (1811), Leichtlen
(1818 ff.) Anerkennenswerthes in der Erforschung der badischen Ur-
geschichte. Während Mone sich in seinen keltischen Studien verirrte,
führte das mehrseitig erwachte Interesse an Ausgrabungen und Samm-
lungen zur Bildung von Alterthums vereinen. Der Pfarrer Wilhelm i
zu Sinsheim rief eine Gesellschaft zur Erforschung der Sinsheimer
Todtenhügel ins Leben. Aehnlich bildeten sich Alterthums- oder Ge-
schichtsvereine zu Donaueschingen, Freiburg und anderwät*ts, deren
Existenz allerdings eine schwankende war und ist. Es waren gewöhn-
lich nur wenige Personen, welche ihre Umgebung zur Association an-
regten, und über ihren persönlichen Einfluss hinaus pflegte die Ge-
sellschaft sich nicht als that- und lebenskräftig zu erweisen. Solche
^) So besagte die Inschrift des Tempels: Monumenta haec qualiacunque
Romanae dominationis caltusve Deo Mercurio habiti passim in terris Badensi-
boa yicinisque regionibas deteota in memoriam gentis quondam late per orbem
terraram imperantis conqairi et in hoc museo conlocari iussit Carolus Fride-
ricui S. R. I. Elector, ,anno MDCCCIV.
s
K
r-
► ••
k
196 Alterthumsfonohang am Oberrbein.
Männer sind oder waren namentlich Heinrich Schreiber in Frei-
burg, Fickler in Donaueschingen, später in Mannheim, Rappen-
egg er und A. V. Bayer. Der Letztere fahrte 1843 die Gründung
eines badischen Alterthumsvereins herbei, wodurch *die Centralisirung
der Arbeiten und Interessen ermöglicht war. Leider scheiterte diese
Schöpfung, sei es dass sich Sonderinteressen zu lebhaft geltend mach-
ten, sei es dass hier, wie anderwärts im Rheinlande, der anfängliche
Eifer erkaltete. In der neuesten Zeit steht es um die Veröffentlichung
vaterländischer Alterthümer in Baden sehr ungünstig. Im Lande gibt
es drei, zeitweise mehr historische Inschriften, durch deren Vereinigung
ein ebenso achtunggebietendes Organ hergestellt werden könnte, wie
durch die Zersplitterung jetzt vieles zerfahren und unfertig erscheinen
muss. Leider liegen zwingende Gründe vor, welche die Vereinbarung
unthunlich machen.
f^ In ähnlich ungünstiger Lage sind die Sammlungen und Museen,
nur dass hier die Centralisirung nicht empfehlenswerth ist. Wer Al-
terthümer aus Liebhaberei sammelt, dem mag es gestattet sein, nach
Gutdünken allerwärts Werthvolles und Merkwürdiges zu suchen. Oef-
fentllche Museen vaterländischer Alterthümer sollten anders gebildet
werden. Man hört zwar oft Lobsprüche zu Gunsten sogenannter Gen*
tralmuseen, in welchen die transportablen Monumente eines Landes
vereinigt werden sollten. Es ist immerhin zu berücksichtigen, dass
ausländischen Gelehrten durch ein Centralmuseum eine grosse Er-
leichterung geboten wird, indem ihnen manche Reise erspart bleibt.
Aber gerade dieser letzte Umstand hat seine ungünstige Kehrseite.
Die Localforscher nämlich, welche nicht gerade am Orte des Central-
museums wohnen, werden gezwungen sein, Reisen zumachen, um die
Denkmale ihrer engeren Heimath in der oft weit entlegenen Landes-
sammlung aufzusuchen. Dies ist besonders unangenehm, wenn der
Gründer oder Leiter des Museums seinen Sammlungseifer in Land-
schaften verschiedenen Charakters bethätigt und alles Werthvolle
ohne Rücksicht auf Particular-Bedüiinisse an einer Stelle zu vereini-
gen strebt. So ist es entschieden tadelnswerth, dass Kunstgegenstände
des Alterthums, die in den Rheinlanden gefunden wurden, nach Berlin,
München und anderwärts verbracht worden sind. Aber auch in den
Rheinlanden selbst verfährt man keineswegs zweckentsprechend, wenn
man Gegenstände des Alterthums von Wiesbaden, Mainz nach Bonn
verbringt und umgekehrt. Ein niederrheinischer Gelehrter, welcher
^ ^ sich mit vaterländischer Mythologie oder Inschriftenkunde beschäftigt,
/,
f
CV-
f
J
Alterihamsforschung am Oberrhein. 197
cmpiimlet es höchst unangenehm, dass Carl Theodor Matronen-
steine und andere Denkmale ^ ^om Niederrhein nach Mannheim
versetzt hat, wo sie ihres localen Interesses beraubt unter den fremd-
artigsten Monumenten aufgestellt sind. Der Localforscher sieht sich
gezwungen, aus dem Jülich-Clevischen Lande eine weite Reise in die
Rbeinpfalz zu seinen heimischen Denksteinen zu machen.
Nicht viel besser wäre die Lage eines Forschers am Bodensee
oder im Tauberthal, wenn ihm die für Localgeschichte wichtigen An-
tiquitäten in ein Gentralmuseum nach Garlsruhe entführt werden soll-
ten. Nun liegt freilich eine solche Gefahr wohl nicht vor, da ein guter
Theil der Alterthumsreste in städtischem oder Privatbesitz sich be-
findet. Aber nicht in allen Städten bekundet sich ein solcher Sinn für
die Denkmale der Vorzeit, wie in dem oben erwähnten eisässischen
Städtchen Zabern, obgleich den reichen, rasch aufblühenden badischen
Gemeinden Gelegenheit genug geboten ist, ihre Achtung vor den Wer-
ken der Vorzeit zu bethätigen.
In erster Linie ist die Erforschung und Bewahrung der heimath-
lichen Denkmale ohne Zweifel Sache patriotischer Bürger, und so
fassten von jeher einsichtige Männer ihre Aufgabe, z. B. in Constanz,
Basel, Freiburg, Strasaburg, bis rheinabwärts nach Mainz, Köln, Nym-
wegen. Die Staatshilfe sollte erst dann angerufen werden, wenn Pri-
vatmittel zu grösseren Unternehmungen nicht ausreichen, zumal wenn
es gilt, die werthvollsten Kunstgegenstände vor Verkauf an das reiche
Ausland zn schützen.
Die Stadt F r e i b u r g hat jetzt die kostbare Sammlung H. S c h r e i-
bers durch Vermächtniss erhalten. Es ist zu erwarten, dass nun
durch Zusammenwirken der Gemeinde, der Universität, des anthropo-
logischen und historischen Vereins eine schöne Alterthumssammlung
in der Hauptstadt des Breisgaues entstehe. Ebenso besitzt Constanz
Alterthümer, die sich durch Fundstücke der Bodenseeufer bereichern
lassen, Donau esc hin gen hat die werthvollen Sammlungen des Für-
sten von Fflrstenberg, endlich befinden sich auch in Mannheim und
Heidelberg Museen. Wenn diese alle zweckentsprechend gepflegt,
namentlich wenn die transportablen und der Aufbewahrung würdigen
Alterthumsgegenstände der einzelnen Landschaften in den zugehörigen
Städten ein schützendes Unterkommen finden, so ist für die Kenntniss
unserer Vorzeit reichlich gesorgt. Es ist dies um so eher möglich, als
>) Z. B. C. I. Rh. 608—616. 697. 600. 265. 294.
L.
rv
k
198 AlterthttmsforschuDg am Oberrheio.
in 8ämmtlichen genannten Städten, wie auch in Wertheim und
Tauberbischofsheim höhere Schulen sind, an denen geschichts-
kundige Männer wirken.
Für die grösste und bedeutendste Sammlung des Landes scheint
nun auch eine bessere Zeit zu kommen. In den Jahren 1854 bis 1858
wurde unter den Auspicien des regierenden Orossherzogs von Baden
durch den Herrn A. v. Bayer, Gonservator der vaterländischen Al-
terthümer, ein stattliches Museum zu Carlsruhe organisirt, welches
die im Durlacher Schlossgarten und die zu Baden, anfengs in dem er-
wähnten Tempel, seit 1846 in der alten Trinkhalle aufgestellten Mo-
numente vereinigte. Leider mussten die Alterthttmer schon nach we-
nigen Jahren ihren Au&tellungsraum veflassen, und sie wurden noth-
dürftig an verschiedenen Stellen untergebracht. Im laufenden Jahre
endlich wird ein grosses Gebäude fertig, in welchem die Schätze der
Carter uher Sammlung eine würdige Aufsstellung finden sollen. Mit den
Fortschritten der neuen Aufteilung soll auch mein Bericht seine Fort-
setzung erhalten.
Carlsruhe im Mai 1873.
W. Brambach.
LA.
«f \'K
8. Die an der Oet- und Nordeeite dee Domee zu Köln entdeckten
Reste römischer und mitteialterlicher Bauten.
Hierzu Tafel XV und XVI.
I.
Fnndberieht.
Die Anlage einer den Dom zu Köln an der Nord- und Ostseite
umgebenden Futtermauer bedingte die Abtragung eines grossen Theiles
des mit einer steinernen Erdböschung nach Osten zu abdachenden
Domhägels. Diese umfangreichen Erdbewegungen constatirten zunächst
die Thatsache, dass der sogenannte Domhügel eine künstlich geschaf-
fene Terrainerhöhung sei, indem in wechselnden Lagen Bauschutt,
Scherben, Humusboden und Baureste mittelalterlicher, wie römischer
Bauanlagen zu Tage gefördert wurden. Hiemach und nach der Höhen-
lage der aufgefundenen umfassenden Bauwerke dürfte es als gewiss
anzunehmen sein, dass die Bebauung desjenigen Terrains, welches
heute als Domhügel ca. 19 ' über dem Strassenterrain sich erhebt,
zur Römerzeit im natürlichen Gefälle der Terrainabdachung erfolgte.
Der Domhügel selbst ist demnach eine Anhäufung von Steintrümmern
und Bauschutt, herrührend von den an dieser Stelle zu verschiedenen
Zeiten bis zur Gründung der jetzt den Domhügel krönenden Dom-
kirche errichteten Bauanlagen. Bei Aufgrabung der Fundamente zur
Treppenanlage an der Ostseite des Domes im Jahre 1866 stiessen die
Arbeiter in einer Tiefe von ca. 19 ' unter der Oberfläche des Dom-
hfigels oder ca. 2 ' unter dem heutigen Strassenpflaster zunächst auf
grössere, zerstreut liegende Tuffsteinquadern und Bruchstücke römi-
scher Hauptgesimse aus Jurakalk. Bei 3' Tiefe unter dem Strassen-
terrain wurde demnächst ein gut erhaltenes, aus Tuffsteinquadern ge-
200 ^ Reste römiBcher und mitielalierlicher Bautea am Dom zu Köln.
fertigtes und mit sorgfältig geglättetem rothen Mörtelputz bekleidetes
Wasserbecken (XV d) aufgedeckt. Dasselbe ist achteckig mit beinahe
halbkreisförmig ausgerundeten Begränzungsflächen bei 6 ' 6 " 4 '" lich-
ter Weite und 2 ' 1 " 9 '" Tiefe, bis zur ersten umlaufenden Treppen-
stufe gemessen. Der höher liegende Bassinrand von 1 ' 6 '' Mauerdicke
war zerstört und konnte somit die Gesammttiefe des Wasserbeckens
nicht festgestellt werden. Im Innern des Wasserbehälters läuft ein
Mauerabsatz von 1 ' Breite an allen acht Seiten herum, und sind zwei
Stufen an der Nord- und Südseite von je 1 ' 1 " 6 '" Höhe vorgelegt,
die als Treppenstufen oder Sitzstufen gedient haben können, je nach-
dem das Wasserbecken als Qsteme zum Wasserschöpfen oder als
Badevorrichtung im Gebrauch war.
Dieser Fund gab Veranlassung, nunmehr eine planmässige, und
über das Bedürfniss zur Fundamentirung der Domterrasse hinaus-
gehende Aufgrabung des Domhügels zu veranstalten, und wurde zu
diesem Behufe im Laufe des Jahres 1866 eine Fläche von 120 'Länge
und ca. 30' Breite freigelegt (Tafel XV). Das Ergebniss dieser Nach-
grabungen, welche von dem Unterzeichneten in Gemeinschaft mit dem
Herrn Professor Dr. Düntzer zu Köln geleitet und worüber zur Zeit
in der Kölnischen Zeitung das Wichtigste veröffentlicht wurde, ist
nachstehend auf Wunsch des Vorstandes des Vereins von Alterthums-
freunden zu Bonn unter Beifügung von zwei Situationsplänen über-
sichtlich zusammengestellt
a. Aelteste römische Bauperiode.
Nach Abtragung der östlichen Abdachung des Domhügels in dem
angedeuteten Umfange zeigte sich eine ausgedehnte Bauanlage, be-
stehend aus scheinbar planlos sich durchkreuzenden Tuf&teinmauem,
deren Zugehörigkeit zu zwei verschiedenen Bauwerken römischen
Ursprungs sich bei Aufräumung des Bauschuttes herausstellte. Zur
grossem Deutlichkeit der Ueberschrift sind die in der Richtung
0 P auf dem Grundrisse (Tafel XV) belegenen Bautheile der älteren
Anlage dunkel, die später hineingebauten Mauertheile hell schraffirt.
Die aufgefundenen Fundamentmauern haben eine Dicke von 3 ' 6 ",
während das aufgehende Mauerwerk der Umfangswände meist 2'
stark ist. Spuren eines Fussbodens, wie auch von Mörtelbewurf an
den Mauerresten waren nicht sichtbar.
Reste römischer und miitelaltcrlicher Bauten am Dom zn Köln. 201
b. Neuere Römerbauten.
In die ad a beschriebene Ba^anlage ist nach Abbruch oder Zer-
störung der früher errichteten Gebäude ein Neubau hineingebaut,,
dessen Mauern genau parallel mit der Achse der jetzigen Domkirche
liegen und die in dem Grundrisse Tafel XV mit I. IL III. IV. V be-
zeichneten Räume umfassen.
Der «Raum I, mit einem wohlerhaltenen und sorgfältig geglätte-
ten Estrich aus rothem Ziegelmehlmörtel versehen, der ca. 2 ' unter
dem jetzigen Strassenpflaster belegen ist, dürfte als der Küchenraum
des römischen Hauses zu bezeichnen sein, indem sich daselbst eine
grössere Zahl von Topfscherben, die Theile einer Handmühle, Holz-
kohlen, sowie zahlreiche Knochenreste von Thieren fanden, die, mit
Fischgräten und einer grossen Menge von Austerschalen gemischt,
den Küchenabfall einer römischen Haushaltung vor Augen führte.
Namentlich war die massenhafte Anhäufung von Austerschalen, von
derselben Form, wie die englischen Austern, auffallend. Die in dem
Räume I aufgefundenen vier Säulenreste m. m. m. m. sind zufällig
dort gelagert und standen in einer ca. 6 " starken Schicht von schwar-
zem Brandschutt, der den ganzen Ziegelboden bedeckte. Bei R fand
sich derFuss eines Pilasters mit einem Theile des cannelirten Schaftes
aus Jurakalk (Detail XV R) noch in dem ursprünglichen Lager stehend.
Nachdem die Auf räumung des Brandschuttes in dem Räume I mit
Sorgfalt beendet war, kam der erwähnte rothe Ziegelestrich meist un-
verletzt zum Vorschein, und wurde derselbe nunmehr an mehreren
Stellen durchbrochen, um zu untersuchen, ob Keller- oder Heizungs-
anlagen darunter befindlich seien. Hierbei ergab es sich, dass diese
Räume nicht unterkellert waren und der Estrich sich unmittelbar auf
einer Lage von grossen Steinen ausbreitete, die als Fundr TZnt dienten
und sich bei weiterem Nachsuchen als absichtlich zerschlagene, zum
Theü mit Ornamenten bedeckte Constructionstheile eines Gebäudes
von Jurakalk ergaben. Auffällig und als Beweis der planmässigen Zer-
störung vorhandener Kunstbauten erschien es, dass selbst ein Reiter-
standbild, aus Kalkstein gehauen (nach den wenigen erhaltenen Resten
von ca. Va natürlicher Grösse), behufs Gewinnung von Fundament-
steinen für den Neubau, in Stücke geschlagen wurde.
Den besterhaltenen Theil der ganzen Anlage umfasst der Raum II
mit dem bereits erwähnten Wasserbassin d. Die Umfassungsmauern
aus Tufbteinquadem bei einer Dicke von ca. 4 ' durch eine Isolir-
202 Reste römisoher und mittelalterlicher Bauten am Dom zu Köln.
schiebt von 6 " Breite in ihrer ganzen Länge getheilt, umscbliessen
eine Brunnen- oder Badestabe von ca. 24 ' Breite.
Bemerkenswerth ist es hierbei, dass beinahe an gleicher Stelle
auch in dem älteren zerstörten römischen Gebäude ein Wasserbassin
gestanden hat, wie die nnter dem Fussboden aufgefundenen Spuren
eines zweiten achteckigen Wasserreservoirs andeuten, zu dem die noch
erhaltenen Stufen e führten. Mithin ist anzunehmen, dass an dieser
Stelle zu den verschiedensten Zeiten ein Wasserausfluss gewesen ist,
dessen Zuleitungsrohr leider durch die späteren mittelalterlichen Bau-
ten zerstört wurde. Aus dem Wasserbassin der älteren Anlage führte
der gemauerte Kanal a von 8 '' Weite in südöstlicher Richtung, so wie
aus dem erhaltenen Wasserbecken d ein höher gelegener und mit
Platten gedeckter Kanal c nach Nordosten das gebrauchte Wasser
in die Abzugsgräben. In die Umfassungswand des Wasserbeckens d,
dicht am Boden eingelassen und in den Kanal c eingelegt, befand
sich der ca. 6 ' lange Rest eines gut erhaltenen Bleirohres von 2 "
lichter Weite. Das Rohr, aus Bleiplatten zusammengelöthet, zeigte an
seiner Einmündung in das Wasserbecken keinerlei Vorrichtung zum
Verschluss. Als einer der zu dem Kanal c verwendeten Decksteine wurde
hier ein Weihestein, dem Genius der zu Köln wohnenden Focarii ge-
* widmet (Jahrbücher XLII. 83 flf.), zu Tage gefördert. Der bei XV b
gezeichnete, aus gewöhnlichen Ziegelsteinen neuerer Form construirte
Kanal steht zu der römischen Wasseranlage ausser Beziehung; er
scheint zur Ableitung von Wasser aus den mittelalterlichen Bauanlagen
gedient zu haben. Leider sind die Umfassungswände der römischen
Brunnen- oder Badestube beinahe bis auf den Fussboden abgebrochen
und zerstört, so dass über die Verbindung der Wohnräume unterein-
ander nichts Genaueres festgestellt werden konnte.
Die Räume IIL IV. V. entbehrten eines Fussbodens, und wurde
bei den fortgesetzten Nachgrabungen hier eine grosse Zahl von be-
arbeiteten Ornamenten aus Jurakalk, Münzen, römischen Nadeln und
Topfscherben zu Tage gefördert, die über das Alter der Bauten den
gewünschten Aufschluss brachten.
Zunächst wurde ca. 7 ' tief unter dem jetzigen Strassenpflaster
der Weihestein eines zur Zeit des Titus erbauten Mercurtempels auf-
gedeckt, und nicht weit davon das Bruchstück eines grossen Archi-
travs mit Relief, das zu demselben Tempel gehört hatte. Ueber diesen
Fund, sowie über die hier ausgegrabenen römischen Nadeln, Münzen,
Griffel, Schmucksachen etc. ist bereits in den Jahrbüfchern XLII. 79 ff.
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Ratte römischer und mittelalterlicher Beaten am Dom tu Köln. 208
86 fif. Mittheilong gemacht. Ein Anhalt für die Zeit der Niederlegung
des neueren römischen Gebäudes ergab steh aus den Nachgrabungen
nicht, dagegen muss die Zerstörung nach der Menge des aufgehäuften
Brandschuttes zu urtheilen, durch Feuer veranlasst und so vernichtend ge-
Wesen sein, dass die Spuren jeder Bebauung im Mittelalter vollständig
verschwunden waren, indem die erhaltenen kolossalen Fundament-
mauem S S des auf derselben Stelle später errichteten romanischen
Gebäudes bis wenige Fuss ttber den Bauschutt des Römerbaus hinab-
reichen, und eine Vertiefung der Baugrube um wenige Fuss genfigt
hätte, den gewachsenen Boden zu erreichen.
c Bauwerke aus der fränkischen Zeit.
Nachdem Jahrhunderte hindurch Bauschutt .und Trümmer über
den Ruinen der Römerbauten aufgehäuft und hierdurch die heute noch
bestehende als Domhügel bezeichnete künstliche Terrainanhöhung ge-
schaffen war, begann der Bau eines umfangreichen Gebäudes, dessen
aus drachenfelser Stein errichtete Fundamentmauem auf der Situa-
tionszeichnung XV bei S S verzeichnet sind und deren Entfernung
von einander von Aussenkante zu Aussenkante gemessen 84 ' 9 '' be-
trägt Die auiigehende Mauer über den Banketten hat eine Stärke von
3* 6" und lag ein Fussboden von 3 '' starken, sauber behauenen dra-
chenfelser Hausteinplatten in einer Höhe von 10 ' über dem Fussboden
des römischen Hauses. In der Richtung der südlichen Umfassungs-
mauer wurde 8 ' vom Domsockel entfernt die Basis einer romanischen
Säule von 2 ' 2 " 6 '" Schaftdurchmesser aus drachenfelser Stein ge-
arbeitet, im Lager stehend, ausgegraben (Detail XV £). Die ganze
Breite des Gebäudes, im Lichten ca. 77 ' 9 '' messend, war durch die
Zwischenmauern T T T getheilt.
d. Die römische Stadtmauer.
Bei' Abtragung der den Dom umgebenden Terrasse um 6 ' wur-
den an der Nordseite des Domes die Ueberreste der römischen Stadt-
mauer freigelegt, deren Dicke ca. 8 ' 6 '' beträgt. Auf Tafel XVI ist
der Lauf der römischen Stadtmauer übersichtlich in den jetzigen
Bebauungsplan des DomhUgels eingezeichnet, und zeigt dieselbe auf
der ganzen lÄnge von dem bei d in der Burgmauer noch bestehenden
und zu Wohnräumen ausgebauten fiefestigungsthurm ausgehend bis
zum Thurme a auf der Domterrasse zwei Unterbrechungen in gleichen
Abständen, bestehend in einem bei b belegenen, zum Theil in das
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204 Reste römischer und mittelalterlicher Bauten am Dom zu Köln.
Domfundament eingebauten Thttrme und dem bei c befindlichen soge-
nannten Pfaffenthore, dessen Fundamente neuerdings bei Eanalbauten
freigelegt wurden. Gestützt auf die sich ergebende genaue TJeberein-
stimmung des Abstandes zwischen den einzelnen Befestigungsthürmen
der römischen Stadtmauer wurde versucht, die Lage des nächsten
Thurmes östlich vom Thurme a durch Aufgrabungen zu bestimmen.
Nachdem der Lauf der Mauer auf eine Länge von 210 ' aufgedeckt,
fand sich leider das Mauerwerk bis zu den Fundamenten abgebrochen
und somit jede Spur der römischen Befestigungswerke nach dem Rheine
zu verwischt.
Der bei b belegene Befestigungsthurm (Detail Tafel XVI), dessen
Freilegung bereits in den Jahrbüchern XXXVII, 65 flf. und XXXDL. XL,
111 ff. erwähnt wurde, ist mit sorgfältig hammerrecht behauenen
Grauwackenfeldsteinen verblendet und mit einer Ausgangsthtir nach
dem früheren Wallgraben, der heutigen Trankgasse, versehen. Die
Schwelle dieser Thür liegt 1 ' 3 " über dem Pflaster der Trankgasse,
woraus erhellt, dass eine wesentliche Veränderung in der Höhenlage
der Strassenoberfläche in diesem Theile der Stadt Köln seit der Bö-
merzeit nicht stattgefunden hat. Nicht unwichtig für die Bestimmung
der Zeit der Erbauung der römischen Befestigungsmauer durfte es
sein, dass die Decke des untern Gemaches des Thurmes bei b nicht
durch Wölbung, sondern durch eine 4 ' dicke Platte aus Gussmauer-
werk hergestellt ist.
Sämmtliche bei den Ausgrabungen in der Umgebung des Domes
aufgefundenen Architekturtheile, Inschriftsteine,. Utensilien, Münzen
und Gefässe, von künstlerisch hervorragender oder archäologischer und
historischer Bedeutung sind dem städtischen Museum zu Köln über-
wiesen und im Katalog der römischen Alterthümer 0 und in diesen
Jahrbüchern XLII, 79—88 beschrieben.
Beim Bau der neuen Umfassungsmauer der Domterrasse und des
Treppenbaues an der Ostseite sind die Reste der römischen Anlagen^
namentlich das Wasserbecken, thunlichst erhalten und sorgfaltig
überwölbt.
Die Aussicht, durch bedeutendere Bauausführungen auf dem der
rheinischen Eisenbahn- Gesellschaft gehörigen Terrain zwischen, der
Brückenrampe und der Trankgasse Gelegenheit zu finden, die Auf-
grabungen der römischen Befestigungswerke gegen den Rhein zu weiter
0 II, 7. 8. 27. 32*. 36. 160» . 163 1- K 163. 164.
h
Reste römisoher and mittelalierlicher Bauten am Dom su Köln. 206
frei zu l^en und die begonnenen Nachgrabungen zu vervollatändigen,
hat sich bis heute nicht verwirklicht, und erschien es somit angemessen,
die Publication der durch die bisherigen Ausgrabungen erlangten Re-
sultate und Aufschlüsse über die älteste Baugeschichte Kölns nebst
den dazu gehörigen Situationszeichnungen und Detailaiifnahmen den
Freunden vaterländischer Geschichte nicht länger vorzuenthalten.
Der Dombaumeister Voigtel.
n.
Ergebnisse.
Der vorstehende genaue Fundbericht des Herrn Begierungs- und
Baurath Voigtel gibt zunächst erwünschte Auskunft über die Reste
zweier römischen Gebäude, von denen das erste sich so rasch und,
man möchte sagen, übereilt auf den Trümmern des andern erhob, dass
der noch erhaltene ganz gemauerte Abzugscanal a, der für das neue
Wasserbassin d unbrauchbar geworden war, nicht einmal beseitigt,
sondern nur so weit abgebrochen wurde, als er hinderlich war; denn
derselbe mündet keineswegs in das neue Wasserbassin, sondern reichte
nur bis an dasselbe hinan, da man unmittelbar an demselben ihn ab-
gebrochen hatte. Ausser diesem alten Abzugscanal hat man die Spuren
eines altern Wasserbassins unten im Fussboden fast an derselben Stelle
gefunden, wo auch die zu diesem führenden Stufen e. Gehörte dieser
Abzugscanal zu dem altern Wasserbassin, so muss dieses etwas höher
gelegen haben, da er jedenfalls noch eine Strecke weiter führte; dass
früher das Wasser südöstlich, später nordwestlich abgeführt wurde,
war durch die neue Einrichtung des Abflusses bedingt. Finden wir
nun fast ganz an derselben Stelle im altern wie im neuern Baue ein
Wasserbassin, so dürfen wir wohl annehmen, beide Gebäude seien zu
demselben Zwecke bestimmt gewesen und das neue habe in seiner
ganzen Einrichtung wesentlich dem alten entsprochen. Von diesem
haben sich sonst nur Reste von Tuffsteinmauern >) östlich von dem
^) Ueber die Verwendung des Tufifsteins bei den Römern, welche durch
ansere Entdeckung eine wesentliche Bestätigung erhält, hat der Wirkl. Geh.
Rath* Yoo Deohen Jahrb. ICKXVIII, 1 ff. gehandelt.
i.l-* '
^Nv
206 Reste römifober und mittelalterUoher Bauten am Dom su Köln.
Wasserbassin erhalten, die weder von der Eintheilung der Räume
noch von dem Umftinge des Ganzen eine Anschauung geben; ja bei
der Oewalt der Zerstörung kann man zweifeln, ob dieselben ganz an
ihrer ursprünglichen Stelle sich befinden. Sie stehen auf gewachsenem
Hoden, woraus sich ergibt, dass auf diesem kein früheres Gebäude ge-
standen haben dürfte.
Wenden wir uns zu dem neuen Gebäude, so zieht hier zunächst
das in einem Gemache von 24 ' Breite und entsprechender nicht genau
zu bestimmender Länge befindliche Wasserbassin (vgl. die Detaikeich-
nung XV oben links) unsere Aufmerksamkeit auf sich, das wir als
baptisterium^ wie Plinius (epist. II, 17, 11. V, 6, 25) das Bassin
zum kalten Wasserbade nennt, wie dt^s Gemach, in welchem es sich
befindet, nach demselben als cella frigidaria bezeichnen. Im Gym-
nasium hiess nach Vitruv (V, 11, 2) das kalte Bad frigida lavatiOj
bei den Griechen lovtQoy, davon ist das frigidarium (Eühlstube)
verschieden, das wir auf der berühmten Abbildung aus den Thermen
des Titus zwischen dem elaeothesium (Oel- und Salbenzimmer)
und dem tepidarnffu (der lauen Stube) finden. Das frigidarium
war eben so wenig, wie das tepidarium mit einer Vorrichtung zum
Baden versehen; beide dienten zum Ausruhen (residere). Wenn
Sidonius ApoUinaris (epist. II, 2) piscina als römischen Namen des
baptisterium bezeichnet, so ist dies für die frühere Zeit irrig; denn
die Piscina befindet sich im Freien und hat eine weitere Ausdehnung,
wie sich aus den angeführten Stellen des Plinius ergibt Unser Was-
serbassin entspricht in den wesentlichen Punkten dem freilich grossem,
kostbarem und runden in den Thermen zuPompeii, das 12' 9" oben
im Durchmesser, einen 10' unter dem Rande, 2' 4" oberhalb des
Bodens umlaufenden Sitz von 1 1 ' Breite und an der einen Seite eine
Stufe zum Ein- und Aussteigen hat. An unserm Bassin war nördlich
und südlich ein Absatz zum Ein- und Aussteigen ; der Sitz hatte die-
selbe Breite wie in Pompeii. Wenn sich kein Verschluss an dem Ab-
zugscanal c gefunden hat, so mag dieser mit dem erhaltenen Blei-
rohre in Verbindung gestanden und sich bei der gewaltsamen Zerstö-
rung verloren haben; keinenfalls dürfte dieser gewiss nicht ursprüng-
liche Mangel gegen die Bestimmung des Beckens zum kalten Bade
einen haltbaren Grund abgeben. Woher das Wasser zum Bade kam,
lässt sich nicht mehr bestimmen. Zu Pompeii strömte es aus einer
kupfernen, dem Eingange gegenüber, etwa 4' über dem Boden
befindlichen Röhre, die es durch andere Röhren aus einem grossen
Reste römiBcber and mittelalterHoher fiauten am Dom eu Köln. 207
Wasserbehälter brachte. Da der Eingang in unsere cdla frigidaria,
nach der altem Stufe e zu schliessen, östlich war, so dQrfte das Was-
ser westlich eingeströmt sein. Wahrscheinlich kam der Wasserzi^uss
aus der öffentlichen Wasserleitung. Der Ziegelcanal ist viel jungem
Ursprangs.
Ausser der ceSa frigidaria ist die Entdeckung der Küche,
adina, von grosser Wichtigkeit. Nördlich erstreckte dieselbe sich in
ihrer grossem Länge bis zu Pfeiler R (Detailzeichnung XV unten
links), in der kleinern bis zur Mauer des südlich von der c^a fri-
gidaria befindlichen Gemaches, etwa eines Vorraumes der Küche,
wie wir ihn auch sonst wohl zum Anrichten der Speisen finden; ihre
Breite wird nur an der engsteja Stelle durch das westlich und östlich
daran stossende Gemach bezeichnet. Die Form der Küche ist dieselbe,
wie zu Pompeii in der casa della caccia und in der casa del poeta
tragico. Der Eingang war wohl durch jenes als Vorraum bezeichnete
Gemach oder weiter südwestlich, so dass sie am Eingang die geringste
Länge hatte. Die Küche ist meistens im hintersten TheUe des' Hauses,
seltener im mittlem, am seltensten in der Nähe des Einganges, neben
dem atrium] meistentheils liegt sie an der Strasse oder ist nur durch
ein Gemach von dieser getrennt. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn
wir auch hier den gewöhnlichen Fall annehmen und die ctdina uns
hinter der ceUa frigidaria im äussersten Theile des Hauses den-
ken; denn dass wir es mit einem Privathause zu thun haben,
zeigen uns eben die Küche und das für den öffentlichen Gebrauch zu
kleine baptisterium. Demnach würden wir die schmale Frontseite
des Hauses nördlich, der Trankgasse gegenüber, die Hinterseite süd-
lieh, nach dem Domhofe zu, die westliche Strassenseite eine beträcht-
liche Strecke jenseit des Wasserbassins, die östliche nicht sehr weit
jenseit der ausgegrabenen Beste der Mauer und des Küchenestrichs
anzunehmen haben. In einem Hause, welches ein kaltes Bad hatte,
dürfte, bei der Unentbehrlichkeit warmer Bäder, ein solches kaum
gefehlt haben. Die Einrichtungen zu den warmen Bädern befanden
sich westlich, hier wahrscheinlich südwestlich, von der cdla frigidaria.
Von dem nördlich von dieser gelegenen Theile des Hauses ist wenig
zu sagen; nur vier Gemächer desselben lassen sich nach den erhal-
tenen Mauerresten unterscheiden, über deren Verbindung und Ver-
wendung aber nichts mit Wahrscheinlichkeit sich vermuthen, eben so
wenig, wie weit sich das Haus noch gegen Norden ersteckte. Die Zer-
störung war hier zu gewaltig; von dem alten Gebäude hat sich hier
> -
208 Reste römisoher^nnd mittelalterlicher Baaten am Dom tu Köln.
gar nichts erhalten^ [dagegen fand man hier den Weihestein und ein
Relief des unter Titus erbauten Mercurtempels in einer Tiefe von 7 ',
gleich vor der Wendung der neuen Umfassungsmauer der Domterrasse.
Dass gerade hier der Mercurtempel gestanden, wird man nicht be-
haupten dürfen, da bekanntlich Trümmerreste von Gebäuden und In-
schriften oft weit verführt wurden, wie wir denn in Köln selbst ein
schlagendes Beispiel besitzen, dass Stücke derselben Inschrift in weiter
Entfernung von einander aufgefunden wurden (vgl. Jahrb. XLI, 125 fif.}.
Hier kommt noch dazu, dass bei dem zweiten römischen Baue nach-
weislich Gebäudetrümmer, ja Stücke von einem zerschlagenen Reiter-
standbilde, dessen Reste sich leider nicht mehr zusammenfügen Hessen,
verwandt worden sind, um einen festen Boden zu gewinnen. So wenig
jenes Reiterstandbild an der Stelle des Hauses gestanden hat, auf dem
der zweite Bau errichtet worden, so wenig können wir behaupten,
dieser Weihestein mit dem Reliefsteine rühre von einem an dieser
Stelle gestandenen Mercurtempel her, sei nicht von einer andern Stelle,
die wir uns näher oder ferner denken können, hierher gebracht worden.
Bei der grossartigen Zerstörung, welcher der älteste Hausbau zum
Opfer fiel, war auch in der Nähe desselben, besonders auf dem Dom-
hofe, den wir als römisches Forum nachgewiesen zu haben glauben,
so vieles zertrümmert worden, dass man bei der Grundlegung diese
Trümmer zu benutzen sich wohl veranlasst finden konnte. Bediente
man sich ja auch eines Weihesteines, der gewiss nicht ursprünglich
in diesem Hause gestanden hatte (Jahrb. XLH, 83 ff.), zur Deckung
des Wasserabflusses.
Bei einer für die älteste Geschichte Kölns so wichtigen Thatsache,
wie diese Entdeckungen an der Ost- und Nordostseite des Domes sind,
gebietet es der Ernst der Sache, irrige Angaben als ^solche zu be-
zeichnen. In den >Annalen des historischen Vereins für den Nieder-
rheiutt (XVIII, 295 ff.) behauptet Herr Archivar Dr. Ennen: »Nach
Ausweis der örtlichen Ausgrabungen ist nur die Thatsache unzweifel-
haft, dass hier (an der Stelle des jetzigen Doms) ein römischer Tem-
pel sich befunden hat. Bei den Erdarbeiten für die Terrassenanlage
zwischen dem Domchor und der Brückeurampe haben sich dekorirte
Säulen-, Fries- und Täfelungsreste gefunden, die darauf hindeuten,
dass an dieser Stelle ein bedeutender Bau gestanden haben müsse.«
Darauf gedenkt er jenes von mir gleich auf einen von den Augustalen
des Titas gebauten Mercurtempel bezogenen Weihesteins ^) aus dem
^) Brambach gibt Add. 20i0 die Ergänzung: (Mer)curio Äugu8t{o pro
Reste römischer and mittelalterlicher Bauten am Dom za Köln. 209
er nichts weiter will schliessen können, als ndass wir es hier mit einem
Tempel des Titos (?) zu thun haben» der von einem (?) Augustalen
quoad (?) maceriem et in drcuüu (?) errichtet worden ist«. Beim Ein-
dringen der Franken soll dieser Tempel in Trümmer gefallen »und
nach Glodwigs Bekehrung wohl an der Stelle jenes Tempels eine
christliche Kirche erbaut worden sein, zu dem etwa jenes dort ent-
deckte Wasserbecken gehört haben möge, das. zwei Abflüsse gehabt
habe. Dafür, dass hier in der merowingischen Zeit »ein kräftiger Kir-
chenbautt gestanden habe, werden die im Fundbericht unter c be-
schriebenen Ausgrabungen angeführt. In seiner historischen Einleitung
zu den Domzeichnungen des Architekten Franz Schmitz S. 3 ent-
scheidet Ennen sich für die Annahme, )^ass schon in merowingischer
Zeit die Verlegung der bischöflichen Kirche von Gäcilien nach der
Nordostecke des alten römischen Köln beliebt. worden und dieser ein
römischer Tempel des Mercur (einen solchen nimmt er also jetzt auch
an) habe Platz machen müssen (wonach er also, wie es scheint, nicht
zerstört war). ' Alle diese Behauptungen zerfallen vor der Thatsache,
dass wir an der betreifenden Stelle die Reste zweier römischen Häuser
haben, von denen das eine sich auf den Trümmern des andern erhob
und dass jedes derselben ein Wasserbecken hatte, das mit dem spätem
Gebäude nicht in der allergeringsten Verbindung stand, sondern unter
dessen Fundamenten lag.
Fragen wir aber, in welche Zeit die Zertrümmerung des ältesten
Baues fallen möge, so kennen wir eine solche wilde Zerstörung Kölns,
wie sie hier vorausgesetzt werden muss, nicht vor dem Jahre 355 in
den Stürmen nach dem Sturze des Silvanus. Die Franken zerstörten
die Stadt damals völlig, wie Ammianus berichtet (XVI, 3, 1); sie hob
sich aber bald wieder, als Julian zwei Jahre später mit den Franken
Trieden schloss und sie neu befestigte (daselbst 2). Eine zweite Zer-
störung durch die Franken erfolgte nicht, wie wir aus der Schrift des
Presbyters Salvianus zu Massilia de gubematione dei sehen, der
' von einer viermaligen Zerstörung Triers zu seiner Zeit spricht, die Jn
salMAe %m'pe)raior%S'^ aber die dann aaefallende Erwähnung des V^eihenden
darf nicht fehlen, und es werden dabei am Anfange der zweiten Zeile mehr
Buchstaben ergänzt, als nach Ausweisung der übrigen Zeilen hier gestanden
haben können. Nur darin bin ich bereits im Museumskatalog (Nr. 7) von mei-
ner frühem Deutung (Jahrb. XLU, 79 ff.) abgewichen, dass ich nach Caesar is
das nach durchgängiger Regel nöthige Augusti angenommen habe.
14
210 Reste römischer und Tnittelalterlicber Bauten am Dom zu Köln.
•
einen Schutthaufen verwandelt sei, aber dennoch verlange das Volk
vom Kaiser circensische Spiele (VI p. 184, 198, 201), während er von
Köln sagt, dort fänden jetzt keine Schauspiele mehr statt, weil es vom
Feinde besetzt sei (hostibus plena VI p. 184). Köln scheint auch gemeint,
wenn dieser fromme Polterer von einer Stadt Galliens, die fast eben so
mächtig sei wie Trier, aus eigener Anschauung berichtet, deren Wohl-
stand und Sitten eben so zu Orunde gerichtet würden (VI p. 200).
»Denn da ausser andern dort durch die hauptsächlichen und allgemeinen
Laster Habsncht und Trunksucht alles ins Verderben gestürzt war,
stieg endlich die'wüthende Gier nach Wein so hoch, dass die Vor-
nehmen der Stadt selbst damals von ihrem Gelage sich nicht erhoben,
als der Feind schon die Stadt betrat.« Wir dürfen es, wie viel üeber-
treibung auch sonst bei Salvianus unterlaufen mag, wohl als That-
Sache betrachten, dass die Franken damals sich Kölns ohne Gewalt
bemächtigten. Salvianus, der erst im Jahre 495 in' höchstem Alter
starb, schrieb diese Schrift um das Jahr 439; er selbst war in der
Gegend zu Hause und hatte dort Verwandte (epist. 1). Erst bei dem
Rückzüge Attilas über Köln, im Jahre 451, erfolgte eme zweite Zer-
störung der Stadt durch die Hunnen. Kessel hat in seiner Schrift:
p'_ »St. Ursula und ihre Gesellschaft« (1843) die geschichtlichen und
^'. sagenhaften Berichte über diese Verwüstung Kölns zusammengestellt.
f Damals wurde das noch keine hundert Jahre alte römische Haus durch
Brand vernichtet. Nach Attilas Abzug blieben die Franken im Besitze
5ir
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il' der Stadt, die sich aber nur schwer und langsam von dieser zweiten
W Zerstörung erholt zu haben scheint. Wir bemerken hierbei, dass man
t. nach Ennen )»Geschichte der Stadt Köln« I, 90 f., auch bei den Aus-
schachtungen für die neue St. Peterspfarrschule Spuren zweier Bau-
perioden gefunden haben will. Das dreifache Pflaster, auf welches man
auf der Breitstrasse bei Ausgrabungen nach dem Berichte des frühem
Apothekers Brocke gestossen sein soll (Jahrb. XX, 27 f.), wollen wir
^ hier ausser Betracht lassen.
i Lange Zeit verging, ehe über dem Schutte sich ein neues Ge- ^
1 bände erhob, wie dies bereits der Fundbericht durch den thatsäch-
r ^ liehen Verhalt bewiesen hat. Der Plattenboden dieses Gebäudes befand
^ sich 10' über den Trümmern des zweiten römischen Baues; die ko-
lossalen Fundamente reichen fast bis auf die römischen Trümmer
herab, die man hier nicht mehr ahnte. Die unten, besonders in den
Fundamenten sehr dicken Umfassungsmauern schliessen einen Baum
von 77 ' 9 '' ein, der durch drei Zwischenmauern abgetheUt war, von
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Reste römischer and mittelalterlicber Bauten am Dom za Köln. 211
denen die beiden am entferntesten von einander stehenden einen Raum
von 48 ' begrenzten ; die nördliche war 8 ' 6 " von der Umfassungs-
mauer, die südliche bloss 2 ' von dieser, von der nächsten Wand 7 '
entfernt. Für die Breite des Gebäudes haben wir keinen Haltpunkt.
9' 6" von der südlichen Umfassungsmauer wurde die nördliche eines
zweiten Gebäudes entdeckt. Die Fundamente scheinen am wenigsten
auf eine Kirche zu deuten, welche eine viel stärkere Stütze verlangen
würde. Am nachten liegt es^ hier an eine grosse Halle zu denken.
Vielleicht gehörte diese Halle zu dem ältesten eigentlichen Domstift,
dem monasteriumy in welchem' sich auch die Elosterschule befand,
war der Kapitelsaal oder der Speisesaal. Vgl. Boisser^e Jahrb. XII,
137 f. Freilich finden wir das Domstift später an der Nordseite des
Doms, und ein gleiches ist von Boisserde S. 136 f. an der Südseite
vermuthet worden, aber nichts steht der Annahme entgegen, nach
der Zerstörung des alten Domstifts sei dieses näher an die hergestellte
Domkirche gerückt worden. Ennen bringt (I, 732) die Errichtung der
Stiftswohnungen an der Nord- und Südseite mit der von Günther be-
willigten, von Wilbert anerkannten Gütertheilung zwischen dem Erz-
bischof und dem Domcapitel (I; 205 f. 212) in Verbindung. Mag aber
auch diese Theilung das Domcapitel bewogen haben, aus eigenen Mit*
teln die Stiftswohnung an die spätere Stelle zu verlegen, besonders
massgebend dürfte dafür doch die Zerstörung des alten Gebäudes ge-
wesen sein. Die Möglichkeit, dass unser Gebäude das paUxtium ge-
wesen, haben wir früher (Jahrb. XLH, 113) zugestanden^ aber wahr-
scheinlich dürfte es schon nach der Fundamentirung des Baues kaum
sein. Mag auch das römische Prätorium, das wir auf dem Rathhaus-
platze mit Ennen (Jahrb. XLI, 60 ff.) annehmen müssen, durch die
Franken oder durch die Hunnen zerstört worden sein, einer der frän-
kischen Hausmeier würde wohl einen Palast eher auf der alten Stelle
des Prätoriüms gebaut haben. Dass die Sage von dem pälatium
Karls des Grossen an dieser Stelle keinen geschichtlichen Halt hat,
gibt auch Ennen jetzt zu (a. a. 0. 299), da er meint, Andeutungen)
dass hier unter den Merovingem ein kräftiger Eirchenbau gestanden,
hätten sich in den jetzt noch sichtbaren, kräftigen, scheinbar von einer
Kirche herrührenden Seitenmauem und den vielen dort gefundenen
Steinsärgen ergeben. Dass jene Baureste auf nichts weniger als auf eine
Kirche deuten, haben wir gesehen, und was jene Steinsärge betrifft,
so wurde der Raum, auf welchem das Gebäude gestanden hatte, später,
als die Beste mit Schutt und Erde überdeckt waren, zum Kirchhof
l
't
I
212 Reste römisoher und miitelaltorlicber Bauten am Dom eu Köln.
benutzt. Man hat dort in einer Tiefe von angef&hr 8 ' eine Reihe Särge
der Art ausgegraben, wie sie Herr Geh. Regierungsrath von Quast
(Jahrb. L. LI, 108 ff.) ausführlich beschrieben und erörtert hat. Grab-
steinplatten mit Inschriften liegen noch jetzt rechts vom Domchor im
Boden.
Die Zerstörung dieses fränkischen Gebäudes erfolgte unzweifel-
haft durch die Normannen. Nachdem diese wilden Schaaren schon
mehrmal in Köln gewesen (die Annales Golonienses brevissimi bei
Pertz I, 97 melden unter dem Jahre 856 : Combustio Goloniae secunda
vice ; elf Jahre vorher hatten sie die Kirche und das Kloster des hei-
ligen Martin auf der Rheininsel verwüstet), erfolgte 881 die Zerstö-
rung der Stadt, die zwei Jahre später mit Ausnahme der Kirchen und
Klöster hergestellt wurde (Pertz I, 394). Noch 891 sagt Papst Ste-
Stephan VI: Basilice et omi^es fabriee domorum Cohniensium
dvücUis igne combuste perierunt. Damals wurde auch das frän-
kische Gebäude, das sich auf den römischen Trümmern erhoben
hatte, völlig zerstört, um nie wieder aufgebaut zu werden. Einen
bestimmten Haltpunkt zur Bestimmung der Zeit, wann dieses Ge-
bäude entstanden, bietet auch der dort stehend gefundene Säulenstumpf
nicht dar.
Ennen hat die Aufgrabungen am Dome benutzt, um meiner Be-
hauptung, Hildebold habe keinen Neubau des Domes begonnen (Jahrb.
XL, 102 ff.), ihre Stütze zu entziehen; aber dies war nur mögUch,
bei der auf mangelhafter Kenntniss der aufgefundenen Reste beruhen-
den Voraussetzung von einem dortigen römischen Tempel und einer
an dessen Stelle erbauten christlichen Kirche. Seine Annahme, »die
alte bischöfliche Kirche habe auf dem jetzigen Domterritorium, und
zwar zwischen dem hohen Chor und der alten Kirche St. Maria ad
gradns gestanden u^ vrird durch das wirklich bei den Aufgrabungen an
der Ostseite des Doms Aufgefundene widerlegt.
Der neueste Geschiclitsschreiber der Stadt Köhi hatte (I, 193 f.)
die Inschrift des 804 gestorbenen Alcuin, nach welcher Hildebold im
Auftrage Karls des Grossen einen Petersaltar in einer Peterskirche
mit edlen Metallen schmückte, auf den schon vollendeten westlichen
Theil von Hildebolds Neubau bezogen, und die Vermuthung geäussert,
dieser habe den Grundstein zu seinem neuen Dom zur Feier der Er-
hebung der kölnischen Kirche zur Metropolitankirche gelegt, obgleich
Hildebold erst 806 als Metropolit erscheint. Meine Behauptung, der
Kaiser habe kaum einen Altar der alten Peterskirche mit einem so
.c
Rosto römischer nnd mittelalterlicher Bauten am Dom zu Köln.
218
kostbaren Schmucke bedenken können, wenn Hildebold sich mit der
Gründung eines neuen getragen hätte, glaubt Ennen in dem ange-
führten Aufsatze der DÄnnalenu mit der Bemerkung abfertigen zu
können (S. 30 1), Karls Auftrag schliesse nicht aus, dass Hildebold
eine neue Domkirche zu bauen beabsichtigt oder bereits begonnen
habe, da die Ornamente leicht in den neuen Bau mit hätten herüber-
genommen werden können. Freilich wenn die alte Kirche abgebrochen
wurde, aber nicht, wenn, wie Ennen früher annahm, die alte bischöf-
liche Kirche die der heiligen Cäcilia war und diejenige, welche er
jetzt zwischen die Kirche Maria ad gradus und den Hildeboldsdom
setzt, ein Nebelbild ist. Einen Altar einer noch benutzten Kirche seines
Schmuckes zu berauben, ging unmöglich an. Auch will mir scheinen
dass, wenn Hildebold damals einen neuen Bau beabsichtigt oder gar be-
gonnen hätte, Alcuin unmöglich von der zum Abbruch bestimmten
alten Kirche mit solcher Erhebung und solchem Preise hätte sprechen
können, wie er es hier thut, wo er, nachdem er den Klerus aufgefor-
dert hat^ für den Kaiser das heilige Messopfer darzubringen, mit den
Worten schliesst:
Hdec est cdma domus donis solidata supernis.
Jetzt gedenkt Ennen auch der von mir erwähnten Verse Alcuins
auf den Medardusaltar, wobei er aber nicht von einem Auftrage des
Kaisers sprechen durfte, da Alcuin nur sagt, Hildebold habe aus Liebe
zu Christus, der Jungfrau Maria und dem heiligen Medardus diesen
Altar geschmückt, und selbst in der Ueberschrift ist von Karl dem
Grossen nicht die Rede. Man sollte doch denken, Hildebold hätte einen
solchen Schmuck eher einem Medardusaltare seiner neuen Domkirche
zugewandt. Da kommt freilich die Annahme einer altern in der Nähe
stehenden Kirche sehr gelegen, bei welcher Ennen eben nur übersieht,
dass er damit gerade mit den Berichten, auf denen der Hildeboldsdom
einzig beruht, in Widerspruch tritt, da diese behaupten, erst Hilde-
bold habe die bischöfliche Kirche aus der Cäcilienkirche nach seinem
neuen Dome verlegt.
Mit der jeder Grundlage entbehrenden Annahme einer frühern
Domkirche in der Nähe der von Hildebold begonnenen kann Ennen
freilich leicht meine übrigen Beweise gegen den Hildeboldsdom aus
dem Felde schlagen. Worauf aber beruht jener Hildeboldsdom ? müs-
sen wir noch einmal fragen. Wir wissen, dass unter Wilbert bei der
Provincialsynode vom Jahre 873 die Weihung der Domkirche statt-
fand, welche die anwesenden Bischöfe als suae ecclesiae id est
214 Reste römischer and mittelalterlicher Bauten am Dom zu Köln.
domtss dedicatio bezeichnen. Die ältere Chronik der Erzbischöfe
berichtet von Wilbert: Dedicavit ecdesiam sandi Petri ow^i-
quam. Nun deuten dedicare und dedicatio keineswegs nothwendig
auf einen Neubau hin; sie stehen von jeder Weihung, sowohl von
einer consecratio als von einer reconciliaUo. Die entgegenge-
setzte Behauptung Ennens (S. 302), der sich auf das Brevier, das
Missale und das Gaeremoniale beruft, die doch für eine so frühe Zeit
unmöglich etwas beweisen können, ist eben irrig, weil sie den altern
Sprachgebrauch ausser Acht lässt *). Aber selbst wenn man dedicatio
im Sinne von consecratio nehmen zu müssen glaubt, würde daraus
höchstens nur nach Ennens eigener Bemerkung »eine umfangreiche
Reparatur» folgen, und eine solche konnte sich nach den Stürmen der
Kirche, die Wilberts Bestätigung an der Stelle des geächteten Günther
vorhergegangen waren *), ja bei dem Schaden, den der Blitz schon im J.
857 angerichtet hatte, wohl als nöthig erweisen, ja setzen wir über-
haupt, wie wir thun müssen, eine ältere Kirche voraus, was wissen
wir von dem Zustande derselben, das uns irgend hinderte anzuneh-
men, die dedicatio habe einer umfangreichen Wiederherstellung,
keinem Neubau, gegolten? Und ist nicht die dedicatio eines vor sieb-
zig Jahren begonnenen Neubaus an sich höchst auffallend? Und wür-
den die Bischöfe, wenn von einem so grossartigen schon von Hildebold
begonnenen völligen Neubau die Rede wäre, sich mit der einfachen
Bezeichnung sua eccUsia id est domus in ihren Schreiben begnügt
haben? Die Angabe in Rudolfs A/nnaies Fuldenses , im Jahre 857 habe
') Walafridus Strabo de rebus eccleBiasticis sagt 9: Notandum vero, quod
non tuntum in prima constitutione templi dedicatio est cdehrata, sed etiam se-
cundo vel tertio post eversionem et profanationem eittsdefn templi propter pec-
cata popüli perpetratam a genttbus. Auch von Kirchen der Ketzer wird der
Ausdruck dedicare gebraucht. Vgl. Martene de ecclesiae ritibus II, 15, 7. Man
vergleiche auch die Aeussemng des Papstes Vigilius daselbst p. 322. Die be-
stimmte Fixirung des Ausdrucks reconciliatio, neben reconsecratio, kann für
das neunte Jahrhundert nicht erwiesen werden.
>) In dem Schreiben der Kölner an den Papst Hadrian II. von 871 oder
872 heisst es: J^ cum septennio eodem pastore (Quntha/rio) essemus privaJtit innume-
rabites susiinuimus cedeSy wistationes^ predas, fraudes, durasgue dominationes.
Sollte der Dom damals nicht selbst gelitten haben und auf jede Weise entweiht
worden sein? Eüess es ja sogar, böse Geister hätten dort ihr Spiel getrieben
und am Tage vor der Weihe gejammert, dass sie von dem gewohnten Sitze wei-
chen müssten (Anselmi gesta episcoporum Leodensium bei Periz VII^ 200).
r
I
RobIo römischer und mittelalterlicher Bauten am Dom zu Köln. 215
sich za Köln das Volk bei einem schweren Gewitter in die basilica
sancti Petri geflüchtet, in welche während des Glockeigeläutcs der
Blitz eingeschlagen und drei Personen am Marien-, Petrus- und Dio-
nysiusaltare getödtet habe, weist unwidersprechlich auf eine im vollen
Dienste befindliche Kirche hin, die nicht erst sechszehn Jahre später
zum erstenmal geweiht werden konnte. Freilich kann man dieses
schreienden Widerspruchs sich dadurch entledigen, dass man, wie £n-
nen in Folge meiner Widerlegung der Sage vom Hildeboldsdome thut,
neben diesem, dessen Bau doch unter Hildebold begonnen haben soll,
I ganz in der Nähe desselben eine ältere Peterskirche annimmt, von
welcher sich nicht die geringste Spur findet, wie es an sich höchst
unwahrscheinlich ist, dass man eine neue bischöfliche Kirche an einer
andern Stelle in nächster Nähe der alten gebaut habe; denn man
baute eine neue ^ Kirche an der Stelle der alten, wenn man auch den
Raum derselben erweiterte, und so muss auch der Dom, der im Jahre
873 geweiht wurde (denn domus nennen ihn nach bekanntem Ge-
brauche schon die bei dessen Weihung anwesenden Bischöfe), auf der
Stelle der ältesten bischöflichen Kirche gestanden haben. Es ist nicht
das erstemal, dass man, um eine falsche Nachricht oder Sage zu stützen,
statt einer Person oder eines in Bede stehenden Ortes oder Baues
zwei annimmt, wodurch man neben dem einen überlieferten Irrthume
glücklich einen zweiten zur Stütze desselben erfundenen erhält. Aber
in vorliegendem Falle muss dazu auch noch das zu Grunde liegende
Zeugniss willkürlich verändert werden, da nach diesem Hildebold es
war, der die bischöfliche Kirche aus der Gäcilienkirche nach der neuen
Peterskirche, dem alten Dome, verlegte.
Wie steht es aber mit jenem Zeugnisse, auf das sich Ennen von
neuem stützt? Dass ich darauf zurückkommen muss, ist nicht meine
Schuld. Ennen belehrt mich : »So lange nicht der positive Nachweis ge-
liefert wird, dass Nachrichten mittelalterlicher Chronisten falsch oder
verbürgten Thatsachen widersprechend sind, ist man nach anerkannten
Grundsätzen einer richtigen Behandlung historischer Verhältnisse be-
fugt, an solchen Nachrichten festzuhalten.« Ich stelle diesem den an-
dern Satz entgegen, dass man bei allen Nachrichten,^ bei denen die
Parteiliebe des Berichterstatters ins Spiel kommt, sehr auf der Hut
sein muss, besonders dann, weim das, was wir ihnen glauben sollen,
von früheren Schriftstellern nicht erwähnt wird, welche desselben hätten
gedenken müssen, wenn sie davon Kunde gehabt. Die älteren Annalen
der Erzbisehöfe von Köln gedenken bei Hildebold mit keiner Silbe
^.\
I*
216 Reste römischer und mittelalierlicher Bauten am Dom zu Köln.
eines Dombaues ; das erste, was sie vom Dome berichten, ist eben jene
dedicatio unter Wilbert. Der erste Grundsatz der geschichtlichen
Forschung ist sorgfältige Untersuchung der Glaubwürdigkeit der Quel-
len, das »Trau schau wem«. Ennen spricht von mittelalterlichen Chro-
nisten; es handelt sich aber nicht um einen solchen, iJondern um die
parteiische Behauptung eines eifersüchtigen Stiftspatriotismus, wenn
mir der Ausdruck erlaubt ist, dessen Gebaren der Geschichtsforscher
mit derselben Strenge behandeln muss, wie den eiteln Stadtpatriotis-
mus, da beide eben gewissenlos die Geschichte zu fälschen pflegen.
Die älteste zur Zeit meines betreffenden Auiisatzes bekannte Er-
wähnung jenes Hildebolddomes ^) befindet sich in einer bis zum Jahre
1369 reichenden Synopsis brevissima archiepiscoporum Cohniensmnf
welche den Dom einmal basüica Hüdeboldi archiepiscopi nennt; die
Abschrift derselben dürfte noch jünger sein. Nicht älter wird die an-
dere Quelle sein, die uns Ennen jetzt erschliesst und als Grundlage
des Berichtes von Gelen nachweist. Es ist eine Handschrift aus dem
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, die sich im Besitze des Cäcilien-
stifts befand. Der betreffende Theil (eine genauere Angabe über den
Inhalt jenes Theiles wäre doch erwünscht gewesen) ist, wie es hier
heisst, aus einem antiquus liber scriptus et asseribus Ugatus wortgetreu
abgeschrieben. Nichts nöthigt uns diesen anHquus liber (er heisst nicht
einmal antiquissimm) höher als anderthalb Jahrhundert vor die Zeit
der Abschrift zu setzen ; denn da das Stift auf die ihm schmeicheln-
den, wohl aus ihm selbst hervorgegangenen Nachrichten desselben
hohen Werth legte, so war es natürlich, dass man diese Handschrift
gern möglichst hoch hinaufrückte. Seltsam ist es, dass dieser liber
antiquus selbst nicht erhalten wurde, was, trotz def beigefügten Be-
scheinigung des Jacobus Wükun notarius publicus, die presens historia
sei wörtlich aus jener Handschrift abgeschrieben^ eigene Gedanken
erregt. Wir wollen aber alle Zweifel dieser Art fahren lassen, nur
fragen, was wir denn hier lesen. Quoddam aliud monasterium novum
sancti PetH in Colonia, prius tarnen videlicet a*) domino HMeboldo^
') Ennens Gescbichta begnügt sich mit der ganz allgemeinen Berufung
auf die »Nachrichten späterer Chronisten« (I, '194), da doch bei einem so wich-
tigen Punkte die Nachweisung der Quellen und ihrer Beschaffenheit dringend
geboten war.
') Vor diesem a gibt Ennen, bei dem die Stelle zweimal abgedruckt ist
(S. 298 f. 300), das erstemal noch anno^ das er beim dritten Abdruck in der
angefahrten »Historischen Einleitung« S. 3 weglasst, wonach es auf Druckfehler
beruhen wird.
1^
Reste römiscl^er and mittelalterlicher Bauten am Dom zu Köln. 217
iunc temporis episcopo Cohniensi in parte inceptum, pro prifhcipali
eccUsia per Wiüibertum fundatur et consecratury quo fit, quod multis
annis ecclesia olim beate Marie virginis, ntmc sancte Cecilie mona-
sterium vetus et ecclesia sancti Petri, ntmc metrcpolitana ecclesia,
monasterium novum appeUabcUur ^). Und mit einer solchen frommen
Lüge soUen wir rechnen? Freilich führte das monasterium ecclesiae
sanctae CaecHiae schon zu Brunos Zeit, wie die Urkunde vom Jahre
962 bei Lacomblet I, 205 zeigt, den Namen monasterium vetus, aber
nicht im Gegensatz^ zum Dom, der überhaupt nie mofMsterium ge-
nannt wird, sondern monasterium novum hiess das Marienstift ^), der
Dom dagegen ecclesia oder domus sancti Petri. Und einem solchen Be-
richte, der sich die Fälschung erlaubt, der Dom sei früher monaste-
rium novum genannt worden, sollen wir glauben, dass der von Wilbert
geweihte Dom von Hildebold begonnen worden sei ! Wie man in jenem
Stifte mit der Wahrheit umsprang, ergibt sich aus* der von mir schon
früher beigebrachten Angabe Winheims, ein ehrwürdiger und gelehrter
Angehöriger des Stifts habe ihn belehrt, Maternus habe die Cäcilien-
kirche der heiligen Jungfrau und dem heiligen Petrus geweiht, was
sich nicht allein aus der daneben liegenden Pfarrkirche des heiligen
Petrus, sondern auch den ältesten Urkunden ergebe. Also damals ging
man so weit, die Cäcilienkirche auch für die älteste Peterskirche zu
erklären ^). Eine Inschrift in der Kirche selbst liess sie vom Matemus
der heiligen Cäcilia weihen. Und dass sie je der heiligen Maria ge-
weiht gewesen, steht durch nichts fest, es beruht auf jenem lügenhaften
Berichte des liber antiquus des Cäcilienstiftes. Dieser erzählt nach
^) Der Druckfehler appeüatur des zweiten Abdrucks ist in den dritten
übergegangen.
2) Vgl. Binteriiä und Mooren die firzdiöcese Köln I, 65. Boisseree Denk-
male des Niederrheins S. 5.
') Ennen schreibt (8. 295): »Nichts hindert uns anzunehmen, die Mater-
nuslegende beruhe bezüglich der Angabe über die Lage der Bischofskirche auf
historischer Grundlage und an der SteUe der spätem Cäcilienkirche habe zu
der Zeit des Maternus die Peterskirche gestanden, c Wo findet sich denn diese
Legende zuerst? und spricht diese schon von einer Peterskirche? Sie beruht
auf dem gefälschten Apostelschüler Maternus I und hat im Ganzen so viel
Gewähr als diese; sie ist eine der leichtfertigen frommen Lügen, die der Ge-
sohichtschreiber nur insofern beachten darf, als sie zeigen, wie man damals Ge-
schichte gemacht hat. Was ist von diesem Apostelschüler Maternus nicht alles
gefabelt worden?
I
L
218 Reste römischer und mittelalterlidier Baaien am Dom zu KöId.
Ennen weiter : Tecio vero ecclesie sancte Maria^igne consumptOj pratU
hodie in plumbo turricule ^usdem scr^tum legUur, eadem ecdesia ipsa
reconcüicUur et sancte virgines Cecüia et Eugenia ut patrane adduntur
et adiiduntury quo fitj ut et hodie ecclesia sancte Cecäie cognominetur.
Gelen weiss, dass auf jener Glocke die Zeit Brunos stand, der eben
wegen der Einäscherung der Kirche diese 962 so reich beschenkt habe.
Ouius quidem temporis nota ecdesiae plumbo inscripta esty sagt er,
sed evanidis literis, ut non possit elici certitudo anni. Also Brunos
Namen konnte man darauf noch lesen. Wie nun aber? Nach jenem
antiqtms liber sollen erst nach dem Brande die beiden Märtyrinnen
Gäcilia und Eugenia als Schutzheiligen hinzugefügt worden sein; und
doch spricht bereits Wichfrid im Jahre 941 von dem monasterium
sanctae Caecäiae virginis ac martiris cristi nimis honorifice restauratum^),
und es fehlt jede Bezeichnung, dass die Kirche Vor der Herstellung
einen andern Namen gehabt, wie dies sonst doch in solchem Falle er-
wähnt wird. Hiernach ergibt sich auch diese Angabe des liber antigms
als Unwahrheit. Die Kirche wird von Anfang an der heiligen Gäcilia
geweiht sein, die heilige Eugenia bei einer zweiten Weihung hinzu-
getreten sein'). Geschichtlich steht nur die Wiederherstellung im
zehnten Jahrhundert fest und aus dem jetzigen Baue ergibt sich, dass
dieser der Hauptanlage nach ^nicht älter als das zwölfte Jahrhundert
sein kann '). Ob hiervon jener liber antiquus gar nichts wisse, möchte
man denn doch gern erfahren ; wäre dies wirklich der Fall, so würde
es zur Charakteristik der Kenntniss des Schreibers gar bezeichnend
sein. Gelen freilich berichtet von der Cäcilienkirche (S. 230): Exd-
tata est in honorem Domini nostri Jesu Christi et B. M. V. anno
Domini 94 {ut habent quaedam recentioris aevi inscriptiones), quae
deinde Sanctae Eugeniae dicta, modo 5. CecHiae didtur. Dann S. 357 :
') Lacomblet I, 98.
2) Ennen memt (S. 295), nur bei der Annahme, dass die Gäcilienkirohe
die erzbischöfliche Kirche gewesen, wisse man einen Grand für die schon
962 erwähnte generalis ataiio, welche in der Christnacht in dieser Kirche vom
Erzbischofe und der Geistlichkeit gehalten wurde. Als ob man einen Grund
für jeden alten Gebrauch wissen müsste? Hier aber liegt er gar nicht fem, da
der Erzbischof sich ans der Cäcilienkirche in die Marienkirche begab. Die bei-
den ältesten monasteria intra muros sollten eben durch diese Anwesenheit der
ganzen Geistlichkeit besonders geehrt werden, nichts weniger als dass der Dom
seinen spätem Ursprung dadurch hätt« beurkunden sollen.
>) YgL von Quast Jahrb. XII, 194.
V
kf
Reste römiBcher und mittelalterliober Bauten am Dom zu Köln. 219
Prima Cathedralis B. M. Virgini sacra in Urbe Agrippinensi dediccUa
perMbekw a Matemo L Antistüe Anno Dominicae IncamcUionis 94
et t4sque ad B. Eüdeboldi Archiepiscopi tempora Cathedralis honorem
retinuü: — vetus autem cathedralis tunc Sanctarum Eugeniae et Ce-
cüiae iittdum ithduit. Die Weihung auf den Namen der Jungfrau Maria
(das erstemal nennt Gelen Christus dabei) hing also mit der Erfindung
zusammen, der Apostelschüler Maternus I habe die Kirche gegründet.
FreOich Ennen hält (I, 197) daran fest, dass die Kirche ursprüng-
lich der Jungfrau Maria geweiht gewesen. Für Gelen ist es be-
zeichnend, dass er sich auf quaedam recentioris aevi inscriptiones
beruft und das erstemal die Weihung auf die heilige Eugenia
früher setzt, später die Kirche auf den Namen beider Märty-
rerinnen unter Hildebold weihen lässt, zur Zeit, wo Hildebold die Ka-
thedralkirche von der ersten Stätte nach dem Dom übertrug, der also
damals schon zum Gottesdienste gedient haben müsste. Es scheint,
dass diese ganze Sage vom Hildeboldsdom von dem Gacilienstifte aus-
ging, weil man dort die Ehre in Anspruch nahm, das Stift sei die
erste Kathedralkirche gewesen, worin man sich durch den ständigen
Gebrauch nicht irren liess, dass die Kathedralkirche an derselben
Stelle zu verbleiben pflegte. Hier, wo man so weit ging, das Jahr der
Gründung unter dem ersonnenen Apostelschüler Maternus zu nennen,
war man auch nicht in Verlegenheit, unter welchem Erzbischofe die Ver-
legung der Kathedralkirche geschehen sei; wer könnte dies anders
gethan haben als der Günstling Karl des Grossen?
Aus einer solchen Quelle also, wie jener lügnerische liber antiquus^
fiiesst unsere älteste Kunde vom Hildeboldsdome, und die Sage ist aus
der Sucht des Cäcilienstifts hervorgegangen, sich aus dem ältesten
Kloster innerhalb des alten Köln (intra muros) zu der ersten Kathe-
dralkirche zu erheben, wobei man vor keiner noch so plumpen Ent-
stellung der Wahrheit zurückscheute. Es ist endlich Zeit, dass man
mit dem Wüste der Sagenerfindungen über die Kirchen Kölns auf-
räume und dieselbe dem falschen Bischofsverzeichnisse getrost nach-
schicke, an die denn doch heute niemand mehr glaubt.
Ennen beruft sich für den Hildeboldsdom auch auf die »alte
Legende vom heiligen Beinold«, nach welcher dieser beim Dombau,
zu welchem Bischof Agilolfus um das Jahr 810 aus allen Landen
Zimmerleute, Steinmetzen und andere Arbeiter berief, als Steinmetz
eintrat und von seinen eifersüchtigen Mitgesellen todt geschlagen ward.
Die Legende von Beinolds Tode düiite sehr spät fallen, wohl erst nach
--V.
220 Reste römischer und mittelalterlicher Baaten am Dom zu Köln.
dem Beginne des neuen Dombaues im dreizehnten Jahrhundert. Der
Bischof Agilolfus lässt sich nicht so leicht, wie Ennen meint, aus ihr
herausschaffen; er haftet fester in ihr als die beigeschriebene Jahres-
zahl; er gehört eben in sie hinein, und entspricht besser den Zeitver-
hältnissen als Hildebold. Aus der handschriftlichen Chronik »Agrip-
pina« aus dem 15. Jahrhundert, mag diese auch vielfach auf weit ältere
Quellen sich stützen, lässt sich am wenigsten beweisen, die von ihr auf-
genommene Erwähnung des Hildeboldsdomes sei älter als das 14. Jahr-
hundert. Eben so wenig können die annäles Navensienses eine frühere
Zeit der Sage begründen. Was endlich die Schenkung »des ehemaligen
Königs Ludwig an die Peterskirche zu Köln« in einer Urkunde Ottos H.
soll, habe ich erst aus Ennens »Historischer Beschreibung« S. 4 er-
sehen. Er ist nämlich »geneigt anzunehments unter diesem Ludwig sei
der Nachfolger Karls des Grrossen zu verstehen, der damit Hildebold
»bei seinem grossen Werke des Dombaues« habe unterstützen wollen,
während nach ^em ganzen Zusammenhange nur der nächste Ludwig,
Ludwig der Deutsche, gemeint sein kann, und die Urkunde selbst
zeigt, dass damit nicht der Dombau unterstützt werden sollte, was
sonst ohne Zweifel erwähnt sein würde. Mit solchen ganz unwahr-
scheinlichen Annahmen kann man eben nichts stützen.
Eine Nachricht, welche erst volle fünfhundert Jahre später auf-
taucht, dazu aus der Eitelkeit eines Stifts geflossen scheint, das sein
Alter gern über das des Domes heraufrücken möchte, hat keine Ge-
währ für so alte Zeiten, besonders wenn ihr unzweifelhafte Thatsachen
gegenüberstehen, deren Widerspruch mau nur durch haltlose Annah-
men beseitigen kann. Ennen hat dazu die Entdeckungen an der Ost-
seite des Doms in einer mit den Thatsachen nicht zu vereinigenden
Weise benutzt. Neucrdin^ (Historische Einleitung S. 2) meint er,
die Zerstörung des Daches der Cäcilienkirche habe wohl den Bischof
zum Entschlüsse veranlasst, an der nordöstlichen Ecke der Stadt eine
andere Kathedrale zu erbauen, was unter den Merovingern geschehen
sein müsse. Nun aber weist, wie wir gesehen, dieser Brand nach dem
wenigen, was wir davon wissen, erst auf die Zeit Brunos hin. Diese
^merovingische Kathedrale soll »niedergelegt worden sein, als Hildebold
sich entschloss, eine des Erzbischofstuhles würdige Domkirche zu er-
richten« (S. 2 f.), aber gleich darauf (S. 4) wird angenommen, die
alte Kirche habe noch so lange in Gebrauch bleiben sollen, bis die
neue fertig sein würde. Dabei kommt denn die »Tradition« von Hil-
debolds Verlegung der Kathedralkirche sehr zu kurz. Solcher Mittel
n
■■*■ ^
Reste römischer und mitielalterlioher Bauten am Dom zu Köln. 221
muss man sich bedienen, um am Hildeboldsdome festzuhalten. Wie
sich schwammartig an diese Sage andere Erdichtungen ansetzten, habe
ich a. a. 0. S. 103 ff. gezeigt. Ich muss wiederholen, was ich vor
Jahren bemerkte : »Man staunt, sieht man, wie es mit der Begründung
dieser von Niemand in Zweifel gezogenen Behauptung steht, wie man
in leichtfertigster Weise Geschichte gemacht hat.« Ja man fährt leider
damit fort.
Aehnlich steht es mit meiner von Ennen gleichfalls bekämpften
Ansicht über die Marienkirche, das monasterium novum. Treten wir
der Sache näher. Gäsarius von Heisterbach ist der erste, bei welchem
die Kirche den Zusatz in Capüolio hat, und so findet er sich auch in
Schreinsurkunden aus den Jahren 1283 und 1234. Dass die Schreins-
schreiber den Namen in Capitolio aus Gäsarius genommen, ist von
mir natürlich ebenso wenig behauptet worden, als dass gerade dieser
den Namen erfunden. )>Es scheint mir sehr gewagt behaupten zu wol-
len, die Bezeichnung in Capitolio bemhe auf einer wHlkürlichen An-
nahme; natürlicher scheint es mir, dass im dreizehnten Jahrhundert
noch die Tradition von dem Bestand des Capitols an der fraglichen
Stelle beliebt war, und dass man der dortigen Kirche hin und wieder
neben den andern Beinamen auch den Zusatz in Capitolio gab.« So
Ennen. Aber mit solchem »Scheinen« und mit solcher »Natürlichkeit«
werden eben keine thatsächlichen , Gründe weggeschafft, wie ich sie
trotz des Ableugnens von Ennens Seite beigebracht habe. Mit seiner
»sechshundertjährigen Tradition« hat es gute Wege und ob ich keine
»positiven Gründe« gegen dieselbe geliefert, kann ich dem Urtheile
jedes Kundigen anheimstellen. Ich hatte mich auf den von mir H. XXVII,
19 ff. gelieferten Beweis berufen, dass sich römische Spuren in deut-
schen Namen nur in Städtenamen, nie in anderen Oertlichkeiten er-
halten haben. Hier musste Ennen zuerst seine Lanze einlegen. Weiter
hatte ich darauf hingewiesen, dass an keinem Orte der ehemaligen
römischen Weltherrschaft als in Rom selbst sich eine sichere Kunde
von der Lage ihres Gapitolium erhalten, man aber schon im zwölften
Jahrhundert an mehreren Orten begonnen habe, gewissen Kirchen
eine ganz besondere Ehre durch den Anspruch zu erweisen, sie stän-
den auf der Stelle des Capitolium. So war es in Florenz, so in Trier.
An letzterm Orte verlegte das Mittelalter das Gapitolium auf die Stelle
der Kirche Maria ad martyres oder, wie sie früher heisst, Maria in
ripa, ecclesia Mariae super lUus Mosdlae. Dagegen hat neuerdings
Ladner in den »Mittheilungen der Gesellschaft für nützliche Forschun-
TTTl^- ^
222 Reste römisoher and mittelalterlicher Bauten am Dom zn Köln,
gen in Trieru 1869—1871 S. 72 fF., in üebereinstiramung mit B^rower
und Masen, es an der Stelle der grossen Ruine nachzuweisen gesucht,
welche Kyriander als iemplum summum bezeichnete. Und warum soUte
es in Köln mit dem so ^ spät sich findenden Beinamen der Kirche Jtfa-.
ria (Uta anders sein? Erkennt doch Ennen selbst, dass der bei CSäsa-
rius und in Schreinsurkunden sich findende Name porta Mortis durch-
aus haltlos sei, eine Verromanisirung von Marktpforte; und mit
dem gleichzeitigen Zusätze in CapitoUo soll es anders, es soll natür-
licher sein, dass wir hier eine alte Erinnerung haben! -Seine Bemer-
kungen gegen meine Ansicht über die Namen Maria de AUbuchele,
Maria in (super) Mdlabuchel (S. 304) treffen nicht zu; ich habe meine
Vermuthung mit aller möglichen Vorsicht gegeben, einer grossem,
als meiner eigenen Ueberzeugung gemäss war. Dass ich die Malz-
mühle mit dem Strassennamen in Verbindung bringe, ist in der Sache
gegründet, und ich kann nicht sehen, wie dies dadurch widerlegt würde,
dass die Malzmühle erst im fünfzehnten Jahrhundert sich findet; denn
die Mühle ist natürlich von der Strasse benannt, nicht umgekehrt.
Wenn aber bemerkt wird: v'Der Name Malzbüchel — bezeichnet
einfach die aus dem alteu Stadtgraben aufgehende Strassenhöhe, die
zum Malzmarkte führt«, so habeich mich vergebens sowohl in Ennens
»Geschichte« wie in seinen »Quellen« nach diesem sonderbaren Malz -
markte umgesehen, dessen Dasein ich einstweilen zu bezweifeln mir
erlaube. Ennens Berufung auf die Latinisirung bracicumülfAS beweist
eben nichts, da er selbst bestimmt genug anerkannt hat (I, 670 f«),
wie es mit dieser Latinisirung bestellt ist.
Darin gebe ich freilich Ennen (S. 302 f.) entschieden Recht, dass
ich nicht aus der Urkunde Lothars vom Jahre 867 schliessen durfte,
damals habe das Marienstift noch nicht bestanden^). Er bemerkt,
Lothar scheine bloss die ausserhalb der Stadt liegenden Kirchen mit
Namen haben anführen zu wollen, wobei er sich auf die Nichterwäh-
nung von Martin und Andreas beruft, ohne zu bedenken^ dass diese
sich damals noch extra muros befanden, und es von Andreas noch
sehr zweifelhaft ist, ob nicht erst Wilbert dort an der Stelle eines
alten Kapellchens eine Kirche gebaut. Aber dies scheint nicht bloss,
sondern Lothar hatte keine Veranlassung, die Kirchen innerhalb der
^) Einen andern Irrthum hat Dümmler >Qe8ohichte des ostfr&nkisclien
Reiches« II, 681 Anm. 58 in Bezug aaf dieselbe Urkunde begangen, wenn er
das bonner Cassius- und das xantener Victorstifb nach Köln verlegt.
Reste römischer und mittelalterlicher Bauten am Dom zn Köln. 223
Stadt (ymfra ipsam emtatem 0 ) hinter der allgemeinen Bezeichnung na-
mentlich aufzuzählen. Dafür, dass die Marienkirche schon unter Otto II.
bestanden, bedurfte es nicht des von Ennen gegebenen Nachweises,
da diese ja schon im letzten Willen Brunos erwähnt wird, wie er selbst
I, 253 bemerkt hat, während er freilich im Register zu den Urkunden
die Stelle sonderbar auf Maria ad gradus bezogen bat. Mein Beweis
gegen die Richtigkeit der Bezeichnung in CapUolio und die Gründung
der Kirche durch Plectrudis verlieit durch den Wegfall jenes Zeug-
nisses keine wesentliche Stütze. Herr Geh. Regierungsrath von Quast
bemerkt Jahrb. L. LI, 134 Anm. ^), sichere Beweise für das höhere
Alter der Kirche gebe es nicht, aber auch der positive Beweis für
eine spätere Zeit der Stiftung sei mir nicht gelungen. Damit ist zu-
gestanden, dass die Angaben über die Plectrudiskirche keine ge-
schichtliche Gewähr haben; ob er meine Verwerfung der Sage von
Plectrudis für begründet halte, bemerkt er nicht. Das älteste bestimmte
Zeugniss bleibt die Schenkung im letzten Willen Brunos vom Jahre 965
monasterio (sanctae Mariae) et claustro perßciendo, neben welcher in
der schon angeführten drei Jahre altem ^Urkunde Brunos die Bezeich-
nung des numasterium sanctae Caecüiae qmd cognominatur vetus intra
muras insofern in Betracht kommt, als dieselbe auf ein navurn mona-
sterium intra muros deutet, als welches eben das Marienstift gelten
muss. Die Einweihung der jetzigen Kirche fällt, wie von Quast nach-
gewiesen hat, in das Jahr 1049, und derselbe ist geneigt, nach der
Bauart eine noch spätere Vollendung der Kirche anzunehmen. Aus
diesem Neubau in der Mitte des elften Jahrhunderts würde man aber
mit Unrecht schliessen, der Bau des zehnten sei nur eine Wiederher-
stellung eines altern gewesen. Von der Geschichte der kölnischen
Kirchen in dieser Zeit sind wir ausserordentlich mangelhaft, nur durch
einzelne urkundliche Berichte üper Schenkungen und Weihungen, nicht
Yon den Schicksalen, die sie trafen, unterrichtet. Die neue Kirche
konnte leicht durch Feuer oder einen sonstigen Unfall gelitten und
man die Wiederherstellung zugleich zu einer Erweiterung benutzt
') In Jßezug auf tn/ra» das ioh nicht für einen der vielen Druckfehler
jenes Bandes der »Quellenc hätte halten dürfen, hat Ennen gegen mich Recht.
') Ich halte es für meine Pflicht, hier zu erklären, dass ich in Bezug auf
die Pfaffenpforte (daselbst S. 136} ihn missverstanden hatte, wogegen er mir gestehen
wird, dass ihm die Stelle aus dem letzten Willen Brunos unbekannt war, die
Ar die Baagesohichte der Kirche von Wichtigkeit ist.
224 Rette römischer und mittelalterlicher Bauten am Dom zu Köln.
haben. Ennen geht auf meine Gründe gegen die Plectrudissage nicht
ein, sondern hält sich daran, dass diese in der Kirche begraben liege,
was den entschiedenen Beweis liefere, zur Zeit ihres Todes habe dort
schon eine Kirche gestanden. Aber worauf beruht denn die Sage,
dass Plectrudis in der Kirche begraben liegt ? Theodor Breisig hat in der
Schrift, )>Die Zeit Karl Martells« S. 5 ff. ^ber Plectrudis und Chalpaida,
um die auch ein Sagenkreis sich gebildet, eingehend gehandelt und
auch der spätem Sage der Wiederverheiratung der Plectrudis gedacht.
S. 28 bemerkt er, über ihre spätere Stellung und ihr Verbleiben sei
nichts bekannt! Ich habe schon nach Boisser^e darauf gedeutet, dass
sie wohl nach der durch Karl Martell ihr abgenöthigten Yerzichtung
in ihre Heimat Baiern sich zurückzog, wo wir die regina Plectrudis
als Stifterin von St. Stephan zu Passau finden. Dass sie den Wunsch
geäussert, in Köln begraben zu werden, davon wird nichts berichtet,
und ein solcher Wunsch wäre auch damals wohl schwer zu erfüllen
gewesen. Freilich wusste man später in Köln, dass sie an diesem Orte,
der ihr unter Karl Martells Herrschaft äusserst verhasst sein musste,
in das Stift gegangen und dort gestorben sei. Selbst die sich einander
widersprechenden Inschriften in der Kirche sagen nicht, dass sie dort
begraben sei; die eine feiert sie allein, die andere mit Pipin. Gegen
Boisser6es Vermuthung, das mit der eiq^n Inschrift versehene Bild
der Plectrudis habe früher auf ihrem Grabe gelegen, zeugt die Inschrift,
die nicht auf ein Grab deutet, sondern auf das Bild der Stifterin,
von welcher das Wort gilt: Domine, düexi decorem domus tuae. Man
müsste den Stiftspatriotismus, den wir schön oben bei Cäcilien er-
wähnten, und die mittelalterliche legenden- und Dichtungssucht nicht
kennen, um es unglaublich zu finden, dass irgend, nachdem erst, um
das novum monastermn hinter dem väus nicht zu sehr zurücktreten
zu lassen, die Kirche als eine Stiftung von Pipin und Plectrudis, dann
als eine Schenkung der letzteren allein bezeichnet worden war, man
endlich mit dem Ansprüche auftrat, die Stifterin sei in der Kirche be-
graben. Boisser^e^ der auch keinen rechten Glauben an die Grabstätte
der Plectrudis hat, setzt die betreffenden Bilder ins zehnte oder elfte
Jahrhundert. Erst nach dem Neubau wird man den Anspruch erhoben
haben, das Grab der Stifterin zu besitzen, deren Todesjahr man nicht
> einmal wusste, doch feierte man ihr Andenken am 11. August. Gern
hätte man sie zu einer Heiligen erhoben, und so feiert sie Gelen als
Diva^ doch dazu fehlte es zu sehr an einer irgend erwähnenswerthen
Ueberlieferung; Hie Bollandisten verweigerten ihr die Aufoahme in ihr
Reste römiBoher und mittelalterliohei* Bauten am Dom tu Köln. 225
grosses Werk, was sie dort ausführlich begründen. Wann ihr Grab-
mal, früher im Mittelschiff der Kirche, errichtet worden, wissen wir
nicht; die Kirche besitzt auch ein Grabmal der hier begrabenen Aeb-
tissin Ida. Was Ennen gegen meine Behauptung, der Wechsel der
Bürgermeister sei in der Marienkirche erfolgt, aufz^jbringen meint, er-
ledigt sich dadurch, dass ich* mich auf Boisser^e als Augenzeugen be-
rufen habe, und mich nicht dazu verstehen kann, diesem ehrenwerthen
Zeugen leichtfertig den Glauben zu versagen.
Für meine Annahme, das Kapitol habe auf dem Platze des Doms
gestanden, hatte ich auch den Umstand angeführt, dass der Dom-
hügel der höchste Punkt der Stadt an der Rheinseite sei. Wenn ich
von einem Domhügel sprach, so that ich das mit allen meinen Vor-
gängern und Ennen selbst, der I, 88 der drei Hügel gedenkt, »welche
sich in sanfter Steigung über das städtische Terrain erhoben«. Jetzt
ist freilich erwiesen, dass der Hügel um den Dom nur von einer spä-
tem Aufschüttung herrührt ; die Fundamente des Doms gehen bis
unter das Rheinbett. Ennen belehrt uns jetzt über die Bodenverhält-
nisse des römischen Köln also: »Das jetzige Domterritorium lag um
14 Fuss tiefer als die Mariengartengasse, 6 Fuss tiefer als St. Peter,
2 Fuss tiefer als das Griechenthor, 3 Fuss tiefer als die Ruhr^ 6 Fuss
tiefer als die Herzogstrasse, 7 Fuss tiefer als der Neumarkt und 4
Fuss tiefer als die Pipinstrasse.« Wir wären ihm sehr dankbar, wenn
er dies eben so thatsächlich erwiese, wie er es zuversichtlich hinstellt;
bis dahin erlauben wir uns die volle Richtigkeit dieser Angaben zu
bezweifeln. Die einzelnen Fundberichte, auf denen eine solche Bestim-
mung allein beruhen kann, sind meist nicht zuverlässig genug, und
auch die Schlüsse daraus nicht überall sicher. Jedenfalls wäre eine
gesichtete Zusammenstellung dieser Art höchst willkommen. Wenn
Ennen meiner Bemerkung über die Höhe des Berlich (S. 99) entgegen-
hält, der Berlich sei nicht der höchste Punkt der Stadt gewesen, so
hätte er nicht übersehen sollen, dass ich unter dem Berlich nicht
die jetzt sogenannte Strasse, sondern, wie nicht zu verkennen war,
den früher sogenannten Stadttheil verstehe, wovon ich Jahrb. XX,
22 f. 29 gesprochen habe. Eine Steigung des Terrains am Dome von
38 bis 46 Fuss gesteht Ennen selbst zu. Wie das Yerhältniss des
Bodens am jetzigen Dom zur ältesten Römerzeit gewesen, weiss ich
nicht ; wie viel mag sich dort bis zur Fundamentirung unseres jetzigen
Doms umgestaltet haben I Glücklicherweise sind wir über den Boden
zur ältesten Römerzeit an der Stelle, wo die neuen Ausgrabungen die
15
226 Reste romischer und mittelalterlicher Bauten am Dom zu Köln.
Beste zweier römischen Häuser zu Tage gefördert haben, jetzt unter*
richtet, und wir wissen auch, dass die Thürschwellc des Mauerthur-
mes a nur 1 ' 3 " über der heutigen Trankgasse liegt. Zur Anlage
des Capitoliums war der Platz, wo jetzt der Dom liegt, jedenfalls sehr
geeignet; denn er war einer der höchsten Punkte der Stadt und ge-
währte, da das Terrain bis zum Bheinbette bedeutend abstieg, einen
weiten Blick über den Fluss und in das gegenüberliegende Land.
Gebe ich auch jetzt zu, dass der Ort, wo die Marienkirche sich
den Namen des Capitoliums erworben hat, dazu ebenso geeignet ge-
wesen wäre, so berechtigte mich, zur Annahme des Capitoliums an
dieser Stelle der Nachweis, dass hier die älteste bischöfliche Kirche
stand; da man solche an Orten, wo bedeutende römische Tempel stan-
den, anzulegen, ja selbst diese in christliche Kirchen zu verwandeln
liebte, und die von mir erwiesene Wahrscheinlichkeit, dass der Dom-
hof das römische Forum war ; denn auch zu Bom, nach welchem sich
die Städte in den Provinzen richteten, lag das Forum neben dem
Capüolium. Wollte man, wie in Bom, auch zu Köln, den Campus
Martius in der Nähe des Forum annehmen, so würde dieser zwischen
dem Gapitolium und dem römischen Nordthore, dem sogenannten Pfaf-
fenthor, gelegen haben, und vor diesem, wenn wir Vitruv I, 7, 1 fol-
gen, der Tempel des Mars, freilich nicht das delubrum Mortis, in wel-
chem zu Vitellitts' Zeit das Schwert des Julius Cäsar sich befand. Der
Tempel des Mercur, dessen Weihestein uns erhalten ist, wird sich an
oder auf dem Forum befunden haben, nach der Vorschrift desselben
Vitruv : Mercurio in foro (area distribucUur) aut etiam^ ut Mdi et Se-
rapij in emporio. Auf dem der Ostseite des Doms gegenüber liegenden
Frankenplatze sind im Juni 1858 bei den Grundarbeiten zum Brücken-
bau und zehn Jahre früher beim Wegräumen des Erdhügels daselbst
Beste von grossen Gebäuden, Beliefs und ein Weihestein der Diana
aus dem Anfange des zweiten Jahrhunderts gefunden worden ^).
Was endlich die römische Mauer betrifft, so sind nach Ennen
(I, 82) »die Beste der Nordostecke 1859 bei Planirung des breiten
Weges von dem Domhofe nach der Trankgasse weggesprengt worden.«
Wo dieselbe geendet haben müsse, lässt sich ungefähr durch die gleiche
Entfernung der Mauerthürme von einander bestimmen, da Thurm d
von Thurm b doppelt so weit entfernt ist, als Thurm b von Thurm a,
wonach das Pfaflfenthor nicht genau an derselben Stelle aufgebaut
1) Vgl. den Maseumskatalog B, 7* 15. 37. 148. 159. 162. 218.
Reste römischer und mittelalterlioher Bauten am Dom zu Köln. 227
war, an welcher das alte Römerthor stand. Der nordöstliche Eckthurm
muss über 290 ' vom Thurme a entfernt gelegen haben. Nach Ennen
(I, 83) beträgt die Strecke von dem Thurme auf der Burgmauer bis
zum nordwestlichen Eckthurm 119 Ruthen, wonach zwischen di&sen
beiden Thürmen noch vier gestanden haben würden. Sehr wichtig
wäre die genauere Untersuchung aller noch vorhandenen Thürmc der
römischen Mauer und ihrer Entfernung von einander; an der West-
seite hat sich noch eine Reihe von Thürmen erhalten, von denen einer
in einem Hause der Helenenstrasse eingebaut ist. Ob von dem soge-
nannten Röraerthurme an der Zeughausstrasse der drohende Abbruch
abgewandt werden Wird, ist, so viel ich weiss, noch unentschieden.
Wäre er unrettbar verloren, so würde jedenfalls die genaueste Auf-
nahme vor seinem Ende zu wünschen sein. Höchst wichtig ist bei
unserm Thurm a die Entdeckung der ganzen Thüre bis zur Schwelle
und der aus Gussmauerwerk gebildeten Decke des untern Gemaches.
Die Thurme zeigten ähnliche Streifen von verschiedenen Farben und
Formen, wie der nordwestliche Thurm. Nach von Quast (Jahrb. X,
191 f.) kann nicht sicher entschieden werden, ob diese Bauweise der
letzten römischen oder der ersten merovingischen Zeit angehört. Ennen
behauptet (I, 82), der ältere Theil der Mauer und Thurme gehöre zwei
verschiedenen Zeiten an, und er setzt den erstem in das erste christ-
liche Jahrhundert, den zweiten unter Julian. Der neuentdeckte Thurm
besteht keineswegs aus zwei zu verschiedenen Zeiten gebauten Stücken.
Die Franken scheinen zu Julians Zeiten die Mauern der Stadt zerstört
zu haben, so dass nur Trümmer derselben übrig blieben. Ammian
spricht von der Zerstörung Kölns (XVI, 3, 1), die wir uns sehr stark
denken müssen, da diese so gehaust hatten, dass am ganzen Rheine
nicht einmal ein castdlum erhalten war, nur Rigamagum bei Con-
fluentes und ein Thurm bei Köln. Wenn er weiter sagt, Julian habe
Köln nicht eher verlassen, qtiam pacctn ßmiaret reipuhlicae inierim
profuturam et urbem redperet munitissimam, so könnte man tM-bem
redpere munitissimam in dem Sinne nehmen wollen, die Stadt stark
befestigt wiederherstellen, weil die Bedeutung wiederge-
winnen, welche recipere gewöhnlich in der Verbindung mit urbem
hat, nicht passe, da ja gesagt werden solle, was er gethan, ehe er die
von ihm betretene Stadt {Ägrippinam ingressus) verlassen. Aber das
recipere scheint hier das dauernde Wiedergewinnen in Folge des
Friedens bezeichnen zu sollen. Jedeflfalls musste die Stadt neu
befestigt oder wenigstens diese Befestigung an den bedeutendsten Stel-
228 Beate römiioher und ]
leo wieder beigestellt word
begonnene Befestigimg «ur
Auf eine nicht frühere Zeit
Bchrift des römischen Tbo
Wahracbeiolich litt die dc
die Hunnen, dann durch die
immer möglichst bergesteli
Mauer bestand, wie die Er:
9. Epigraphi8che Miitheiiungen aus Cleve.
t. Die Turck'Bche Chronik.
Brambach spricht im C. I. R. p. 351 von einer verlorenen CShronik :
Turcii bistorla duc Jul. Cliv. Mont., in welcher sich Abschriften
römischer Inschriften befänden. Er bemerkt darüber: Magni, opinor,
pretii foret, Turcii liber si reperiretur, quem ego in bibliotheca Trevero-
rum latere sospicatus in catalogo vetere Jesuitarum memoratum rep-
peri; sed nee in recentiore indice inveniebatur, nee omnino in biblio-
theca, teste quidem Schoemanno, indagari potuit.
Wie es sich mit jenem Exemplar der Trierer Bibliothek verhält,
lasse ich auf sich beruhen, freue mich aber mittheilen zu können, dass
ein Exemplar dieser Chronik, und zwar wohl ohne Zweifel die Original-
handschrift des Verfassers sich in Cleve, dem Wohnorte Turcks, er-
halten hat und seit 1857 der auf dem Rothhause befindlichen Stadt-
bibliothek angehört. Der durch die Freytag'schen Bilder aus der
deutschen Vergangenheit auch in weiteren Kreisen bekannte WirkL
Geh. Rath und Präsident des Cassationshofes Sethe in Berlin vermachte
nämlich seiner Vaterstadt Cleve eine vermuthlich von ihm schon
während seines Aufenthaltes in derselben^) angelegte SammlAng von
Handschriften, Urkunden und älteren Dpickschriften, die sich auf die
Geschichte und die Rechtsalterthümer des Herzogthums Cleve, sowie
der mit ihm verbundenen Territorien beziehen. No. 1 nun dieser bis-
her noch fast gar nicht wissenschaftlich ausgebeuteten Sammlung ist
eine Octavpapierhandschrift von 328 Blättern, die auf dem äusseren
Umschlag mit dem Namen: „Sethe" bezeichnet ist. Der älteste Theil
*) Ein Band von Gollectaneon bezeichnen die Jahre 1796 und 1797 als
Zeit der Sammlang.
230 Epig^raphische Mittheilungeu aus Cleve.
dieser Handschrift wird gebildet von der märkisch-clevischen Chronik
des Gert van der Schuiren, die von Tross nach jüngeren Handschriften
(Hamm 1824) herausgegeben ist. Es ist jedenfalls die Originalhand-
schrift des Verfassers, die wir hier vor uns haben, wie unter Anderm
daraus hervorgeht, dass es in der Dedikation ursprünglich nur hiess: Gert
uwer gnaden huusgcsinde und dass die für den Herzog überflüssigen
specielleren Bezeichnungen van der Schuiren und Secretarius erst nach-
träglich zugeschrieben sind. Ueber dem mit dem clevischen und
märkischen Wappen verzierten Initial steht die Jahreszahl A^lxxi
d. h. (14)71; rechts daneben von jüngerer Hand: Libcr Illmi D. Ducis
et Cancellariae Clivensis.
Die Chronik endigt auf der Vorderseite des 130. Blattes mit den
Worten: want soe hedden sy des speels eyn eynde gehat. *) Sodann
folgt die subscriptio von späterer Hand:
Hucusque Gerardus vän der Schujren Secretarjus Ducum
Adolphi* et Joannis. Qui morte praeuentus sie vidctur desijsse.
Vixit tarnen adhuc Ao. 1488. 1489.
Die folgende Seite von fol. 130 enthält sodann folgenden Titel
für die auf fol. 131 folgende Fortsetzung:
' > Supplementum
Chronicae praecedentjs ex Registris alijsque penes Concellarjam
Cliviensem asseruatis scriptis obiter collectum per L*. Turck:
SecrT et ßg. Cjrca Annum Dnj 1607. Completum usque ad
obitum Illmj Principis D. Jois Wilhelmj Ducis Clivjae Juljae.
Diese Fortsetzung schliest auf fol. 299, nachdem die Erzählung
bis zum Aussterben des herzoglichen Hauses fortgeführt ist. Nach
dem Amen des eigentlichen Schlusses folgt noch eine Notiz über die
überlebende Wittwe des letzten Herzogs und deren Tod, der nach
Teschenmacher am 18. August 1610 erfolgte.
Joh. Turck hat nun aber nicht allein eine iFoitsetzung der
Schuiren'schen Chronik geschrieben, sondern auch eine Vorgeschichte
zu derselben. Diese ist flnzweifelhaft von gleicher Hand wie die
Fortsetzung auf 20 nicht paginirten Blättern geschrieben und der
Schuiren'schen Chronik vorgeheftet. Sie trägt die üeberschrift : De
antiqua Clivjae origine et de rebus in his partibus eis: et trans Rhena-
nis post djvjsjonem Orbis a Cymbris Galljs et Romanis vsqj ad tempora
magnj urj Eljae prjmj Cljvensjum Comitis gestis summarja quaedam
narratjo. Dieser üeberschrift entsprechend beginnt die Vorgeschichte
] ') Das schliessende Amen, das Tross noch folgen lässt, fehlt.
%
*
Epigraphische Miitbeiluogen aus Clove. 231
mit Noe und schliesst mit Elias Grail, mit dem Schuiren die devische
Chrouik beginnt.
Bemerkenswerth ist noch folgender der Handschrift vorgehefteter
Zettel: »Dis Buch ist mir vff vielfaltig erfordern, Von M. Werner
Teschemachern am 25 octobris 1633 Vormiddag geliefert, welcher
dabei referirt, das ihm dasselbe Johannis Turcken Sohn Henricus
Turck Ganonicus zu Cranenburg gelehnt habe.u Unter dieser Notiz
scheint ein Name gestanden zu haben, der aber ausradirt ist, so dass
eine weitere Verfolgung der Schicksale der Handschrift nicht möglich
ist. Teschenmacher hat dieselbe vielfach benutzt; er citirt sie jedoch
im Syllabus auctorum nicht, wohl aber die Fortsetzung, die Joannes
Turcus, Gochensis, Secretarius et Registrator Clivensis zur Lower-
mannschen Fortsetzung der Schuirenschen Chronik lieferte, und die
erst mit dem Jahre 1590 begann. Dagegen sagt der spätere Heraus-
geber Teschenmachers Dithmar ausdrückhch:
Quod ex ejus (Lowermanni) aliorumque Scriptis Joliannes Turckius
confecit Supplementum Chronici Schurenii quoque possidemus. Die
zahlreichen Gitate aus diesem Supplementum beweisen, dass er das
Supplement der Setheschen Handschrift meint; ob er indessen diese
selbst oder eine Copie derselben benutzt hat, wird sich schwerlich
entscheiden lassen; unbedeutende sprachliche und orthographische Ab-
weichungen kommen in den wörtlichen Citaten allerdings vor^ können
jedoch ebenso gut dem Citator wie einem Abschreiber zugeschrieben
werden.
Diese Chronik hat nun, wie Brambach richtig vermuthete, einen
nicht unerheblichen Werth für die rheinische Epigraphik. Es beruht
derselbe vor Allem darauf, dass Turck in der Vorgeschichte zur
Schuirenschen Chronik genaue Zeichnungen . von 13 Steinen liefert, die
bis auf 2 jetzt vedoren sind. Nachdem er nämlich über die Varus»
Schlacht unter Berufung auf Lipsius comment ad Tacitum berichtet,
fährt er auf Fol. 4 seiner Vorgeschichte fort:
Dese yorgevürte Nederlag der Romeinern hatt den Keyser Augu-
stum hoch bekümmert vnd vmb der Deutschen auerfall to begegnen
die CASTRA VETERA oder Aldeburg bei Santen (dauon die Funda-
menta jm feldt noch gesehen werden) also befestiget, dat euer die
twee Legionen dat sein XHImCCCXXXH *) bewerther Krigsleuth darin
leggen kunnen, auch aldair auer Rhin ein Brügg vnd opt höchst van
^) Als Starke der Legion wird also die Zahl 6666 angenommen.
L
2S2 Epigraphische Mittheilungen aus Geve.
dem Bergh (dair dat Cloister furstenberg vmbtrint dat Jahr CHRISTI
1122. gebauwet vnd von S. Noriberto Epö Magdenborgensj in honorem
patrjae dotirt ist), ein groet Praetorjum oder Pallas getimmert als
ouk dat Läger leg an: vnd vnter Monderberg sich ertreckt. Inmaten
die Romeiner an diesen ortten mit starken guarnisonen vnd Kreigsvolck
sich statig gehalten, wie die aide gebauw jn der erden, golde vnd
Silbere Pfenningen, heidensche bilder^ Altaren vnd dero Inscriptiones,
lampen, GrsJstein^ Urnae, Tichellstein, darin die Romische Legiones
jngedruckt stain, Vtensilja domus. vnd andere Antiquiteten so aldair
jn groeter mennigte gefunden sein vnd taglichs mehr vnd mehr ge-
funden werden, solchs genugsamb vthweisen, daruan ouk allnoch eine
schöne Vma van xxviil colhiischer maten vp dat fürstliche huys
Cleve, vnd ander stucken fürhanden.
Auf Fol. V, VI und VII folgen sodann ausgeführte Tuschzeich-
nungen, und zwar zunächst jener Urne, einer Amphora mit Spitze
zum Feststellen gewöhnlicher Form, sodann von folgenden Steinen
mit Inschriften: Fol. Va: C. I. Rh. i. spur. 19; 219. Vb: (209) Fol.
Via: 202, 201, 1970, 1969. Fol. VIb i. sp. 11: 1968a; 218; 1968;
212; inscr. ined. Fol. VII a: 151.
Wir werden die Beschreibung dieser Zeichnungen am passendsten
beginnen mit den beiden, deren Originale noch vorhanden sind, da
sich so am leichtesten ein Urtheil über die fides Turcks wird gewinnen
lassen. Es sind die Inschriften G. I. R. 251 und 202 ; beide befinden
sich jetzt in der Sammlung der bonner Universität und sind auf der
westlichen Seite des Cabinets eingemauert. Wir stellen Brambachs
Lesungen derselben neben die Turcks.
■^
Epigraphieohe Mittheilungen aus Cleve. 233
151. Brambacb.
IN H D/b PRO
S ALVTEj/iMP • SEVERI
ALE >y^N D I R I • A V C • DEo
APO^LINIDYSPROLV S
OyC Q • D E • M I L I TES LEG
XXX- VVP F SVB- CVRA
ACENTTFAPRI-COM
MODIAN • LEG • AVG • P • P • ET
CA AN VTMODEST LEG
LEG • SEPT M VCATRA
IMAG ETSEPTCALLVS
ETSEPT- MVCATRA- ET
SEPT-DEOSPOR-ETSEPT
SAM MVST- SEPT- MCAT^A
CANDIDATIV- S • L • M
MAXIMO- tET-AELlANO
~ COS
Turck.
I N H • D D - PRO
SALV TE IMP SEVERI
ALEXANDIRI • AVG DEo •
APOLLINI • DVSEROLVS
OIODfe - MILITES - LEG
XXX - V • V - E - SVB - CVRA -
AGENT • T • E • APRI • COM
MODIAN • LEG - AVG • P • P-T
CAAV Vt • MODESi LEG
LEG - SEPT MVCATRA •
EMAG • ET • SEPT • CALLVS -
ET - SEPT • MVCATRA • ET
SEPT • DEOSPOR • ET SEPT
SAMMV^Sl SEPT - I^CAM •
CANDIDATI • V • S ♦ L • M •
MAXIMO • II ♦ liELIANO
COS
L
234 EpigrapbiBche Mittheilangen aaa Cleve. 4^
Die Vergleichung dfeser beiden Lesungen und des Originals er-
gibt folgendes Resultat.
Z. 1. Die Stellung der einzelnen Buchstaben, insbesondere der
grosse Zwischenraum zwischen D und PRO ist bei Turck ganz genau
mit dem Original übereinstimmend; der bei Brambach fehlende, bei
Turck stehende Punkt nach dem 2. D ist unzweifelhaft im Original
vorbanden.
Z. 2. Da die obere linke Ecke jetzt dem Steine fehlt, lässt sich
nicht constatiren, ob der Punkt, den Turck fälschlich nach Y hat^
durch den Zustand des Originals indicirt war.
Z. 3. Brambach hat mit Recht nach AVG einen Punkt gesetzt;
dagegen lässt das Original am Schlüsse dieser wie der übrigen Zeilen
den Punkt, den Turck fast überall angibt, nicht erkennen. Da aber
die Kante des Steins gelitten hat, so ist es durchaus möglich, dass
diese Punkte früher vorhanden waren. Dass derselbe in dieser Be-
ziehung keineswegs ganz willkürlich verfuhr, geht insbesondere daraus
hervor, dass Z. 4 der Punkt fehlt, trotzdem er jedenfalls nicht ge-
sehen hat, dass hier nach dem S kein Wortschluss ist.
Z. 4 stimmt Brambachs Lesung mit dem Original überein, nur
habe ich den Punkt nach DYS nicht constatiren können. Hier hat
also Turck fälschlich £ an Stelle des P im Original. Dieser Fehler
erklärt sich jedoch sehr leicht; der untere Ansatz des P ist nämlich
im Original etwas breit gerathen, wie dies auch sonst auf dieser In-
schrift mehrfach vorkommt, so dass der Buchstabe etwa folgende Ge-
stalt hat: P und von einem den Sinn der ausserordentlich schwierigen
Inschrift nicht verstehenden Leser leicht für ein E gehalten werden
konnte. In der Punktirung nach RO und LY hat Br. unbedingt Recht.
Z. 5. Der Stein, soweit er erhalten, bestätigt Brambachs Lesart;
Turck hat also die unteren wagerechte Striche des L und Q ausge-
lassen, ein Fehler, der ebenfalls durch die zu Z. 4 bemerkte Eigen-
thümlichkeit der unteren Buchstäbenansätze leichter erklärlich wird.
Der Punkt nach Q ist von Brambach richtig angegeben.
Z. 6. Auch hier hat das F im Original einen bedeutenden An-
satz, der Turcks E erklärt.
Z. 8. Turck hat hier die Ligatur ^t übersehen und statt ET
fälschlich die Ligatur J angegeben.
Z. 9. Original : "ELEG : daher beruht Turcks Lesart auf einer
Yerwechselung des sehr nahe gerückten Punktes mit dem mittlem
Apex eines E.
Epigraphische Mittbeiluhgen aus Cleve. 285
Z. 11. Das Original hat nach dem ersten I einen zufälligen Punkt,
so dass das I folgende Gestalt hat: L und Turcks Lesart E nicht
sehr fem liegt.
Z. 14. Br. : ^ mit der Bemerkung: a sinistra parte punctum
cum "E coaluit; Turck: 3" ; Original £, d. h. Punkt und dann Liga-
tur von "E mit starkem Ansatz nach links.
Z. 16. Original: OTE'T'AE. Turck erkannte ganz richtig, dass
nach MAXIMO eine Bezeichnung des iterum folgte. Da er aber die eigen-
thümliche Ligatur f == II nicht kannte, so zog er den Hauptstrich des
E mit^ur Zahlangabe und glaubte das E durch Ligatur mit I ver-
bunden, wobei ihm ein Punkt und die mehrtach ei*wähntc Unsicher-
beit der Schrift in der Unterscheidung von bedeutungslosen Hauan-
Sätzen und unterscheidenden apices zu Statten kam. Dagegen er-
scheint die Schreibart Turcks M statt AE nur durch Raummangel
hervorgerufen. ^ _
Fassen wir das Resultat unserer GoUation zusammen, so finden
wir, dass Turcks Zeichnung allerdings nicht frei ist von Fehlern,
dass aber
1) die Abweichungen in den Buchstaben sich sämmtlich aus den
Eigenthümlichkeiten des Originals leicht erklären; dass
2) auch die Ligaturen dem Original entsprechend wiederge-
geben sind, abgesehen von drei Fällen, in denen die Ligatur von dem
Laien sehr schwer erkannt werden konnte (Z. 5, 8, 16) und zwei
Fällen, wo er aus Raummangel zu allgemein übUchen Ligaturen ge-
griffen, die das Original nicht hat; dass endlich
3) auch die Punktation nicht richtig wieder gegeben ist; bedeu-
tende Fehler finden sich nur in Z. 4 und 5 an einer dem Zeichner
unverständlichen Stelle.
Im Uebrigen ist über Turcks Zeichnung des Steins noch zu be-
merken, dass seine Darstellung der allgemeinen Form desselben fast
genau mit dem Original übereinstimmt (Orig.-Höhe der mittleren
Schriftfläche 34 cent, Breite 26,5; Zeichnung: Höhe 7,6 cent. Breite
5,6), und dass der jetzt sehr verwitterte und beschädigte Kopf des
Steins doch noch ganz deutlich die Ornamentirung erkennen lässt, die
Turcks Zeichnung darbietet.
Endlich ist noch bemerkenswerth, dass neben der Zeichnung des
Steins folgende Bemerkung von Turcks Hand sehr sorgfältig mit rother
Dinte eingetragen ist:
k.
\.4.
2S6 Epigraphisofae Mittheilangen ans Geve.
Altare bei dem Ehrwürdigen Hern Lubbarth van Gartzfelt De-
chant zu Santen.
Berücksichtigt man alle diese Umstände, so wird man mit Noth-
wendigkeit hingeführt zu der Annahme, dass Turck das Original selbst
gesehen und abgezeichnet hat, und zwar, wenn auch nicht mit der
Akribie eines fertigen Epigraphikers, doch mit dem entschiedenen Be-
streben, ein möglichst zuverlässiges und im Einzelnen wie im Ganzen
getreues Bild des Originals zu liefern.
Da nur dieser eine Stein als beim Dechanten von Gartzfeld be-
findlich bezeichnet wird, dieser also kein Sammler war, so wird man
den Stein unbedenklich als einen aus Xanten oder dessen nächster
Umgegend herrührenden betrachten dürfen.
Der zweite noch erhaltene Stein, den Turck abgezeichnet hat,
ist C. I. R. 202
Turck.
I • O • M •
MARTIVS
VICTOR
SIC LEG XXX VV-
SEVERIANiE
ALEXANDRI-
P • F • V ' S • L M '
ACRICOLA ' ET • CLE ACRICOLA ETCLE
MENTIANO • COS • MENTIANO • COS •
Brambach.
1
O
•
M •
M
A R
T 1
V
S
V
1 C
T
0
R
SIC • LEG
XXX
V
•V
S
EVE
R 1 A
N
M
A
LEX
A N
0
R 1
P
• F • V •
S • L
•
M •
In der Lesung finden sich nur folgende Differenzen:
Z. 4. Br. V, T. V •. Der gegenwärtige Zustand des Originals ge-
\' stattet nicht mehr, zu unterscheiden, ob an dieser Stelle ein Punkt
gestanden.
Z. 6 findet sich am Schluss dieselbe Differenz; das Original
scheint mir hier entschieden, wenn auch in etwas undeutlicher Weise,
den von Turck angegebenen Punkt erkennen zu lassen.
Z. 7. Der von Bramb. nach L angegebene Punkt ist im Original
deutlich vorhanden^ ebenso die Z. 8 nach A und T angegebenen.
Eine weitere kleine Differenz liegt in der von Turck gezeichneten,
von Br. vernachlässigten EinrUckung des Namens VIGTOB Z. 2. Das
Original stimmt hier genau mit Turck überein. Ebenso finden sich an
Epigrapbisohe Mitiheiiungen aus Cleve. 237
demselben deutliche Spuren der von Turck gezeichneten schneckenför-
migen Ornamentirung des Kopfes. Die Schriftfläche des Originals ist
43,5 c. hoch, 34 c. breit; Turcks Zeichnung 4,3 c. hoch, 3,8 c. breit.
Turck hat also nur 3 Punkte übersehen, sonst aber eine völlig
correcte Zeichnung geliefert, in der weder in Ligaturen noch in der
Stellung der Buchstaben zu einander Abweichungen vom Original vor-
kommen. Er ist also bei dieser Zeichnung entschieden genauer als bei
der von Nr. 151. Ich glaube dies zwei Umständen zuschreiben zu
müssen :
1) Der Text der Inschrift ist einfacher Natur und war offenbar
dem Zeichner vollkommen verständlich, ein gewiss bedeutungsvolles
Moment bei allen nicht rein mechanischen Reproductionen von In-
schriften.
2) Der Stein war dem Zeichner bedeutend leichter zugänglich
als Nr. 151. Es steht nämlich neben der Zeichnung mit rother Dinte
sorgfältig eingetragen die Notiz:
Antiquiteten bei dem Hern zu Wissen.
Wissen ist ein bei Weege gelegenes Schloss, welches schon im
16. Jahrhundert bei Teschenmacher mehrfach genannt wird, als im
Besitze der Herren v. Loe befindlich, einer hervorragenden devischen
Adelsfamilie, deren jetziges Haupt, der Kgl. Kammerherr Graf Max
V. Loe, noch gegenwärtig dieses Schloss bewohnt. Es ist von Goch,
dem Geburtsorte Turcks, nur 1 Stunde entfernt und stand zu dem-
selben in ganz besonders nahen Beziehungen, da die Herren v. Loe
herzogliche Praefecti Gochenses waren, so dass Teschenmacher ^) einen
Franciscus a Loe, Dominus in Wissen auch geradezu Gochensis nennt.
Es konnte daher Turck nicht an Gelegenheit fehlen, die Wissenschen
Steine aufs sorgfältigste abzuzeichnen. Dagegen ist es sehr leicht mög-
lich, dass die Umstände für die Zeichnung des einzigen in Xanten
aufbewahrten Steines, die Turck mittheilt, weniger günstig waren.
Nachdem wir so zur Beurtheilung der fides der Turckschen Zeich-
nungen einige Anhaltspunkte gewonnen, folgen wir in der Betrachtung
der übrigen Zeichnungen der Keihenfolge der Handschrift.
Fol. V, Seite 1 findet sich oben links, wie schon erwähnt, die
Zeichnung der auf dem clever Schloss befindlichen Amphora; rechts
daneben der Fuss einer Statue mit einem Theile des Schildes auf einem
Postament, welches folgende Inschrift trägt:
^) P. 342 d. Fnmkf. Ausg. zum Jahre 1562.
238 Epigraphische Mittheilangen aus Cleve.
MARTI • SACRVM C • IVL
ANNAUS ' CA LEG XXX • W
P • F • IN HONOREM CIVIVM -
D • D • L M •
Bei Brambach findet sich dieselbe als Nr. 19 der inscr. spuriae
in folgender Stangefol entlehnter Form:
marti • sacrum • c • iul • c • a • leg | XXX • V • V • p * f •
in honorem | civium d • d • 1 • m •
Er bemerkt dazu: 1—3 versus aliter exhibet Gelenius. 1. iul.
annalis. c. fl [an h?] leg Gel.
Ich weiss nicht, was den scharfsinnigen Herausgeber der Rhei-
nischen Inschriften bewogen hat, diese Inschrift unter die inscr. spuriae
zu vei*setzen, und hoffe, dass die zu erwartende berliner Ausgabe sie
wieder ehrlich machen wird.
Zunächst nämlich scheint es mir gänzlich undenkbar, dass der
von Turck so genau gezeichnete Stein nicht wirkliche existirte. Zeich-
nete er in den zwei controllirbaren Fällen gewissenhaft nach dem
Original, so ist auch anzunehmen, dass er es in diesem ganz gleich-
artigen nicht mehr controllirbaren Falle that. Allerdings gibt Turck,
wie wir später sehen werden, auch Inschriften, deren Original er of-
fenbar nicht kannte (Fol. VII, Seite 2), aber hier gibt er auch aus-
drücklich seine Quelle an (Ex chronica Ger: Juliacen Secret:) und
liefert nicht ausgeführte Zeichnungen, sondern einfache Textabschriilen.
Es bliebe also nur die Annahme übrig, dass der Stein zwar wirk-
lich existirte, aber nicht römischen Ursprungs, sondern in betrüge-
rischer Absicht in späterer Zeit angefertigt war. Ich wüsste aber
nicht, was zu dieser Annahme berechtigen könnte, da ich im Text
desselben nichts finde, was von den sonst bekannten Formen römischer
Weihinschriften abwiche. Nur die Formel in honorem civium weiss
ich nicht zu belegen, da indessen in honorem mit dem Genitiv eines
Eigennamens auch sonst vorkommt (z. B. Orelli-Henzen III 5705),
so sehe ich in dieser Widmung dzu Ehren der Mitbürgent nichts An-
stössiges; ein weiteres Analogen bietet ja auch der bekannte Clevener
Mars- Cumulus- Altar in dem 0 • C • S (ob cives servatos). Wie sollte
aber ein niederrheinischer Falsarius in damaliger Zeit an das seltene
G ' A (custos armorum) kommen, das nach Brambach ja sonst im
Rheinland sich nur noch auf drei oder vier oberrheinischen Steinen
(1024, 1294 Mainz, 1762 Rossberg (?) 1836 Weissenburg) findet? ~
\
Eptgrapbisobe Mittbeilangen aas Cleve. 289
' Wir halten also an der Echtheit dieser Inschrift fest und glau-
ben, dass der Stein sich zu Turcks Zeit auf dem Clevener Schloss
befand, wo ja nach den oben citirten unmittelbar vorhergehenden
Worten Turcks nicht nur die Vrna^ sondern auch )> andere stucken
fürhanden» waren. In Bezug auf die Lesung der Inschrift wird jeden-
falls in Zukunft Turcks Zeichnung ausschliessliche Grundlage bilden
müssen. Stangefol mit seiner falschen Reihenabtheilung und seiner
Auslassung ' des Gognomens Annalis schöpfte offenbar aus sehr trüber
Quelle und Gelens Lesung geht, sei es direct, sei es indirect, auf die
Turcksche Handschrift zurück. Die eigenthümliche Lesart fl, die der-
selbe in Z. 2 hat, erklärt sich einfach daraus, dass das A in Turcks
Zeichnung oben sehr breit gerathen ist und unten rechts einen stark
entwickelten Fussansatz hat, so dass ein oberflächlicher und vielleicht
falsch interpretirender Abschreiber darin ein nahe aneindergerücktes
FL sehen konnte.
Unmittelbar neben dem Reste der Figur steht eine kleine Zeich-
nung eines fragmentarischen Kopfes auf einer Platte; vermuthlich ist
es ein auf dem Schilde dargestelltes Gorgoneion.
Unter der Uma in der Marsstatue befindet sich auf derselben
Seite noch eine sehr sorgfältige Zeichnung des Matronensteines C. I.
R. 219. Die perspektivische Darstellung lässt die Fronte und die linke
Seitenfläche vollständig übersehen. Auf der Vorderseite sind die drei
sitzenden Matres in der üblichen Weise dargestellt, die links sitzende
mit zurückgeschlagenem, die beiden anderen mit aufgerichtetem Kragen
des langen Gewandes. Der Stein ist an der rechten oberen Ecke be-
schädigt, so dass der mittlem Figur der Kopf halb, der rechts sitzen-
den ganz fehlt. Die Seitenfläche lässt eine männliche Figur mit einem
Krug und darunter eine Amphora mit Blumen erkennen. Auch zeigt
die Zeichnung ganz deutlich, dass die linke obere Ecke, jene Figur
der Seitenfläche und fast die ganze linke Matrona umfassend, abge-
sprengt und wieder aufgesetzt war. Die Inschrift steht unter den Fi-
guren der Matres, und zwar so, dass der Anfang MATRIBVS auf
einem Inschrift und Figuren trennend vorspringenden Gesimse steht.
Die Inschrift ist folgende:
■
..i
240
Epigraphiache UiUbeilnngen aas Cleve.
M A
Brambach :
T R I B
V
ANNANEPTIS
Q V E TTIVS QVINTVS
OFT LEG XXX VVPFSA
VSLM MAXIMOET
PATERNO COSS
Turck:
MATRIBVS
r'
>
r;
r
9^'
Y''-
&
J'-T
ANNA NEPTIS-
QVETI VSQVINTVS-
OPT • LEG • XXX • V • V • P • F • SA
VSLM- MAXIMO ET
PATERNo COSS-
t
m
Dieselbe zeigt voq Brambach folgende Abweichungen :
Z. 1. MATKIBVS nimmt nicht die ganze Breite des Steins, son-
dern nur die Mitte desselben ein.
Z. 2. Zwischen dem 4. und 5. Buchstaben ist eine bedeutende
Lücke, wie sie auch Cuper angibt. Bei der grossen Genauigkeit, mit
der Turck gerade bei diesem Steine auch die geringste Beschädigung
abgezeichnet hat, ist jedenfalls an das Fehlen eines Buchstaben nicht
zu denken; vermuthlich ist diese auch in dqr dritten Zeile (hier frei-
lieh mit Wortschluss) wiederkehrende Lücke nur durch das Streben
nach einer symmetrischen druppirung der Buchstaben veranlasst wor-
den. Am Schlüsse der Zeile hat T. einen Punkt.
Z. 3. Brambach: VETTIVS, Turck VETIVS. Mit T. stimmen
auch Crombach und Wiltheim überein, während Gelen und Cuper das
T verdoppeln. Da Gelens Abweichungen von Turck nur auf Schreib-
fehlem beruhen, so bleibt nur Cuper als Zeuge für die Verdoppelung
stehen ; ich würde hier unbedingt Turck folgen, da mir ein so aufifal-
lender Fehler in einer mit so ausserordentlicher Sorgfalt gezeichneten
Inschrift undenkbar scheint.
Z. 4 stimmt Turck genau mit Brambach überein; von einer
Lücke nach SA, wie sie Wiltheim angibt, kann nicht die Kede sein ;
ImA^ — ->*-
i
Epigraphische Mittheilangen ans Cle?e. 241
auch ist ja der Text durchaus vollständig und verständlich, da SA
offenbar bedeutet: Severianae Alexandrianae, genau wie auf dem ein
Jahr älteren Steine des Tertinius Vitalis (Nr. 146), während auf dem
3 Jahre älteren des Martins Victor (Nr. 202) diese Beinamen der 30.
Legion fast ganz ausgeschrieben sind. Uebrigens ist das S bei Turck
sehr in die Breite gezogen, so dass das von Cuper angegebene B nicht
gerade sehr fern gelegen zu haben scheint.
Z. 5 hat Turck nach VSLM Punkte. Obwohl in dieser Hinsicht,
wie wir sehen, seine Sorgfalt nicht gleichmässig ist, wird man doch
auch darin ihm folgen müssen^ als der unbedingt ältesten und besten
Quelle unter den für diesen Stein vorliegenden.
Schliesslich ist noch zu bemerken, dass auch neben diesem Steine
die Bemerkung steht: Antiquiteten bej dem Edlen Hern zu Wissen,
womit Cuper übereinstimmt, dass der Stein ex arce Wissens! nach
Cleve gebracht sei.
Die zweite Seite von Fol. V ist leer geblieben. Bei genauer Un-
tersuchung entdeckt man indessen auf derselben die halb verwischten
Umrisse eines ersten Entwurfes zu einer Zeichnung des bekannten
Cenotaphiums des M. Caelius Nr. 209. Alle wesentlichen Theile der
Sculptureu sind erkennbar, von der Inschrift war jedoch noch Nichts
eingetragen. Offenbar bezieht sich der Pluralis »Antiquiteten« bei dem
vorigen Steine auf diesen Stein mit, wie denn ja auch Dithmar zu
Teschenmacher auf Grund einer Marginalbemerkung desselben be-
zeugt, dass den Stein ehemals Wesselus L. B. de Loe, Dominus in
Wissen besass.
Demgemäss werden wir auch die oben rechts auf Fol. VI stehende
Notiz »Antiquiteten bej dem Hern zu Wissen« nicht bloss auf den zu-
nächst, obwohl keineswegs unmittelbar daneben stehenden Stein des
Martins Victor, den wir oben schon behandelten, zu beziehen haben,
sondern auch auf alle folgenden desselben Blattes, nämlich:
C. I. R. 201
Turck. Brambach»
M A T R 1 B VS
M A T R 1 B VS
BRITTIS-
BRITTIS
L • VAERIVS •
L • VALERIVS
SIMPLEX •
SIMPLEX
MIL • LEG XXX
MIL • LEG • XXX
V • V •
V • V
V • S • L • M
VSLM
16
>». »
242 EpigrephiBche Mittheilungen aus Gleva.
Es finden sich hier nur folgende Abweiehungen von Brambachs
Recension, die aus mehreren sehr erheblich von einander abweichenden
Quellen erschlossen ist.
2? 2. Der kürzere Name BRITTIS ist eingerückt und hinter
demselben steht ein Punkt.
Z. 3. Brambach : VALEBIVS mit der Vermuthung, dass der
Stein eine Ligatur hatte: VAiERIVS. Er hat sich dabei nur insofern
geirrt, als nicht A und L, sondern E und L verbunden waren: £.
Turck sah hier offenbar schärfer, als Cuper und andere, die VAERIVS
lasen. Am Schlüsse der Zeile hat Turck einen Punkt, ebenso Z. 6
nach dem zweiten V, dagegen fehlt die von Wiltheim angegebene
Linie über der Zahl XXX bei ihm. Zu der in einer Quelle angegebe-
nen Ueberschrift : I * 0 * M ' bietet der Stein nach Turcks Zeichnung
durchaus keinen Baum.
C. L R. 1970.
Turck: Brambach:
MATRIBVS MATRIBVS
FRISAVIS PAIRNIS TRISAVIS • PATER
NIS
Brambach folgt in seiner Recension Wiltheim, der diese und die
folgende Inschrift als lecta saxa viro doctissimo Henrico Turcio be-
zeichnet. Heinrich Turck ist, wie aus den früher .angeführten Zeug-
nissen der Sethe'schen Handschrift hervorgeht, nicht der Chronist,
sondern der Sohn desselben, Canonicus in Cranenburg, der Erbe der,
wie WUT sahen, nicht völlig vollendeten Handschrift des Vaters. Es ist
daher gewiss anzunehmen, dass die Sethesche Handschrift der Arche-
typus des Wiltheimschen Textes ist Dass sie von diesem in Zeilenab-
tbeilung und Punktation abweicht, wird man nicht auffallend finden,
da ja jedenfalls Zwischenglieder anzunehmen sind; wohl aber kann
auffiedlen die Differenz im Anfangsbuchstaben der matres; WiUheim
hat wie auch Gelen und Aldenbrück, von denen der erstere jedenfalls
auf Turck zurückzuführen, T, Cuper F. Turck hat einen Buch-
staben, der zunächst den Eindruck einer Ligatur von T und F macht :
"E. Da diese undenkbar, auch bei der bedeutenden Entwicklung, die
Turck dem untern Strich des E zu geben pflegt^ an eine Ligatur von
T und £ nicht zu denken, so wird man sich für F oder T zu ent-
scheiden haben. Ich finde es sehr begreiflich, dass diese Entscheidung
mehrfach für T ausgefallen ist, muss mich aber meinerseits nach ge-
Epigraphische Mittheilongen aus Gleve. 248
nauem Studium der Eigenthümltchkeiten der Turckschen Schreibart
für F entscheiden. Turck pflegt bei T oben links kräftig einzusetzen ;
hier jedoch ist das keineswegs der Fall ; vielmehr ist der links vom
Hauptstrich befindliche Ansatz durchaus nicht mehr entwickelt, als
ihn Turck an den oberen Ecken von I E F B P B M auch sonst zu
machen pflegt und z. B. auch bei dem gerade darüber stehenden M
gemacht hat.
, Ich halte es daher für keineswegs unmöglich, dass auch Cuper
mit seiner Lesart F schliesslich auf Turck zurückzuführen ist und
dass uns in der Setheschen Handschrift der Archetypus der ge-
sammten Tradition über diesen Stein vorliegt.
Der einfach omamentirte Kopf des Steines war nach Turck Wohl-
erhalten, dagegen nach der 2. Zeile ein Bruch eingetreten, durch den
der weitere Verlauf der Inschrift verloren gegangen war. Wenn sich
bei Gelen die Angabe findet, dass dieser Stein bei Cöln gefunden, so
ist darauf gewiss kein Ge.wicht zu legen, da sonst nur Xanten als
Fandort der Wissenschen Steine nachweisbar ist
C. I. R. 1969.
Turck.
MATRIBVS ARSACIS PA
TERNISSIVE MATERNIS
M • AVR • LV • VERONIVS VE
RVS • PE • PRiEFECT • I • PRO SE
ET • SVIS • V • S • L M •
Brambach.
MATRIBVS • ARSACIS
PATERNIS • SIVE • MATERNIS
M • AVRELIVS • VERONIVS • VE
RVS • PE • PRAEFECTI • PRO
SE • ET • SVIS- VS-LM
Brambach folgt auch hier Wiltheim, der aus derselben Quelle
schöpfte, wie bei der vorigen Inschrift, d. h. eine die Zeilenabtheilung
und Ligaturen ignorirende Gopie der Setheschen Handschrift benutzte.
Die Lesart AYRELIVS (Z. 3) muss daher nothwendig als Conjektur
angesehen werden, und zwar als eine nicht unbedingt sichere, da in
dem überlieferten LV auch eine Tribusangabe stecken könnte.
L
244 Kpigraphische Hitthtilangn
Bemerkenswerth ist noch, dass C
Ziehung mit Turck übereinstimmt, der
ffohl a]s alleiniger Urheber der ganzen '
Der Stein war mit den gewöfanlicli
schmflckt, doch waren, wie die Zeicfanan
ches nur die Füsse derselben erhalten.
C. I. R. Inser. sp«
Turck:
I ■ OM?C3SlC
HVIVS ■ Q • C^
VS ■ SECVNE
Der Stein ist oben mit einem einfi
unterhalb der 3. Zeile abgebrochen. Gi
fast genau mit Turck flberein, insbesond
die von Turck gezeichneten drei Zeilen
auf den Bericht eines Lambert van der
tion noch vier weitere Zeilen:
leg ' c ' sereni | procos ' galliae |
Henzen, der nur in dieser Gestalt (
Orelli 186 (III. p. 28) von derselben : s]
Die epigraphiscben und historischen GrU
hauptuDg anführt, beziehen sich sämmtlii
Dieselben erweisen diese als Interp
aus nicht die Aechtheit der drei ersten ^
Eine künftige Sammlung wird daher die
unter die ächten aufnehmen müssen.
Da die von Lipsius benutzte Quelle
lautere und unzuverlässige war, so ist jt
der Stein e ruinis castri antiqni Qual
wicht zu legen.
C. I. K. 196£
Turck:
CN • GARANT Cl
IVS ■ CNE • VOL IVi
NEA^A ■ MIL • LEG NE
XXI • STIPEN XV X>
ANN • XXXV
t .
Epig^raphische MittheiluDgen aus Cleve. 245
Brambach gibt diese Inschrift auf Grund einer Abschrift Croni-
bachs, die mitTurck genau übereinstimmt, abgesehen von zwei Stellen :
1) Z. 2 hat Crombach die Lesart IVS CN • F. Ohne Zweifel
ist diese in Bezug auf den 6. Buchstaben richtiger, als die Turcks
(und Gelens) ; indessen ist Turcks Vereehen sehr leicht erklärbar, da
Crombach den 3. bis 6. Buchstaben punktirt, vermuthlich also der
Stein an dieser Stelle beschädigt war. Was den Punkt nach IVS be-
trifft, so spricht die Analogie für Turck.
2) Crombach hat den Punkt nach NEMA nicht; auch hier wird
man Turck zu folgen geneigt sein.
C. I. B. 218.
Turck.
HAVE CALVENTI • CALV
ENTIVS TE RESALVTAT •
C CALVENTIVS OMVI •
I FIL • OVE • MED • HICSITVS
EST • AN • XLIIX MIL • LEG • V
IP • XXIIX • ET CONIVCI ET ■
• 3 FRATER PRO PIETATE
COJSQVALES MORS H^C-
APTA EST- VIT • FELCES QILI
AR • PATRIA • DVLCIS •
ESE • SVA •
Crombach.
HAVE CALVENTI CALV
ENTIVS TE RESALVTAT
C • CA LV ENTIVS OMVI
IFIL OVF • MED HICSITVS
EST ANN XLIIX MIL- LEG V
STIP ■ XXIIX ET CONIVGI ET
FllJO FRATER PRO PIETATE
COAEQVALES MORS HAEC
SAPTAEST VITFELCES QIFL
PATRIA DVLCIS
SE SE SVA
..^..-Zi
I
I V
I
!
I
>'
r
i
1» -
246 EpigpraphiBohe Mittheilangen aus Giere.
Der Kopf dieses von Brambach im Rhein. Museum XX p. 615
zuerst nach Crombach cdirten Steines zeigt ein Giebeldreieck mit zwei
Nebendreiecken, die mit Ornamenten ausgefüllt sind. Die Differenzen
beider offenbar ganz von einander unabhängiger Traditionen sind
folgende :
Z. 1 und 2 stimmen abgesehen von zwei Punkten genau über-
ein; Z. 3 hat Turck wie Crombach das unverständliche OMVI///,
welches Brambach wohl richtig in Romuli verbessert hat. Z. 4 ist
OVE fttr OVF ein leichter Lesefehler Turcks, dem jedenfalls die Be-
deutung des Wortes unklar war. Z. 5 hat Turck AN, Crombach ANN,
wobei die Zählung der Buchstaben für letztere spricht.
Ausserdem hat Turck in der Zahlenangabe h statt L, indem er
wohl eine zufallige Verletzung des Steines für einen Apex ansah. In
Bezug auf Z. 7 und 8 bestätigt Turcks Zeichnung die Vermuthung
Brambachs, dass die punktirten Buchstaben bei Crombach auf Con-
jektur beruhen; die Lesart stimmt in diesen Zeilen wie auch in der
dritten bis auf einige Punkte und zwei Ligaturen (T. in coaequales
und haec (Mj C. AE) genau überein. Z. 9 hat Crombach an der
Bruchstelle noch ein S mehr; da dasselbe bei Turck fehlt, so ist es
jeden&lls als unsicher zu betrachten. Nach FEL hat Turck den von
Crombach fälschlich angegebenen Punkt nichts vermuthlich war das I
durch Ligatur mit dem L verbunden (L). Der eigenthümliche Schluss
der Zeile, welche bis auf den Rand des Steines sich hinzieht, stimmt
wenigstens nahezu in beiden Quellen überein, da Turck Q I* L I* und
Crombach Q'I'F'L darbietet. Brambachs Conjektur Quibus wird
also durch Turck nicht bestätigt; es wird überhaupt schwerlich ge-
lingen den Sinn dieser letzten offenbar sehr verstümmelten Zeilen zu
errathen, wenn nicht etwa Denkmäler von ähnlicher Form angeführt
werden können. Z. 10 hat Turck vor PATRIA die Buchstaben AR,
die ich für ebenso unsicher halte, wie das S Crombachs in Z.9. Z. 11
hat wiederum Crombach ein S in der Bruchstelle mehr.
Die wesentlichste Verschiedenheit beider Quellen liegt also darin,
dass an der Bruchstelle bald die eine, bald die andere einen oder
zwei Buchstaben mehr bieten zu können glaubt
Es liegt unter diesen Umständen nahe, an eine fortschreitende
Beschädigung dieser Stelle zu denken. Crombachs Recension beruht
auf einer ihm aus Xanten, wo 1623 der Stein gefunden, zugesandten
Copie, während Turck denselben später in Wissen gesehen haben wird.
Die Grombachsche Quelle ist daher als die ältere anzusehen ; da in-
B^r
Epigraphiflohe Mxitheilangen aas Gleve. 247
dessen an einer Stelle auch Turck ein wesentliches Plus darbietet, so
scheint es näher zu liegen, die Differenzen auf die Beschaffenheit des
Steines, der ja in der Nähe des Bruches sehr leicht auch auf der
Schriftflache beschädigt sein konnte, als auf den geringen Zeitunter-
schied der beiden Quellen zurückzufahren.
Da, wie bemerkt, dieser Stein erst 1623 gefunden, sO ergibt sieb,
dass der die Inschriften enthaltende Theil des Mscr. erst nach 1623
verfasst sein kann, alsg zwischen 1623 und 1633, da wir in diesem
Jahre bereits die Handschrift in fremde Hände übergegangen sahen.
1968.
Turck:
IVLFLI
CIO
PRO SE-
T SViS • V • S •
Bis jetzt war diese Inschrift nur bekannt durch folgende Cursiv-
abschrift Gelens:
lulio Flicio
pro se
T suis • VI S
Auch diese wird, wie die sonstigen Abschriften Gelens, auf Turck
zurückgehen, ist aber in willkürlicher und nachlässiger Weise ergänzt
und verändert.
Was die Turcksche Abschrift betrifft, so zeigt sie uns zunächst,
dass der Kopf des Steines abgebrochen war; vermuthlich zeigte der-
selbe den Namen einer Gottheit. Ebenso ist noch von der ersten Zeile
ein Theil weggefallen, wodurch das Praenomen des Weihenden ver-
loren gegangen sein wird. Das Nomen IVL ist nicht ausgeschrieben;
man muss jedenfalls IVLIYS (nicht mit Gelen IVLioj ergänzen. Das
Cognomen ist ohne Zweifel FELIGIO, welches auch C. I. R. 916 vor-
kommt. Vielleicht war das E ähnlich wie Z. 4 mit dem T hier mit
dem L legirt: 3L und der Punkt, den Turck nach F hat, wäre dann
ein Rest eines Apex des E. Zu bemerken ist noch, dass das I in SVIS
nach Turcks Zeichnung entschieden als i longa zu ef kennen ist.
Neben dieser Inschrift befindet sich die Zeichnung von C. I. R.
212 und in der Mitte unter Beiden folgender mit einfachen Ornamen-
ten geschmückter Kopf eines Votivsteins :
I
1*'
r
248 Epigraphische MittheiluDgen aus Cleve.
FATIS
A
Dieses Fragment ist bis jetzt nicht bekannt gewesen; verinuth-
lieh hatte Gelen resp. seine Quelle dasselbe des geringen Umfangs
wegen übergangen. Eine Widmung an die Fata ist sonst nicht selten
(cf. Orelli-Henzen 1771—76, 5788, 5789), kommt indessen in den
Rheinlanden nur noch einmal vor auf einem Kölner Steine, der merk-
würdiger Weise ebenfalls nur noch das Wort FATIS enthält. C. I.
Rh. 322. Man könnte daher an eine Identität beider Fragmente den-
ken; indessen gibtCrombach ausdrücklich an, dass er dieses im Jahre
1643 ausgegrabene Fragment in St. Ursula in Cöln gefunden habe;
daher scheint mir mit Rücksicht auf eine so bestimmte Angabe eine
Identificirung doch nicht möglich zu sein. Dagegen liegt sehr nahe
die Vermuthnng, dass das Turcksche Fragment den Kopf der Weih-
inschrift des Julius Felicio bildete.
Die Form des Bruches an beiden Steinen ist derart, dass eine
Zusammenfügung durchaus nicht unmöglich scheint; insbesondere hat
dieses Fragment unten links einen Vorsprung mit einem schwach an-
gedeuteten Rest eines Buchstabens (und zwar vermuthlich eines M),
der sehr wohl in der Lücke, die der andere Stein oben links hat,
passen würde. Die Breite der beiden Steine stimmt in den Zeichnungen
wenigstens annäherjid überein: sie beträgt bei dem grösseren Frag-
ment 3,7 Centimeter, bei dem kleineren 3,3. Wir würden somit fol-
gende vollständige Inschrift erhalten:
FATIS
AAIVL FeLI
CIO
PRO SE
T SVIS VS-
212.
Brambach.
MARTI
SACR V M
VLP
ATIDENVS
RATORI FC
Turck.
MARTI
S ACRVM
VLP
ATIDENVS
Epigraphiflche MittheUuDgen aaft Cleve. 249
Die Lesang Brambacbs beruht auf Crombach, der seinerseits eine
Abschrift von Xanten her erhalten i zu haben angibt, wo der Stein
gefunden sei.
Z. 3 hat Turck nach V und L Punkte, jedenfalls mit Unrecht.
Z. 4 ist nach der Turckschen Zeichnung anzunehmen, dass 1—2
Bachstaben im Anfang der Zeile weggefallen sind. Vermuthlich ist
daher ATIDENVS nur ein Theil des Cognomens.
Z. 5 fehlt bei Turck. Da ein gänzlich willkürlicher Zusatz Seitens
der Xantener Quelle nicht wahrscheinlich ist, so vermuthe ich, dass die
Beschädigung des Steines, als Turck ihn in Wissen sah, weiter fort-
geschritten war, so dass diese Zeile nicht mehr vorhanden oder we-
nigstens nicht mehr lesbar war. War aber Z. 4 im Anfang verstüm-
melt, so musste es nothwendig auch diese Zeile sein. Es könnte also
z. B. etwa STRATOR ursprüngliche Lesart sein, in welchem Falle in
den drei letzten Buchstaben mit Voraussetzung einer Verstümmelung
auL unteren Theile LEG (d. h. Legati) gefunden werden könnte. Eine
solche Deutung würde jedenfalls viel näher liegen als die Annahme
eines C!ognomens Batorus (Brambach p. 378).
Auf Fol. VII a folgt sodann die oben behandelte Inschrift C. I.
Rh. 151.
Im Ganzen bietet uns also Turck Zeichnungen von 13 Steinen, von
denen nur zwei sich erhalten haben. Elf dieser Steine sowie das Ke-
notaphion des Legaten M. Caelius, dessen Zeichnung er nicht mehr
vollendete, sah er auf dem Schlosse Wissen. War bisher nur von zwei
Steinen (209 und 219) bekannt, dass sie eine Zeit lang in Wissen ge-
wesen, so erfahren wir nunmehr, dass dort um 1630 eine Sammlung
von mindestens 12 Inschriftsteinen bestand, dass also die Sammlung des
Prinzen Moritz von Nassau keineswegs die erste in dortiger Gegend
war. Die weiteren Schicksale dieser Sammlung sind leider gänzlich
unbekannt; drei der ansehnlichsten Denkmäler derselben (202, 219,
209) kamen schon im Laufe des 17. Jahrhunderts nach Cleve, viel-
leicht als Geschenk des Freiherrn Wessel von Loe an den grossen
Churfürsten, was wenigstens in Bezug auf den Gaeliusstein (209) be-
zeugt ist. Von keinem der neun übrigen Steine ist ein späterer Auf-
bewahrungsort nachzuweisen; alle bisher bekannt gewordenen Ab-
■ ^
260 Epigraphisobe Mitiheilangen ans Giere.
Schriften derselben gehen allem Anscheine nach entweder auf schedae
zurack, die aus der Zeit vor Ueberfdhrung der Steine nach Wissen
stammen, oder auf den Turckschen Codex.
Es lag daher sehr nahe, weitere Nachforschungen über Herkunft
und Verbleib dieser Steine, wie aber die Wissensche Sammlung über-
haupt auf dem Schlosse Wissen selbst anzustellen; der Kgl. Kammer-
herr Max YonLoe hatte mir bereitwilligst seine Mitwirkung zu diesem
Zwecke zugesagt, indessen ist mir durch meine sehr bald nachher
eingetretene Versetzung in eine andere Provinz eine weitere Verfolgung
dieser lokalen Forschungen leider unmöglich geworden.
Wie schon oben erwähnt worden, beschränkt sich Turck nicht auf
Mittheilung von Abzeichnungen der ihm zugänglichen Steine der Clever
Gegend, sondern auf Fol. VII b theilt er auch folgende fdnf Inschriften
»Ex Chronica Ger: Juljacen Secret: De rebus Juljacensjum« mit:
1. (Bramb. 602.)
M • ANTONIO VICTORI
FRONAMINIA • VXSOR • MOR •
SIBI • ET MARITO DE SVO POSVIT
2. (Bramb. 595.)
C • F L A V I O
C A P I T O NS
F • CONSTANT •
3. (Bramb. 596.)
DM-
C • VESPASIANO
VITALI
AAACRINIA • AV •
VACAF.C-
»♦
e
Epigraphisohe IfitUMilnngen «u CUve. 2(1
4. (Bramb. 588.)
L • CASSIVS
VERECVNDVS
SIBI ETLABITINIANAE
MARTINE VXORI VIVOS
FECIT •
5. (Bramb. 601.)
AAATRONIS RVA^NEHABVS
SACR •
L ♦ VITELLIVS CONSORS
EX POL • LEG • VI • VICTR •
Da bereits vier Abschriften dieser JiUichschen Chronik resp. ihrer
Inschriften durch Bücheler und Brambach bekannt geworden sind,
bietet dieses fünfte ziemlich nachlässig angefertigte and unvollständige
Apographon allerdings kein besonderes Interesse dar.
Dagegen liefert uns der Schluss der Turckschen Vorgeschichte
noch einen interessanten Beitrag zur lateinischen Epigraphik. Es heisst
nämlich dort:
Inscriptio lapidis sive Saxj antiquj, quae infra Altare in Ecclesja
de Ryneren habetur.
• • •
/WAR • IICAAAVLO SACRVM PRO SALVTE
CLAVDI CiESARIS VC' CER/WANIdlMP • • •
VE • S • REMIQVI • TEMPLVM CONSTITVTVM •
Diese Abschrift des bekanntlich jetzt auf dem Schlosse zu Gleve
aufgestellten Altars ist nämlich dadurch merkwürdig, dass nach pro
salute nicht das Wort TIBERII folgt, sondern statt dessen eine Lücke
angedeutet ist. Hierdurch erhält die von Aschbach und Brambach ge-
billigte Yermuthung Schneiders (Jahrlf. XVIII p. 136), dass dieses
Wort interpolirt sei, eine urkundliche Bestätigung. Und zwar ergibt
sich nunmehr mit Bestimmtheit, dass diese Interpolation nicht aus alter
Zeit herstammt, sondern erst nach Turcks Zeit ausgeführt ist. Offenbar
ist gleichzeitig, wie Brambach richtig vermuthet, der ganze Stein
restaurirt forden, und erklären sich so die bedeutenden sonstigen Ab-
weichungen Turcks von den so leicht erkennbaren jetzigen Schrift-
252
Epigraphiflche Mittheilungen aus Gleve.
V «
Zügen des Steines. Uebrigens scheint der unbekannte Restaurator, ab-
gesehen von jenem Tiberii, überall das Richtige getroffen zu haben.
Wenn wir demnach auf Grund des Turckschen Mscr. die Re-
stauration des Steines für eine nach 1623—33 erfolgte erklären zu
müssen glauben, so ist von besonderm Interesse die Frage, welche
Lesarten denn die einzige existirende ältere Quelle, nämlich das Mscr.
des Martin Smetius auf der Leidener Bibliothek vom Jahre 1588 dai-
bietet. Da Brambachs Notiz : M. Smetius non integram descriptam ac-
cepit hierüber keine Auskunft gibt, so bat ich den auswärtigen Sekre-
tär unseres Vereins, Herrn Conservator W. Pleyte in Leiden um eine
genaue Abschrift der betreffenden Stelle des Mscr. Derselbe erfüllte
meine Bitte mit der grössten Bereitwilligkeit und sandte mir fol-
gende Gopie:
MARTI • CAMVLO
OB • SALVTEA/V • TIBERI
CLAVOI • CAES • CIVeV • REMI
TEMPLVM • CONSTITVE
RVNT
Diese sehr nachlässige und lückenhafte Abschrift des Steines
enthält also allerdings schon das Wort TIBERI, und zwar mit der
richtigen Genetivendung, aber mit Punkten bezeichnet, die vermuth-
lich bedeuten sollen, dass das Wort Conjektur ist.
Somit widerspricht das Mscr. Smet der von uns aus der Turck-
schen Abschrift gezogenen Folgerung keineswegs.
Jedenfalls wird die Restauration des Steines sehr bald nach Turck
vorgenommen sein, da alle späteren Abschriften, so weit sie mir be-
kannt geworden, die jetzige Beschaffenheit desselben voraussetzen lassen.
V"
...»
Somit erweist sich die Sethe'sche Handschrift in verschiedener
Hinsicht als eine für die lateinische Epigraphik sehr wichtige Urkunde ;
bietet sie auch wenig absolut Neues dar, so liefert sie doch unzweifel-
haft für die Kritik einer Reihe niederrheinischer Inschriften ein ganz
neues Fundament. Hoffentlich wird auch die sonstige Bedeutung der
Handschrift bald von anderer Seite einer eingehenden Untersuchung
unterworfen werden.
Sangershausen.
Albert Fulda.
k.
10. Zur Staurologie.
Die Sitte auf Märkten und an Wegscheiden monumentale Kreuze
zu errichten, lässt sich zwar bis ins christliche Alterthum zurückfüh-
ren*); aus leicht erklärlichen Gründen indess sind dergleichen unter
freiem Himmel errichtete Kreuze aus älterer, romanischer Zeit nur
sehr selten bis in ujpsere Tage erhalten geblieben, und diesseits der
Alpen ist vielleicht das Kreuz auf dem alten Markte in Trier *) sogar
der einzige Repräsentant dieser ganzen Gattung. Dass es sich in der
That um eine besondere, einen eigenthümlichen Typus befolgende
Gattung handelt, erhellt aus der Vergleichung mit anderen italieni-
schen Beispielen, deren wir zu Bologna eine ganze Reihe näher
kennen lernen aus einer mit guten Abbildungen ausgestatteten, zwar
nicht mehr neuen, aber in Deutschland anscheinend kaum bekannt
gewordenen Abhandlung des Grafen Giov. Gozzadini^). Es befanden
sich in früherer Zeit und zum Theil noch bis zum Ende des vorigen
Jahrh. viele Steinkreuze auf den Strassen von Bologna ; sie sind seit-
dem zu Grunde gegangen, mehrere wurden jedoch schon frühzeitig in
Kirchen übertragen, weil man der (übrigens nicht zu begründenden)
Tradition zufolge ihre ursprüngliche Errichtung an den Thoren der
') Pelliccia, A. A., de christ. ecclesiae politia; ed. Bitter 1, 340. —
Rheinwald, F. H., Kirchl. Archäologie S. 407.
>) Abbild, bei £. aus'm Weerth, Eunstdenkm. I. Taf. LYI. 6 zu 8, 83.
Vergl. Kugler, Kl. Sehr. 2, 185. — Anch in Frankreich ist nur ein einziges
£xemplar bekannt : das Wegekreuz von Grisy (Calvados), abgebild. bei d e
Caumont, Abecedaire (4. Aufl.) 1, 277.
*) Delle croci monumental!, ch^erano nelle vie de Bologna nel secolo XIII
memoria del Conte Giov. Gozzadini. Bologna 1863. — 43 S. 4. (Sonder- Ab-
druck aus den Atti della Deputazione di Storia Patria per le provincie di Bo-
magna. — Anno II.)
354 Zar Staarologie.
alten ßoDonia mit der Einfahning des ChriBtenthums daselbst in Ver-
bindung zn setzen gewohnt war. Die Form derselben entspricht im
Wesentlichen völlig dem Trierer Marktkreuze: es sind Säolen, deren
Schaft mit einem Terhältnissmässig kleinen Ereaze gekrönt ist Wenn
die Höhe des Trierer Denkmals anf nngefäbr lin,39 angegeben wird,
so durfte das Krenz selbst etwa dieselbe Höhe haben, wie die Bolo-
gneser Krenze, deren gröastes l<n>02 hoch ist. Mehrere der letzteren
sind wie das Triersche inschriftlich datirt, und obgleich danach keines
dieser Denkmäler bis in die altchristliche Periode hinaufreicht, so
scheinen sie doch dem Typus jener ar^Xai hiivixuti *) zu entsprechen,
welche nach Easebius (de landibns Constanüni c 9) Gonstantin der
Gr. ananaXav ytjg errichtet hatte. Während die Säxüe in Trier auf
dem antiken Granitschafte einen trichterförmigen Kalksteinkranz trägt,
welcher mit eingemeisselter romanischen Palmettenverzierung versehen
und mit dem Kreuze selbst aus einem Stocke gehauen ist, steht bei
den italienischen Exemplaren das Kreuz meist nur mittelst einer un-
tergelegten achlichten Kondplatte auf dem Säulenschafte, welcher letz-
tere in mehreren Fällen ein gestutztes antik römisch-korinthisches
Capital zur Basis hat, wodurch nach sehr wahrscheinlicher An-
nahme des Grafen Oozzadini der Sieg des Christenthums über das
Heidenthum bezeichnet sein soll. Das Material ist theils Marmor ver-
schiedener Art, theils nur Sandstein (macigoo) oder Kalkstein. Die
Form der Kreuze selbst nähert üch mehr oder weniger der sogen,
griechischen, die freien Enden der Arme verbreitem sich zuweilen
krttcken- oder tatzenartig, nirgend aber erscheint eine so elegante
Bildung wie an dem Kreuze in Trier, welches, aus dem Quadrate
durch Hohlkehlen ausgeschnitten, etwa spätromanischem Geschmacke
entsprechen dtlrfte.
Mit alleiniger Ausnahme eines schlichten Tatzenkreuzes, welches
urspranglich in der Nähe der ehemaligen Kirche S. Ambrogio zu Bo-
loga& zur Bezeichnung des Ortes errichtet war, wo man gegen Ende
■) Felliacift L o. übersetzt pkraphrutitob : ColumnBlUe trinmphslM,
craoe inaigniUe ; Zimm e rmanu (Easeb. hiit. ecol gr. et kt.) dagegen: Arcaa
trinmpbalsa (?). Dia SteUe lautet vollständig: Toüi^ tö nävtiav ayaAtiv Tliof,
oittifti XS^°< ßaailtii änodidovt, nnowo;foC y^r OTijiaf tntnxlot/s ISgüno, nlovaUf
xnl ßaaiXti^ X"C^ ^^^^ "^ Ttft/vri Irgä it TT^atuxi^n awlaiaaSta tmi näai
Jutxiitvö/ttvo!. Danach ist ea freilich möglieb, dats unter den oj^^bs tmvixiovs
lediglich die viüs xal icfi^ tu 7eratehen sind, und man „monnmenta trinm-
phalia" ta ObersetSen hat.
Zur Staorologie. 256
des K. Jahrh. die Gebeine des h. Proculus aofgefunden hatte, sind
sämmtliche Exemplare entweder symbolisch oder historisch (d. h. als
Gmcifixe) decorirt, und bei dem ikonographischen Interesse dieser
freilich mehr oder weniger rohen Darstellungen, gestatten wir uns eine
kurze Uebersicht der einzelnen Denkmäler.
1. In S. Grovanni in Monte zu Bologna ein sich der heraldischen
Erückenform annäherndes, cordonirtes Marmorkreuz, welches auf einer
Seite mit einfachen Blattwindungen en bas-relief geschmückt ist, die
sich auf der anderen wiederholen, nur dass hier oben das Bild einer
Taube hinzugefügt ist, die an einer Weintraube pickt, und unten die
Inschrift: f ^^^ ^^' renova. crux temporibus dom. Vitale epsc, wo-
nach also das Kreuz in der Zeit des B. Vitale (789—814) erneuert
worden ist Weintrauben geniessende Tauben, das Bild der mit dem
Blute Christi sich nährenden gläubigen Seelen, kommen schon auf alt-
christlichen Grabsteinen vor.
2. In S. Petronio daselbst ein einfaches Kreuz, welches auf bei-
den Seiten an seinen drei Armen mit einer sich dreitheilig rankenden
sparsam mit gestielten dreizähligen Blättern besetzten Pflanze ge-
schmückt ist, deren viel verzweigtes Wurzelgeflecht den Kreuzesstamm
einnimmt Eine symbolische Beziehung dieser Darstellung darf zwar
mit Becht vorausgesetzt werden, ob aber darunter die »hedera« des
Propheten Jonas (Jon. 4, 6) zu verstehen sein möchte, will Gf.
Gozzadimi, der diese Meinung anführt, nicht entschieden. Da übrigens
das Kreuz nur eine im J. 1303 verfertigte Gopie eines älteren sein
soll, so ist das Rankengewächs vielleicht nur als ein nicht besonders
getreu gerathener Weiustock anzusprechen.
3. Eine Gruppe von Kreuzen — drei in Bologna, eines in Ba-
venna und das Marktkreuz in Trier — mit dem Gotteslamme auf der
Mitte. Letzteres ist nach dem sinnigen mittelalterlichen Typus darge-
stellt : es trägt sein Kreuz und schaut sich um nach denen, die willig
sind nachzufolgen (Matth. 16, 24). Auf dem nur in einem Bruchstücke
erhaltenen Kreuze im archäol. Museum der Universität zu Bologna
steht das hier ein Fähnlein tragende Lamm auf einem Medaillon,
welches grösser als die Vierung, zum Theil die inneren Winkel und
die Arme des Kreuzes bedeckt, deren etwas verbreiterte Enden mit
einer 'sechstheiligen Bosette geschmückt sind, wie solche ähnlich auf
einem altchristlichen Grabsteine zu Curubi 0 und auf dem Planiger
1) P. J. Münz, Archäol. Bemerk, über das Kreos. Taf. IL 22 u. S. 68.
2G6 Zar Staurologie.
Bronze-CniciSxe ') vorkommen : nicht unwahrscheinlich also mit irgend
einer symbolischen Beziehung. Die beiden anderen, einander ganz
gleichen und deshalb also wohl auch gleichaltrigen Bologneser Lamm-
kreuze befinden sich in der Kirche S. Petronio. Die Vorderseite ist
mit edlen antikisirenden Arabeskengewinden gescbmUckt, die in der
Mitte einen aus vier trichterförmigen Blumenkelchen zusammengesetz-
ten Kranz bilden als Umrahmung des Kammes. Die RQckseite zeigt
auf den Qaerarmen des Kreuzes eine Bandverschlingung. — Eine
Viertel - Miglie vor der Porta
nuova von Ravenna an der
prachtvollen, wahrhaft kaiser-
lichen Strasse (Caesarea), wel.
cheBavenna mit der Hafenstadt
Classia verband, ist die Stelle
der ehemaligen, schon vor 412
erbauten und 1553 von Pius
IV. wegen beabsichtigter neuen
silica S. Lorenzo durch ein
steinernes 'Kreuz bezeichnet '),
welches wir nach einer Photo-
graphie im Holzschnitte geben,
nebst einigen näheren Notizen,
die wir der Freundlichkeit des
Herrn Ph. Lanciani in Ra-
venna zu verdanken haben.
Das 0"i'84 hohe, byzantinische
Kreuz ist wie die moderne
Säule, auf welcher es steht,
aus Kalkstein von Istria (seit
Alters dem gewöhnlichen Werk-
stein der ravennatischen Bau-
ten) verfertigt, und am Säu-
lenfusse finden sich die beiden
folgenden Inschriften; vorn:
') Jahrb. XLIV u. XLV. 8. 199 u. Taf. X.
») V. QoMt, Ravenna S. 3,
Zar Stanrologid. 257
QVOD D . LAVRENTi MAR • BASILICA
IN CAESAREAE OPPIDO HEIC
STETERIT NE NESCIAS M • P .
und auf der Rückseite :
HONORIO IMP ♦ STRVITVR
DELETVR ANNO MDLIII
MEMORIA INSTAVRATVR MDCCCXX
Ob, wie und wo das Kreuz vor dem Jahre 1820 aufgestellt ge-
wesen sein mag und in welcher voraussetzlichen Beziehung dasselbe
ursprünglich zu der Kirche S. Lor^nzo gestanden hat, darüber ist
nichts bekannt. Es stimmt in der Form mit San Bologneser Exem-
plaren wesentlich überein und zeigt auf der Rückseite in einem cor-
donirten Rund eine in griechischer Weise segnende Hand: dieselbe
Darstellung, welche sich auch auf der Kehrseite einiger unter Nr. 5
zu besprechenden Grucifixe in Bologna findet, jedoch mit dem latei-
nischen Gestus des Segnens. Dass auch dieses Kreuz nicht bis in die
altchristliche Zeit hinaufreicht, sondern höchstens ins YII. bis IX.
Jahrhundert, erscheint nicht zweifelhaft. — Das Triersche Kreuz zeigt
in sehr flachem Relief das Lamm in der Mitte in einem Rundfelde
zwischen vier Rosen, von welchen aus sich ein palmettenartiges Orna-
ment über die vier Arme verbreitet. Auf der Rückseite des Kreuzes
steht eine bei Kugler und aus'ra Weerth a. a. 0. mitgetheilte Inschrift,
nach welcher das Kreuz im J. 958 von Erzb. Heinrich von Trier im
zweiten Jahre seines Episcopates errichtet worden ist, und darunter
nach Kugler : Renovat. anno 1723. Ausserdem stehen rings um den obem
Rand des Säulencapitäls demselben Gewährsmann zufolge die Worte :
Henricus episcopus treverensis me erexit. Kugler bemerkt dazu:
)>Die Inschriften, auch die zweite, nicht ursprünglich. Doch ist es
nicht unmöglich, dass die Säule an die in der ersten Inschrift genannte
Zeit hinanreicht Die erwähnte späte Renovation hat, nach Angabe
der Gesta Trevirorum, nur Anstrich und Vergoldung betroffen.«
4. Das (oben in der 2. Anmerk. erwähnte) Kreuz von Grisy,
welches am Rande einer Römerstrasse auf der Grenze zweier Com-
munen steht, wird von vier zu einem Bündel vereinigten Säulen ge-
tragen, die über einem gemeinschaftlichen Plinthus auf cylindrischen
Basen ruhend, schlichte Kelchcapitäle mit Eckschnecken haben. Es
ist gleicharmig aus einem Würfel gehauen und bildet deshalb nach
allen vier Seiten Kreuzfa^aden, deren Mitte mit einem grossen Rund-
17
268 Zar Staarologie.
Schilde belegt ist. Diese Schilde zeigen verschiedenes Ornament, das
eine wiederum die unter Nr. 3 erwähnte sechstheilige Rosette. Die
verbreiterten kurzen Kreuzarme mit in den Ecken eingelegten Rund-
stäben sind mit einem facettirten Sternenfriese geschmückt. Das ganze,
ohne Zweifel dem XII. Jahrh. angehörige Denkmal besteht aus einem
Stück und ist aus Einem Kalksteinblock gehauen.
5. Mehrere Grucifixe zu Bologna, die wir zusammenfassen, weil
dieselben, soweit Abbildungen davon vorliegen, viel Uebereinstimmen-
des zeigen. Die Form der Kreuze nähert sich, obwohl der Querbalken
kürzer i^t als der Stamm, insofern der griechischen, als ersterer ziem-
lich durdi die Mitte des letzteren gelegt ist, wodurch der obere Arm
eine unverhältnissmässige Länge erhält. Das Kreuz ist nischenartig
vertieft gearbeitet und der erhobene Rand desselben omamentirt oder
zur Aufnahme einer Inschrift benutzt. Der Grucifixus ist jugendlich
und bartlos, lebend ohne Seitenwunden, mit wagerecht ausgebreiteten
Armen und vom Gürtel ab mit dem sogen. Herrgottsrocke bekleidet
dargestellt und steht frei auf dem untern Rande des Kreuzstammes :
das Ganze von mehr oder weniger, selbst entsetzlich roher Ausführung.
Letzteres gilt insonderheit von dem Kreuze an der Kirche S. Maria
iv.. delle Laudi, welches theils im Flachrelief, theils nur in vertieften Um-
rissen ausgeführt, etwa den Eindruck einer karolingischen Federzeich-
'y nung macht. Die Ränder sind mit einem Zickzack verziert und im
oberen Theile des Kreuzes stehen die Gesichter von Sonne und Mond
l, und darunter die Worte in Capitalschrift : IHS NAZARENVS RE.
^ ;,. Das etwas nach rechts geneigte Haupt des Gekreuzigten ist mit einem
•^ Kreuznimbus umgeben. Da das Kreuz, welches früher vor der Kirche
stand auf dem Ausgangspunkte von sechs Wegen, seit 1616 auf einem
modernen Pfeiler aussen an der Kirchenwand aufgestellt ist^ so lässt
ssich über die Rückseite nichts sagen ; die Seiten zeigen Bandverschlin-
g- gungen. — Minder roh erscheint das Kreuz in S. Vitale, schon durch
^ die Einfassung mit einem Ferlstabe, obgleich der Grucifixus selbst
ziemlich unförmlich ist. Das etwas rechts geneigte Haupt blickt nach
oben und das bis zu den Schultern reichende, glatt gescheitelte Haar
umrahmt das Gesicht fast wie eine Frauenhaube. Der eng anschlies-
sende Rock geht, unter der Brust beginnend, bis über die Mitte der
Oberschenkel, die Kniee der fest an einander geschlossenen Beine sind
etwas gebogen und die Füsse klumpig, wie mit Schuhen bekleidet. Den
oberen Kreuzarm nimmt eine Taube ein, die mit den .Füssen auf dem
Seitenrande stehend, den Kopf rückwärts nach unten wendet Dass
'5
^
r
Zur Staurologie. 269
bierunter das Symbol des heil. Geistes zu verstehen ist, erhellt aus
der auf der Mitte der Rückseite des Kreuzes befindlichen segnenden
Hand, als übliches Symbol Gottes des Vaters, so dass also die ganze
beil. Dreifaltigkeit repräsentirt ist <). — Das meiste Interesse gewährt
ein auch in künstlerischer Hinsicht beachtenswerthes Crucifix in der
Kirche S. Petronio. Der mit dem Kreuznimbus versehene Gekreuzigte,
dessen gescheiteltes Haupthaar in zwei starken dreisträhnigen Zöpfen
vorn fast bis an die Brust reicht, blickt mit seinem rechts geneigten
vollrunden Antlitz in sanftem Ausdruck nach unten und breitet voll
Anmuth die offenen Liebesarme aus. Der in Falten gelegte, von den
Hüften bis nahe den Knleen reichende Rock ist vorn über der Um-
gürtung schürzenartig umgeschlagen und oben mit Punkten verziert.
Auf dem Oberarm des Kreuzes steht in einem gereimten Hexameter
das Datum: Anno M(illeno) C(enteno) qvo nvmerato et qvlnqvageno
nono post (h)is sociato (d. i. 1159) und rings auf dem Rande der drei
oberen Kreuzesarme eine dem Sinne nach aus drei Theilen bestehen-
den Inschrift: 1. Ein Distichon, anscheinend in Form eines Dialogs
zwischen der Mutter und ihrem gekreuzigten Sohne: f Fili' Q^id,
mater? Devs es? Svm, Cvr ita pendes? Ne genvs hvmanvm vergat in
interitvm f. 2. Der Name der Verfertiger oder Stifter : Petrvs Alberici
me fecit cvm patre. — 3. Die Mahnung an die Vorübergehenden:
Pacem satis inter vos abeatis. Die Rückseite zeigt in einer parabolisch
gespitzten Einfassung die thronende Figur eines gealterten bartlosen
Königs mit nackten Füssen, welcher die Rechte segnend erhoben und
in der Linken ein aufgeschlagenes Buch hält, das er auf das Knie
stützt und dem Beschauer zuwendet. Die mit Perlen besetzte Einfas-
sung wird von den namentlich bezeichneten Engeln Michael, Gabriel
und Rafael gehalten, von welchen der letztere unten steht, die beiden
anderen in wagerechter Stellung in den Querarmen des Kreuzes. Oben
auf der Mandorla steht das Lamm mit einem Kreuze als Nimbus und
der erklärenden hexametrischen Umschrift: Hac tibi pictvra svbeat
patris illa figvra. (Vgl. Job. 12, 45: Wer mich siebet^ der siebet den,
der mich gesandt hat.)
') Auch ein schon 1256 existirendes, ehemaliges Brückenkreuz in dem
Saale der älteren Denkmäler auf dem Gottesacker zu Bologna, dessen Vorder-
seite die rohe Darstellung eines unförmlichen Crucifixus enthalt, zeigt in der
Mitte der Rückseite die auf einem Strahlennimbus liegende segnende Hand
zwischen den auf den Ereuzarmen befindlichen Evangelisteuzcichen.
200 Zur SUurologie.
Als Resultat für die Ikonographie des Crucifixus eingibt sich
1) dass die Symbob'sirang des Gekreuzigten durch das Lamm als
Hauptdarstellung ')> wenn nicht später, so doch wenigstens noch um
die Mitte des X. Jahrh. nachweislich ist, und 2) dass die ideelle Dar-
stellung des Grucrfixus (naQa <pvaiv) *) im Abendlande noch bis nach
der Mitte des XII. Jahrh. vorkommt.
H. Otte.
^) Vgl. Jahrbuch. XLIY u. XLY 8. 197.
«) Vgl. ebd. L u. U S. 266.
11. Fund römischer Kalsermanzen in der Nähe von Bonn.
Hiezn Tafel XYII Fig. 1—4.
Jeder Mttnzsammler, der seine Münzen nicht alle vom Händler
erhält, sondern sich auch mit dem Erwerb aus erster Hand, das ist
von Grundarbeitem, Gärtnern, Ziegelbäckern etc. beüasst, weiss recht
gut wie selten unter den vielen Exemplaren, die fortwährend zu Tage
gefördert werden, ein wirklich gutes Stück sich befindet, indem die
Arbeiter nichts eiligeres zu thun haben, als mit Essig, Mineralsäure
oder mechanischen Mitteln der Münze auch noch den letzten Rest von
Schönheit und Werth zu nehmen. Um so mehr erfreut es uns ein
Stück zu erhalten, welches unverletzt geblieben ist und dazu sich
durch Seltenheit auszeichnet.
In dieser Hinsicht war mir das verflossene Jahr dn günstiges,
indem ich zu wiederholten Malen Münzen erwarb, welche jeden An-
spruch, auch den des subtilsten Sammlers befriedigen. Eines Abends
nämlich überbrachte mir ein auswärtiger Arbeiter eine Anzahl Mün-
zen, welche sowohl wegen ihrer Schönheit als auch theilweise wegen
ihrer grossen Seltenheit einer kurzen Besprechung werth sind, zumal
dieselben in der Nähe von Bonn gefunden worden sind.
Die Münzen lagen frei in der Erde, etwa 3V2 Meter unter der
Oberfläche in einer trockenen Eiesschichte. Sie schienen ursprünglich
in einem Kistchen aufbewahrt worden zu sein, denn bei denselben
fanden sich zwei schmale, mit einer einfachen Verzierung geschmückte
Bronceringe vor, welche etwa 6 Gm. im Durchmesser hielten und
höchst wahrscheinlich als Einfassung am oberen und unteren Ende
einer kleinen runden Gassette gedient hatten. Durch Oxyd waren die
meisten Münzen mit einander verklebt, Hessen sich jedoch leicht ohne
Anwendung schädigender Mittel von einander lösen.
262 Fnnd römischer EaüermÜDzeu in der I
Die sämititlichen Münzen des Fundes,
mit Ausnahme von dreien aus der Zeit von V
also aus der zweiten Hälfte des dritten Jahi
Die drei aus früherer Zeit waren stark abj
anderen alle vovzQglich erhalten waren, so d
als wenn sie nie im Verkehr gewesen wären.
Die drei älteren Münzen sind folgende:
1) Ein Denar von Antoninus Fius
ANTONINVS ■ AVC -■ PIVS
Kopf des Kaisers mit Lorbeerkrone nacl
Rev. COS 1 1 I I - Stehende weibliche Fi
eine Schale, in der linken einen langen Speer
2) Denar der altern Faustina. Derselbe
gebrochen und hatte so stark gelitten, dass
noch ein nach rechts gewandtes Haupt und ai
Figur erkennen konnte.
3) Denar des Kaisers Caracalla. Coh. S
M ■ AVR ■ ANTONINVS
Büste des jugendlichen Kaisers nach r
Haupte und mit dem Paludamentum bekleidel
Rev. seVERI ■ AVC ■ Pll FIL. Op
Von den 31 übrigen Münzen werde ich
aufführen, von den häufig vorkommenden jede
Dieselben sind entweder von Eilion oder von
1) Hariniana. Bil.
Coh. IV. P. 345 Nr. 9 ... 8 fr.
OIVAE MARINtANAE
Verschleierte Büste derselben nach recl
Rev. CONSECRATIO.
Pfan nach rechts fliegend und die Kais«
tragend.
Diese Münze ist von vorzüglicher Schöi
haltung.
10 Münzen des K.aisersPostumn!
vorkommende Kleinerze, 6 Billonmiinzen und
1) Silberqainar.
IMP ■ C POSTVMVS P •
' Kopf de &ce, ein wenig aach links geri
\
Fund rftniisoher KaiBermünBen in der N&he ron Bonn. 36S
Rev. PROVIDENTIA AVC. Die Providentia aufrecht stehend
mit einer Kugel auf der rechten Hand, einen Stab in der linken hal-
tend. Tafel XVII Fig. 1.
Diese Münze findet sich bis jetzt weder in irgend einem der mir
bekannten Werke erwähnt noch abgebildet.
2) Silberdenar.
POSTVMVS PIVS AVC.
Kopf mit Lorbeerkranz nach rechts.
Rev. LIBERALITAS AVC.
Die Liberalitas stehend, das Gesicht nach links gewendet, in der
rechten Hand eine Tessere haltend, auf dem linken Arme ein Füllhorn.
Tafel XVII Fig. 2.
In Betreff der Ausführung kann man diese Münze den besten Stücken
der ersten Kaiserzeit an die Seite stellen, besonders der Kopf ist von
schöner erhabener Arbeit. Sie ist ebenfalls bis jetzt nicht beschrieben.
3) Bilionmflnze.
POSTVMVS PIVS FELIX AVC.
Der Kopf des Postum us neben dem des Hercules, beide
nach links.
Rev. HILARITAS. Weibliche Figur mit Füllhorn in dem linken
Arme und einem Palmenzweige in der rechten Hand ; zu beiden Seiten
steht je ein Genius in Kindesgestalt.
Cohen sowie die übrigen bekanntem Numismaten führen die-
selbe nicht an. Tafel XVH Fig. 3.
4} Bilionmflnze.
Der Avers wie vorher, jedoch sind die beiden Köpfe nach rechts
gewendet
Rev. HERCVLI THRACIO. Hercules bändigt die Stuten des
Diomedes. Ebenfalls bis jetzt unbekannt. Tafel XVU Fig. 4.
De Witte führt in einer Schrift „Medailles in^dites de
Postume Revue numismatique, Paris 1844" diesen Revers zweimal an,
die Vorderseite ist jedoch verschieden. Bei der einen, einer Goldmünze,
hat dieselbe einen Kopf fast de face, etwas nach rechts gerichtet, bei der
andern (Billonmünze) zeigt sie einen Kopf mit Lorbeerkrone nach links.
Cohen V. P. 23 Nr. 67 und 68 führt zwei Münzen mit demsel-
ben Revers an, jedoch sind die betreffenden Averse verschieden, indem
dieselben auch nur die Büste des Postumus zeigen, ausserdem ist
die erste von Gold.
I
264 Fond römischer KaisermüiiBexi in der mibe Ton Bomi.
5) Bfllonmflnxe. Coh. V. P. 21 Nr. 52 ... 200 fr.
Av. wie vorher.
Rev. HERCVU ERYMANTINO.
Hercules nach rechts schreitend, auf der linken Schalter einen
Eber tragend, welchen er mit beiden Händen hält. Unten rechts eine
Tonne, — in welcher Eurysthens verborgen sein soll —
6) Billonmflnze. Coh. V. P. 21 Nr. 5< . . . 150 fr.
Av. wie bei 4.
Rev. HERCVLI INMORTALI.
Hercules geht nach rechts, indem er die Keule links geschul-
tert trägt, mit der linken Hand führt er an einem Strick den drei-
köpfigen Höllenhund.
7) Billonmflnze. Coh. VII. P. 287. Nr. 16 ... 250 fr.
Av. wie bei den vorhergehenden.
Rev. HERCVLI ROM.
Hercules, ohne Bekleidung, nach rechts gewandt, so dass er den
Rücken zeigt. In der rechten Hand hält er die Keule, welche er auf
den Boden stützt, über den linken Arm hat er die Löwenhaut gewor-
fen. Links von ihm, in der Mitte des Münzfeldes ein Apfelbaum, links
von diesem drei fliehende Nymphen. (Darstellung des Hercules im
Garten der Hesperiden.)
8) Billonmflnze. Quinar. Coh. V. P. 37. Nr. 159 ... 150 fr.
Av. die beiden Köpfe wie bei den vorhergehenden Münzen.
Rev. SALVS AVG. Die Göttin der Gesundheit, in der rechten
Hand einen Stab haltend, um welchen sich eine Schlange windet.
Es ist bekannt, dass Commodus, der kein grösseres Vergnügen
kannte, als auf schnellem Ross das flüchtige Wild zu erjagen oder
selbst im Circus die Muskelkraft seines Armes und die Sicherheit sei-
nes Auges zu erproben, für den Gott, in dem diese Eigenschaften in
höchster Vollkommenheit sich vereinigten, eine besondere Vorliebe
fasste. Beweis dafür sind die mancherlei Münzen, auf welchen Co m -
modus selbst sich mit der Löwenhaut und den übrigen Emblemen
des Gottes abbilden lieä, oder auf denen Thaten desselben dargestellt
wurden. Bei dem Kaiser Postumus fanden sich auch diejenigen Tu-
genden, welche den Mann und FcldheiTU zieren, in hohem Grade ; da-
durch gelang es ihm wenigstens zeitweise eine glückUche Zeit in
seinem Reiche herzustellen. Der Antrieb, dass dieser Kaiser sich
gleichfalls zum Vorwurf nahm, den Cyclus der Heldenthaten des Her-
r
Fnnd römisoher Kaisermünsen in der N&he von BonxL 266
cules, als Vorbild der Tapferkeit, auf Münzen darzustellen, lag
daher sehr nahe.
De Witte führt in der oben citirten lehrreichen Schrift ausser
den angeführten Münzen, welche zu diesem Cyclus gehören, noch
nachstehende Stücke an, auf welchen andere Arbeiten des Hercules
dargestellt sind:
HERCVLI NEMAEO Hercules den nemäischen Löwen er-
würgend ;
HERCVLI ARCIVO H. die Hydra bekämpfend;
VIRTVS POSTVMI AVC stellt dar, wie H. die ermattete
Hindin bei dem Geweih erfasst;
HERCVLI AV. H. erlegt die Stymphaliden ;
HERCVLI CRETENSI H. bändigt den Stier von Greta;
HERCVLI PISAEO H. reinigt den Augiasstall;
HERCVLI INVICTO zeigt H. als den Besieger der Amazonen;
HERCVLI CADITANO H. im Kampfe mit dem dreifachen
Geryon, und endlich
HERCVLI LIBYCO führt uns den H. als den Besieger des
Riesen Antaeus vor.
Was nun das Gepräge der betr. Münzen des Postumus betrifft,
so sind sämmtliche Stücke^ welche auf der Vorderseite die beiden
Köpfe führen, von vorzüglicher Arbeit, so dass sie unbedingt zu den
schönsten Münzen aus jener Zeit zählen. Ihre Seltenheit — sie stehen
alle in hohem Preise — macht es wahrscheinlich, dass sie nicht als
Coursroünzen geprägt wurden, sondern dass dieselben ähnlich wie die
Medaillons nur bei feierlichen Gelegenheiten zur Vertheilung kamen,
sei es nun als Belohnung für geleistete Dienste, für Tapferkeit im
Kriege oder bei anderen Anlässen. Jedenfalls bildet unser Münzfund
j einen werthvoUen Beitrag zu diesem Cyclus, indem derselbe wesentlich
; dadurch vervollständigt wird.
Ein Kleinerz des Kaisers Claudius Gothicus mit gewöhn-
j lichem Revers.
( Vom Kaiser Aurelianus finden sich 5 verschiedene Münzen
i vor, von denen jedoch nur eine genauerer Erwähnung werth ist. Die-
j selbe findet sich bei Cohen V. P. 150 Nr. 200 ... 6 fr.
IMP AVRELIANVS AVC.
I
266 Fand römiiclier Kus«rmfin»ii in ä
GevandbQste des Kaisers nach recl
Lorbeerkrooe.
Rev. VICTORIA AVC.
Geflügelte Victoria nach links sehr
einen Kranz, in der linken einen Palmzwt
Füssen ein GefaDgeoer, dem die Hände au
darunter der Buchstabe B. Es ist eine Ele
Diese hUbsch geprägte, sehr gut erh
drei Exemplaren vor.
Darauf folgen 3 Münzen von Sever
lians, sämmtlich Kleinerz, zwei in gewöhi
Form. Letztere ist die interessantere und
Nr. 14 ... 3 fr. folgendermarsen beschrie
SEVERINA AV
Büste diad^mä k droite sans le croiss
Rev. VENVS FELIX.
Venas debout k gancfae, tenant ane
In einer Note bemerkt Cohen: „La ]
distinctej Welzl a cm voir un oiseau. D'
mädailles däcrites par Banduri et d'auti
pomme, et le quinaire de d'Ennery oä eile
taut que ce soit un veritable quinaire) n'
et mfime type."
Ich glaube, dass Cohen in dieser Bemei
Mein Exemplar ist so deutlich, wi<
auch bei ihm lässt sich nicht mit absoli
was die Figur in oder besser auf der Hai
es keine Statuette, wie Cohen oben sagt, so
kleinen Untersatze. Die Schuld liegt am
den. betreffenden Gegenstand so nachlässi{
ans ihm machen lässt, was einem gerade
Die beiden anderen Münzen finden si
Auch die übrigen 11 Münzen, von
Tacitns und 5 auf Probas kommen,
vorkommenden und zeichnen sich nur durc!
Das Wichtigste des ganzen Fundes si
des Postumus; denn erstens waren, si
diesem Kaiser noch keine Mänzen von n
!
Fand römischer Kaisermünzen in der Nahe von Bonn. 267
sodann sind die Münzen, welche auf dem Avers die Kopfe des Kaisers
und des Hercules tragen, so selten, dass in den grössten Münzsamm-
lungen nur wenige Exemplare sich vorfinden.
Ich überzeugte mich durch eigene Anschauung, dass diese Mün-
zen aus einem Eömergrabe herstammen, denn an derselben Stelle
fanden sich noch Skeletttheile, Asche, sowie eine grosse Menge Frag-
mente von Gläsern, Thongefässen und anderen Gegenständen, wie die
Römer sie ihren Todten mit in's. Grab gaben, vor. Leider waren die
meisten Stücke durch das Ungeschick der Arbeiter zerstört.
Das Grab eines gemeinen Mannes kann es nicht gewesen sein^
dagegen spricht die Anzahl und Seltenheit der Münzen. Erinnern wir
uns an das oben in Bezug auf den Herculescult Gesagte, so wird es
wahrscheinlich, dass diese Stücke dem Grabe eines höhern Be-
amten oder Offiziers angehörten, welchem sie vom Kaiser selbst verehrt
worden waren. Der frühere Besitzer hielt sie ebenfalls werth und be-
wahrte sie sorgfältig auf, bis der Schatz noch ganz unversehrt dem
Verstorbenen in's Grab beigelegt ward.
Bemerkenswerth ist übrigens noch der Umstand, dass während
in Belgien, Nord-Frankreich, Luxemburg und Holland jährlich eine
grosse Menge gewöhnlicher Postumusmünzen zu Tage gefördert wer-
den, diese seltenen Stücke mit den Köpfen des Postumus und des
Hercules fast alle vom Rheine, und zwar aus der Nähe Co Ins, wo
Postumus bekanntlich residirte, stammen. Diejenigen, welche ich
kenne, sind alle in unserer Gegend gefunden.
A. Senckler — Uebersicbt der Münzgeschichte des Rheinlandes
etc., dieses Arhivs Bd. XV — berichtet von mehreren Münzen dieser
Suite, die in oder bei Göln ausgegraben wurden, und aus der oben
angeführten Schrift von de Witte ersehen wir gleichfalls, dass mehrere
dieser seltenen in französischen Gabinetten befindlichen Stücke vom
Rheine dorthin gekommen sind.
Bonn. Dr. Cuny Bouvier.
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12. Zwei unedirte Kaiser-Mflnzen.
ffierzu Tafel XVII, Fig. 6 u. 6.
I. Auf der kölner Münz-Aaction vom 5. August 1871 erstand ich
aus dem Nachlasse des Malers Meinertzhagen ein Mittelerz, welches
bis dabin den Augen der Münzliebbaber nicht besonders aufgefallen
zu sein scheint, mir aber interessant genug dünkt, hier kurz bespro-
chen zu werden.
Av. HAORIANVS AVG COS III • P • P •
Gewandbüste des Kaisers nach rechts.
Bev. SICILIA • S • C '
Triquetra, in der Mitte ein Haupt en fa^e.
Obgleich Herr Meinertzhagen mehrere seiner Münzen durch
Tauschgeschäfte aus Paris bezogen hatte, so rührten doch die meisten
aus kölner Funden her. Der unkundig bewerkstelligte und unvoll-
endete Putz versuch des Averses unserer Münze ist ein Beweis, dass
dieselbe niemals durch die Hände der im Putzen so gewandten pa-
riser Händler gegangen ist; wir haben es also wahrscheinlich mit
einem kölner Fundstück zu thun.
Cohen beschreibt B. II. Hadrian Nr. 1 141 ein Grosserz, welches
an unsere Münze erinnert:
HADRIANVS AVG COS III P P
son buste nu ä droite.
Bev. SICILIA - S - C? La triqu^re, au milieu, la töte de Me-
duse de face; dessous, le moustre Scylla; ä gauche deux? ou trois
figures; ä droite un rocher? ou un gouvemail. F. G. B. 250 fr.
Das hier von Cohen beschriebene Exemplar der pariser Samm-
lung muss sich in einem sehr desolaten Zustande befinden^ wie ai)B
Zwei anedirte
'Mflmfltt.
269
der Unbestimmtheit der Beschreibung und den angebrachten Frage-
zeichen erhellt.
Der Avers meiner oben beschriebenen Münze ist leider durch
ungleiche Oxydation und schlechtes Putzen nicht sehr ansehnlich, wenn
auch vollkommen leserlich, dagegen ist der Revers recht gut erhalten
und ziemlich gleichmässig grQn patinirt.
Ob wie bei Cohen auch in dem Kopf unseres Reverses ein Me-
dusenhaupt zu sehen ist, wage ich nicht zu entscheiden, glaube es
aber nicht, da der Kopf zwar sehr wilde Locken, aber keine Schlangen
zeigt. Die Triquetra oder Trinacria {Tgirmtgia) erscheint schon in
sehr früher Zeit theils als Hauptdarstellung, theils als secundäres Ge-
bilde auf dem Felde der Münzen, und zwar meistens als Sinnbild Si-
ciliens. Sicilien selbst wird bei den Alten häufig Trinacria genannt,
und so mag der Name und die dreieckige Form der Insel sowohl als
der Triquetra zur Annahme dieses Sinnbildes, ich möchte sagen Wap-
pens, geführt haben.
Die älteste Münze mit der Triquetra wird wohl das inStrozzi's:
Periodico di numismatica e sfragistica per la storia dltalia von Ga-
murini im vorigen Jahre publicirte Ass sein. Dasselbe zeigt auf der
einen Seite den neptunischen Dreizack, auf der andern eine Triquetra;
hier sind die drei Beine, wie bei mehreren der ältesten Münzen, ein-
fach zusammen gefügt und zeigen in der Mitte weder einen Kopf noch
em anderes Bild. Die Figur wird aber dadurch eine so unschöne, dass
es dem zarten Schönheitssinne der Alten nahe lag, dieselbe zu ver-
edeln. Wir sehen desshalb bei dem Quadrans in Marchi's Aes grave
del Museo Kircheriano Taf. XI Nr. 4 in der Mitte einen erhabenen
Kreis, der sich bei der Münze von Selge, Mionnet description des me-
dailles antiques Taf. LIII Fig. 6 in ein Rad oder Q von alter Form
umwandelt, während bei Münzen einer späteren Periode ein Kopf in
der Mitte auftritt Dieser Kopf ist bei den älteren Münzen klein, eben
nur Schmuckstück; wie z. B. bei der in Beger's Thesaurus Branden-
burgicus S. 369 abgebildeten Münze von Panormus; wird aber im
Verlaufe der Zeit grösser, wie bei dem Denar der gens Claudia, Vail-
lant Nr. 38, bis er bei unserem Hadrian, dem spätesten bekannten
Vorkommen der Triquetra auf antiken Münzen, als grosser Kopf mit
verhältnissmässig sehr kleinen Beinen auftritt.
Dass wir es mit einer in Rom geprägten Münze zu thun haben,
ergibt sich einestheils aus der edeln Präge und den Buchstaben S. C
des Rev., anderntheils auch aus dem Umstände, dass „nach Tiberius
370 Zwei anedirt« Kuaer-Hflnieo.
Sicilische LocalmOnze Überhaupt nicht mehr get
Mommseu Geschichte des röm. MüDzwesens S. 6
II. Ein Kleinerz voo Constantinus M.
Av. IMP CONSTANTINVS •
Bekleidete Büste des Kaisers mit Helm, in
auf der Schulter tragend.
Rev. lOVI ■ CONSERVATORI AVC ii
' Jupiter auf einem Adler sitzend, einen Don
und ein Scepter in der linken Hand haltend.
Dieser schöne Revers, der bei Licinius 6(
kommt, ist meines Wissens von Constantin bis
OlTenÜicht worden.
Bonn. F-
II. Litteratar.
1. Histoire de la peintare au pays de Liege depuis les temps les plus
recnles jusqu' & la fin du XYIII siede, par M. JulesHelbig, peintre. Abgedruckt
in den Memoires de la Societe libre d'emulation de^ Li^ge. Nouvelle Serie.
Tome IV. Liege 1872. Seite 220-517.
2. Charles Gerard, les Artistes de l'Alsaoe pendant le moyen-&ge.
Tome I. Colmar und Paris. 1872.
8. Dr. J. Rudolf Bahn, Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz.
I. Band 1. Abtheilung. Zürich 1873.
Die drei Werke, deren Titel ich hier zusammen gestellt habe, sind zwar
Ton einander völlig unabhängig und sogar durch die Speoialitat ihrer Aufgaben
und die Tendenzen ihrer Verfasser mannigfach von einander abweichend, eignen
flieh aber dennoch in diesen den rheinischen Alterthümern gewidmeten Blättern
zu gemeinsamer Betrachtung. Sie beschäftigen sich nämlich alle mit der Kunst-
geschichte einzelner Territorien, welche entweder selbst zu den germanischen
Rheinlanden gehören oder doch dieselben von Westen oder Süden her mit ro-
manischer Bevölkerung umgrenzen und mithin näher bestimmen. Der Bildungs-
reichtfaum und das Interesse der modernen Geschichte und Kunst und beson-
ders dieser mittleren Gegenden von Europa beruht grossentheils auf der durchweg
individuell verschiedenen Mischung und Durchdringung antiker und christlicher
Elemente, sowie romanischer und germanischer Bevölkerung, welche wir durch
die nähere Kenntnist der einzelnen Localitäten würdigen und verstehen lernen.
1. Die Stadt und das Bisthum Lütticfa, mit dessen Geschichte sich das
erste jener Werke beschäftigt, gibt schon ein charakteristisches Bild dieser Mi-
•chungsverhältnisse. Bewohnt, wenigstens überwiegend, von einem romanischen
Stamme, der hier aber auf einem vorgeschobenen Posten steht und zahlreiche
Einflüsse von den benachbarten, ganz germanischen Stämmen empfangt, überdies
bis zur französischen Revolution zum deutschen Reiche gehörig, zeigt diese
Gegend recht deutlich den inneren geistigen Kampf und das wechselweise Em*
porkommen romanischer und germanischer Tendenzen. Selbst die Geschichte
• "rf-^
272 M. Jules Heibig,
dieses Buches ist nicht unberührt davon geblieben. Unsere Schrift ist eine vor
der auf dem Titel genannten Gesellschaft gebilligte Beantwortung einer von
einem Mitgliede derselben aufgestellten Preisfrage, und sowohl der Aufstelle,
dieser Frage als die Mitglieder der bcurtheilcnden Commission scheinen sich,
wie die romanischen Völker überhaupt, der Auffassung der Kunst zuzuneigen
welche das Individuelle der Kunst, und daher vorzugsweise die Bravour der
Malerei betont. Die Kunstfreunde von Lüttich waren sich bewusst, dass ihre
Stadt seit der Renaissance eine Reihe von Malern hervorgebracht hatte, deren
Namen in den Gallerien des 17. und 18. Jahrh. einen guten Klang gehabt hatten.
Diesen traditionellen Ruhm geltend zu machen, war die Absicht der Frage-
weiche deshalb auch' ausschliesslich auf die Malerei gerichtet ist, und der Wunsch
der Commission, w^elcbe sogar eine Vervollständigung der biographischen Nach-
richten von dem Verfasser der Preisschrift verlangte. Dieser dagegen ist denn
doch zu weit mit der neueren Kunstwissenschaft fortgeschritten, um nicht auch
auf die innere Einheit der bildenden Künste und auf das ungebrochene 6e*
sammtleben derselben, wie es sich im Mittelalter zeigte« grosses Gewicht zu
legen. Seine Schrift sucht daher sowohl dieser Auffassung wie jener früheren
gerecht zu werden und hat dadurch wesentlich an Interesse gewonnen.
Die Leistungen des früheren Mittelalters in dieser Gegend, denen der
Verfasser fleissig nachgeforscht hat, sind zwar an sich keineswegs bedeutend,
sondern nur Reflexe allgemeiner Ursachen, die sich im ganzen damaligen Abend-
lande geltend machten. Irische Missionarien scheinen auch hier den Anstoss
gegeben zu haben, wie zwei Evangeliarien des 7, Jahrh, beweisen^ welche von
Nonnen des Klosters zu Alteneyck herstammen sollen, und sich jetzt im Kir-
chenschatze von Maeseyck befinden. Die Zeit Carls des Grossen hat trotz der
Nähe von Aachen hier keine bedeutenden Spuren hinterlassen und wir besitzen
nichts als einige Miniaturen und kurze Nachrichten über untergegangene Wand-
malereien. Im 11. Jahrh. wurde die Abtei Stablo (über deren Reliquienschatz
bereits im Heft 46 d. Jahrb. berichtet ist) eine Stätte eifriger Kunstübung.
Miniaturen mit der Jahreszahl 1097 und den Namen der malenden Mönche,
werden im britischen Museum bewahrt. Im 12. Jahrh. begann, wie das be-
kannte Taufbecken von Lambert Patras in S. Bartholomäus zu Lüttich beweist,
die Uebung des Metallgusses, welche Technik damals in der Gegend von Di-
nant so sehr blühte, dass man sie eine Zeitlang geradezu als Dinanterie be-
zeichnete.
Im 13. Jahrhundert scheint das Thal der Maas den Ruhm der Malerei
erlangt zu haben. Der Dichter des Parcival spricht in einer oft angeführten
Stelle von den Malern von Maestricht in sehr anerkennender Weise; er stellt
sie denen von Köln gleich und scheint beide Schulen als die au bezeichneni
welche das Höchste in dieser Kunst leisteten. Erinnert man sich, dass dann
zwei Jahrhunderte später zwei der grössten Meister aller Zeiten, die Brüder
van Eyck aus dieser Gegend, aus dem Städtchen Maeseyck hervorgingen, so
möchte man vermuthen, dass hier eine besondere Beg^abung der Malerei ein-
heimisch gewesen. Allein die Bemühungen der Localforscher und auch die
■ ' ^^ tl
Histoire/de la peinture an pays de Li^ge. 273
unseres Verfassers haben keine Bestätigung dieser Vermutbung gebracbt. Es
sind zwar einige Wand- und Tafelmalereien des 13. und li. Jabrb. (in Kcrniel
bei Looz und in der Dominikanerkirche zu Maestricht) erhalten, aber ohne be-
deutenden Werth. Auch in der Sculptur scheint sich keine eigen thümliche
Schule gebildet zu haben. Bei Erwähnung eines im Jahre 1310 mit Statuen ge-
schmückten Portales an der jetzt abgebrochenen Domkirche von Lüttich be-
merkt der Chronist, dass dabei drei Künstler mitgewirkt, die in der ganzen
Welt nicht ihresgleichen gehabt hätten; die Namen, welche er nennt (Jehan de
Cologne und Pire li Allemaus) weisen aber auf Deutschland hin.
Johann von Eyck war nicht blos aus der Nachbarschaft von Lüttich ge-
bürtig, sondern scheint sogar seine künstlerische Laufbahn in dieser Stadt be-
gonnen zu haben, wo er um 1420 im Dienste des damals zum Bischof desig-
nirten Prinzen Johann von Bayern stand. Indessen sind keine Spuren seiner
Wirksamkeit hier vorzufinden und sogar sein Einfluss scheint erst ziemlich spät
hierher zu dringen. Im Kloster S. Lorenz in Lüttich lebte damals ein fleissiger
Miniatur maler, Johannes von Stablo (f 1449), von dessen Arbeiten einige in
England und in der Bibliothek zu Brüssel erhalten sind. Sie tragen aber noch
nicht den Charakter der Eyck'schen Schule.- Ja, noch mehr, ein sehr viel spä-
teres Bild, das jetzt im Privatbesitze befindliche, ursprünglich in die Pauls-
kircbe zu Lüttich gestiftete Epitaphium des im J. 1459 verstorbenen Dr. van
der Meulen ist noch ganz ohne solchen Einfluss; in strenger symmetrischer
Haltung, auf Goldgrund und ohne naturalistische Motive ausgeführt- Es ist zwar
richtig, dass 'ein solches vereinzeltes Beispiel nicht entscheidend ist, da es stets
einzelne zurückbleibende Künstler gibt, welche den Neuerungen lange wider-
streben, und man kann daran erinnern, dass die Stadt Lüttich im Jahre 1468
darch die Rache Carls des Kühnen eine gründliche Zerstörung erlitt, bei wel-
cher eine grosse Zahl älterer Kunstwerke zu Grunde gegangen sein kann. Al-
lein wenn ^ eine blühende Malerschule in Lüttich bestanden und die durch die
Eyck's errungenen Fortschritte verwerthet hätte, würden immerhin einzelne
Leistungen derselben in der Verborgenheit des Privatbesitzes oder in den be-
nachbarten Ortschaften jener Zerstörung entgangen sein. Nachrichten über da-
mals in Lüttich lebende Maler fehlen zwar nicht ganz. In den Rechnungen der
Stadt von 1454—1474 erhält ein gewisser Antonius wiederholt Zahlungen für
Wand- und Tafelgemälde, ein Mal sogar eine Zulage zu dem ursprünglich ver-
abredeten Preise, also eine Anerkennung besonderer Verdienste. Wir kennen
aber kein Werk von seiner Hand und es ist nur eine Vermuthung des Ver-
fassers, wenn er die bekannte; früher im Besitze von Sir Charles Eastlake, jetzt
in der National-Gallerie zu London befindliche Darstellung der feierlichen Be-
stattung eines Bischofs für die Bestattung des heil. Hubertus in S. Peter zu
Lüttich und für ein Werk dieser Schule und sogar dieses Antonius erklärt.
Erst bei dem Ende der Eyck* sehen Schule scheint sich der Stern von
Lüttich zu heben und es finden sich nun hier zwei namhafte Meister von glei-
cher und eigen thümlicher Richtung, welche dahin mitwirkten, den Uebergang
von dieser Schule zur modernen Malerei zu vollziehen, Joachim Patenier and
18
• >:
274 M. Jules Heibig.
Herry met do Blei. In den letzten Decennien des 15. Jabrh., beide im oberen
Maasthale, Patenier in Dinant, Heinrich in Bouvignes geboren, zeigen sie eine
sehr verwandte Bichtang. Das landschaftliche und genrehafte Element, das bei
den grossen Meistern der flandrischen Schule schon vorhanden, aber dem Reli-
giösen untergeordnet gewesen war, erhält bei ihnen höhere Bedeutung; die
heiligen Gestalten werden mehr zur Staffage. Der Verfasser ist geneigt, dies
den Vorzügen ihres gemeinsamen Geburtslandes, die Betonung des Landschaft*
liehen den Schönheiten der Natur, das Hervortreten des Genrehaften dem prak-
tischen, auf das Gewerbliche gerichteten Sinne seiner Bevölkerung zuzuschreiben,
Das Thatsachliche, das Pikante jener Berglinien und der rüstige, erwerbsame Sinn
des wallonischen Stammes, ist unbestreitbar richtig, aber schwerlich die Folge*
rung. Die landschaftliche Kunst ist durchweg das Product der Sehnsucht nach
schöner Natur, nicht des Genusses; sie hr.t immer in unscheinbaren Gegenden
ihren Ursprung. Der praktische Sinn sucht auch im Idealen die Consequenz
und weist das Genrehafte zurück. Von einer Begeisterung für landschaftliche
. Schönheit, von einem kräftigen Humor ist in der That bei beiden Meistern
keine Spur zu entdecken. Ihre Stellung ist vielmehr schwankend, sie können
sich dem Einflüsse der flandrischen Schule weder entziehen, noch ganz hin-
geben. Sie sind mehr aus chronologischen als aus geo<2[raphischen Beziehungen
zu erklären. Jene mystische Frömmigkeit, welche in dem Glänze der natür-
lichen Dinge die Offenbarung göttlicher Geheimnisse zu erschauen, jene Naivetät,
welche irdische Pracht als Ausdrucksmittel des Heiligen und Hohen gebrauchen,
und kirchliche Beligiosität mit sinnlichem Lebensgenuss vereinigen zu können
glaubt, wollte im 16. Jahrhundert nicht mehr gedeihen. Die Elemente des Ab-
strakten und des Sinnlichen, welche nach der asketischen Sonderung des Mit-
telalters im 15. Jahrh. vorübergehend eine Einheit gebildet hatten, begannen
wieder auseinander zu gehen; man fühlte, dass jene Mischung des Geistigen und
Sinnlichen keinem von beiden genüge, man strebte das Sittliche und Religiöse
mit tieferem Ernst, das Natürliche mit grösserer sinnlicher Wahrheit zu er-
fassen. Man wurde sich der Mängel der bisherigen Kunstrichtung bewusst, eiie
man^ das Mittel gefunden hatte ihnen abzuhelfen. Es war nahe daran, dass
Wirklichkeit und Kunst in Widerspruch geriethen. Nahm man es mit den reli-
giösen und sittlichen Interessen genau, so schien die Harmonie des Ganzen ge-
fährdet, und fasste man diese vorzugsweise ins Auge, so konnte der Ernst des
Ansdrucks schwerlich seine volle Kraft erhalten. Jenes (die Betonung des sitt-
lichen Ernstes und der Schmerzen) entsprach der Stimmung det nordischen, mehr
germanischen Völker, dieses (die Schönheit der Form) lag den Südländern, vor
allen den Italienern, näher. Eine neue Scheidung auf diesem Gebiete bereitete
sich vor. Aber es währte noch eine Weile, ehe man sich so weit von dem
Ueberlieferten enifemte, und unsere beiden Meister aus dem obem Maasthale
konnten sich noch nicht dazu entschliessen. Sie gehörten zwar einem romani-
schen Stamme an, aber einem solchen, der vielfach unter dem Einflüsse der
benachbarten germanischen Provinzen stand. Wir wissen nicht einmal, wo lia
ihre Lehrjahre durchgemacht hatten, und es ist nicht unwahrscheinlich, data
Histoire de la peintnre au pays de Liege. 276
dies in Brabant, in Antwerpen oder Mecheln, wo wir sie später ansässig ünden,
geschehen war. Der Weg, den sie einschhigen, war daher auch nar eine halbe
Maassregel. Sie yerminderten die Schwierigkeiten, ohne ihnen abzuhelfen. Wäh-
rend ihr germanischer Zeitgenosse Quentiu Mcssys, um ergreifenden Ausdruck
zn erlangen, seinen Figuren grössere Dimensionen gab ala die bisherigen Mei-
ster, bildeten sie dieselben meistens kleiner, wodurch sie denn von selbst in
das Yerh<niss der Staffage rückten. Wie wenig sie dabei als Repräsentanten
ihrer Geburtsgegend verfuhren, zeigt sich denn auch daran, dass sie in der-
selben keinen Nachfolger fanden, dass vielmehr gleich nach ihnen gerade Lüt-
tich es war, welches entschieden mit der mittelalterlichen Tradition brach und
sich, den Nachbargegenden vorangehend, der italienischen Renaissance zuwandte.
Es ist merkwürdig, wie kräftig sich bei dieser Gelegenheit das romani-
sche Blut dieses Stammes im Gebiete von Lüttich äusserte. Der Uebergang
vollzog sich plötzlich, aber in höchst normaler Weise; wir beündeu uns mit
einem Schlage in voller Renaissance. Künstler und Literaten waren dabei mit-
wirkend und auch an einem Mäcen fehlte es nicht. Erhard von der Marck, der
im Anfange des 16. Jahrh. Fürstbischof von Lüttich wurde^ war ein humani-
« stisch gebildeter, kunetliebender Herr, welcher den lebhaften Ehrgeiz empfand,
seien Residenz im Sinne der neuen, in Italien aufkommenden Kunstrichtung
würdig zu schmücken. Er hatte das Glück, die Mittel dazu, und namentlich
einen jungen Maler, der die dazu nöthigen Eigenschaften im vollsten Maaase
besasB, in seiner' Stadt selbst vorzufinden. Lambert Lombard, Sohn eines Lüt-
ticher Bürgers, 1503 oder 1506 geboren, war ohne noch die Niederlande ver-
lassen zu haben, bereits in Berührung mit der neuen Kunstrichtung gekommen,
indem er in Middelburg mit dem berühmten Maler Mabuse (Johann Gossaert
ans Maubeuge) zusammen getroffen war, der sich damals bereits (das erste
Beispiel dieser Art) in gewissem Grade italienische Manier angeeignet hatte*
Dies mochte in ihm den Wunsch erregt haben, aus derselben Bildungsquelle
zu schöpfen, und veranlasste den Bischof ihn dabei zn unterstützen. Er be-
stimmte daher den gelehrten Cardinal Pole, der damals seinen Wohnsitz von
England nach Rom verlegte, um den Reformplänen seines Königs aus dem
Wege zu gehen, den jungen Maler in sein Gefolge aufzunehmen, der in dieser
ehrenvollen und anregenden Weise zu einem längern Aufenthalte in Rom ge-
langte und hier seine Studien denn auch mit solchem Eifer betrieb, dass er
I wenige Jahre darauf, als der Tod des Bischofs (1538) ihn zur Rückkehr in seine
I Heimath nöthigte, hier mit aller Kraft zur Verbreitung des italienischen Ge-
J tchmackes wirken konnte. Lambert Lombard war kein gemeiner Praktiker,
sondern hatte theoretische Neigungen, und strebte auf die Quellen zurück zn
gehen. Er hatte mehr die Antike, als einzelne italienische Meister studirt, un-
terliess zwar nicht, sich in grossen Gemälden zu zeigen, war aber doch frucht-
barer in Zeichnungen, die dann durch den Kupferstich verbreitet, zur Er-
weoknng des Sinnes für antike Form wirkten. Ihm, dem Theoretiker und Künst-
er, stand dann ein konstliebonder Gelehrter zur Seite, Dominicus Lampsonius,
der in Italien ebenfalls im Dienste des Kardinals Pole gewesen, später aber als
'Tä
276 M. Jules Heibig, Histoire de la pcintare au pays de Li6ge.
Secretär in die des Bischofs von Lüttich getreten war. Er versuchte sich dilet-
tantisch selbst in grossen Altartafeln, wurde aber auch der Herausgeber einer
Sammlung von Malerporträts und der Verfasser eines Aufsatzes über nieder-
l&ndiscbe Künstler, den Vasari in der zweiten Ausgabe seines Werkes benutzte.
Lüttich wurde daher eine wichtige Stelle für die Verbreitung der italienischen
Kunst im Norden. Aus Lamberts Schule gingen Franz Floris und andere be-
deutende Vertreter der neuen Richtung hervor, welche ausserhalb Lütticht
wirkten. Aber auch in seiner Vaterstadt selbst war seit Lamberts Tode diese
Kunstweise völlig eingebürgert, und sie erzeugte im 17. und 18. Jahrhundert
jene Reihe von namhaften Meistern, die, wenn sie auch nicht Begründer eigner
Schulen wurden, doch ein gewisses Ansehen genossen und noch jetzt in den
Gallerien ihre Geltung haben. Ich enthalte mich des weitem Eingehens auf
ihre Kamen, unter denen der des Gerard Lairesse der bedeutendste sein möchte.
Der Verfasser, der ihre Lebensnachrichten mit grossem Fleisse gesammelt und
ihre Werke catalogisirt und beschrieben hat, kann doch die Bemerkung nicht
unterdrücken, dass von nun an seine Aufgabe an einer gewissen Monotonie
leide. Der Hergang sei bei allen Malern ziemlich derselbe; noch ehe sie in der
Heimath zu wahrer Meisterschaft gereift sind, streben sie nach Italien, eignen
sich dort mehr oder weniger die damals gerade herrschende Manier an und
kehren so gewissermassen als Italiener zurück, aber doch nur durch eine Art
von Verkleidung, welche mit ihrem Naturell nicht ganz im Einklänge steht.
Lambert Lombard hatte, wie die meisten der damaligen italienischen
Maler, auch die Architektur studirt, und es ünden sich in Lüttich noch mehrere
Gebäude in einem ziemlich reinen Renaissancestyl, welche von nahe stehenden
Schriftstellern ihm zugeschrieben werden. Aber hier drang er nicht durch :
die Bauherren Hessen sich von der Reinheit seiner architektonischen Zeichnun-
gen nicht reizen, Kirchen und Paläste behielten noch lange gothische Form,
wenn auch in einer phantastischen Umgestaltung, wie sie schon der bischöfliche
Palast Erard's von der Marck gezeigt hatte. Wenn so eine Zeit lang Archit-ektar
und Malerei verschiedene Wege' gingen, so hatte dies indessen noch nicht so
gleich die Folge, das natürliche Band, das beide verbindet, völlig zu lösen«
Noch im 17. Jahrhundert, ja selbst zum Theil noch im 18. wurden die Ge«
mälde auf Leinwand oder Holz für bestimmte architektonische Stellen und in
der dadurch gebotenen Umrahmung ansgeführt. Erst die spätere Zeit des 18.
and der Anfang des 19. Jahrhunderts halben den Versuch gemacht, die Malerei
völlig zu . mobilisiren, upd die Gemälde als vereinzelte künstlerische Gedan«
ken mit willkürlicher Begrenzung zu umgeben. Es ist keine Frage, dass jenes
Anschlieesen an die Architektur ein wichtiges Mittel zur Erhaltung des Styl-
gefuhls war, und dass die seitdem herrschend gewordene Lösung dieses
Bandes dazu beiträgt, der heutigen Malerei die Haltungslosigkeit zu geben, an
der sie leidet.
Diese Bemerkungen mögen genügen, um auf den Werth dieser gründlichen
provincialgeschichtlichen Arbeit aufmerksam zu machen.
Charles Görard, les Artistes de TAlsace pendant le moyen-ftge. 277
2. Dasselbe Lob des Fleisses and der Gründliehkeit wie dem ersten ge
bahrt dem zweiten der vorliegenden Werke, so sehr dasselbe sich sonst, sowohl
dem Gegenstande als der Form nach, von demselben unterscheidet. Wenn die
Kunst im Gebiete von Lattich erst mitr dem 16. Jahrhundert einen bestimmten
nnd bleibenden Charakter annahm, verhält es sich im Elsass grade umgekehrt,
seine künstlerische Production gehört wesentlich dem Mittelalter an. Der
Verfasser des zweiten Werkes hat sich daher mit Recht auf diese frühere Zeit
beschränkt. Dann aber fragte sich, in welcher Form er die Resultate seiner
Studien publiciren wolle. Er hat darüber, wie er erzählt, lange geschwanktt
sich dann aber für die einfachste Weise entschieden, nämlich für eine chro-
nologische Aufzählung aller ihm bekannten Künstlernamen des Elsassischen
Mittelalters, ohne Unterscheidung der Kunstzweige. Architekten, Kalligraphen,
Miniaturisten, Bildhauer, Maler u. s. f. folgen daher nach der Ordnung ihrer
muthmasslichen Lebenszeit auf einander. Vorzüge und Nachtheile dieser Be-
handlungsweise liegen auf der Hand. Bei den dürftigen und unzusammenhängen-
den Notizen, welche uns die mittelsiterlichen Chroniken und Urkunden ge-
währen, wird dadurch nicht leicht ein lebensvolles Büd der künstlerischen Ent-
Wicklung entstehen. Dagegen wird durch diese Vereinzelung die Handhabung
einer sorgfaltigen Kritik, welche bei der Natur dieser Ueberlieferungen geboten
ist, bedeutend erleichtert. Es ist daher eine solche Zusammenstellung eine be-
scheidene, aber überaus nützliche, ja unentbehrliche Aufgabe, der sich der Ver-
fasser denn auch mit kritischer Gewissenhaftigkeit unterzogen hat. Sein Buch,
von dem jetzt nur der erste Theil vorliegt, wird daher, besonders wenn der
zweite, dem 15. Jahrh. gewidmete, erschienen und mit den ausführlichen Re-
gistern, welche die Vorrede verheisst, versehen sein wird, ein Repertorium bil-
den, das Keiner übergehen darf, der sich mit der Kunst des Elsass beschäftigt.
Natürlich hat der Verfasser sich bei seinen Mittheilungen nicht auf eigene neue
Forschungen beschränken dürfen: seine Aufgabe war vielmehr, die Resultate
der schon längst eifrig betriebenen Localforsohnng za prüfen und die mannig-
fachen Irrthümer, welche sich hartnäckig zu erhalten pflegen, aufzudecken.
Gerade die Trockenheit und Lückenhaftigkeit der überlieferten Nachrichten gibt
die Pflicht, aber auch einen fast übermässigen Reiz, sie möglichst auszubeuten,
und durch die Phantasie zu beleben, was denn leicht zu bedenklichen Hypo-
thesen führt. Der- Verfasser ist sich dieser Gefahr wohl bewusst und hat sie
darch sorgfältige Kritik möglichst zu vermeiden gesucht. Indessen fehlt es auch
bei ihm nicht an Annahmen, die ich für unbegründet oder doch für sehr zwei-
felhaft halten muss. In die letzte Kategorie gehört auch eine, welche so eben
bei Weltmann (Zeitschrift für bildende Kunst, 8. Band, Seite 359) Zustimmung
gefunden bat.
An der stattlichen gothischen Kirche St. Martin zu Colmar sind die
Namen mehrerer Werkmeister erhalten. Der Eine derselben, Wilhelm von Mar-
burg, ist zufolge seines Grabsteines im J. 1364 gestorben ; von ihm- kann daher
nnr der Chor herrühren, während das Langhaus einer frühem Zeit entspricht
and das Kreuzschiff noch älteren Ursprunges scheint. Gerade an diesem ältesten
278
Charles Gorard,
Theile aber hat man schon vor etwa zwanzig Jahren ebenfalk den Namen eines
Meisters entdeckt. An dem Portale des südlichen Kreozarmes befindet sich
nämlich die Statuette eines Mannes, der mit dem Schurzfell bekleidet, das Win-
kelmaass in dev kräftigen Hand, augenscheinlich die Darstellung eines Stein-
metzen oder Baumeisters gibt. Daneben dann die Inschrift: MAISTRES-HVM-
BRET (Maistres-Humbret). Schon der Entdecker dieser Inschrift, der verstor-
bene Abbe Hugot, folgerte daraus, dass dcr^Mann kein Deutscher, sondern ein
Franzose gewesen sei, eine Ansicht, der jedoch Ludwig Schneegans, einer der
gründlichsten Elsassischcn Forscher, cbonfuUs aus sprachlichen Gründen ent-
gegentrat. Unser Verfasser widerspricht diesem und legt namentlich darauf Ge-
wicht, dass der Scbluss des Meistertitels, das S am Nominativ des Singulars
eine im Altfranzösischen oft vorkommende Form sei. Seine Gründe scheinen
mir indessen nicht schlagend. Wenn auch jenes S beim Gebrauch des Singulars
im Altfranzösischen vorkommen mag, so ist es immer eine üngenauigkeit, welche
nicht gerade als ein Zeichen der Nationalität des Schreibenden gelten kanni
während andererseits die Form des Namens Humbret (Humbrecht) eher auf
deutschen Ursprung deutet und die Schreibart des Meistertitels keiner beider
Sprachen vollkommen angehört. Im Mittelhochdeutschen ist zwar die Schreibart
»Meister« gewöhnlicher, doch kommt auch die Schreibart »Maistert (in
Erinnerung an den auch den Handwerkern wohlbekannten lateinischen Ursprung
des Wortes Magister) nicht selten vor. So wiederholt in Esslingen, vgl Heide-
löff, Schwaben, S. 44, 45. Es steht daher nur so viel fest, dass die Schreibart
beider Worte incorrekt ist; eine Üngenauigkeit wie sie in Steinschriften so
häufig vorkommt. Unier diesen Umständen scheint es mir höchst gewagt, aus
der Orthographie einen Scbluss auf die Nationalität des dargestellten Mannes
zu ziehen. Fragt man aber nicht blos die Inschrift, sondern das Werk selbst
an welchem sich die Statuette befindet, so redet es entschieden deutsche
Sprache; die Architektur dieses südlichen Kreuzarmes enthält noch starke ro-
manische Reminiscenzen. wie sie um das Jahr 1240, wo nach den, von dem
Verfasser selbst mitgotheilten Nachrichten dieser Theil gebaut sein muss, in
Frankreich nicht denkbar sind, in der deutschen Praxis aber ganz herkömmlich
waren. Der Erbauer dieses Ereuzarmes muss daher ein Deutscher gewesen sein.
Damit ist denn auch Prof. Weltmann a. a. 0. einverstanden, glaubt aber den-
noch nach Gcrard's Vorgänge die französische Nationalität des Meisters Hum-
bert festhalten zu dürfen. Er nimmt rämlich an, dass bei dem Eintritt dieses
fremden Meisters, der Innenbau des Kreuzarmes durch seine deutschen Vor-
ganger bereits vollendet und nur noch das Portal, an welchem die Statuette
sich befindet, auszuführen gewesen sei. Gerade dies Portal hat aber keines-
weges den ausschliesslich romanischen Charakter wie der Innenbau; es scheint
zwar aus ununterbrochener Arbeit hervorgegangen, enthält aber in der That
eine freilich etwas wunderliche Mischung von romanischen und gothischen Mo-
tiven, die et den Anordnungen des neuen Meisters zuschreiben zu dürfen glaubt,
der von da zum Bau des Langhauses übergegangen sei, in welchem dann die
gothische Formbildung schon deutlicher liervortritt. Die Hypothese ist scharf-
i
les ArÜBte« de TAlsacc pendant le moyon*&ge. 279
siimig, leidet aber doch wieder an innerer Unwahrscbeinlichkeit. Die Misohnng
der romanischen und gothisoheD Elemente an der Bildung des Portals ist so
roh und angeschickt ausgeführt, dass man sie einem Künstler, der in der
Kenntniss des neuen Styls aufgewachsen war, nicht zuschreiben kann und
ebensowenig ist es glaublich, dass mau dem neu hinzutretenden Meister
gestattet haben würde, sogleich mit der Anbringung seines Bildnisses an
einem Werke, an dem er so wenig Antheil hatte, zu debütiren. Viel
eher wäre es möglich, dass ein älterer Meister, 'dessen lange Wirksam-
keit ihm Ansprüche gab bei dieser Schlussarbeit seine Vielseitigkeit und
sein gewachsenes Yerstandniss des neuen, von Frankreich her eindringen-
den Styles, zeigen wollen, was denn in ziemlich abschreckender Weise geschehen
fi und eher die Lehre gibt, sich in späten Tagen kühner Versuche zu ent-
halten. Es wäre .in der That gar nichts Auffallendes, wenn französische Meister
im Elsass thätig gewesen waren, allein der Beweis der Thatsache scheint we-
nigstens in diesem Falle noch^nicht erbracht zu sein.
Besonders ausfuhrlich beschäftigt sich der Verfasser ndt den Baumeistern
des Strassburger Münsters, unter denen er (wiederum nach dem Vorgange von
Ludwig Schneegans) schon einen des 12. Jahrhunderts nachweisen zu können
glaubt. An einem der durch den Bischof Conrad von Hunenburg (1190^1202)
erbauten Thore der Stadt Straasburg findet sich nämlich das Beliefbild eines
Mannes, der hinter einem Rade sitzt, mit der Lischrift: »Hermanus Anriga
magister hujus operis.c Da das Kreuzschiff des Münsters ungefähr derselben
Zeit, also auch muthroasslich demselben baolustigen Bischof angehört, glaubt
der Verf. es demselben bewährten Meister zuschreiben zu dürfen. Eine Ver-
muthung, die jedenfalls zu kühn und entbehrlich scheint,
Noch kühner ist es dann, wenn man diesen Meister auch sofort mit einer
künstlerischen Tochter beschenkt. Schneegans hat überzeugend bewiesen, dass
die Bildhauerin Sabina, von welcher nach einer uns auf bewerten Inschrift einige
Statuen am Aeussern des Münsters herrührten, nicht, wie man durch ein gro-
bes Missverständniss angenommen, eine Tochter Erwins von Steinbach gewesen
sein könne, sondern mehrere Decennien vor demselben gelebt haben müsse.
Da aber bei den damitligen Zunftverhältnissen die Theilnahme einer Frau an
dor Thätigkeit der Steinmetzen nur dann denkbar sei, wenn sie zu der Familie
des Werkmeisters und also gewissermassen zur Bauhütte gehört habe, so glaubt
Schneegans ^ und mit ihm unser Verfasser annehmen zu dürfen, dass sie von
jenem Hermann Auriga, . dessen Lebenszeit ihrem Style entspreche, abstamme.
£s ist augenscheinlich, dass wir zu dieser völlig, unerwiesenen Vermuthung
kein Recht haben.
Bei dem vielgefeierten Namen Erwins von Steinbach kommt der Verfasser
au einer Hypothese, die so viel ich weiss, ganz neu und ihm eigenthümlich ist.
Gewöhnlich hat man jenen, ihm nur in einer Inschrift beigelegten Beinamen
mit der im markgräflichen Baden gelegenen Ortschaft Steinbach und «ogar
theilweise mit dem danach benannten ritterlichen Geschlechte in Verbindung
gebracht. E^ gibt aber auch noch ein anderes Steinbaoh, und zwar im Elsass
260 Charles G^rard,
selbst, in der Nahe von Thann, und es existirt in der That kein Beweis über
die Richtigkeit der einen oder der anderen Beziehung. Aach scheint es sehr
gleichgültig, ob der tüchtige Meister auf dem rechten oder auf dem linken
Rheinufer geboren ist. Unser Verfasser fügt nun aber diesen beiden Möglich*
keiten eine dritte hinzu, für die er sich entscheidet, die nämlich, dass Erwin
ein Franzose gewesen, dessen Geburtsort Pierrefont oder ahnlich gelautet habe,
und auf deutschem Boden durch das deutsche Wort Steinbach übersetzt sei,
Gründe für diese Yermuthung findet er besonders darin, dass Erwins Arbeiten
nicht bloss in künstlerischer Beziehung Spuren der französischen Gothik tragen,
sondern auch sonst einen französischen Patriotismus verrathen. So namentlich
wenn er bei der Darstellung der Auferstehung, am grossen Portale des Münsters,
einen Sarg mit den französischen Lilien und dem Thurme, also mit dem in
Frankreich so oft vorkommenden Wappen Ludwig IX. und seiner Mutter Bianca
von Kastilien, schmücke. An der Fagade seien neben dem damals lebenden
deutschen Kaiser, Rudolph von Habsburg, die Reiterstatuen des Clovis und des
Dagobert aufgestellt. Angeblich sei dies eine Anerkennung ihrer der Kathedrale
gegebenen Schenkungen. Aber diese habe auch andere Woblthäter gehabt, und
die Wahl des Begründers der französischen Monarchie und des in Frankreich
populärsten Königs lasse sich daher nur als ein Ausdruck persönlicher Anhäng-
lichkeit des Meisters erklären.
Der Verfasser unseres Buches scheint nicht ein geborener Elsasser zu
sein; er ist mit dem Elsass, wie er sich in der Vorrede ausdrückt, durch kind-
liche Anhänglichkeit seit mehr als einem halben Jahrhundert verbunden; er
ist jetzt Advocat am Appellhof zu Nancy. Er wird also ohne Zweifel ge-
borener Franzose sein. Er versichert uns aber, dass dies auf die eben gedachte ^
Bypothese keinen Einfluss habe : er sei weit entfernt eine kindische Befriedi-
gung darin zu finden, dass er Deutschland einen grossen Künstler entziehe. Er
habe diese Ansicht schon gehabt, während er nur das gelehrte und künstlerische
Deutschland gekannt und geliebt habe. Wir wollen ihm das gerne glauben, da
er sich auch sonst massig und vorurtheilsfrei ausspricht, aber seine Hypothese
scheint uns dennoch unhaltbar. Dass die Arbeiten Erwin's der französischen
Schule angehören, ist ausser Zweifel, aber schon die Art ihrer Ausführung
spricht dafür, dass er kein Franzose, sondern ein Deutscher gewesen, der die
in Frankreich ausgebildete Form in eigenthümlicher Weise auffasste. Jene fran-
zösischen Wappen mögen eben eine harmlose I^eminiscenz aus seiner Studienzeit,
oder eine Copie einer mitgebrachten Zeichnung sein, und die Gestalten von
Clovis und Dagobert, wenn überhaupt diese durch eine unerwiesene Tradition
überlieferten Namen richtig sind, stammen nicht aus seiner Wahl, sondern
waren ihm vorgeschrieben. Jedenfalls aber ist die von dem Verfasser angenom-
mene Entstehung des Wortes Steinbach höchst unwahrscheinlich. Uebersetzuugen
von Beinamen kommen wohl vor; Regier de laPasture, nachdem er aus seinem
französisch redenden Geburtsorte Tournay auf fiamländisches Gebiet verzogen
war, nannte sich Roger van der Weyden. Allein dies geschah im 15. Jahrhun-
dert, zu einer Zeit, wo die Beinamen bereits in bleibende Familiennamen über-
les Artistee de PAleace pendaat le moyen-ftge. 281
gingen und an einem Worte von allgemeingültiger Bedeutung, nioht im 13*
Jahrb., iro die Beinamen stets den Charakter der persönlichen Bezeichnung
hatten nnd nach Massgabe der umstände wechselten, und nicht an einem Orts-
namen (nomen proprium), der als solcher unveränderlich war. Der Namen einer
grossen Stadt geht durch die ganze Welt, der eines kleinen, wenig bekannten
Ortes hat aber ausserhalb der Provinz, der er angehört, und besonders im Aus-
lande, keine Bedeutung, man ersetzte ihn daher hier durch den Namen der Pro-
vinz oder gar des Landes, in welchem jener kleine Ort lag. Beispiele davon sind
in Italien überaus häufig, für Deutschland mag es genügen, auf die grosse Zahl von
Künstlern und Handwerkern aller Art hinzuweisen, welche im 14. und 15. Jahr-
hundert unter den Namen Beheim, Behm u. s. w. vorkommen. Wäre Erwin
wirklich ein Franzose gewesen, der in seinem Yaterlande von Pierrefont genannt
war, so würde man sich in Strassburg begnügt haben, ihn als den »Wälschenc
als Franzosen, oder mit dem Namen einer grossen Stadt, in der er gearbeitet
hatte, etwa von Amiens oder von Paris, zu bezeichnen. Jedenfalls aber wäre
die Uebersetzung des Namens Pierrefont durch Steinbach zweckwidrig gewesen,
da sie die Vorstellung erweckt haben würde, dass der Inhaber desselben ein Deutscher,
ein Elsasser oder Badenser sei, eine Vorstellung, welche irregeführt und die Er-
kennung erschwert haben würde. Der Verf., der uns versichert, dass sein fran*
zösisches Herz an dieser Hypothese keinen Antheil hat, mag seinerseits überzeugt
sein, dass unser deutscher Patriotismus bei dieser Frage gar nicht mitspricht.
Wir wissen sehr wohl, dass die Gothik in Frankreich ihre Ausbildung erhalten
hat und erst von dort her nach Deutschland verpflanzt ist. Deutsche Schrift-
steller haben dies nachgewiesen, ehe es in Frankreich selbst ausgesprochen war*
Unter diesen Umständen aber erscheint es ziemlich gleichgültig, ob diese Ueber-
tragung nach Deutschland durch deutsche Meister, auf Grund ihrer in Frank-
reich gemachten Studien, oder durch französische, die zu uns einwanderten, ge-
schehen sei. Innere Gründe bestimmen uns in den Fällen, wo wir die Entstehung .
der frühesten gothischen Kirchen in Deutschland genauer verfolgen können, die
Wirksamkeit deutscher Meister anzunehmen. Unserer Eitelkeit würde vielleicht
eher die andere Ansicht zusagen. Dass unsere Meister das Bedürfniss nach fran«
zösischer Architektur empfanden und sie in ihrer Heimath studirten, ist jeden-
falls ein stärkeres Anerkenntniss ihrer Vorzüge, als wenn französische Meister zu
uns gekommen wären und uns ihre Leistungen angeboten hätten.
Anf die ausführlichen Untersuchungen des Verf. über die Söhne Erwin*s
und über seine Nachfolger am Bau des Münsters darf ich nicht weiter eingehen;
er BchHesst sich in der Regel der Ansicht von Schneegans an.
Im 14. Jahrhundert kann es interessiren, dass der Verf. auch da noch
mehrere geistliche Baumeister nachweist. Der Franciskaner Johann Wagner
erbaute den Chor der Kirche seines Ordens in Thann (1303—1306), an der Kirche
von S. Thomas leiteten wiederholt die Scholastiker des Capitels den eleganten,
noch jetzt bestehenden Bau.
Manche Gründe könnten zu der Vermuthung führen, dass auch in dieser
Bheingegend die Malerei schon im 14. Jahrhundert einen gewissen Aufschwung
282 Charles Gerard, \e» Artistes de TAbaoe pendant le moyen-lge.
genommen habe. Die Forschungen des Verf. geben indessen keine Bestätigung
derselben. £r zählt zwar gelegentlich (S. 837) eine Reihe von Wandmalereien
auf, welche jedoch nur in schwachen Uebcrresten erhalten und nicht ausge-
zeichnet zu sein scheinen. An einer derselben in der JOominikanerkirche zu Geb-
weiler nennt sich der Maler: Werlin zum Burne in deutscher Inschrift*
Uebrigens ist aber selbst die Zahl der Malernamen, welche der Yerf. aus Bür'
gerlisten und ähnlichen Urkunden mittheilt, ohne dass wir Eenntniss von ihrer
Bedeutung haben, auffallend klein. Er hätte diesen Namen den des Andreas von
Colmar hinzufügen können, den der Verf. eines Manuscripts aus dem 14. Jahr-
hundert als seine Quelle für mehrere von ihm mitgetheilte Farbenrecepte an-
führt (Gesch, d. bild. Künste, 1. Aufla^/e VI. 408. 2. Aufl. S. 379). Dagegen
nennt der Verf. zwei andere Malcrnamen, die bloss auf einer augenscheinlich
unbegründeten Hypothese beruhen. Er erzählt nämlich am Schlüsse des 13. Jahrh.
von einem Strassburger Maler, den er Wurmser den Alten nennt, dass der-
selbe nach Prag ausgewandert sei und sich daselbst niedergelassen habe, und
späterhin von einem Eunz Wurmser, der, ans Strassburg stammend, Hofmaler
Carl's IV. und in Prag berühmt gewesen sei. Was wir urkundlich wissen, ist
nur, dass ein Maler aus Strassburg, 'Nicolaus Wurmser, im Jahre 1359 in die
Dienste Carl's IV. trat, von ihm hochgeehrt und längere Zeit im Schlosse Carl-
stein beschäftigt wurde, wo wir wahrscheinlich noch Malereien von seiher Hand
besitzen. Von dem Lehrmeister dieses Nicolaus und von seiner Familie wissen
wir nichts. Was der Verf. darüber Weiteres mittheilt, gründet sich auf eine
Vermuthung eines älteren deutschen Kunstforschers, von Murr. Derselbe ent-
deckte nämlich in einem polizeilichen Register der Stadt Nürnberg die Notiz,
dass »Cunzel der Böhme, der Bruder des Malers Nicolausc bei Strafe des Hän-
gens ayis der Stadt vei^uesen sei, und nahm an, dass dieser Maler Nicolaus mit
dem Nicolaus Wurmser iüentisöh sei. Allein die Gleichheit des Vornamens Nico-
lans genügt nicht, um die Identität jenes in Nürnberg befindlichen Malers mit
Nicolaus Wurmser zu beweisen. Ja diese Identität ist fast unmöglich, da die
Nürnberger Notiz vom Jahre 1310, mithin fast fünfzig Jahre älter ist, als def
Eintritt des Wurmser in die Dienste Carl's IV. Kugler, Hotho und ich selbst
hatten daher jene Hypothese von Murr's längst verworfen, nur Passavant nahm
sie gläubig auf und erweiterte sie in so fern, als er jenen Cunzel den Böhmen,
von dem die Urkunde durchaus nicht sagt, dass er ein Maler gewesen sei, mit
einem Maler Kunze, der später in der Malergildc von Prag war, identificirte.
Unser Verf. obgleich crHotho's Widerspruch kennt und citirt, geht noch weiter
als Passavant und baut darauf neue Hypothesen. Der auffallende Umstand, dass
der eine beider Brüder ein Strassburger, der andere als Böhme bezeichnet sei,
lasse sich nur dadurch erklären, dass der Vater beider Brüder nach ihrer Geburt
von Strassburg nach Böhmen verzogen sei und den einen derselben .mitgenom-
men und dort erzogen habe, weshalb er denn auswärts als Böhme bezeichnet
worden, den andern aber in Strassburj^ bei seinen Verwandten zurückgelassen
habe. Die auffallende Differenz zwischen den Jahren 1310 und 1859 glaubt der
Verf. durch die Annahme beseitigen zu können, dbss Nicolaus der jüngere beider
J
k.
^T"
Dr. J. Rudolf Bahn, Gesoliichte detf bildenden Künste in der Schweiz. 268
Brüder und im Jahre 1810 noch sehr jung gewesen sei. Allein, da sein Name
in Nürnberg gebraucht wurde, um seinen Bruder näher zu bezeichnen, muss er
doch ein einigermaassen bekannter Mann und mithin wenigstens zwanzig Jahre
alt gewesen sein, was ihm denn bei dem Eintritt in den Dienst Carl's lY. ein
Alter von 70 Jahren geben würde. Ich enthalte mich weiter auf die Wider-
sprüche und UnWahrscheinlichkeiten einzugehen, zu denen diese Hypothese des
Yerf. führt, und mache nur darauf aufmerksam, wie gefährlich es ist,-' wenn man
Vermuthungen auf Vermuthungen baut. Nicht nur jener Wurmser der alte, son-
dern auch der in Frag wirksame Maler Kunze, müssen daher aus der Liste der
elsasser Künstler gestrichen werden. Der in Prag vorkommende Maler Kunze
scheint wirklich ein geborner Böhme, blühete aber (wie ich anderweitig nachge-
wiesen habe, Gesch. der bild. Künste 2. Aufl. YI S. 440, Anm. 1) wahrscheinlich
erst um 1414, und war also mit jenem aus Nürnberg verwiesenen Cunzel nicht
identisch.
Diese Mangel stehen übrigens dem Wertho des Buchs nicht entgegen. Der
gegenwartige Band schliesst mit dem Ende des 14. Jahrhunderts. Der folgende
soll nur das 15. umfassen, jedoch, wie wir aas der Yorrede des gegenwärtigen
erfahren,/ mit Ausschluss Martin Shongauers, in welchem der Yerf. (nach meiner
Ansicht nicht mit Unrecht) mehr den Anfanger der heuern Zeit als den.
SchlusB des Mittelalters sieht.
3. Das dritte der oben bezeichneten Werke wird ohne Zweifel das bedeu-
tendste der ganzen Beihe werden. Der Yerfasser hat es auf eine in jeder Be-
siehung erschöpfende Würdigung der noch so wenig bearbeiteten Kunstgeschichte
der Schweiz abgesehen; er schildert durchweg auf Grund eigener Anschauungen
und mit Hülfe sorgfältiger und reichhaltiger Abbildungen. Nur die Anfange des
Werkes (zwölf Bogen), die bis in den Anfang des 12. Jahrh. führen, liegen uns
jetzt vor, enthalten aber schon eine grosse Fülle des Stoffes. Der Yerfasser jiQ"
ginnt damit, seine Leser vor unberechtigten Ansprüchen an seine Aufgabe zu
warnen. Er findet, dass die Schweiz innerhalb der umgebenden Monumentalw^lt
eine eigenthümliche, keineswegs bevorzugte Stellung einnehme. Es fehlte ihr das
Band nationaler Einheit; schon seit der frühesten Zeit sei sie ven verschiedenen
Nationen bewohnt; seit denT 11. Jahrh. habe sie drei verschiedene Strömungen
in sich aufgenommen, die noch jetzt sich kennbar sonderten. Neben der schwä-
bisch-alamanischen Bauschule, die im Norden der Schweiz herrsche, bestehe eine
italienisch-lombardische, die besonders in Tessin und Graubündten einheimisch
sei, deren Einfluss sich aber selbst noch am Grossmünster von Zürich geltend
mache, und endlich die französisch^burgundische Bauschule, welche durch die
Klöster der Cluniacenser und Cistercienser die französische Schweiz .erfüllt habe.
Winckelmann spreche mit Becht wiederholt au3, dass die Freiheit die Quelle der
griechischen Kunst gewesen, aber schwerlich sei sie allein ausreichend. Es ge-
höre dazu die Nationalität und wenigstens ein gewisser Wohlstand. Dieser habe
der Schweiz lange gefehlt. Erst mit dem Ende des Mittelalters beginne sie sich
L
s,
284 Dr. J. Rudolf Rahn,
zn heben, und erst die Ruhe, deren sie sieh seit dem dreissigjährigen Kriege im
Yerhältniss zu anderen Völkern erfreut, habe ihr den nöthigen Wohlstand und
eine relative Einheit gegeben. Daher denn in den früheren Jahrhunderten eine
gewisse Lückenhaftigkeit der künstlerischen Entwicklung, eine Gleichgültigkeit
gegen das künstlerische Element, welche durch die Naturbeschaffenheit der
Schweiz- und ihre grossartige Schönheit noch gesteigert sei, und eine Schwäche
der Production, welche es verschuldet habe, dass in manchen Gegenden der ro-
manische Styl sich bis in das 16., der gothische sogar bis in das 17. und 18.
Jahrh. erhalten habe.
Aus diesen eigenthümlichen Verhältnissen ergibt sieh denn auch der Plan,
nach welchem der Verfasser seinen Stofif behandeln musste. Da überall die von
verschiedenen Seiten sich geltend machenden Einflüsse aus den Nachbarländern
berücksichtigt werden müssen, darf er die allgemeine Kunstgeschichte nicht aus
dem Auge verlieren, muss vielmehr die nöthigen Hinweisungen zum Verständniss
ihrer Richtung vorausschicken, und daran die Schilderung der schweizerischen
Monumente anknüpfen und in ihren Abweichungen und Eigenthümlichkeiten er*
klären. Es ist begreiflich, dass die Aufgabe dadurch eine mühsame und umfas-
sende wird, ohne den Vorzug zu haben, eine grosse Zahl von musterhaften Lei-
stungen zusammen zu stellen. Wohl aber wird sie das Verdienst haben, tiefer
und lebendiger in die Gesetze der Production und ihrer Hemmnisse und Bedin-
gungen einzuführen.
Eine üebersicht des Inhalts der jetzt vorliegenden ersten Lieferung wird
genügen, um zu zeigen, in wie gründlicher Weise der Verf. sich dieser seiner
Aufgabe unterzieht. Jener Einleitung, deren Inhalt ich oben geschildert habe,
folgt als erstes Buch (S. 17—48) die Kunst des helvetisch-römischen Zeitalters,
und zwar zuerst der Anfang der Kunst in vorhistorischer Zeit, mit ziemlich ge-
nauen Berichten über die Ergebnisse der Pfahlbauten und über die ersten Spuren
kunstgewerblicher Thätigkeit. Ein zweites Capitel schildert die Kunst der Römer,
die militärische Regelmässigkeit ihrer Architektur, die Einflüsse ihrer Schmuck-
lust und ihres Formenreichthums. Das sehr umfassende zweite- Buch beschäftigt
sich dann in einer Reihe von Gapiteln mit der Kunst der altchristlichen Jahr-
hunderte. Voran gehen die ersten Spuren christlicher Kunst in der Schweiz,
darauf folgt eine Schilderung der Kunstanfange bei Alamannen und Burgundern,
wo namentlich über die ornamentistische Richtung der letzteren interessante
Mittheilungen gegeben werden. Ein drittes Capitel erzählt die Anlange und die
Entwicklung des christlichen Kirchenbaues, wobei das Nöthige über die Basiliken-
frage beigebracht wird. Darauf dann endlich die Kunst im carolingischen Zeit-
alter, und zwar zunächst die Betrachtung der Architektur mit ausführlicher
Schilderung des Bauplanes von S. GaUen und der grossartigen Anlagen der Insel
Reichenau. Durch die Gunst der umstände gibt gerade hier die Schweiz hervor-
ragende Beispiele. Nicht minder gilt dies von der Plastik und Malerei dieses
Zeitalters, wo die Schule von S. Gallen in Elfenbeinarbeiten und durch die Mi-
niaturen rühmlichst vertreten ist. ^ Gerade hier sind die Schilderungen des Verf.
sehr genau und charakteristisch, und besonders mit Hülfe der gerade hier vor-
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz. 285
räglioh aasgefohrten umfassenden Abbildungen überaus lehrreich. Der Rest dieser
Lieferung (S. 149—192) macht dann den Anfang mit der sehr gründlichen und
mit lebendigem Stylgefühl durchgeführten Schilderung der romanischen Kunst.
Von dem Reich thume der Ausstattung gibt es eine Vorstellung, dass die 192
Seiten des Textes 59 zum Theil fast die ganze Seite einnehmende Abbildungen
enthalten. Wir zweifeln nicht, dass es der begeisterten Energie des Verf. ge-
lingen wird, das allerdings sehr umfassende Werk in gleicher Weise durchzu-
führen und so das Verständniss bei seinen Landsleuten und allen, die an der
künstlerischen Entwicklung der Schweiz Theil nehmen, bleibend zu fördern.
Wiesbaden, im September 1873.
C. Schnaase.
Nachschrift.
Charles Gerard, les artistes de PAlsace pendant le moyen-&ge. Tome 11.
Colmar-und Paris 1873.
Während der vorstehende Bericht bereits dem Drucke übergeben war, ist
der darin erwähnte zweite Band des obengenannten Werkes dem Referenten zu-
gegangen. Er entspricht völlig den Voraussetzungen, welche der erste Band er-
weckte und enthält ausser einer mässige'n Zahl aus der Schlusszeit des 14. eine
starke Liste von Künstlern des 15.. Jahrhunderts, bei denen dann das biogra-
phische Material oft etwas reichhaltiger fliesst und lebensvollere Mittheilungen
gewährt, als in der frühern Zeit. Näher auf das Einzelne einzugehen, nament-
lich die vielen Fragen zu erörtern, welche sich an die Namen der Baumeister
des Münsters anknüpfen, kann auch hier nicht meine Absicht sein; ich begnüge
mich, auf einige, für den Gesammtgeist des 15. Jahrhunderts charakteristische
Mittheilungeu aufmerksam zu machen. Wie eigen thümlich sind oft die Verhält-
nisse der Zünfte. Ein gewisser Johann Joerche, der als Bildschnitzer bezeichnet
ist, hatte sich in die Malerzunft aufnehmen lassen. Nun macht aber die Zunft
der Wagner, zu welcher übrigens auch Tischler und Drechsler gehören, auf ihn
Anspruch, weil er sich der Axt, des Schneidemessers, der Säge, also der Werk-
zeuge bediene, von denen sie Gebrauch machen. Die Malergilde widerspricht
dem, und der Rath entscheidet denn auch zu ihren Gunsten, weil die geschnitzten
Bildwerke auch des Malens bedürften und er, Joerche, dies selbst bewirke und
verstehe. Zahlreiche Nachrichten zeigen dann auch den Zusammenhang der
Künste mit der aufkommenden Buchdruckerei. Das Gewerbe der Bücherschreiber
scheint bedeutender wie je und entwickelt sich in Verbindung mit dem Buch-
druck und mit der Kunst des Holzschnittes. Einzelne Züge deuten auf steigende
Blüthe der Malerei und die ausführlichen Contrakte, welche im Jahre 1418 die
Vertreter der Stadt Basel mit dem Maler Johann Tiefenthal aus Schlettstadt
über die Ausmalung einer KapeUe in ihrer Stadt und im Jahre 1462 der Kir-
I
286 Charles G^rard. \ee artistes de PAlsace pendant 1e moyen-ftge.
chenvorstand von St. Martin, in Colmar mit dem daselbst wohnenden Maler
Caspar Ysenmann über die Anfertigung des Hauptaltars in ihrer Kirche ab-
schliessend enthalten manches Interessante. In dem ersten Contrakte ist nament-
lich merkwürdig, dass die Stadt Basel einen Yorrath von blauer (wahrscheinlich
kostbarer) Farbe zu besitzen scheint, aus welchem dem Maler Quantitäten auf
Abrechnung seines Honorars verabfolgt werden sollen. Caspar Ysenmann malt
übrigens in Oel und die Ucberreste seines Altarwerkes, , welche sich im Museum
zu Colmar befinden, lassen darauf schliessen, dass er mit niederländischer Kunst
nicht unbekannt war. Als ein Beweis für die populäre Geltung der Malerei ver-
dient es angeführt zu werden, dass die Zerstörung einer feindlichen, den Herrn
von Thami gehörigen Burg durch die Bürger von Strassburg im J. 1448, durch
ein Bild in der Amtsstube der Bäcker gefeiert wird. Martin Schongauer stand"
nicht allein; ausser dem ebengenannten Ysenmann war Johann Hirtz in Strass-
burg ein bedeutender gleichzeitiger Maler; Geiler von Kaisersberg nennt in einer
seiner Predigten seinen Namen mit dem Zusätze, dass, wenn man ein Altarbild
bewundere, man es ihm zuzuschreiben pflege, und Wiropheling erwähnt seiner
noch im J. 1502 als eines ehemals berühmten Malers. Er starb übrigens schon
um 1466. Im J. 1486 war ein gewisser Lienhart ein bedeutender Meister, der
das jüngste Gericht im Chor der Kathedrale malte. lieber Martin Schongauer
selbst erhallen wir nur mittelbare Nachrichten, nämlich die Lebensdaten seines
Yaters, des Goldschmids Caspar Schongauers, der im J. 1445 das Bürgerrecht in
Colmar erhielt und 1408 daselbst starb, sowie seiner Brüder, namentlich des
Malers Ludwig, der, obgleich er nach dem bekannten Bericht des Scheurl im
J. 1492 bereits Albrecht Dürer in Colmar empfing, dennoch erst im J. 1493 das
Bürgerrecht daselbst erwarb. Bei dieser Gelegenheit erfahren wir denn auch,
dass der Yerfasser unseres Buches in der künftig von ihm herauszugebenden
Biographie Martin Schongauers nachzuweisen gedenkt, dass sein Tod nicht, wie
wir jetzt annehmen (vgl. His-Ueusler in Naumann's Archiv, Bd. 13, S. 129) im
J. 1488, sondern erst im J. 1498 erfolgt sei. Referent, der früher dieses spätere
Todesjahr vörtheidigt hatte, jetzt aber die besseren Gründe des Herrn His an-
erkennt, ist begierig diesen neuen Beweis kennen zu lernen.
Sehr vollständige Register erleichtern die Brauchbarkeit der fleissigen
Compilation.
Wiesbaden, im October 1878.
V Sohnatse.
2. Julius Cäsar am Rhein. Nebst Anhang über die Germani
des Tacitus (Germ. 2.) und über die Franci der Peiitinger'scheu Tafel. Von
Prof. A. Dcderich, Oberlehrer am Gymnasium zu Emmerich. Paderborn,
1870. 870 S. »)
Der allen Freunden der rheinlandischen Geschichte rühmlichst bekannte
Verfasser hat in diesem Schriftchen die ältesten, uns bekannten Ereignisse am
Niederrhein, die durch J. Gäsar's Feldzüge in Gallien veranlasst wurden, aufs
Neue einer kritischen Untersuchung unterworfen und dabei einzelne Thatsadien
und Localitäten richtiger angegeben, als es früheren Geschichtschreiberu mit
geringeren Localkenntnisscn möglich war. Da zu einer richtigen Auffassung
der ältesten römisch-deutschen Geschichte am Niederrhein, insbesondere auch
der Feldzüge des J. Cäsar am Rhein, vor allen Dingen eine genaue Kenntniss
des untern Rheinlaufes und seiner wechselnden Stromspaltungen bei der bata-
vischen Insel unumgänglich nöthig ist, so behandelt der Verf. in § 1 die Rhein-
mündongen und das Verhältniss der Maas zum Rhein, nach Cäsar, Tacitus und
Plinius, denen auch Strabo und Pomponius Mela beizufügen sind, da diese fünf
Schriftsteller des ersten christlichen Jahrhunderts die ältesten Nachrichten über
den Lauf des Rheinstromes und seiner Mündung, soweit sie damals den Römern
bekannt waren, uns überliefert haben. Das Wahre ihrer Berichte von den ihnen
verzeihlichen Irrthümern zu scheiden und die Entstehung derselben mit Wahr-
scheinlichkeit nachzuweisen und zu berichtigen, war die Absicht des Verf., die
er in seiner Darotellung mit Erfolg erreicht hat. üeberzeugend hat der Verf.
nachgewiesen, dass Cäsar in der Schilderung der Stromsysteme des Rheins und
der Maas (de B. G. IV, 10, 15) sich darin geirrt hat, dass er die Maas in den
Rhein fliessen lässt. Wenn er von dem confluens Mosae et Rhein spricht, so
kann er nicht den Rheinarm Waal verstanden haben, der ihm bekannt war und
den er genannt haben würde, wie er ihn in Cap. 10 nennt. Der Verf. verwirft
daher mit Grund die Versuche der neuem Erklärer Cäsar's, ihn von diesem
Irrthnme zu befreien, und hält eine Aenderung des handschriftlichen Textes für
unnöthig. Verdächtig scheint aber dem Ref. die genaue Angabe der Entfernung
^) Der durch Zufall verspätete Abdruck dieser lehrreichen Anzeige wird
auch jetzt noch willkommen sein. Die Red.
1 *
r-
>
■r
'.1%
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t
288 Prof. A. Dederich,
des ZaBammenflasscs vom Meere, die Cäsar zu 80 Millien berecbnct, wenig ab-
weichend von den Angaben der Itinerarien und der Peutingerscfaen Tafel ').
Diese genauen Messungen wurden zuerst lange nach Cäsar in friedlichen Zeiten
unter Augustus auf Veranlassung Agrippa's gemacht und unter den nnchfolgen-
dcu Kaisem vervollkommnet. Cäsar hatte bei seinem kurzen Aufenthalte am
Niederrhein zu solohen genauen Messungen keine Zeit; dieselben hätten aucb in dem
damals noch nicht unterworfenen feindlichen Lande von römischen Geometern
nicht können ausgeführt werden. Daher ist Ref. geneigt mit Ukert anzunehment
dass die Worte: neque longius ab oceano milibus passuum LXXX in Rhenum
transit, aus den verlorenen commentariis Agrippae, die dieser grosse Feldherr
und Staatsmann zu den in einem Forticus öfifentlich aufgestellten tabulis (Kar-
ten) geschrieben batte, in den Text Cäsar's als Bemerkung eines kundigen Ab-
scbreibers eingeschoben sind, und zwar schon in alter Zeit vor der uns über-
lieferten Textrecension, daher sie auch in den ältesten Handschriften der Com-
mentarien Cäsar's nicht fehlen. Der Verf. hält fest an den Worten des durch
die Handschriften beglaubigten Textes und ist überzeugt, dass Cäsar hierin sich
geirrt habe, dass die Maas in den Rhein fliesse, indem er die Theilung des
Rheines in Waal und Rhein mit einem Zusammenfluss der Maas und des Bheines
identificirt habe. Der Irrthum Cäsar's ist eben so wahrscheinlich, wie der Zusatz
eines Abschreibers mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann. In § 2
wird der Uebergang der Usipeten und Tencteror bei Cleve über den Rhein und
die Verdrängung der Menapier aus ihren Wohnsitzen zwischen der untern Maas
und dem linken Ufer des Niederrheins besprochen. Die Wohnsitze dieses von
Cäsar zuerst erwähnten Volkes erstreckten sich aber weit über die Maas und
Scheide bis zum Lande der Moriner am Pas de Calais. Bei dem Anzüge der
aus ihren rechtsrheinischen Gauen, man weiss nicht von wem, vertriebenen
Volksstärame gaben die Menapier ihre Besitzungen auf dem rechten Ufer preis,
wurden aber im Winter von 56 auf 55 v. Chr. durch List auch aus ihren am
linken Rheinufer liegenden Ländereien verdrängt. Dass die Ueberfahrt der Ger-
manen auf menapischen Schiffen bei Cleve oder Emmerich geschehen sei,
schliesst der Verf. mit Recht aus dem Umstände, dass von hier aus die Passage
nach der Maas über den Xanten -Nym weger Höhenzug am nächsten und am
leichtesten zugänglich war, und die Germanen ihr Lager für Weib und Kind,
Wagen und Gepäck auf dem niedrigen Plateau bei Goch aufgeschlagen hatten,
das auf ihrem Zuge vom Rhein sich ihnen als die bequemste und sicherste
Lagerstatt^ darbot. Von hier aus unternahm die Mehrzahl der waffentragenden
Männer Streifzüge über die Maas in das Land der Condrusen und Eburonen,
welche Schützlinge oder Clienten der Treverer waren. Sobald Cäsar, der wäh-
rend dieser Vorgänge sich in Italien aufhielt, Nachricht von diesem gefahrlichen
Einfalle der Germanen erhalten hatte, eilte er früher als gewöhnlich im Früh-
jahr 55 nach Gallien, um dem Ausbruche eines Aufstandes zuvorzukommen.
^) Eine Berechnung dieser Entfernung gibt Dederich in seiner Geschichte
der Romer und der Deutschen am Niederrhein S. 29 ff.
';.
"k
r
Juliiu Cäsar am Rhein. 289
und fahrte sein Heer von der unteren Seine, wie Napoleon III. den Weg angibt,
über Amiens, Cambray, Bavay, Charleroy, Tongern und Mastricht, hier die Maas
überschreitend, was er nach Cohansen zwischen Dinant und Lüttich gethan hat,
in die der Gefahr aunächst ausgesetzte Gegend. Schon im Jahr 1844 hat der
Verf. die Gocher Haide als den Ort des germanischen Lagers und des Ueber-
falles richtig nachgewiesen, und in dieser Schrift seine Ansicht ausführlicher
begründet, dass die anderlhalbstundige Flucht der Germanen am Rhein zwi-
schen Cleve und Qualburg endete. Dasselbe Terrain hat auch Napoleon III. als
Kampfplatz auf seiner Karte bezeichnet. Da Cäsar nicht selbst die Germanen
verfolgte, sondern durch seine Reiterei bis an den Rhein, wo sich die Waal von
diesem trennt, verfolgen liess, die dort schnell wieder umkehrte und noch an
demselben Abende wieder in dem erbeuteten Lager bei Cäsar eintraf, so konnte
er sich in seiner Angabe des Flusses, den er für die Maas hielt, der aber kein
anderer sein kann, als die Waal, leicht täuschen, wenn er sich auf die unrich-
tige Meldung seiner Reiter verliess, die zum ersten Male in diese Gegend der
Flussspaltung kamen und keine Zeit hatten bei den Anwohnern, mit denen sie
sich doch nur durch Dolmetscher hätten verständigen können, genaue Erkun-
digungen einzuziehen. Die Maas war dem Cäsar zwar bekannt, aber nicht die
Stelle ihrer Mündung in den Rhein, die er nicht besucht hat und sich von ihr
eine unrichtige Vorstellung machte. Nachdem der Verf. die abweichenden An-
sichten V. Cohausen's, Brambach's u. A. widerlegt hat, spricht er § 6 von den
Folgen des Sieges über die Germanen, von Cäsar's £iundesgenossenschaft mit
den Batavern imd über das Alter der Stadt Cleve, das die Volkssage und ältere
Chronisten in die Zeit Cäsar* s vorsetzen, obgleich die erste beglaubigte Er-
wähnimg Cleve*B als eines*. Grafensitzes in's J. 1093 fällt. Aus der Burg des
Grafen Dietrich entstand allmählig die heutige Stadt, welche 1242 eine städ-
l^ische Verfassung erhielt, wie Dederich in seiner Schrift »die Feldzüge des
Drusus und Tiberiusc gründlich nachgewiesen hat. — Cäsar's erster Rbeinüber-
gang bei Bonn in's Land der Sigambrer wird im § 7 ausfuhrlich behandelt und
V. Cohausen's Meinung, Cäsar habe seine Brücke über den Rhein bei Xanten
geschlagen, widerlegt, denn die rheinischen Sigambrer wohnten nicht an der
Lippe, sondern im Gebiete der Siegmündung. Die zweite Brücke schlug Cäsar,
um in das Land der Ubier zu kommen, bei Neuwied, wie in § 8 nachgewiesen
wird. Von hier zog Cäsar nach seiner Rückkehr aus Germanien durch die zwi-
schen Coblenz und Andernach liegende Ebene weiter über die Eifel, die er sich
als einen Theil der Ardennen vorstellt und daher Arduenna nennt, gegen die
Eburonen, deren Wohnsitze sich auf beiden Seiten der Maas östlich bis in die
Nähe des Rheins und westwärts über das Gebiet der Sambre und der Ardennen
ausbreiteten. Die Nachbarn der Eburonen waren auf der linken Seite der Maas
die Aduatiker, die sich seit dem cimbrischen Kriege hier niedergelassen und
einen selbstständigen Staat gebildet hatten, der im J. 67 den Belgiern zur Ab-
wehr der Römer 19,000 Mann Hilfsttuppen stellen und die benachbarten tribut-
pflichtig machen konnte. Nach der Niederlage der Belgier zogen sich die Adua-
tnker mit ihrer^gesammten Kriegsmacht in eine von der Natur trefflich befestigte
19
290 Pi
Stadt zurück, wurden aber vo
trenloier SobeinergebnDg anf
Beim letxten Ausfall hatten sie
aatmng nebst den EinwobDeir
Sklaven verkaufen. Die Känfei
mit C&sar's Armee hc^ramiiehei
die gekauften Qefbngenea nach
dorcb einen Anemfer (praecu)
(tabernis) unter der Hand verk
stände dieses Mens che nhaudela
Feitnng, deren Name er nicht
Kraft des unglücklichen Volk«c
hass; denn im Herbst des J.
Aufstände de« Eburonenf unten
Ner*iem dea Legaten Cicero's
Lage Cbar unr mit den Wort
Snibas, ubi Titurius atque Aar
süperioris nnni mnnitiones int
B. 6. VI, 82. Die Befestigung
nun vervollständigt, daher ihn i
nun diese; nach der Onterdiäol
Volk der Ebnronen, so^e d»
traten an deren Stelle die Tuj
der Germania o. 2 bezeichnet,
gallifohen Krieges eine Stadt,
mit dem Beinamen Tungronun,
Aduataoa, und daher hat £c 3
Die neueste Untersuchang des (
aber in einem andern Ergebt:
Aduatnca anf der Höbe von
des heutigen Tongern. Die La
rieh s^t, >aQSBer Zweifel gese'
andern Ergebnisse führen, das
Im Anhange § 10 wird i
Germani ausfährlich behandelt
a se ipii statt ipsis bat auch I
Tacitue aufgenommen. Dnter i
mani, der ein keltischer oder <
daher anch den Galliern verstäi
aufgestellte für die richügatc.
tisoiien Zeitwort gur, laut nifei
') Julius Cäsar im nordwi
Gjmn. lu Krensnacb 1870.
• •
Juliui Gasar tm Rhein. 291
Krieger, Held, dem homerischen »Rufer im Kampfe ähnlich, abzoleiien Bind.
Dieser Bedeutung entsprechend ist auch der Name der Tungem, der vom go-
thisohen tuggo, althocbd. zunga, Zange, tungar, Sohreier, abgeleitet wird. Dem-
nach sind auch die Tungei Schreier und ihr Name gleichbedeutend mit dem
keltischen gairmeau. Diesen keltischen oder deutschen Namen haben ans die
Römer nach ihrer Aussprache, das W in G verwandelnd, überliefert. Die Be-
wohner der Germania magna, des Landes swischen dem Rheine und der
Weichsel, hatten ursprünglich keinen gemeinschaftlichen Namen, sondern jeder
einzelne Volksstamm seinen eigenen Namen. Der südlich von den Guttonen,
2wischen der Oder and Elbe wohnende und mit dem Zuge der Cimbern vor-
dringende Stamm heisst Teutoni oder Teutones ^), ein gothischer Name, der
Volk (thiuda) bezeichnet, der aber erst im neunten Jahrhundert nach der
Trennnng des Frankenreiches von dem ostrheinischen Deutschland der allge-
meine und herrschende 'geblieben ist.
Im Scblussparagraph tbeilt der Verf. seine »neu gewonnene Ansicht«
über die Franci der Peutinger'sclien Tafel oder über die fränkischen Völker am
Niederrhein mit, um sie nicht langer der Oeffentlichkeit vorzuenthalten. Die
auf der Peutinger'schen Tafel stehenden, von dem unwissenden Abschreiber
ganz verkehrt geschriebenen und abgekürzten Namen verbesseri der Verf. mit
glücklichem Scharfsinn in folgender Weise: Renus = Rhenus, Patabus = Va-
cnlus, wie die ältesten Handschriften und Ausgaben des Cäsar %B. G. IV, 10 den
Namen geben, gewöhnlich Vahalis; Patavia = Batavia. Es folgen in zwei Reihen
die Völkemamen: Chac. Vapii. Varii. || Chamavi, qui et Pranci. Zwischen den
beiden Zeilen und theil weise zwischen den Buchstaben der ersten Zeile von
einer andern Hand, wie es scheint, hineingeschriobon, sieht das sinnlose Wort
Rhepstini. — Vapii und Varii sind, wie der Verf. richtig annimmt, nur Endun-
gen von Völkernamen, und Vapii -ist verschrieben aus Varii. Mit dem vor an-
stehenden Chaci zu Einem Worte verbunden gibt den Völkernamen Chacivarii
oder richtiger Chattuarii, woraus denn Hattuarii und Attarii entstand. Mit
der zweiten Endung Varii müssten zwei Buchstaben ps aus dem darunter stehen-
den rhepstini genommen werden und durch eine etwas kühne Annexion und
Addition der Sylbe Am erhält man den hierher gehörenden Volksnamen Ampsi-
varii. Von den übrigen Buchstaben jenes sinnlosen Wortes soll rhe vielleicht
eine Verbesserung des Renus sein, mit dem Reste tini aber weiss der Verf.
nichts anzufangen. Den Zusatz: qui et Franci bezieht der Verf. nicht allein auf
die Chamavi; sondern auch auf die Chattuarii und auf die von ihm gebildeten
Ampsivarii, denn diese Völker haben gerade da gewohnt, wo auf der Peutinger'-
schen Tafel der Name Francia steht. Aus der Verbindung der drei genannten
Völker, unter denen die Chamaver die mächtigsten waren, hat sich durch An-
') Nach dem Berichte des Seefahrers Pytheas aus Massilia (zur Zeit Ale-
xander's d. Gr.), den uns Plinius H. N. XXXVII, 11 mittheilt, wohnten die mit
Bernstein handelnden Guttonen an der Ostseeküste und verkauften dieses Pro-
dact an die ihnen zunächst wohnenden Teutonen.
v*^
292 Prof. A. Dederich, Juliui C&sar am Rhein.
sohlnss der übrigen kleinen Völkerreste anf der nordöstlichen Seite des Rheines
derFrankenbund gebildet, der sich seit dem fönften Jahrhunderte siegreich über
das nordwestliche Gallien ansbreitete and dem gansen Lande den Namen Frank-
reich gab.
Wir wollen diese Verbesserungen der bisher verstümmelten nnd unver-
ständlichen Kamen auf der Peutinger'schen Tafel als wichtige Resultate scharf-
sinniger Forschung mit Dank annehmen, wenn auch gegen die Bildung des
Namens Ampsivarii erhebliche Bedenken übrig bleiben. Ebenso möchten wir
die sonderbaren Rhepstini oder Ghrepstini, wie einige schreiben, die das G des
Wortes Ghaci als zu Rhepstini gehörig diesem vorsetzen, unberührt stehen
lassen, bis ein neuer Oedipus das R&thsel löst.
Wesel. Fr. Fiedler.
in. Miscellen.
1. Barscheid, Kreis Solingen. — RheinkaBsel und Kasselberg
liegen noch eine ziemliche Strecke weit von der Steinstrasse entfernt. Mögen anch
Vom ersteren Orte (Jahrb. XXXI. S. 86) keine römische Alterthümer bekannt
sein, so war der Hügel, auf welchem die Kirche liegt, obwohl nicht ansg^edehnt,
för einen festen Pnnkt besser geeignet als das niedrig gelegene Kasselberg.
Bei hohem Wasser wird dasselbe nicht überschwemmt. Hier mnss irgendwo we-
nigstens eine Warte in der Römerzeit gewesen sein, weil eben der Ortsnamen
anf einen festen Pnnkt hindeutet.
An der Stätte des oberhalb gelegenen Merke nicb, von welchem Schmidt
nichts sagty haben die Römer Spuren ihres Daseii&s hinterlassen. Die angefahrte
Steinstrasse führt dnroh das Westende des Dorfes. Wo sie dasselbe von unten
zuerst berührt, hat ein Einwohner (Bongerich) beim Graben neben derselben
und neben seinem Hause, wiederholt röm. Münzen, worunter eine von Augrnstus,
gefunden. In der N&he der Kirche fand man um's J. 1840, im Garten des Yos-
hofes ein römisches Grabgewölbe. Dieses bildete einen runden Raum, der etwa
acht Fuss im Durchmesser hatte und gegen fünf Fuss hoch war. Das Gemäuer
war aus Tuffsteinen aufgeführt und ihr Gewölbe ruhte auf einem Mittelpfeiler.
In einer Nische der Mauer standen Aschenkrüge. Eine steinerne Treppe führte
in den Raum hinab. Dem Berichterstatter zufolge soll dieselbe noch tiefer in
die Erde geführt haben. Es wurde darin ebenfalls eine Steinplatte mit einer
Inschrift versehen gefunden, die zerbrach, bald darauf aber in die Delhoven'scbe
Sammlung zu Dormagen gelangte. In der Nähe des Hofes fand man zweihenke-
lige röm. Gefässe u. s. w. Die Kirche liegt etwas höher, deren Stätte bei der
hohen Flnth von 1846 nicht überschwemmt wurde. In der Feldflnr nordwestlich
vom Dorfe fand man Gemäuer von Tuffsteinen.
Westlich von Bursoheid, Kreis Solingen, liegen auf einem Berge am
Bache Eifche, unterhalb des Böokershammers, altdeutsche Befestigungswerke,
die »alte Bürge genannt. Ein breiter tiefer Graben zieht sich hier quer über
die Bergfläehe vom ECandd des nördlichen Abhanges bis zu dem des südlichen
Seitenthals. Von seinem nördlichen Anfangs läuft ein anderer etwas unterhalb
des Bergrandes über den nördlichen Abhang ostwärts zum steilen Abhänge des
Baohthals, wo ein Steinbruch ist. Ein ahnlicher Graben zieht oben über den
südlichen Abhang nach dem Endpunkte des vorigen, wo sie sich in einen ab-
iß
4
204 Miscellen.
(^^stuonpften Winkel vereini^on. Die Erde aus den Seitengräben worden gross-
tontbcils an ihrer Aussen seile wallformig aufgehäuft. Nur hie tind da ist etwas
Erde oben auf dem ßergrande aufgeworfen worden. Ein eigentlicher Wall ist
nicht vorhanden. Der Einganpf zu dem grossen länglichen dreieckigen Räume,
ßndet ^ioh an der nordwestlichen Ecke. Innerhalb desselben, der mit Gebüsch
bedeckt ist, befindet sich nichts Bemerkenswerthcs.
In der Pfarrei Odonthal, Kreis Mülheim, findet sich östlich von der
frühern Abtei Altenberg, eine unter dem Namen »Erbericher alte Burg« be-
kannte altdeutsche Befestigung auf einem bewaldeten Berge unweit des Dünn-
bachs. Wir sehen hier zuerst einen Graben, theilweise zerstört, mit dahinter
liegendem Walle, vom nördlichen Abhänge des Berges über seine Fläche bis
zum Rande des südlichen gezogen. Hundert Schritte weiter findet sich ein ähn-
licher, welcher 96 Schritte lang ist, und 90 Schritte weiter finden wir einen
andern von 112 Schritten Länge. Unmittelbar hinter diesem ziehen sich zwei
Gräben, und zwei Wälle hin. Die rechte grössere Hälfte der in's tiefere Seiten-
thal sich bald abdachenden Fläche, hat nach Innen auch einen Graben und
Wall mehr. Treten wir auf dem durchführenden Pfade in den abgeschlossenen,
sich stark neigenden Theil der Bergfläohe, dann sehen wir die Abtheilang links
ohne tieitenwälle, die rechte Seite aber, welche grösstentkeils auf dem Abhänge
liegt, ist von einem einfachen Graben und Walle umgeben. Die Gräben Und
Wälle sind im Allgemeinen nicht tief und hoch. Das tiefere Seitenthal war an
seinem Ausgange durch einen hohen, noch jetzt vorhandenen Damm gesperrt,
um das Wasser des durchrinnenden Bächelchens zu einem grossen Teiche an*
schwellen zu lassen. Er mag aber auch erst im späteren Mittelalter aufgeführt
worden sein, um einen Bnsohteich zu bilden.
Reste von einer altdeutschen Feste finden sich oberhalb der Neanderhöhle
auf dem Berge zwischen der Dussel und dem Bache von Mettmann, welcher
das Einzelhaus »auf der Bürge trägt. Hier zieht sich etwas unterhalb des
Bergrandes ein tiefer Graben über den westlichen Abhang hin, der später 'nach
der Südseite umbiegt, hier zugleich einen Bergrücken abschneidet, und im
weitern Laufe sich nach Osten wendet, wo er am steilen Abhänge bald endigt.
Geringe Reste eines Walles finden sich an einzelnen Stellen auf dem Rande des
Borges. Im J. 1870 wurde noch ein Theil desselben geebnet. Die grosse einge-
schlossene Bergobene, eine Fcldflur, ist an der Ostseite stark geneigt. Die Cul-
tur hat die wahrscheinlich da gewesenen Qaerwälle und Graben auf der Hoch-
fläche verwischt
Gleich nordöstlich von Bensberg finden wir die »Erdenburgt. Auf dem
bobuschten Bergrücken an der Ostseite beginnen unweit einer Schlucht drei
Gräben und Wälle, die sich gebogen cum südlichen steilen Abhänge siehen, um
eine Kuppe absnsperren. Wo die Steilheit zunimmt, endigt der änsserate Gra-
ben nach 160, der darauf folgende nach 322 Schritten, während die zwei inneren
Gräben und Wälle sich xreiter fortsetzen, um nach und nach west- und nord-
wärts Bu laufen. Dort endigen sie, nachdem sie vom Anfimgspunkte 695 Schritte
zurückgelegt haben. An der Westaeite fährt ein Fnhrweg 211 Schritte weit
Miicellen. 295
zwischen den beiden Wällen hin. Hier an der Nordseite fehlt aber auf einer
Strecke von 146 Schritten bis zum vorhin bezeichneten Anfangspunkte jede Be-
festigung. Dem Anscheine nach sind hier keine gewesen, waren hier aber um
so nöthiger. weil der Berg hier sich sanft abdacht. Der Kaum, welchen die
Ringwälle umsohliessen, besteht aus einer Kuppe und einer vor ihr, ^egen
Nordosten gelegenen kleinen Fläche. £i* hat 356 Schritte im Durchmesser.
Im Lohmarer Walde, nordöstlich von Siegburg, war im J. 1808 auf
einem Hügel, unweit der Strasse nach Schreck, ein grosser Stein zu sehen, um
welchen in einiger Entfernung zwölf kleinere in einem Kreise lagen. Dabei
waren Erdwälle und in der Nähe deutsche Grabhügel. Der bergische Ober-
geometer Windgassen fertigte damals einen Grundriss für den Begierungsrath
Tryst in Cöln davon an, welcher die Stätte für einen alten Opferplatz hielt.
Später soll an diesem Hügel ein Steinbruch eröfifoel worden sein.
. Gleich oberhalb Overrath liegt auf einem Berge, am Wege nach Ma-
rienlinden, die Hausgruppe aaf der Burg. Dabei ist auf der bebnschten Berg-
hohe, die ziemlich steil in's Thal der Acher sich abdacht, eine Stelle: die Hing-
mauer genannt. Es findet sich dort Gemäuer in der Erde, von welchem man
schon viel weggebrochen hat. Von einer hier etwa im Mittelalter gewesenen
Burg schweigt die Geschichte. Diese Stelle, so wie der übrige Theil der Höhe
verdient näher untersucht zu werden. Ob hier früher eine Warte stand?
2. Alzey. Zwei römische Inschriften. Schon im Jahre 1783 wur-
den in der Nähe der hiesigen Freimaurerloge drei römische Altäre, der Minerva,
der Fortuna und den Nymphen geweiht, aufgefunden, von weichen die beiden
ersten durch Karl Theodor nach Mannheim gebracht wurden. Der dritte, wel-
cher hier blieb, war für uns der wichtigste, weil auf ihm die vicani altiaienses
ausdrücklich als Dedicanten genannt werden. Zu diesen drei im Corpus inscr.
rhen. veröffentlichten Inschriften kam im vorletzten Winter eine vierte, jetzt
im Mainzer Museum befindliche hinzu, gleichfalls auf einer ara, welche in der
äusseren Beschaffenheit grosse Aehnlichkeit mit dem aus dem J. 224 stammen-
den Nymphenstein zeigt, also wohl auch derselben Zeit angehört. Die Fund-
stätte liegt zwischen der alten Schlossruine und der Loge und fuhrt den Namen
der »Drommäckerc. Die Inschrift lautet:
1 DEA • S V L
2. ATTONIVS
3 L V C A N I
Da auf allen Altären ohne Ausnahme die Namen der Gottheiten im Dativ
stehen, so ist Z. 1 jedenfalls deabus zu lesen, denn für deae würde sich
eine Abkürzung nicht verlohnt haben. Das zweite Wort findet sich im ganzen
C. inscr. rh. nur einmal ausgeschrieben, und zwar auf dem verlorenen Steine
von der Schweppenbnrg (Nr. 637), woselbst suleviabus steht; doch findet sich auch
E. B. auf einer italienischen Inschrift sulevis. Da Attonius nur als nomen vor-
296
Miaoellen.
kommt.. 8o wird das folgende Wort Lucani oder Lucanii, da ee des Platses
halber keinesfalls ein Nominativ sein kann, gleichfalls ein nomen, und zwar der
Genetiv von Lucanias sein, so dass also eu lesen wäre:
deabos suleviabas attonius iQcani(i), d. h.
den Waldgöttinnen Attonius, des Lncanius (Sohn).
Da meines Wissens die suleviae nirgends als deae bezeichnet werden, so
dürfte der vorliegende Stein in dieser Hinsicht von Interesse sein ^).
Im vergangenen Herbste fand sich V« Stande nördlich von Alzei im Feld
das Fragment einer Yoti>tafel, auf welcher sich folgendes erkennen Hess:
/rem
/ VRIO
• D • r
ET R
(- VN 0
1 V S
\/0 T O • 1* O «
\ s ■
L 1 B/
\
Ein ganz ähnlicher Stein ist in der Zeitschrift d. V. z. E. d. rh. 6.
u. A. in Mainz, B, ü. Nr. 187 anfgefOhrt; hiemach dürfte die vorliegende Wid-
mung gelautet haben:
IN • HONOREM 0 0
OEO MERCVRIO • ET • RO
SMERTE • SECVNDIV S •
• EX VOTO • POS
VIT VOTVM S LIB M
Zeile 2 und 4 haben am Ende wohl keinen Raum für einen Punkt, wess-
halb ich POS nicht als eine Abkürzung ansehe«
Merkur kommt auch im C. inscr. rh« öfters in Verbindung mit Rosmerta
vor. W&hrend sonst der Name des Merkur auf römischen Inschriften h&ufig ist,
wurde er hier erst auf der fünften gefunden und auch da nicht allein ; vielleicht
ist übrigens auch mit dieser die Reihe derartiger Denkmaler in der Umgebung
unserer Stadt noch nicht abgeschlossen.
G. Schwabe, Reallehrer.
1.
2.
3.
4«
6.
3. Köln. *Zur rheinischen Epigraphik« ist die Ueberschrift eines
von Herrn J. J. Merlo in Köln geschriebenen Artikels in Heft LH dieser Zeit-
schrift p. 108 sq., welcher mich zu folgenden Bemerkungen veranlasst.
Zu Nr. 1 p. 103. Herr M. behauptet, dass der von mir edirte Stempel
') Die richtige Deutung der in diesem Hefte S. 190 schon von Brambach
beiläufig mitgetheilten Inschrift gibt Prof. Becker oben S. 142. J. Fr.
MisoeUen. 297
M£DJ)IGV8 (die epigraphisohen Aniioaglien Kölns Nr. 72 b) identisch sei mit
dem von Lersch mitgetheilten MEDDIRiyS (Bonner Jahrbücher 11 p. 86; Froh-
ner 1647), weil das betreffende Fragment nach dem Tode Meinertshagen's in
seine Sammlung übergegangen; demgemäss sei derTöpfemame Meddirius zu be-
seitigen. Dem gegenüber gebe ich Folgendes zu erwägen:
1) Es besteht die Möglichkeit, aber auch nur die Möglichkeit, dass es
sich nur um ein einziges Fragment handelt, und zwar gerade um das im Besitz
des Herrn M. befindliche; denn die Meinei*tzhagen'sche Sammlung war so reich
und ist so vielfach zersplittert worden, dass der Annahme nichts entgegen
steht, der genannte Sammler habe auch ein Gerath mit dem Stempel Meddirius
gehabt, welches in unbekannten Besitz gekommen ist. Als ich im Sommer 1869
Inschriften der M.'schen Sammlung aufzeichnete, hat Hr. Merlo auch von der
angebliehen Identität der beiden Stempel nicht gesprochen. 2) Die Annahme,
dass L. Lersch den Stempel Meddious, den €r »bei gesundem Auge nothwendig
gelesen haben müsset und der in vollkommener Reinheit und Schärfe der Schrift-
züge da steht, als Meddirius edirt habe, hiesse die wissenschaftliche Glaubwür-
digkeit des verdienten rheinischen Epigraphikers untergraben und denselben
grosser Oberflächlichkeit bezüchtigen. 8) Wenn somit schon dael'M.'sche Dic-
tum »der Töpfemame Meddirius wird demgemäss zu beseitigen sein« ein ge-
wagtes ist, so verliert es jede Berechtigung durch den umstand, dass die Firma
Meddirius hinreichend gesichert ist durch ein aus Luxemburg stammendes, jetzt
in Paris befindliches Exemplar (Fröhner Nr. 1548), in welchem nur das E de-
fekt ist und das gewöhnliche, nicht gestrichene D vorkommt.
Zu Nr. 4 p. 104. Die durch Fröhner Nr. 2050-2052 gesicherte Lesung
VACO muss ich beibehalten. Ich habe den Stempel ohne Ligatur von Y und A
drucken lassen, weil die Lettern meines Druckes hier nicht ausreichten, habe
den Stempel auch nicht einer Scherbe angewiesen, wie HerrM. sagt, sondern
einer Schale. (Epi graphische Anticaglien p. 7 Nr. 119.)
Zu Nr. 6 p. 1C5. Wenn Herr M. bemerkt, dass meine Behauptung AVF
= OF auf dem auch in Italien vorkommenden Stempel AYFFRON »etwas be-
denklich erscheine,! so bedaure ich, dass er sich nicht die Zeit genommen hat.
die von mir angegebenen Stellen nachzulesen und sich über die Verwandtschaft
zwischen AY und 0 zu belehren. Weitere Belege gibt noch H. Schuchardt der
Yokalismus des Vulgärlateins II p. 303 sq. III p. 263.
Zu Nr. 8 p. 106 C A H T O
F
Diesen Stempel bietet nicht nur eine Lampe des Kölner Museums, sondern Dorow
fand denselben auch in Neuwied (Fröhner 542). Warum nun Herr M. ein beson-
deres Gewicht darauf legen zu müssen glaubt, dass hiemeben noch der sonst
übrigens vielfach vorkommende Stempel
CARTO
beizubehalten sei, vermag ich nicht zu ergründen.
398 MiBcallei
Zu Nr. 9 p. 106. Herr H. bemerkt i
von DünUer in diesen Jabrbucbern XXXV
346] GemmeniDtchrift unt«r Nr. 19öb meii
stätigt die fticbtigkeit der Düntzer'echeo
LeflOQ); überein Btimme, so daas das dritte ^
zu lobreiben Eei. Herr M. bat dabei üben
niobtB handelt, als um einen Druckfehler.
meine Arbeit geloBen hätte, würde er das ;
im Text der Icachriften ist die Schrift ni
oolegi.' Literftrisohes Centralblatt 1870 Nr.
ttque d'hiatoire et de litteraturo 1S70 Nr. I
nusster Weise eine von den bisherigen Pub
wollen, so war es geboten, um nur einigen
dies hervortaheben und auf die Abweichanj
mlsBig gethan iiiibe. Epigraphiker wie Düt
einfach todtsobweigen. Mit grösierm Reoh
Torwurf gemacht worden. Ich hatte nä
gegen die Edhtheit der besagten Inschrift 1
Köln.
4. Köln. Römisoher Urabstein
einet Thurmes, Hessen-Thor, Hessenthum
genannt. Auf seiner vordem Seite sieht
hanene Figuren, wovon die eine eine Fo
eines Fürsten darstellt • So Dr. Carl Brc
Btatistisch-medicinischen Topographie der E
1889) p. 42. Bei einer genaueren Bütrach
staltet sieh das Mordinstnunent zmt Darst
beschlftigten Mannes und iat somit einzurc
rade am Rhein vorkommenden Grabreliefs,
Lebensgenuss beim heitern Mnble darstelle:
gebrachte Inschrift ist nicht vorhanden, bc
Seite eines der Quadern, die nahebei in dei
Qrabrelief ist auch ohne Zweifel folgend«
Büoheler im XXT. Heft dieser Jahrbücher ]
Chronik eines Jülicher Secretarius vom J
find man ahn den dreien alten Statpfor
steinen gebaoen.*
Köln.
6. Elberfeld, Briefliche Mittheilucf
lioa au den Ver.-Sekretär Prof. Freudenber
■Anf einem Acker zu Holzerhof (bi
Miscellen. 990
Düsseldorf, südl. von Soli d gen gelegen) wurde kürslich eine celtische Goldmünze
gefunden: unbärtiger Kopf mit Diadem nach der linken Seite ; Rev. geflügeltes I'ferd .
im Lauf, darunter Blätterschmuck mit doppelter Perlenreihe. Sie hat das Gewicht
von nahezu 2 Kiiogr. und einen Goldwerth von c. 1 Thir. 28 Sgr. Auf demsel-
ben Grunde ist schon früher eine grössere Goldmünze gefunden worden, über
die ich nichts Näheres erfahren konnte. In der Nähe des Fundortes ist eine
Quelle, die ehemals ab eine heilige gegolten haben soll.«
Die Slünze zeigt nach der richtigen Verinuthung des Hrn. Einsenders den
Typus der Mediomatriker (Hauptstadt Metz) und ist, wie Hr. van Vleuten, wel-
eher ein Exemplar derselben Münze besitzt, mir mittheilte, wahrscheinlich eine
barbarische Nachahmung des Denars der gens Titia. J. Fr.
6. Bonn. Bömerreste in Poppeisdorf. Beim Ziegeln zu den Neu-
bauten an der verlängerten FriedrichsHtrasse nahe dem Poppelsdorfcr Weiher
fanden die Erdarbeiter im Februar d. J. verschiedene römische Urnen und
Krüge von weisslichem Thon, femer eine grosse Schüssel mit zweckmässig ein-
gerichteter Ausgusstülle, eine grössere Sehale so wie ein ganz kleines nied-
liches Schälchen von terra sigillata, endlich eine grössere Thonlampe mit der
Darstellung eines langgeöfirten Kopfes, wie es scheint, des Midas. Die sämmt-
liohen Fundgegenstände sind in den Besitz des Hm. Sürth, Conservator des
anatomischen Museums zu Poppeisdorf, gelangt. J. Fr.
7. Bonn. Am 18. Februar c. stiess man nahe der Kölner Chaussee im
Rheiudorfer Felde beim Fundamentgraben zu dem grossartigen, für den Regie-
rungsbezirk Köln bestimmten Irrenhause auf mehrere römische Gräber. Die
darin enthaltenen Beigaben, bestebt-nd in mehreren Urnen und verschiedenen
KrügeUi einer Thonlampe mit Verzierungen, einem kleinen Salbenfläschchen von
grünlichem Glas und ausserdem den Fragmenten eines römische n-Sp i egels von
w^eissem Metall wurden von den Arbeitern dem Unterzeichneten zugebracht und
für die Sammlung unseres Vereins erworben. Der Metallspiegel befand sich als
Deckel auf einer grossem Urne, wurde aber von den Arbeitern aus Unvorsich-
tigkeit in Stücke zerschlagen, die sich nicht mehr vollständig genug vorfanden,
um denselben herzustellen. Uebrigens hatte derselbe, wie man noch ersehen
konnte, eine runde Form uüd zeigte eine glatt polirte Fläche. Nach dem Zeug-
niss des altem Plinius (Nat. Hist. XXXIII, 45) bestand der Stofif solcher Spiegel,
die am besten zu Brundusium in Italien verfertigt wurden^ aus einer Mischung
von Kupfer und Zinn, welches letztere dem Metall einen silberartigen Glanz
verleiht. Auf mein Ersuchen hatte Herr Dahlen, Assistent an der Versuchssta-
tion der landwirthsohaftlichen Akademie zu Poppeisdorf, die Güte, ein Stück
des fraglichen Metalls einer sorgfältigen Analyse zu unterwerfen, welches folgen-
des Resultat gab:
800
MueellflD.
Kupfer . .
69,81 «/e
26,66 %
Blei . , .
4.96 Vo
Eisen
fM
Antimon
Spuren.
Vergleicht man hiermit die chemische Untersuchung der Metallmasse eines
antiken (romischen) Spiegels in Elaproth's Beiträgen zur chemischen Kenntoiss
der Mineralkörper Bd. 6, S. 74, welche als Resultat ergab:
Kupfer . 62
Zinn . . 82
Blei . . 6
100
so ergibt sich der unterschied in den eigentlichen vorschriftsmassigen Mischungs-
theilen beider Spiegel nur als ein geringer. Es scheint im Durchschnitt in
2 Theilen Kupfer und einem Theil Zinn bestanden zu haben und das Blei be-
trögerisoher Weise beigemischt zu sein, ein Verhältniss, das nach Klaproth
auch heut zu Tage zu den Teleskopspiegeln beobachtet wird.
Ueber zahlreiche weitere Funde römischer Alterthümer, die an derselben
Statte im Verfolg zu Tage gefordert wurden, verweisen wir auf den Bericht
unseres Vereinsmitglieds Hrn. Dr. Bouvier weiter unten.
Von anderen römischen Alterthümem, deren doch in diesem Jahre, bei
der grossen Bauth&tigkeit in der Stadt Bonn selbst" wie in ihrer nfihem Um-
gebung, noch manche zu Tage gekommen und verschleudert worden sein mögen,
sind mir noch zwei auf der Sandkaul 15 im Sommer'schen Hause, der jetzigen
Actiengesellschaft zur Eintracht, beim Fundamentiren des Saals gefundene, stark
oxydirte Münzen zugekommen, auf deren einer sich noch der Rev. Bomae et
Aug. mit dem Altar von Lyon erkennen liess.
Freudenberg.
8. Aachen, 1. August. Ein interessanter Fund ward heute hierseibst zu
Tage gefördert. Bei den Fundamentarbeiten für das von dem Paulusvereine
neben dem Paulushause errichtete, zu Arbeiterwohnnngen bestimmte Gebäude
fand man dieser Tage in einer Tiefe von etwa sieben, acht bis zehn Fuss
mehrere wohlerhaltene römische Aschenkruge und Urnen von gebranntem rothem
Thon, dann mehrere Ueberreste von Marmorgesimsen mit lateinischen Inschrif-
ten, die man aber, weil sie zu arg ladirt waren, nicht entziffern konnte.
9. Hamm. Für Freunde der Alterthumskuude. Der Bau einer
Zweig-Eisenbahn von Mülheim a. d. Ruhr nach Kettwig, unter Leitung des Ab-
theilungs-Baumeisters Herrn Brewitt,'^fnhrte2zur Entdeckung einer alten heid-
nischen Begr&bnissstätte, in der N&he von Saam (ehemaliges Benediktiner-Fr&u-
lein-Kloster, jetzt Gewehrfabrik), etwa V« Meile südlich von Mülheim.
Miscellen. 9Ö1
Der Boden des Feldes, worin sie vorkommt, besieht ans GeröUe^ von
dem Rohrfiusse herrührend, der einst darüber seinen Lauf nahm. Später hat
derFI nss sich ein anderes etwas tiefer liegendes Bett, gegen 1000 Schritte
weiter östlich^ gewühlt. Beim Ausschachten des Bodens wurde an einzelnen
Stellen statt des Gerölles lockere Erde mit Eies untermischt bemerkt. Offenbar
sind Löcher in den Boden gegraben und solche mit der lockeren Erde ausge-
füllt. Fast ausschliesslich in diesen Löchern, selten in dem (xerölle, kamen An-
tioaglien zum Vorschein, — bis zum 17. Juli c, folgende:
1) Ein in mehrere Stücke zerfallenes, grossentheils aber wieder zusam-
mengekittetes Gefäss, ähnlich den jetzigen Terrinen, gegen 5. Zoll hoch, 7Vt
Zoll im Durchmesser haltend, von dem feinen gelblich-rothen Thon, der in
späterer römischer Zeit häufig statt der hochrothen terra sigillata in Anwen-
dung kam. Das Gef&ss hat eingepresste Verzierungen. Die etwas unterhalb des
oberen Randes bestehen aus aneinander gefügten länglichen Halbkreisen (\«ag
etwa 4, breit 3 Linien), deren Inneres mit gleichen aber kleineren Kreisen aus-
gefüllt ist. Man sieht solche als Randverzierungen häufig an römischen Vasen,
z. B. Abbildungen der römischen Alterthümer in Bayern, Heft H, Tafel VIII ff!
unter denselben zeigt das aufgefundene Gefäss Wellenlitlien. Halbbogen nn^
zwischen letzteren Zweige von Sträuohern mit drei Blättern.
2} Vierzehn irdene (^efösse, meist wie Aschenumen geformt, von ver-
schiedener Grösse, einige mit ganz einfachen eingepressten, andere mit erhabe-
nen Verzierangen, nur in Linien, Punkten und dergleichen bestehend. Von ab-
weiohender Form sind:
a. Ein nach oben sich verengendes (}efäss mit einer Ausguss-Tülle, unge-
fÜkt heutigen Theetöpfen ähnlich;
b. ein anderes, dessen Gestalt mehr einer Terrine gleicht; der obere
Rand erweitert sich nach Innen um etwa \ Zoll und hat eine Ans*
gnss-TüUe.
3) Viele Scherben von hellrothem, grauem und weisslichem Thon, theils
mit starken, bis 4 Linien dicken, theiis mit dünnen Wänden; eine mit vielen,
4 Linien hohen ovalen, in die Aussenwand eingedrückten Verzierungen, die
das Gefäss, wovon sie herrührt, rings umgeben zu haben scheinen. Einige Stücke
sind auf der Drehscheibe gefertigt, andere nicht.
4) Eine sog. keltische Perle von feinem Thon, 5 Linien lang, nach Aussen
mit 5 kleinen Erhöhungen, deren Spitz hellblau gefärbt sind.
6) Zwei Stücke von Glasgefässen. Das Glas ist dünn, von gelblicher, et-
was in's Grüne spielender Farbe, nicht blasig.
6) Eine eiserne Lanzenspitze, 21 Zoll lang, unten nahe bei der Tülle mit
zwei Ausbiegnngen (orochets), ähnlich der in dem Werke des Abb^ Goohet »8e-
poHures gauloises, romaines, franqnes etcc S. 228 abgebildeten f^ränkischen
Lansenspitze.
7) Sechs andere Lanzenspitzen von verschiedener Länge und Form, ohne
Anzbiegungen, fast sämmtlich mit einem Grath.
8) Fünf Schwerter von verschiedener Länge, verhältnistmäsaig schwer,
802 Misoellen.
keines gekrümmt; — das grösste 24 Zoll lang, 2 Zoll breit, ist bei der Lansen-
spitze Nr. 6 oben gefunden. '
9) Ein Dolch oder Messer, 9 Zoll lang.
10) Ein Umbo (Schildnabel) von Eisen, unten noch mit den N&geln oder
Sohräubchen znm Befestigen an dem hölzernen Schild versehen. Von diesem
fanden sich nur Bröckchen.
11) Ein desgleichen, weniger gut erhalten.
12) Ein Stück von einer eisernen Pferdetrense. mit 3 Zoll im Durch-
messer haltendem Ring an der Seite.
Die Sachen von Eisen sind sämmtlich dick mit Rost belegt.
13) Stücke von Bronzeplatten, ziemlich dünn, anscheinend von Gc fassen
oder Rüstungen herrührend.
14) Mehrere bis 8 Zoll lange Thierzähne, wohl von Pferden.
In dem unter 1 beschriebenen Gefasse fanden die Arbeiter auch Knochen -
fragmente; ob von Menschen- oder Thierknochen möchte schwer zu bestimmen
sein. Die übrigen Gefasse enthielten keine Rnochenreste ; möglich dass solche
vorhanden gewesen, aber in dem ziemlich feuchten Boden verweset sind.
Von den Sachen sind einige, z. B. das Gefass unter 1., die Perle und die
Glasscherben wohl unzweifelhaft römischen, andere fränkischen Ursprungs. Sie
scheinen der Zeit anzugehören, in weicher die Römer und Franken um den
Besitz der Länder an beiden Seiten des Rheines stritten, also dem 3. oder 4.
Jahrhundert. Die Grabstätte dürfte uls eine fränkische anzusehen sein. Dass
unter den Sachen römische vorkommen, spricht nicht dagegen; diese können
Franken von Römern erhandelt oder erbeutet haben.
Essellen, Hofrath.
10. Seligenstadt. Die Restauration des altromanischen Domes in 3c-
ligenstadt bei Asohaffenburg veranlasste, dass das Grabmal Eginhards und Em-
mas (ein Marmorsarkophag) aus dem Mittelschiffe in eine Nebenkapelle ge-
bracht und bei dieser Gelegenheit geöffnet wurde. Man war überrascht, in dem-
selben noch die Ueberfeste einer dritten Leiche zu finden, nämlich, wi3 die gut
erhaltene Pergamentschrift beurkundete, die einer Tochter Eginhards. Sonder-
bsrer Weise . fehlt dem Skelet von Eginhard der Schädel. Von alten Stoffen
fand sich nichts von Bedeutung vor, denn die Knochen sind nur in einfarbige
violettsohwarze und in rothe verschossene Stoffe, welche den Futterstoffen der
Messgewänder des Mittelalters ähnlich sind, eingewickelt. Der Sarkophag zeigt
den Stil aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. Leider wird die genannte Kirche
gegenwärtig von einem Landbaumeister in Offenbach so gründlich restaurirt,
dass sehr viel Schönes und durchaus nicht Baufälliges aus der malerischen Ba-
rokzeit, welches historische Bedeutung hat, einer moderneu nüchternen romani-
schen Schablone Platz machen muss. Es ist dies um so mehr zu beklagen, da
in der Nahe tüchtige Kräfte, wie der Dombaumeister Wesiken in Mainz und
Baurath Essenwein in Nürnberg, die Oberleitung hätten übernehmen können.
Miscellen. .%B
Seligenstadt ist ein Landstadtchen yon circa 4000 Ein-wohnem, hat keine Fabri-
kation wie die Nachbarstadte, besitzt aber ein sehr reiches uraltes Stift, wel-
ches mehr *als honderttausend Gulden auf eine solche Restauration verwenden
kann. Ausser einigen guten Goldstickereien und Statuen aus dem 16. und 17*
Jahrhundert besitzt die Kirche keine nennenswertheu Sehenswürdigkeiten^ wohl
aber ein überaus reichhaltiges, wenn auch abschreckend zopfiges Jesuiteninven-
tar an Holzwerk und schlechten fiildern, Reliquienbehältern etc. An Curiosi-
täten ist die kleine Stadt reicher als der gprosse Dom. Denn der riesige Löffel,
mit welchem Karl der Grosse bei seiner verstossenen Tochter Emma jenes Ge-
richt gegessen haben soll, an dessen Zubereitung er sie wiedererkannte, wird
sogar in zwei Exemplaren gezeigt und diese spielen in der That eine fast wun-
derthätigere Rolle, wie manche ächte Reliquie. Nur müssen wir leider gestehen,
dass diese Löffel den Mund des grossen Kaisers nicht berührt haben, sondern
spiessbürgerlich aus den ehrsamen Städten Nürnberg und Augsburg stammen,
allwo sie bei Messgelegenheiten auf Kosten der zugereisten Neulinge in der
Zanft gefüllt und in einem Zug geleert werden mussten. Diese Löffel, an
welche sich ein Stück mittelalterlichen Humors knüpfl, gleichen an Grösse und
Form der Kehrseite der alten runden Citheru, sind an dem yiolinartig geboge-
nen Stiele reich geschnitzt und fassen etwas mehr als eine Flasche Wein. Am
Ende des Stieles ist eine massive Holzkettc befestigt, welche dem Trinker um
den Hals gehegt und an dem andern Löffelende eingehakt wird. Solche Löffel
sind einestheils für den Wirth ein probates Mittel, um seinem Weinkeller Zu-
spruch zu verschaffen, und andemtheils, um das Kapitel »Wein, Weib und Ge-
sang« durch eine Unzahl von Knittelversen in gehobener Stimmung zu verherr-
lichen. Wer nämlich aus dem Löffel t Karls des Grossen c trinkt, muss sich in
ein grosses Buch einschreiben und es wirkt dabei der kleine Affe, welcher dem
wackeren Zecher im Nacken sitzt^ so sehr auf den Nachahmungs- und Produc-
tions-Trieb; dass selbst auch poesielose Naturen das »Reim Dich oder ich fress
Dich« probiren. Der Wirth >im Riesen« kam zu einer solchen alten ererbten
Chronik, die er durch fleissiges Vorlegen Jahr für Jahr bis zur Gegenwart be-
reicherte und auf die wir unsere Culturhistoriker hiermit aufmerksam machen.
Dass unsere Bildung in den letzten 80 Jahren fortgeschritten, konnten wir aus den
Proben der in Reime gebrachten Weinseligkeit nicht erkennen, höchstens mögen
einige gute Weinjahre den höheren Ausdruck dieser »angeheiterten« Volkspoesie
vennlasst haben. — Den älteren Löffel besitzt die aus der ehemaligen »Krone«
stammende Malerfamilie Kettinger nebst einer Chronik, in der selbst Peter der
Grosse constatirt, dass ihm der Trunk aus diesem Löffel behagt habe. Seligen-
stadt hat am Main noch Ueberreste einer im besten romanischen Stil gebauten
Burg aufzuweisen, welche der des Barbarossa in Gelnhausen sehr ähnlich ist.
Fr. J.
11. Frankfurt. In der am 19. Juni abgehaltenen Sitzung des Vereins
für Geschichte und Alterthumskunde hielt Hr. Inspector Prof. Dr.
Becker einen ersten Vortrag über die Ausgrabungen auf der Saalbarg bei
304
Miiceilen.
Homburgi indem er zuvörderst über Namen und Deutung^ von »Taunus« rieh
verbreitete. Nach einer kurzen Betrachtung der Gebirge des alten Germaniens
im Ganzen und Einzelnen, insbesondere aber von den den Römern sich zunächst
am rechten Rheinnfer darbietenden Höhenzügen, wurden eingehend die Quell-
stellen erörtert, in welchen sich »der mons Taunus c bei den alten Geographen
und Gesohichtschreibem erwähnt findet, die verschiedenen Ansichten der Inter-
preten bezüglich der Bedeutung und Verlegung desselben näher dargelegt, die
endliche Beziehung auf unsere »Höhe« (Heyrich, Einrieb) hervorgehoben und
die Richtigkeit dieser Beziehung durch den Fund von 6—7 römischen Inschrif-
ten am Fusse des Gebirges weiter oonstatirt, von welchen Steinschriften drei
ausdrücklich das Wort »Taunensis« in voller Form beurkunden. Es wurden so-
dann die von Tacitns und Gassius Dio erwähnten, im Lande der Sigambrer
und Chatten von dem älteren Drasus angelegten Castelle an der Lippe und auf
dem mons Taunus nnd das nach dem frühzeitigen Untergange des ersteren ohne
Zweifel bei Niederbiber unweit Neuwied errichtete in ihrer gesammtstrategischen
Bedeutung, zumal als die beiden grössten auf dem rechten Rheinufer cha-
rakteririrt nnd aus den mit dem Jahre 1723 beginnenden Funden auf der Saal-
burg und aus der allmäligen Aufdeckung eines grossen Gas teils dortselbst neue
Beweise fur^ die Identificirung unserer »Höhe« mit dem mons Taunus der
Alten «entnommen. — In der am 3. Juli abgehaltenen Sitzung des Vereins
für Geschichte und Alterthumskunde hielt Herr Inspector Prot Dr.
Becker einen zweiten Vortrag über die Ausg^bungen auf der Saalburg bei
Homburg, in welchem er zugleich einige ergänzende Bemerkung^en zu dem
ersten nachtrug. Im Anschlüsse an die im ersten Vortrage gegebene Geschichte
des »mons Taunus« der Römer und seiner Beziehung auf heutige Deutsche
Berge und Gebirgszüg^e wurde zuvörderst unser Taunus als das einzige deutsche
Gebirge bezeichnet, welches nach den Aeusserungen der Alterthumsforscher und
Touristen, einerseits durch den feinen Schwung seiner Linien, durch die Art
seiner Erhebung aus einer grossartigen Ebene und durch die eigene südliche
Vegetation an die €tobirge Mittelitaliens, vor allen an das Albanergebirge er-
innere, andererseits ebenso durch die Zahl der Fundstücke römischer Denk-
mäler allen übrigen deutschen Gebirgen voranstehe, und zwar nicht blos an
seiner Südseite, sondern auch auf dem Kamme des Gebirges selbst Hier sei es
vor allem die Stelle, welche unter dem Namen der Saalburg durch die trotz
unbezweifelbar vielfacher Zerstörung durch die Germanen, .noch vorhandenen
Mauerreste, Substructionen von Gebäulichkeiten und zahlreiche Funde das Bild
einstigen römischen Militär- und Verkehrslebens an der Nordgrenze des Reiches,
eines gewaltigen Gasteils an dem Pfahlgraben und einer bei demselben erwach-
senen Lagerstadt erkennen lasse. Hiemächst wurde eine Geschichte der Aus-
grabungen und Funde daselbst von 1770—1872 gegeben, wobei zuvörderst die
Aufdeckung eines wohl der altchristlichen Periode angehörigen Steinsarges mit
Deckel, Symbolen und Aufschriften an dem sog. Emesberge, sodann der 1723
den Substructionen der Saalburg selbst entnommene Votivaltar einer Soldaten-
abtheilung far Kaiser Caracalla (212 n. Chr.), jetzt an dem »weissen Thurm«
T»*
Miseelleti. 806
des Homburger Schlosses eingemaaert, erwähnt nnd der bezüglichen antiquari-
schen Bestrebungen des damaligen Landgrafen Friedrich Jacob gedacht wurde.
Diese Bestrebungen, in besonderen Fundprotocollen im ehemaligen Homburger
Archive beurkundet, scheinen in den vierziger und noch mehr beim Ausgange
der siebenziger Jahre des vorigen Jahrhunderts den Hessen-Homburgischen Re-
gierungsrath Elias Neuhof zu Ausgrabungen auf dem Taunus, insbesondere auf
der Saalburg, zumeist veranlasst zu haben. Die ersten Resultate derselben legte
er in einer im J. 1747 erschienenen jetzt sehr seltenen Schrift, deren Kenntniss
der Mittheilung des Herrn Baumeisters Jacobi in Homburg verdankt wird, so-
dann in seiner 1777 und 1780 herausgegebenen »Nachricht von den Alterthü-
mem bei Homburg« nieder und verwerthete sie mit unbestreitbarem Verdienste
zu der Auffassung und Deutung der Fundstücke, welche sich im wesentlichen
bis jetzt als die richtige bewährt hat. Diese Resultate fanden theils Zustimmung,
wie unter anderem aus des Frankfurter Kunstforschers H„ Hasgen »Yerräthe-
rischen ßriefenc (1776) ersehen werden kann, theils riefen sie die Aeusserung
abweichender Ansichten hervor, wie die 1778 in einer kleinen Schrift bekun-
dete eines nicht genannten Freundes, welcher die Trümmer auf der Saalburg
der fränkischen Zeit zuweisen wollte und nähere (neu erbrachte) Beweise sich
vorbehielt. Nach eingehender Darlegung der Resultate der Neuhofschen Aus-
grabungen und Aufstellungen wie auch nach einer Digression über die im An-
fange der neunziger Jahre im Castell zu Niederbiber bei Neuwied auf Anregung
der damaligen Fürstin von Wied gemachten Ausgrabungen, erwähnte der Vor-
tragende die 1816 — 17 beim Baue der Homburg-Üsinger Landstrasse gemachten
wichtigen Münz- und inschriftlichen Funde und wandte sich sodann den 1853
bis 1867 von dem bekannten Archivar Habel mit Unterstützung des Landgrafen
Ferdinand und der Homburger Kurhausadministration unternommenen Ausgra-
bungen zu, charakterisirte deren Resultate allseitig und vorbreitete sich schliess-
lich über die letzte Periode von Aufdeckungen daselbst, welche 1870—72 unter
der Leitimg des Conservators des Wiesbadener Museums« Hrn. Oberst A. von
Cohausen, sowie des Baumeisters Hm. L. Jacobi von Homburg mit Unterstützung
der k. Staatsregierung und des zu Homburg jüngst gegründeten »Vereins zur
Förderung der Saalburgbauten« bewerkstelligt, eine nach jeder Seite hin reiche
Fundausbeute erzielten, deren Einsichtsnahme für den beabsichtigten gemein-
samen Ausflug nach der Saalburg vorbehalten und die dabei zumeist nur über-
sichtlich gegeben wurde. Hierbei wurde auch der zu Zwecken anschaulicher
Belehrung für die Saalburgbesucher theils bereits ausgeführten, theils beabsich-
sichtigten Wiederherstellungen der Thorthürme, des Wallweges und der Zinnen-
bekrönung gedacht, sowie die bereits vollendete Erbauung eines Gräberhauses
zur Aufnahme von Gräberfunden und die projectirte Gründung eines kleinen
Museums für Originalstücke und Gypsabgüsse bei der porta decumana hervor-
gehoben.
Aus der neuesten Fnndausbeute wurde sodann das Randstück eines Ge-
fasses von sahönem weissem Glase mit eingeritzter Fischgestalt und dem Reste
des Buchstabens E oder F vorgezeigt und in dem bedeutsamen Fischsymbol
20
L
806 Miflcellen.
eine erste Spur christliehen Glaubens in der einstigen Lagerstadt bei dem Castell
auf der Saalbarg erkannt.
Schliesslich wurde noch die wohlbegvündete Aufstellung des Hrn. Bau-
meister Jacobi mitgetheilt, wonach die einstige römische Ansiedelung NOYYS
VICYS (Neudorf) bei Heddemheim als eine nach gänzlicher Aufgabe der zer-
störten Lagerstadt beim Castell weiter landeinwärts bewerkstelligte Neugründung
anzusehen sei und dabei auf das parallele Verhältniss zwischen den verrouth-
lichen Ansiedlungen Yictoria imd Victoria nova (jetzt Heddesdorf) bei dem Ca-
stelle von Niederbiber hingewiesen, wobei insbesondere auf die in ihrem ersten
Theile bis jetzt noch unerklärten modernen Namen der bezüglichen Ocrter
Heddemheim und Heddesdorf aufmerksam gemacht wurde.
12. Bettenhoven. Briefliche Mittheilung des Hri^. Pfarrer Grün an Prof.
Freudenberg zu dessen Art. Jahrbb. LH. S. 117 ff. »Ein merkwürdiges Blei-
siegel des Köln. Erzb. Piligrimus.t Es kann keinem Zweifel unierliegen, dass
das von Ihnen publicirte Bleisiegel ein wirkliches Siegel und keine Denkmünze
ist. Denn 1. hat dasselbe das von Prof. Düntzer als beweisend bezeichnete Merk-
mal, nämlich die durch das Innere desselben von Rand zu Rand durchlaufende
runde Oeffnung zur Durchziehung einer Kordel. Von letzterer fand sich zwar
nichts mehr vor, was aber dadurch, dass sie während einer so langen Zeit
vermodert ist, natürlich zu erklären ist. — 2. bezeugen Fundort und klar er-
kennbarer Zweck desselben es als wirkliches Siegel. In dem von Tuffsteinen
aufgemauerten Stocke eines Altare fixum befand sich das sog. sepulchrum und
in diesem das Siegel als Bedeckung und Yerschliessung eines runden Glasge-
fasses. Dass dieses Gefass ein Reliquienbehälter war,, ist an sich, wie besonders
dadurch, dass sich auf dem Boden desselben noch klebriger Staub befand, nicht
zu bezeifeln, vielmehr gewiss, dass es die Reliquien enthalten hat, welche da-
mals, wie auch heute, bei der Consecration eines Altares in das sepulchrum de-
ponirt wurden und werden raussten. Dieses Gefass war nun zweifelsohne mit
dem darauf liegenden Siegel vermittelst der durch die Oeffnung desselben ge-
zogenen Schnüre zusammen gebunden, damit das zum Verschluss desselben die-
nende Siegel befestigt liegen blieb. Von einer sonstigen Urkunde fand sich keine
Spur. Es war aber auch eine solche unnöthig, da das Siegel ja für sich sowohl
die Aechtheit der Reliquien, als auch die Consecration des Altars vollständig
documentirte. — Leider ist das Glasgefass abhanden gekommen und nicht aus-
findig zu machen. Wie mir mein Küster sagt, war dasselbe rund von grünlichem
Glase mit mehreren reifförmigen Glaserhöhungen versehen, oder mehrfach ringsum
umreift.
Ueber die 8 Figuren und die sie umschUessende Legende auf der Kehr-
seite des Siegels habe ich eine andere Ansicht. Ich halte nämlich diese 8 Fi-
guren nur für symbolische Darstellungen der drei christl. Kardinaltugenden
und eben diese Darstellung, in welcher die Karitas die anderen weit überragt,
und über die Häupter derselben die Hände segnend oder weihend ausstreckt.
Mtsoellen. 807
* all besonders entsprechend mit Q$l. 6. 6, und 1 Gor. 18. 13. Demzufolge nahm
ich Religio in der Bedeutung als Inbegriff der ohristl. Glaubens- und Sitten-
Wahrheiten, somit als Religion der kölnischen Kirche oder Religio christiana. Die
Annahme aber, dass die Darstellung auf den besondem £ifer des Erzb. Piligri-
muB, den Cult der drei unter diesem Namen verehrten h. Jungfrauen zu
▼erbreiten und zu fordern hindeute, schien mir deswegen weniger wahrschein-
lichy weil, wie überhaupt in hiesiger Gegend, diese nur selten als Eirchen-
patroninnen vorkommen, er diese dann eben bei der Gonseoration der hiesigen
Kirche, statt des L Pancratius, wohl als Kirchenpatroninnen gewählt haben
würde. Dagegen, da Religion, wie Sie richtig bemerkten, auch die Bedeutung
»Heiligthum« hat, erscheint eben in dieser Bedeutung das Siegel als ein Weih'- oder
Gonsecrationssiegel und man könnte, eben in der Legende, wenn man diese als
geweihtes Heiligthum der Kölnischen Kirche (wozu ja die Kirche zu Bettenhoven
stets gehörte) deutet, einen Beweis hiefur erkennen. Wir hätten also ein eige-
nes Gonsecrations-Siegel des Erzb. Piligrimus, nur für diesen Zweck be-
stimmt und gebraucht. Es wäre sehr interessant, zu erfahren, ob sich nicht
auch ein gleiches Siegel von der von Pilgrimns 1028 vorgenommenen Gonseora-
tion der Kirche zu Brauweiler vorfindet — Sie bemerken, dass in dem Ge-
höfte zu Frauenrath die hh. Schwestern unter dem Namen Pelmerge Sohwell-
merge und Krieschmerge angerufen wurden. Wie ich hier höre, soll das auch
unter dem Namen: Drillbärbel, Schwellbärbel und Krieschbärbel ge-
schehen, also eine kleine variatio. üeberhaupt aber sind dieselben wenig bekannt.
— Durch'^dai Siegel ist nun die 2^t der Gonseoration des Altars resp. auch
der Kirche (falls sie nicht schon früher consecrirt war) sicher bestimmt, da
nach altkirchlichen Vorschriften ein altare fixum in einer nicht consecrirten
Bördhe nicht errichtet werden durfte. Es wäre wohl nicht unwahrscheinlich,
dass Pilgrimus diese Gonseoration vorgenommen hat bei seiner Hin- oder Rück,
reise su resp. von der Krönung des Kaisero Heinrich lü., die er urkundlich
vollzogen hat, da ja die Hauptstrasse von Göln nach Aachen über Jülich nahe
hier vorbeiführte, und dann hätte die Gonseoration 1028 stattgefunden. Für ein
wenigstens so hohes Alter zeugt auch, wie Sie richtig . hervorgehoben haben»
theils der einfach romanische Baustyl theils das Mauermaterial, wie jetzt noch
an dem Kiichthum sichtbar ist, und eben so deutlich hervortrat an der 1668
bei der Erweiterung der Kirche abgebrochenen südlichen Frontmauer des Schiffes,
welche noch die ursprüngliche war. Auch diese war hauptsächlich mit Bruch-
steinen jeder Art, dazwischen mit grauen Sandsteinen, Tuffsteinen und Römer-
ziegeln gemauert. So fanden sich an dem Rundbogen über den drei Fensteröffnungen
Ziegelsteme und '^Tuffsteine abwechselnd als Verzierungen, die einzige Ornamen-
tik an dieser Mauer. Da nun augenscheinlich dieses Material schon gebraucht
gewesen, so muss man annehmen, dass bei der Erbauung der Kirche noch
frühere ältere verfallene Gebäude oder Manrerreste vorhanden gewesen, deren
Material man für die Kirche benutzt hat. Demnach könnte die Kirche wohl ein
noch höheres Alter haben und vielleicht nicht gar zu lange xuM)h Abzug der Römer
erbaut worden sein. Möglich wäre es, dass an ihrer Stelle eine Kapelle der in
808 IfiBoellen.
heidiUBoher Zeit hier verehrten Matres oder Matronae war, möglich aber auch,
das8 sie von den ersten christlichen Besitzern des hiesigen uralten Hofgntes als
Oratoriom erbaut wurde, worauf wenigstens^ der Umstand, dass die Kirche mit
den Gebäalichkeiten des Hofgates zur Zeit in Verbindung stand, hinweist. Dieses
Hofgut gehörte 1272 gemäss einer vom Grafen Wilhelm von Jülich und seiner
Gemahlin Richardis in diesem Jahre zu Heimbach ausgestellten Urkunde dem
Grafen zu Jülich, der aber nicht das Patronatsrecht hatte. In dieser Urkunde
heisst es: ... Notnm faciunt et recognoscunt quod nullum ius patronatus
habeant vel habuerii^t in Ecclesiam Bettenhoven, licet illa curiae nostrae sit
contigua. Das Patronatsrecht hatten bis zum Jahre 1216 die Herren von Alfter,
welche nach einer von Erzbischof Engelbert in diesem Jahre vollzogenen Ur-
kunde auf dasselbe damals zu Gansten des Klosters zu Füssenich resignirten.
(Von dieser Urkunde befindet sich ein Abdruck im Urkundenbuch von Lacom-
biet Bd. U. p. 83 und ebenso ein solcher in einrm im hiesigen Pfarrarehiv be-
findlichen Buche.) Man kann also mit Grund annehmen, dass die Herren von
Alfter, weil sie das Patronatsrecht hatten, auch Erbauer der Kirche resp. fun-
datores der Kirche und Pfarre gewesen sind. Leider befindet sich hierüber ur-
kundlich nichts vor. Nach Fahne gehörten die v. Alfter zu den ältesten Be-
sitzern am Niederrhein. Fahne fuhrt von diesen namentlich an : Hermann von
Alfter 1116—26, Johann 1126—38, Goswin 1166—88 und Goswin 1172—1200,
sodann den Hermann, Marschall von Göln, welcher 1216 auf das Patronatsrecht
resignirte. Letzterer war 1217 bei dem Kriegszu^ gegen die Saracenen und be-
fehligte unter dem Grafen von Holland die Nachhut. Es ist sehr denkbar, dass
er, um sich die nöthigen Goldmittel zu verschaffen, deshalb sein Petronatsreoht
übertrug, und, dass er, bis dahin Eigenthümer des hiesigen Hofgutes, dieses
damals zu denselben Zwecken an die Grafen von Jülich verkauft hat. Für den
Ursprung der Kirche w&re es sehr wichtig in Erfahrung zu bringen, ob sich
über diese v. Alfter ältere Urkunden oder Nachrichten vorfanden, imd möchte
ich Sie bitten, falls Sie davon Kenntniss erhalten haben, mir darüber Näheres
gefälligst mitzutheilen. Dass die hiesige Kirche schon vor 1216 eine Pfarrkirche
war, beweist die Urkunde von Erzb. Engelbert, und das Bleisiegel fast un-
bezweifelbar, dass sie wenigstens zwischen 1021—86 als solche erhoben wurde.
Eine einfache Kapelle oder ein Oratorium würde wohl nicht conseorirt worden
sein. — Den Ursprung des Ortes Bettenhoven darf man wohl unbedenk-
lich von einer Römer-Niederlassung herleiten. Dass eine solche hier bestand,
bezeugen ja die aufgefundenen Monumente, das Material an der Kirche etc.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass eben das alte Hofgut ursprünglich eine
solche Niederlassung gewesen ist, und später mit verschiedenen Besitzungen,
Renten etc. an die v. Alfter gekommen ist, vielleicht als Lehngnt. *- Den Na-
men »Bettenhovenc, wie er gleichlautend auch in alten Urkunden steht, möchte ich
nun wohl abzuleiten wagen vonBeeden, betten, bitten (Petitiones precariae).
Pfarre und Kirche hatten ehemals zur Dotation eine zahlreiche Menge von Na-
turalrenten (mit Fruchtrenten) aus den meisten umliegenden Ortschaften zu be-
ziehen, die wohl vor Errichtung der Pfarre dem hiesigen Hofgnte gehörten und
Misoellen. 809
an dasselbe abgeliefert werden mnssten. Der Hof war also unstreitig am Bee-
denhof, und das um denselben sich bildende Dorf konnte somit nach dem Hofe
natürlicb benannt werden. Es ist gar keine Andeutung vorhanden^ dass die hh.
Jungfrauen unter der Bezeichnung Einbetta, Worbetta, Wilbetta hier verehrt
worden sind, sonst hätte man den Ortsnamen auch davon herleiten können*
— Im Provinzial' Archiv zu Goblenz befand sich zur Zeit ein Mannscript be-
titelt: Dednctio historica Partheniae Eoclesiaie in f^senich ex pergamenis lit*
teris Archivi per ordinem temporum et seriem rerum gestarum ab anno 1147
— ad annnm 1720 ooordinata, von welchem ein Freund von mir früher Ein-
sicht hatte und daraus einzelne Notizen über Bettenhoven mir mittheilte. Höchst
wahrscheinlich enthielt dasselbe noch mehr hierüber. Dieses Mscr. ist leider
nicht mehr im Arohiv verfindlich nnd wohl möglich, dass es sich anter den
Schriften des verstorbenen Rg-R. Barsch, der es bei seiner Efflia illust. benutzt
hat, befindet. In einem andern Werke von C. A. Hugo Estival (1726), welches
ich auch nicht besitze noch näher kenne, sind Notizen enthalten.
18. Münstermaifeld, den 10. April 1878. Briefliche Mittheilong des
Hrn. Dr. Schmitt über den Fund eines grossen Erzgef&sses an Prof. Freu-
denberg.,
Vor einigen Tagen stiess ein Landmann von hier beim Pflügen auf ein
grösseres Gefass von Bronze. Es stand senkrecht in der Erde, in demselben
befand sich bloss Ackergrund. Es hat einen Durchmesser von ca. 16 Zoll oben,
hat oben an jeder Seite einen Henkel und ruht auf einem massiven Fusse. Es
hat eine kesselformige Gestalt und erinnert an das 13 Zoll Durchmesser habende
Gefass aus dem Hildesheimer Fund ; Fuss und Henkel sind ähnlich, doch ist es nicht
so hoch wie das Hildesheimer. Das Ganze ist mit einer grünen ozydirten Masse
überzogen und noch mit Erde beschmutzt. Beim Ausheben dachte man nicht
daran, dass sich an dem Gefässe ein Fuss befände nnd wandte Gewalt an, um
es aus der Erde zu bringen; dadurch sprang der Boden und ein ausgebroche-
nes Stuck mit dem Fusse blieb im Boden zurück, das man dann ausgrub. Der
Boden ist stark oxydirt und brüchig geworden, wodurch es möglich wurde, dass
ein Stück daraus ausgebrochen werden konnte. Der obere Theil und der Fuss
sind gut erhalten, überhaupt das ganze Gefass noch vorhanden. Verzierungen
finden sich nicht an demselben, nur oben zwei erhabene Reifen.
Der Fundort war ein Acker in der Nähe des Hofes Ealsch, wo man schon
früher römisches Mauerwerk und ein Gemach mit römischem Estrich gefunden
hat. Es war daselbst sicher eine römische Niederlassung; auf einem frisch
geackerten Felde, das ich kürzlich durchging, sah ich eine Menge römischer
Ziegelreste zerstreut^).
>) Vergl. die geogr.-hist. Untersuchung v. Gymn.-0.-L. Seul zum Goblenzer
Progr. 1840, wo Kais ch als eine Zusanmienziehong des Namens Galigola ge*
deutet wird, welcher in dieser (}egrend, in vico ambitirvio, geboren sein soll.
Genf. Sneton. vita Galig. 8, J. Fr,
310 Miscellen.
Es ist daher wohl kein Zweifel, dass dieses Gefass römischen oder gallo-
romanischen Orsprangs ist. — Dasselbe ist für unsere Vereinssammlung yon
Alterthümern erworben worden.
14. Von der Ahr. Römische Alterthümer wurden im Nov. v. J. in der
Nähe des Appolinarisbronnen bei »Ausg^rabuDgen zu Neubauten ca. 14 F. tief
unter der Oberfläche gefanden, worunter auch Thon- und Glasgeföss und gut
erhaltene röm. Münzen von E. Yalerianus (253^260) und Caes. Saloninus Yaleria-
nus. Dieses erinnert an interessante Ausgrabungen, welche im J. 1853 bei An.
läge dee Abflussg^rabens für den Apollinarisbrunnen gemacht wurden. Damals
machte man die ESntdeckung, dass in einer Tiefe von ebenfalls 14 F. ganze
Reihen regelmässig gepflanzter Weinstöcke in der Erde standen. Hieraus lässt
sich ein Schluss auf das Alter des Weinbaues in unserm Thale machen.
(Köln. Ztg.)
16. Bonn. Herr Dr. Decker, Gymnasial-Lehrer in Neuss theilte dem
Unterzeichneten bereits im vorigen Jahre folgende räthselhafbe Inschrift mit,
welche sich um den Hals eines Saljsfläschchens aus weisslichem Thon hinzieht:
OAil • SVNXAt^lS illRIINDAS IIICIT-
CLAVDIVS- VICTORINVS
Die Buchstaben bilden eine Art von Gurrendschrifb; dem A fehlt der
Verbindungsstrich, £ wird durch zwei Vertikalstriche bezeichnet, F durch das
Spiritus asper zur Seite ober dem Vertikalstrich, das L bildet einen stumpfen
Winkel, endlich schlängelt sich das S nach oben und unten über die Linie hin-
aus. Damach wäre die Umschrift zu lesen:
DAE • S VNXALIS • FERENDAS FECIT • CLAVDIVS • VICTORINVS.
Beim ersteig Anblick der seltsamen Aufschrift denkt wohl mancher un.
willkürlich an die jüngst bekannt gewordene Göttin Unuxalla oder Sanuxsalis
auf 2 in unseren Jahrb. publizirten Weihinschriften (H. XII. S. 45 und XXV.
S. 18 ff.)* ^^^ BO theilt mir denn auch mein geschätzter Freund Prof. Düntzer,
indem er von der Voraussetzung ausging, das S hinter DAE diene bloss zur
Interpunction, die Vermuthung mit, es sei zu lesen: D(e)ae Unxali ferenda fecit
Cl. Vict. Jedoch abgesehen davon, dass man auf einem Salbentöpfchen nicht
leicht eine Widmung an eine Göttin erwarten dürfte^ ist die Annahme des S
als eines Interpunctionszeichens nur nach dem 3. Buchstaben zutreffend, nicht
aber für das in den 2 folgenden Worten wiederkehrende S. Mehr dürfte sich
eine andere Vermuthung, für welche sich auch mein geehrter Freund Prof.
Becker in Frankfurt ausgesprochen hat, empfehlen, dass in dem 1. Worte DA
die Sigle für ein Gewicht stecke (etwa drachma?) und dass die beiden Striche
II nicht = E, sondern das Zahlzeichen für duo oder duas, endlich S = semis
sei. Das W. Unxalis müsste man als Genitiv eines freilich sonst nicht vor-
MisoeUen. 811
kommenden Wortes unzale nehmen =s unguentum. Ferendas könnte, wenn
man es mit der Grammatik nicht allzu genau zu nehmen brauchte, das Fasseni
Enthalten des Gewichtes bedeuten. Der Sinn wäre demnach: Gl. Vict. machte
(solche Salbtöpfchen = ollulas), welche 2Vs (Loth oder Quentchen??) Salbe fas-
sen können. Wir geben diesen Vorschlag, nicht als ob ^ir ihn für richtig hiel-
ten, sondern um Kenner der Epigraphik zu veranlassen, ihren Scharfsinn an
der Lösung der jedenfalls interessanten Umschrift zu versuchen ^).
2. Hr. Decker hat mir ausserdem eine Anzahl von Namensstempeln auf
Terrakotten mitgetheilt, die grosaentheils in der auf dem Rathhause zu Neuss
befindlichen Sammlung von Alterthümern aufbewahrt werden.
Mit Uebergehung der bekannten Stempel hebe ich hervor: 1. CAGIVS,
am untern Rande eines Erügleins, wohl =: CAIVS (Fröhn. 521 ff.); 2. MAR-
NVS, =^ Marinus (?). Fröhn. 1480; 8) IMANVS, auf einer Schaale (Fröhn.
1187 aus Windisch); 4) OPISO FEC. (Fröhn. 1739 aus Dormagen); 6)
AAAA^IS F (Fröhn. 78 Amabilis; 79 Amadis); 6) MOTVCVS (fehlt bei
Fröhn.); 7. AVCVSTINVS F (Fröhn. 235 fg.); 8) ORIBOS (vgl. Kamp,
die epigrapb. Anticaglien in Cöln. Nr. 49 Daibo? 9) OFISOFFC. scheint
nach Nr. 4 zu verbessern; 10) OFMVS, 2 mal, wohl = MVSa, Fröhn. 1655;
11) MONIM, vgl. Fröhn. 1616, Monim; 12) lASSVS (Fröhn. 117* fg.); 13)
SATVRNVS (Fröhn. 1885). -^ Die weiteren dankenswerthen Mittheilungen
des Hm. Dr. Decker über Legionsstempel, so wie die Aufschriften vonTrinkg^-
fassen von schwarzem Thon finden sich schon bei Bramb. G. I. Bh. 262 ff.
J. Freudenberg.
16. Bonn. In dem mir eben zugegangenen »Zwölften Bericht des
antiquar.-hist. Vereins für Nahe und Hunsrnoken zu Kreuznach«
im Sommer 1873, findet sich unter Nr. III ein beachtenswerther Vorschlag, der
Beschreibung von Alterthümern Abbildungen beizufügen, von dem um die För-
derung dieses seit 17 Jahren erfolgreich tbätigen Vereins sehr verdienten Ar-
chitekten Hrn. P.Engel mann. Er empfiehlt nämlich, ausser Abbildungen nach
der Natur oder nach vorgenommenen Messungen, besonders den Abklatsch der
mit autographischer Tinte gefertigten Zeichnungen auf Stein und den leicht zu
bewerkstelligenden Ueberdruck derselben als ein treffliches Mittel, um ein kla-
reres Bild der beschriebenen Gegenstände hervorzubringen und das genauere
Studium derselben zu ermöglichen. Als Beispiel und als Erläuterung dieses
') Das Salbentöpfchen, dessen Zusendung zum Behufe des Ankaufs wir
von dem Besitzer wiederholt erbeten hatten, ist jetzt, sicherm Vernehmen nach,
in das Museum der Alterthümer in Berlin gelaii^.
812 Misoellen.
Vorsohlagas gibt er auf Tafel I nach diesem Verfahren Abbildangen von Töpfer-
jiameii aaf yersohiedenen Gefassen, Grablampen, Legionsstempeln auf Ziogebd
etc., woran wir einige Bemerkungen knüpfen wollen., Ueber das gestrichene D.
in Fig. 6 MED B IC * FE ist ausser dem Ciiat in Bonn. Jahrb. 49 (nicht 59)
p. 157 wegen des N&heren auf J. Becker die inschriftlichen Ueberreste der
kalt. Sprache S. 207 ff. (in den Beitragen zur vergl. Sprachforschung auf d.
Gebiete d. arischen, kelt. u. slav. Sprachen. Von A. Kuhn u. A. Schleicher. Bd.
III, 2 ff. Berl. 1865) zu verweisen. — Was das doppelte W des Namens in
Fig. 28 betrifft, so ist dasselbe nicht als ein W, sondern unzweifelhaft als eine
Ligirung von N und Y anzusehen, womach sich mit Hinzufügung des ausge-
fallenen I der bekannte Töpfemame lANVARIVS ergibt. Wenn Hr. Engel-
mann zu Fig. 40 OFFVRSI gegen die von mir (Bonn. Jahrb. 41 p. 180) ge-
gebene Deutung des Stempels eines bei Bonn gefundenen L&mpchens OVR
als Ofßcina URsi das Bedenken geltend macht, dass auf keiner der in der
Erenznacher Sammlung befindlichen Grablampen sich bei dem Töpferstempel
die Bezeichnung Offioina finde und bei einigen nur jF s= Fecit beigefügt sei ;
so mag zur Hebung dieses Zweifels die Verweisung auf das röm. Antiquarium
von PhiL Houben in Xanten, von Prof. Fiedler S. 53 genügen, wo es ausdrück-
lich heisst: »auf den bei Xanten gefundenen Lampen findet man häufig die
Namen FORTIS, GARPI etc. OF ; sUtt des gewöhnlichen OF steht auch F, das
entweder figulus (Töpfer) oder fecit bedeutet, wofür auch bisweilen F£G ge-
schrieben istc. Uebrigens ist die sorgfältige Facsimilirung dieser Inschriften, unter
denen mehrere bisher nicht bekannte sich finden, recht dankenswerth. Hierher
gehören Fig. 5 CORSO FEC, Fig. 10 AViZiNI^ Fig. 12 lOLVNTOS-
SVS, Fig. 16 IIIPIDVS (Lepidus), Fig. 17 OFLVCIEVS (vgl. Fröhu^r
Insor. terrae coctae Vasor. Götting. 185S) n. 1365 ff, Fig. 21 OAIO (Dato?),
Fig. 29 CAVNI, Figur 32 FASTVI «Fabrica ASTVI (vgl. Frohner 1. c.
n. 165), Fig. 33 oFRilS (Res. cf. Fröhn. n. 1772), der Name im Nominativ
nach OF auch Fröhn. Nr. 731. Bemerkensweith ist noch Fig. 18 OFFEICIS
s Officina Felicis, vergl. Fröhn. 1081.
Fig. 30 AT/VSAF ist wahrscheinlich ATTVSA «u lesen, vgl. Froh-
ner l. c. 212. — Von Fig. 37 weiss ich die 2 ersten Buchstaben P I nicht zu
entr&thseln, wenn nicht der Vor- und Gentilname darin steckt, wie Fröhn. 196
C. ATISIV8 8ABINV8, ebenda 207 P • ATTI, 248 P • S • AVIT; der folgende
Namen, dessen drei erste Buchstaben umgekehrt stehen, ist zweifelsohne
ATTONIb, eine in Nymwegen, Bottweil und Rheinzabern vorkommende
Töpferfirma.
In Nr. y das Mithrasdenkmal bei Schwarzerden betreffend
berichtigt Hr. Engelmann wiederholt (s. d. 11 Jahresber. p. 35 ff.) die stets
Miscellen. 313
wieder auftauchende irrige Meinung, indem das von Schöpflin in seiner Alsatia
illustrata beschriebene und abgebildete Mithrasdenkmal nicht im Elsass (in der
alten Grafschaft Dachsburg), sondern beim Dorfe Schwarzerden im rhein-
preuss. Kreise St. Wendel zu suchen sei. Darnach ist denn auch Bramb. G. I.
Rh. p. 155^ wo noch ein Dorf Schwarzerden im Kreise Simmem mit dem
Mithrashild erwähnt wird^ zu berichtigen. Vgl auch dieses Jahrb.: »Schaaff-
hausen, Ein römischer Fund in Bandorf. c p. 131. — Kr. VI enthält einige Berich'
tigungen und Zusätze zuBrambach C. I. Rh. p. 152 Kreuznach und p. 154 Bin-
gerbrdck, woraus wir erfahren, dass mehrere Nummern der von Bramb. be-
schriebenen Inschriftsteine, welche zur Sammlung des Vereins gehören und in
einem Raum des Stadthauses aufbewahrt worden, nicht mehr Torhanden sind.
Es sind dies Nr. 722-725. 726. 728. 729. 730 und 732. — Nr. 737—744 be-
finden sich mit Ausnahme von 740 gegenwärtig in der Wohnung des Hm. En-
gelmann. Die beiden Inschrift steine Nr. 740 und 745, die bei den Erdabtragun-
gen auf dem Bahnhof zu Bingerbrück gefunden und von Hm. Engelmann ab-
gezeichnet wurden, sind wenige Tage darauf verschwunden und später in einer
benachbarten Alterthumssammlung wieder aufgetaucht.
Schliesslich wünschen wir dem Verein, welcher für Sammlung und Er-
forschung von römischen Alterthümern, welche grösstentheils aus den Ruinen
des Römercastells bei Kreuznach, der sog. Heideumauer und von Bingerbrück
herrühren, im Verhältniss zu den geringen Mitteln, die ihm zu Gebote stehen,
recht Anerkennenswerthes geleistet hat, auch für die Zukunft fröhliches Ge-
deihen und wo möglich gesteigerte Theilnahme.
J. Freudenberg.
17. Trier, im Sept. Auf dem römischen Begräbnissplatz vor dem Rö-
merthore, in der Häuserreihe links von der Landstrasse, wo Herr Eisenwerks-
besitzer Laeis eine Villa baut, mit deren Fundamentirung und Unterkellerung
man jetzt beschäftigt ist, wurden viele römische Urnengräber aufgedeckt.
Die Aschenkrüge und Urnen waren grässtentheils ohne besonderen Schutz neben-
einander gestellt, nur einige von kastenförmig zusammengestellten Ziegeln um-
geben. Auf einem Flächenraume von 36 Quadratruthen, der noch nicht ganz
ausgeschachtet ist, wurden bis jetzt über 130 Gegenstände verschiedener Art
aufgedeckt. Die Mehrzahl derselben besteht in grösseren und kleineren Aschen-
Urnen und Krügen von fast allen üblichen Formen und Bestandtheilen. Die
übrigen Funde sind: einige Schalen von terra sigillata, elfenbeinerne Griffel,
Salbenfläschchen von stark oxidirtem Glase, irdene Lämpchen, eine metallene
Breche, verschiedenfarbige, zwei- und dreifach zusammengelegte Glasscherben,
einige Münzen, darunter ein Kleinerz von Antoninus Pius etc. Diese kleineren
Sachen befanden sich meistens in den grösseren Urnen bei den Knochenresten.
Bei diesen reichlichen Funden ist dort bis jetzt noch kein einziger Sarg zu
Tage getreten. Sämmtliche Gegenstände standen in fast gleicher Tiefe, 5 bis 6
FuBs unter der Oberfläche auf gewachsenem Sandboden, der von schwarzem
Gartengmnde bedeckt ist.
814 Miscellen.
18. Die alte Burg in Honnef. In Bezug auf die bei Erbauung der
Villa S. Exe. dei Herrn Generals von Seydlitz in Honnef aufgedeckten und in
d. Jahrb. L und LI p. 289 erwähnten Mauerreste theilt mir Herr Archivrath
L. Eistester in Coblenz folgende Angabe mit, die sich mit grösster Wahrschein-
lichkeit auf diesen Bau bezieht »Conrad, Erzbischof von Köln verglich sich am
22. Juni 1252 mit Heinrich, Herrn von Heinsberg, auch Herr zu Löwenburg,
wegen dessen Einsetzung in die Güter seines Mutterbruders Heinrich, Grafen
von Sayu (Blankenberg, Löwenburg u. s. w.) und wegen der Feste (munitio),
welche des Erzbischofs Ministerial Heinricus de Hunefe wider den Willen des
Herrn von Heinsberg erbaut hatte, über deren Schicksal, ob sie niederzulegen
oder bestehen bleiben soll, Schiedsrichter bestellt wurden. Die Urkunde ist ge-
druckt bei Kremer, Beiträge zur Jülich-Bergischen Geschichte. Bd. 1. Buch 2.
Die von Hunfe oder Hunephe kommen in Documenten des Coblenzer Archivs
oft vor: 1282 Wilhelmus, 1288 Wilhelmus minist, eccl. Colon., 1299 Wilhelmus
minist.« 1299 Lambertus, 1300 Wilhelmus minist., 1817 HerLamberz, 1334 Hein-
rich, Her Wilhelmus Marschaller von Huncf, Sohn. Sie führen ein Wappen mit
schrägem Balken, auf dem 3 Muscheln sich befinden, welches an das der noch
blühenden Familie von Heddesdorf erinnert, welche Marschälle der Grafschaft
Wied waren.«
Schaaffhausen.
19) In Coblenz wurde unter dem alten Stadt-Brauhause beim Auswerfen
eines Kellers das Fundament einer 11 F. dicken römischen Mauer gefunden,
welche Herr Archivrath Eltester für die Umfassungsmauer des römischen Ca-
strums hält, das an seineu vier Ecken runde Thürme hatte, von denen Ueber-
reste noch vorhanden sind. Etwa 7 F. tiefer als diese Mauerreste und ausser-
halb derselben wurden menschliche Gebeine im vulkanischen Sande unter einer
fast steinharten sogenannten Briizschicht gefunden. Ueber diesen sehr merkwür-
digen Fund, desseu nähere Umstände ich an Ort und Stelle auf die mir durch
Herrn Geh. Rath Wogeier zugegangene Nachricht noch in Erfahrung bringen
konnte, habe ich in der zu Wiesbaden im September dieses Jahres abgj^haltenen
Anthropologen- Versammlung Bericht erstattet.
Schaaffhausen.
20. In Folge einer auf Antrag der deutschen anthropologischen Gesell-
schaft an die Ortsbehörden ergangenen Weisung, über die Auffindung alter
Denkmale an die Mitglieder der von der genannten Gesellschaft gewählten Com-
mission zu berichten, sind mir folgende Mittheilungen zugegangen:
Aus Pfalzfeld schreibt der Bürgermeister Müller, dass in der Nähe von
Lingerhahn im Felde ein aus Bruch- und Ziegelsteinen errichtetes Gemäuer
aufgedeckt worden ist, welches bisher überackert wurde. Die Platten aus ge-
branntem Thou sowie Thonröhren und Reste von Asche lassen auf eine Heiz-
vqrrichtung eiuQs römischen Gebäudes schliossen, — tierr Oberförster Schmitz aus
Miscellen. 815
Malberg bei Kyllborg macht die Anzeige, dass im Districte 188* des Forstbe-
laofed Prüm, etwa '/s Meter unter dem Waldboden auf einem Fclsenvoraprang
am Ufer des Prümflnsser 1 M. dickes aus Mauersteinen erbautes Fundament
entdeckt worden ist, von welchem eine Treppe nach unten fuhrt. Er hält es
for wünschenswerthy weitere Nachgrabungen vorzunehmen. — Unter dem 9. März
1873 zeigt der Eönigl. Oberförster Herr Scheurer aus Nassau an der Lahn mir
an, dass in seinem Verwaltungsbezirk, in den Gemarktingen der Gemeinden
Hunzel und Pohl, l'/s Stunde von Nassau entfernt, deutliche Züge von Pfahl-
gräben, und in der Gemarkung Holzhausen, 2V2 Stunde von Nassau, die Reste
eines Römorkastells sich vorfinden. In der Entfernung von einigen 100 Schritten
östlich von den Pfahlgräben zeigen sich viele Grabhügel, die theils in unregel-
massigen Gruppen theils einzeln vorkommen.
Schaaffhausen.
äl. Antiker Steinblock in Coblenz. Tau XVII, Fig. 8. In Coblenz
befindet sich an einem Pfeiler des Gymnasiums nach der Südseite, da wo jetzt
die Strasse hindnrchführt, ein grosser viereckiger Steinblock von unbekannter
Herkunft, der immer an dieser Stelle lag und schon der ehemals auf dem Hofe
spielenden 8chu]|jugend, die sich um ihn herumtummelte, zu allen möglichen
Deutungen Veranlassung gab. Am häufigsten ^oirde er als ein germanischer
Opierstein bezeichnet und die gerade laufende Rinne auf seiner Oberfläche als
Blutrinne gedeutet. Der auf Taf.XVII Fig. 8 abgebildete Steinblock ist 3' hoch,
oben 2 ' 9 " breit und 2 ' 6 " tief, unten ist er 3 ' 2" breit, die in die obere
Seite eingehauene Rinne ist 2^2 " tief und 5 " breit. An der hintern Seite hat
derselbe ein rundes 8 " tiefes Loch, welches mit punktirten Linien auf der Vor-
derseite unseres Bildes bezeichnet ist. Die Steinart ist ein dunkelgrüner Diorit,
der nach Nöggerath in der Nähe des Ehrenbreitsteiu am sogenannten Nellen-
köpfchen gefunden wird. Ich habe mich wiederholt aber vergeblich bemüht,
über die Geschichte' dieses Steines etwas Sicheres zu erfahren, bis mir durch
Herrn Archivrath Eltester die hier folgenden Mittheilungen gemacht wurden,
die, wie ich glaube, eine sehr wahrscheinliche Deutung des räthselhaflen Stei-
nes geben.
Eltester erinnert sich, von dem verstorbenen Gymnasial-Director Klein
gehört zu haben, der Stein stamme aus dem Rheinbette bei Engers und habe
der dort gestandenen Römerbrücko angehört und liege seit Erbauung des Gym-
nasiums, gegen Ende des 17. Jahrhunderts an der jetzigen Stelle. Eltester
schreibt: »Der Umstand, dass bei der EntdeckuDg der Reste einer Pfahlbrücke
über die Mosel im Jahre 1864 ganz ähnliche, wenn auch kleinere, nur auf einer
oder zwei Seiten behauene Dioritquadem zum ^Vorschein * kamen, bestimmte
mich zu einer genauen Untersuchung des fraglichen Blockes und bin ich nun
der Ueberzengung, dass er auch aus der Mosel, und zwar wahrscheinlich aus
der der Stadt zugekehrten Seite herstammt, wo gegen Ende des 17. Jahrhun-
derte Gorrectionsarbeiten für die Schiffahrt Statt fanden und Funde von gro«-
316 Miscellen.
sen Sieinen gemacht wurden. Der Siein isi offenbar ein Arohitekiur-Bruohsiäck,
wie anch die übrigen in der Mosel gefundenen. Da er eine keilförmige Gestalt
hat, so hielt ihn Baron Loqueissy, der im Auftrage Napoleon's III. hier die
Frage nach der Brücke Cäsars studirie, für den Schlusssiein eines grossen
Thors oder Triumphbogens und die Rinne in der schmalem Seite dazu be-
stimmt, den Riegel beim Schliessen des aus zwei Flügeln bestehenden Thores
aufzunehmen. Indessen sind die platten und unebenen Seiten des Blockes •*-
man müsste denn seine Bearbeitung für unvollendet halten — zu einem solchen
Schlusssteine nicht passend. Wohl könnte er auch als ein unvollendetes Stück
nur zur Belastung der Moselbrücke, die ja unzweifelhaft von Holz war, gedient
haben. Ich denke mir aber seine Benutzung der Art, dass er in derselben Lage,
wie er jetzt liegt, mit der breiten Fläche nach unten auf der Bohlenlage der
Brücke so aufgestellt war, dass er in der obcrn Rinne dem Geländer zur Stütze
diente und das Loch zur Aufnahme eines Zwischenbalkens diente.« Noch wahr-
scheinlicher ist, dass der schwere Steinblock nicht auf der Brücke selbst, son-
dern an einem Ende derselben auf dem Lande in der bezeichneten Weise auf-
gestellt war und dem Geländer einen festen Stützpunkt gewährte. Seine rauhe
Seite war nach aussen gekehrt. Gegen diese Deutung kann man aber freilich
einwenden, dass in der Rinne jede Spur von einer Befestigung des Balkens
durch ein Eisen fehlt, die doch nöthig war, und dass das Loch zum Einlegen
eines Balkenkopfes nach innen konisch sich verjüngt. Die Blöcke desselben Ma-
terials, die man bei der Pfahlbrüoke fand, massen bis 2 ' im Quadrat und waren
nur auf einer oder zwei Seiten glatt behauen, sie dienten unzweifelhaft zur Be-
kleidung von grossen Mauerflächen.' Diese Steine wurden leider nicht aufbe-
wahrt, sondern versteigert. Ein Steinmetz, der sie kaufte, erzählte später, dasa
der Stein so hart sei, dass er nichts mit ihnen anzufangen wisse und sie nur
zu Treppenstufen verwenden könne.
Schaaffhausen.
22. Germanische Gräber im Elsass. Die Zeitungen berichteten
gegen Ende vorigen Jahres, dass in dem eine Stunde von Hagenau entfernten
Orte Hardthansen alte Grabstätten aufgefunden seien. Mitten unter den gerin-
geren Gräbern fand man ein solches, das wahrscheinlich einem vornehmen
Manne angehörte. Die Bestattung war eigenthümlich. Der Kopf hatte eine Un-
terlage von Rinde, während unter der Schulter und über der Brust Bretter ein-
gezwängt waren, zwischen denen das Skelet mit Schmuck aller Art überladen
geschützt da lag. An dem Halse, den Handgelenken, den beiden Schenkeln und
unten am Fusse trug es Riuge und Spangen. In nächster Nähe des Schädels
lagen viele Haften und Nadeln, mit denen jedenfalls das Haupthaar verziert war.
Auf der Brust lag eine verzierte ovale Platte von Kupfer, welche mit gut er-
haltenen Haselnüssen bedeckt war. Zwischen den Zähnen des Skeletes waren
zwei Haselnüsse eingepresst.
Schaaffhausen.
%r
Miscellen. 317
28. Aus Dablen im Kreise Gladbach gelangte folgende Zuschrift des
Herrn F. Schalte vom 7. Jan. 1878 an den Vorstand des Vereins: »An der
Grenae unserer Gemeinde, auf Hardt zu, befindet sich eine Menge von Hügeln,
die unter dem Kamen: »Hunshügelc bekannt sind. Sie liegen meist links von
der nach Hardt führenden Chaussee in Fichtenwäldern und sind in letzter Zeit
häufig das Ziel von Nachgrabungen gewesen. Die Hügel bestehen aus ange-
schütteter Erde, sind rund und von verschiedener Höhe und Ausdehnung und
bergen im Mittelpunkte eine Urne. Die Urnen aus gebranntem Thon werden
erst an der Luft wieder hart» sie sind hell oder dunkelbraun, über den Kno-
chenresten, die sie enthalten, liegt Erde mit Holzasche und Holzkohlen unter*
mischt. Bei einigen kommt eine Verzierung von sich schräge kreuzenden Stri-
chen vor. Auch sind einige Becher, von der gewöhnlichen Form unserer Ober-
tassen mit Henkel gefunden. Nur bei einer Urne fanden sich die folgenden Zei-
chen auf der Aussenseite: IXXXJ. Andere Sachen sind bisher nicht gefun-
den worden.« Diese germanischen Grabhügel schliessen sich den zahlreichen
Todtenfeldem an, die von Siegbnrg an auf der rechten Rbeinseite stromabwärts
sich verbreiten, und ist eine aufmerksame Durchsuchung der Hügel selbst so-
wie des Inhalts der Urnen wünschenswerth.
Schaaffhausen.
24. Bonn. Eine Abraxas-Plombe. Taf. XVII, Fig. 7. Ich bin im
Besitze einer antiken Plombe, welche obgleich stark verwittert dennoch deut-
lich erkennbar, auf der einen Seite das Abraxas-Bild, mit der Unterschrift
I A (0, auf der andern die Inschrift
ABPA
CAX
zeigt
Ueber das bekannte Abraxas-Bild und die Inschriften auf Gemmen ist
sehr viel geschrieben; am übersichtlichsten findet man den Gegenstand in: Joh.
Joach. Bellermann's Festschriften des BerL-KöUnischen Gymn. 1817 und 1818
behandelt. Nach ihm gehören die Abraxas-Gemmen der christlich-gnos tischen
Sede der Basilianer an und sollen eine bestinmite Idee, ^e Idee des Urwesens
Gottes, darstellen.
Zur Erklärung des Abraxas-Bildes zerlegt Bellermann dasselbe in seine
einzelnen Theile: den menschlichen Rumpf, den Hahnenkopf, die beiden Schlan-
gen, welche an die Stelle der Beine treten, und die Symbole in den Händen:
die Peitsche und den Kreis oder Kranz (letzterer ist auf unserer Plombe nicht
zu erkennen).
Den menschlichenRumpf hat Basilides, der Gründer derSecte und, so
viel man weiss, der Erfinder des Abraxas, dem Bilde seines Urwesens gegeben,
weil der menschliche Körper der edelste und somit zum Bildnisse des Gottes
der würdigste ist. Er verbindet damit die fünf zuerst aus Gott hervortretenden
818 Miscellen.
Stammkrafte: den Hahnenkopf als Symbol der wachsamen Vorsicht oder Vor-
sehung («J^^o^ijcrf^), die geschwungene Peitsche als Symbol der Macht (^iW/iic)f
den Kranz als Sinnbild der ewigen Weisheit {Zoip(a) und als Siegeszeichen^
endlich die Schlangen als Symbole der noch fehlenden zwei Eigenschaften, 6e-
müth, ganzer Sinn (Novg) und Vernunft {Aoyog), Ia$ oder lato bedeutet nach
ihm das »Wesen an sich, den Namen Gottest. Den Namen Abraxas fuhrt er
eines Theils auf die Zahl 365 zurück: Ar3l + B = 2 + P»100 + A:=
14-2: = 200 + A=1 + A = 60, Summa 365.
Dann erklärt er ihn noch alphabetisch und syllabisch-etymologisch, was
wir hier übergehen müssen. Hübsche Abbildungen von Abraxas-Gemmen findet
man auf dem Umschlage von Bellermann^s Schrift, und in Beger's Thes. Bran-
denb. S. 85. Basilides lebte zu Trajans und Hadrians Zeiten. Jedoch hieraus auf
das Alter unserer Plombe schliessen zu wollen, wäre aber sehr kühn, da das
Abraxas- Aild von vielen magischen und alchymistischen Secten des Mittelalters
adoptirt wurde, und man aus Gegenständen mit diesem Symbol in jener Zeit
vielfach Talismane verfertigte. Das Vorkommen des römischen X in der
sonst griechischen Legende lässt mich auf das 10. Jahrhundert schliessen, da
auch die byzantinischen Münzen jener Zeit ein buntes Gemisch von römischen
und griechischen Buchstaben aufweisen und das GJ, im Worte laat dieselbe
Form zeigt, wie das Sl auf der Münze von Romanus II 959—963). Doch zeigt
diese Münze das lateinische 8, während unsere Plombe noch das griechische
runde Sigma hat, also etwas älter sein möchte.
F. van Vleuten.
25. Bonn. Amulet mit griech. Inschrift. S. Tafel XVD; Fig. 8.
Unter anderen römischen Münzen gelangte vor kurzem ein später überarbeitetes
Mittelerz in meinem Besitz, dessen Deutung mir bis jetzt nicht gelungen. Es
möge hier eine kurze Beschreibung finden, um Fachmänner zu veranlassen, ihre
Ansicht über dasselbe gütigst mitzutheilen.
Auf der Münze zeigen sich auf der einen Seite sehr schwache Spuren
eines Kopfes, auf der andern ist eine längliche Erhöhung, welche von einer der
gewöhnlichen Revers-Figuren (Aequitas, Virtus oder dgl.) herstammen könnte.
Es scheint der Grösse und dem ganzen Eindrucke nach ein sehr stark abge-
nutztes Mittelerz von Vespasian oder Domitian zu sein. Von grosser Schärfe
sind dagegen die später, aber jedenfalls noch im Alterthum eingeschnittenen
Buchstaben der einen und der gleichfalls eingeschnittene schematisch behan-
delte Tannenbaum oder Tannenzweig der andern Seite. Die Inschrift laut-et:
<DYAA
€3TI
Es liegt die Vermuthung nahe, dass wir es mit einem Amulet oder der-
gleichen zu thun haben, welches aus einer durch den Verkehr fast unkenntlich
gewordenen Münze hergestellt wurde.
Ob das 'PvXa sich' auf 4>vXdaauß erhalten, beschützen oder 4nfX^ Zunft
Miscellen. 819
Stamm, oder auf ein anderes Wort zurückfuhren lasse, mögen. Andere entschei-
den, zugleich aber bedenken, dass das Amulet wahrscheinlioh aus dem IV. Jahrh,
oder noch sp&terer Zeit stammt, einer Zeit, wo das Griechische, wie einge-
kratzte Inschriften in den Catakomben daHhun, oft recht sonderbar verstüm-
melt wurde.
F. van Vleuten.
26. Bonn. Bö mische Grabfunde in Bonn. Im Februar d. J. wurde
mir mitgetheilt, dass in einer Kiesgrube vor dem Cölnthore antike Gegenstände
aufgefunden worden ; sofort begab ich mich zu dem mir bekannten Eigenthümer
des Grundstückes, um dieselben zu erwerben, kam jedoch zu spät, denn die
besseren Stücke waren schon in andere Hände übergegangen. Etwa 14 Tage
später fanden sich an selber Stelle wiederum einige Anticaglien, welche ich er-
warb. Ausser gewöhnlichen Töpferwaaren waren dort ein Gefass von blauem
Glas, ein Schloss mit Schlüssel und ein Gegenstand von Erz, dessen Bedeutung
mir noch nicht ganz klar geworden.
Das Glas war von tief dunkelblauer Farbe, der Henkel, sowie ein schma-
•
1er Bing am obem Halsende und ein breiterer am Fusse, sowie ein feiner Glas-
faden, welcher als Verzierung den Hals umschlang, war heller türkisgrün ge-
färbt. Die Höhe betrug 12 G. In der Gestalt ähnelt das Glas genau den Essig-
fläschchen, welche man so häufig in hölzernen Einsätzen sieht. Die ganze Arbeit
war zierlich und das Fläschchen, mit Ausnahme eines Sprunges im Bauchtheile,
gnt erhalten.
Das Schloss war insofern, interessant, als sich noch eine kleine quadra-
tische Platte an demselben vorfand, welche an dem Kistchen, an dem das Schloss
angebracht war, den äusseren verzierenden Beschlag bildet. Die Platte war an
den Seiten durchbrochen gearbeitet; man sah an derselben noch deutlich den
Umkreis, welchen der Bing des Schlüssels durch den langen Gebrauch einge-
schliffen hatte.
Das dritte Stück bestand aus mehreren Theilen, nämlich einem grossem
Hauptstück, und mehreren Gliedern einer Kette. Erstercs gleicht einer soge-
nannten Bulle, ist annähernd herzförmig gestaltet, d. h. oben weiter und nach
unten spitz zulaufend, der Höhendurchmesser ist etwa 8 Gm., der Dickendnrch-
messer etwa die Hälfte. Die vordere Seite bildet den Deckel, welcher durch ein
Charnier sich öffnen und schliessen lässt. Die übrigen Theile sind etwa 8 Cm.
lang und durch ein einfaches Charnier verbunden, so dass sie eine Gliederkette
bilden. Sofort kam mir der Gedanken, es möchte vielleicht ein Armband sein,
allein es ergab sich bei einer provisorischen Zusammensetzung, dass der Üm-
Tang der Kette für ein Handgelenk zu weit ist, am Oberarm würde es vielleicht
passen. Dann sind aber auch die einzelnen Glieder so gross, dass die Kette in
Folge dessen sich nicht anschmiegen kann und also dei\ Zweck als Armband
schlecht vertreten würde.
Da diese drei Stücke dicht beisammen lagen, vormuthe ich, dass das
Fläsohchen mit dem letztem in einer hölzernen Cassette aufbewahrt wurde, zu
820 Miscellen.
welcher das Schloss sowie der Schlassel gehörten. Wahrscheinlich stammen sie
sammtlich aus dem Boudoir einer Römerin und diente das Glas zur Aufnahme
wohlriechender Oele oder Essenzen und Nr. !2 zur Aufbewahrung von Salbe
oder irgend eines wohlriechenden Gegenstandes. Ueber letzteres wird jedoch
später noch weiter abgehandelt werden.
Einige Zeit später fanden sich an derselben Stelle wiederum zahli*eiche
römische Anticaglien, meistens von gewöhnlichem Thon und werthlos, Erwäh-
nung verdient ein grosser zweihenkcliger Krug von rothem Thon nebst dazu
gehöriger Unterschale. Das Gefass ist sehr dickbauchig und verengt sich am
Halse, so dass die Weite desselben kaum einen Zoll beträgt, während es im .
grössten Dickendurchmesser fast IV2' hat, die Höhe ist etwas über 2*,
Das werthvoUste Stück des ganzen Fundes war ein schwarzes Trink-
gefäss, mit weisser und gelber Aufschrift und Verzierung. Sowohl was Erhal-
tung, wie Schönheit und Seltenheit der Verzierung und Aufschrift anbelangt,
ist dasselbe bemerkenswerth. Es rangirt in die Reihe derjenigen Gefasse, deren
Herr Herstatt in Cöln eine unübertroffene Sammlung besitzt, und welche zur
Zeit der Römer vorzüglich hier am Rheine verfertigt wurden. Da ich beab-
sichtige nächstens die in letzter Zeit hier gefundenen Inschriftgefasse näher zu
besprechen, erwähne ich nur noch, dass das Gefäss die Aufschrift AQVAM
SP ARGE hatte und dass es in die Sammlung des Herrn Herstatt gelangt ist.
Femer fand sich noch ein schöner Becher von mattem Glas, in welches
eine einfache Strichverzierung eingekratzt war. Leider war das seltene Gefäss
beim Auffinden an einer Seite durch einen ziemlichen Sprung beschädigt; das-
selbe kam in Besitz unseres Vereines.
Fast zur selben Zeit wurden im Rheindorfer Felde beim Lehmstechen
eine Anzahl römischer Gkfässe, Ziegeln etc. aufgefunden. Bemerkenswerth waren
ein leider ganz zerbrochenes Gefass mit der Aufschrift VT| * FR VI und
zwei Tellerohen von weissem Thon, über welchen jedoch eine grün glasirte
Schicht aufgetragen war. Ich kam selbst hinzu, wie die betreffenden Stücke
ausgegraben wurden und habe sie eigenhändig gereinigt, so dass mir an der
Aechtheit dieser Tellerchen nicht der mindeste Zweifel aufkam. Eines derselben
zeigte auf der obem Fläche eine einfache Arabeskenverzierung, auf dem andern
war die grüne Glasur zum grössten Theil abgesprungen, so dass sich nicht mehr
entscheiden liess, ob es auch verziert gewesen. Da die Aechtheit dieser flachen
Tellerchen mehrfach von Archäologen angezweifelt worden ist, Hess ich eine ge-
naue Aquarellskizze von denselben anfertigen und schickte dieselbe an den
Gustos am Brittischen Museum, Herrn Franks, den man mir als einen Kenner
von dergleichen Sachen gerühmt hatte. Herr Franks war darauf so freundlich
mir mittheilen zu lassen, dass er die Tellerchen ganz entschieden für acht
halte und dass auch das brittische Museum eine Anzahl bunt glasirter Thonge-
fässe besitze, welche unzweifelhaft römischen Ursprungs seien. Die Tellerchen
wurden für das Vereinsmuseum erworben.
Eine reiche Fundgrube römischer Alterthümer fand sich ebenfalls in der
Miscellen. 821
N&he des Cölnthorea vor der Stadt, nicht weit von der Heerstrasse. Leider
wurden bei weitem die meisten Gegenstande theils durch das Ungeschick der
Arbeiter, theils durch die Ungunst der örtlichen Verhältnisse zerbrochen oder
sonst arg beschädigt. Von Gläsern fand sich eine ziemlich grosse Zahl vor von
mannigfachen und sogar seltenen Formen, aber nicht ein einsiges erhielt ich
unversehrt, die meisten waren ganz zertrümmert. Auch mehrere Inschriflge-
fasse fanden sich an dieser Stelle, eines derselben trug die Aufschrift SITIO,
das andere REPLE ME. Beide waren stark beschädigt. Das schönste
Fnndstück, welches leider auch ganz zertrümmert wurde, war eine Arbeit von
getriebenem Erz und von grosser Schönheit. Der Mittelpunkt des Erzbildes —
so will ich es vorab nennen — wurde durch einen weiblichen Idealkopf ge-
bildet. Die Züge waren von jugendlicher Schönheit, das Haar hoch frisirt und
um dasselbe ein Lorbeerkranz geschlungen. Bechts und links von dem Kopfe
stand je ein Genius, welcher das Ende einer sich über den Kopf hinziehenden
Guirlande gefasst hielt. Der Zwischenraum war mit verschiedenen Verzierungen
ausgefällt. Das Ganze war auf der erhobenen Seite stark versilbert, so dass
jetzt trotz des schöneji Oxyds, welcher das Bild überzieht^ noch reichliche Spuren
davon vorhanden sind.
Es ist schwer zu entscheiden, welchem Zwecke dieser Gegenstand gedient
habe. Wäre die Arbeit weniger schön und fein ausgeführt, so könnte man an
einen Schildbeschlag oder etwas ähnliches denken, allein dazu war es nicht
kräftig genug, denn der geringste Schlag oder Stoss würde es unstreitig zer-
trümmert haben. Ich kann mir anders keine Bestimmung denken, als dass er
eben als ein Bildwerk zum Schmuck eines Zimmers oder einer Halle aufgestellt
oder aufgehängt wurde. Die sämmtlichen Stücke, welche von unserm Vereine
erworben wurden, befinden sich augenblicklich in den Händen eines geschickten
Juweliers, dem es hoffentlich gelingen wird, dieselben richtig zusammenzufügen
und das Fehlende zu ergänzen.
Genau an derselben Stelle fand man mehrere Bronceverzierungen, welche
als Beschläge einer Kiste gedient zu haben scheinen, sogar die Nägel fanden
sich noch vor und es ist deshalb anzunehmen, dass das broncene Kunstwerk
sich in einem Kästchen befand. Das Holz verwitterte natürlich im Verlauf der
Zeit und nur das dauerhafte Erz gelangte in unsern Besitz.
Ausserdem wurden noch römische Gräber an verschiedenen Stellen an
der Goblenzerstrasse aufgedeckt, auf der Sandkaule und an der Cölner Chaussee
weiter entfernt von der Stadt, allein theils waren die Funde so unbedeutend, so
dass es sich nicht lohnt, dieselben näher zu besprechen; theils gelang es mir
nicht. Näheres darüber zu erfahren resp. die betreffenden Fundstücke zu sehen.
Schliesslich erwähne ich noch, dass ein schön gearbeitetes Glasgefass bei
einem Neubau auf der Goblenzerstrasse aufgefunden wurde und durch meine
Vermittlung in die Vereinssammlung gelangt ist.
Ueber einen hier gemachten Münzfund habe ich an einer andern Stelle
des Heftes ausfuhrlich abgehandelt. Dr. Cuny Bouvier.
21
322 Miscellen.
27. Liuz. Der römische Pfahlgraben östlich und südöstlich
von Linz. Als in der Nähe wohnendes Mitglied des Vereins von Alterthams-
freanden im Rheinlande musste ich es sozusagen als Ehrensache betrachten, die
nach den Untersachnngen des Oberstlieutenants F. W. Schmidt (Annalen des
Vereins für Nassauische Alterthumskunde und Geschichte Band VI Heft 1, 1859,
auch in besonderem Abdruck erschienen Kreaznach, in Gommission bei B.
Voigtländer, 1869), des Freiherrn von Hoiningen gen. Huene und des Prof.
Dr. Schneider (in diesen Jahrbüchern XXXVDI S. 171 ff., XLIX S. 177 ff.) noch
nicht näher untersuchte Strecke des limes transrhenanus zwischen dem Biegel-
Steinsgraben und dem Hönningerwalde wo möglich genau nachzuweisen. Die
hierauf gerichteten Bemühungen sind nicht ohne £rfolg geblieben, wenn auch
noch nicht zum Abschluss gediehen. Gleichwohl dürften sich die von den beiden
zuletzt Genannten hinsichtlich der Ruine Renneberg, beziehungsweise des Hom-
bornerhofes, als Anschlusspunkt für die noch zu untersuchende Strecke ausge-
sprochenen Vermuthungen schon jetzt als auf irrthümlichen Auffassungen be-
ruhend erweisen, die gewonnenen Ergebnisse überhaupt aber so sicher sein '
und die vorhandenen Lücke so wesentlich ausfüllen, dass eine Mittheilung der-
selben an dieser Stelle gerechtfertigt erscheinen möchte. Das Verdienst, das
Beste hierbei gethan zu haben, gebührt der freundlichen Mitwirkung und dem
wissenschaftlichen Sinne des terrainkundigen Herrn Oberförsters Melsheimer
hierselbst.
Bei unserm ersten Suchen nach dem Pfahlgraben im Anfange dieses Som-
mers (1873) fiel uns eine Stunde östlich von Linz, etwa V4 Stunde östlich von
dem Linzer Ronig (Hof), auf dem in der Gemeinde Dattenberg >im Grindel c
Flur 10 Parzelle 8 nördlich des Weges gelegenen Acker des Herrn Otto von
Mengershausen eine lange und gerade, in der Richtung von Südosten nach
Nordwesten sich erstreckende wallartige Erhöhung auf, längs deren Ostseite sich
eine grabenartige Vertiefung hinzog. Unsere Vermuthung, dass wir hier Reste
des gesuchten limes vor uns hätten, und dass, falls diese Vermuthung richtig
wäre, wir in dem nordwestlich anstossenden Dattenberger Gemeindewalde die
Fortsetzung desselben finden müssten, bestätigte sich sofort; nur waren in dem
Walde Wall und Graben viel schöner, d. h. höher resp. tiefer erhalten. Herr
von Mengershausen hatte nämlich im letzten Jahre den bis dahin noch zum
Theil mit Holz bewachsenen Damm umroden lassen, wobei natürlich behufs
bequemeren Ackerns sowohl Wall als Graben bedeutend waren eingeebnet wor-
gcn. Die Fortsetzung des Grabens in dem genannten Gemeindewalde läuft in
gerader Richtung in eine natürliche Schlucht aus, die in das Thal des Heid-
scheidenbaches mündet, welcher sich bei der Stemerhütte mit dem Rennenber-
gcrbache vereinigt und bei Linz in den Rhein fallt. Zwischen beiden Bächen
liegt der über 1300 ' hohe Hummelsberg. Da es höchst unwahrscheinlich ist,
dass die Römer den Pfahlgraben über letzteren^ oder sogar mit sehr bedeu-
tender Ausbengung östlich von demselben sollten gezogen haben, so ist die
Vermuthung des Herrn Melsheimer sehr wahrscheinlich, dsss dieselben hier, wie
auch sonst, die von der Natur gegebenen Vertiefungen benutzend, denselben
Misoellen. 1323
von dem obengenannten Biegelsteinsgraben ans zuerst die Westseite eines Ne-
benbächleins des Bennebergerbaches und darauf den letztern selbst entlang bis
zur jetzigen Stemeihütte, dann die Südseite des Heidscheiderbaohes entlang bis
zu der eben erwähnten Schlucht und Parzelle 8 geführt haben. Vielleicht liegt
in der Districtsbenennung >am Heidscheid« (= Grenze gegen die Heiden ?) und
dem von ihr abgeleiteten Namen d§B Baches eine Bestätigung dieser Yermu-
thung, sowie auch vielleicht in dem Namen der etwa 20 Minuten Östlich von
Parzelle 8 gelegenen Basaltkuppe »Römerickc (= Römerberg oder Romberg*)?)
auf der. Wasserscheide zwischen Rhein und Windbach eine Erinnerung an das
weltbeherrschende Volk anklingt.
Kehren wir zu der Parzelle Nr. 8 zurück! Hart an der Südseite des süd-
lich an ihr vorbeiführenden Weges war genau in der Richtung des Pfahlgra-
bens noch eine dammartige Erhöhung bemerklich, die uns, obschon in den
südlich vom Wege liegenden Aeckern und Wiesen sonst jede Spur von Wall
und Graben verschwunden war, für die Fortsetzung derselben in der etwa 40
Schritte südlich von dem genannten Wege entfernt liegenden Holzung das Beste
hoffen Hess. Und richtig: Wir visirten die gerade Richtung und fanden beide
trefflich erhalten vor. Sie verlieren sich wieder in eine Schlucht, die sich bald
zum »Kimmelsthalec erweitert, dessen Wasser sich mit dem Döttersbach ver-
einigt und bei Leubsdorf den Rhein erreicht. Herr Melsheimer ist der Ansicht,
dass der Pfahlgrab^i der Westseite desselben in südwestlicher Richtung bis
zur Yereinigung mit dem von Osten aus dem »grossen Loche kommenden Döt-
tersbach und dann der Südseite, des letzteren nach Osten bis zu dem Punkte ^«
gefolgt sei, von welchem südlich auf der Höhe er denselben im August d. J.
wieder aufgefunden hat. Die Fundstelle ist gelegen in dem Gemeindewalde von
Leubsdorf, eine Stunde östlich von diesem Dorfe entfernt, in den durch einen
Weg getrennten Districten > Wammelster c Nr. 7 und >am neuen Wege Nr. 6.
Der Pfahlgrraben wird hier sichtbar an dem nördlichen Abhänge des ersteren
Districts und zieht in einer Länge von etwa 40 Schritt und einnr Höhe von
4 Fnss bis zur Wegeanlage; dann, durch diese unterbrochen, weiter südlich
bis an den entgegengesetzten Abhang in einer Länge von 30 Schritt und einer
Höhe von 3 Fuss. Die südliche Abdachung fällt in den »tiefen Seifen« , den öst-
lichsten Theil des Thaies des Ariendorf erbaches, dessen Nordseite der Pfahl -
graben eine Strerke weit nach Westen gefolgt sein muss, um dann nach einer
südöstlichen Schwenkung über den Gebirgsrücken das Thal des bei Hönningen
in den Rhein mündenden Moorbachs zu gewinnen. Auf diesem Gebirgsrücken
1) In »Romberge fiel zuerst »bc als Opfer der vorwärts wirkenden Assi-
milation, wie aus ursprünglichem Einher (Gegensatz Zeuber, Stamm bar, la-
teinisch und griechisch fer) zuerst Eimber, dann Eimer wurde. Für den
üebergang von »ergt in »erichc vgl. Limperich, entstanden aus Lindberg, wel-
ches noch 996 linberge, 1383 limperche hiess, oder die noch heute in officiellen
Verzeichnissen für ein und denselben Ort vorkommenden Namensformen: Hem-
perich, Himperich, Himberich, Himberg.
B24 Misoellen.
■
fand Herr Melsheimer ebenfalls im August d. J. ein praohtvoll erhaltenes Stück
des Pfahlgrabens in der Gemeinde Hönningen, >aaf dem Peuleiterc Flur 15, wo
der Kamm desselben in einer Länge von 70 Schritt bei einer Höhe von 6 bis
7 Fuss in der Richtung von Norden nach Snden die Grense bildet swischen
der dem Herrn Jakob Schoop in Hönningen gehörigen Waldparzelle Nr. 288
nnd der dem Herrn Goswin Müller in I^nz gehörigen Waldparselle Nr. 286.
An derselben Nordseite beider Parzellen vorbei führt ein im Walde tief ein-
geschnittener Weg westlich in 25 Minuten nach dem Hombomerhof (wo also
kein Pfahlgraben zu suchen sein wird) und von letzterem in 85 Minuten nach
Hönningen. An der Nordseite des Hohlweges ist der Pfahlgraben nur noch in
einer Länge von 16 Schritt erhalten, obschon das Terrain bis zur Thalwand
des Ariendorf erbachcs noch eine ziemliche Strecke weit flach ist. Wahrschein-
lich war der jetzige Wsldboden an dieser Stelle einst Ackerland, eine Yer-
mnthung, die mir sowohl Herr Melsheimer, als unabhängig von diesem ein
Ackersmann äusserte.
Auf diese drei Punkte, die ich alle genau in Augenschein genommen
habe, sind bis jetzt unsere Entdeckungen beschränkt geblieben. Viel wird auch
wol überhaupt nicht mehr auf der fraglichen Strecke zu entdecken sein, da es
bei dem von zahlreichen tiefen Thälern durchschnittenen Terrain nicht zu ver-
wundem ist, dass im Laufe so vieler Jahrhunderte an den steilen Abhängen
die Dammerde den Ein^virkungen des Wassers und dem Gesetze der Schwere
weichend spurlos hinabgerollt ist. Bemerkenswerth ist bei der Anlage an allen
drei Punkten, dass die schmälsten Stellen der Bergrücken zu üebergängen
von Thal zu Thal gewählt worden sind, dass auf diesen üebergängen der Wall
dem Rheine parallel von Südosten nach Nordwesten zieht, dass die Verbin-
dungen der Bergrrücken durch westwärts, convexe, dem Laufe von Bächen
folgende Curven vermittelt zu sein scheinen, endlich dass alle drei Punkte un-
gefähr in dem gleichen directen Abstände einer Stunde (der südlichste etwas
weniger) von dem Rheine entfernt sind.
Steinring bei Hönningen a. Rh. Im AnscUuss an Vorstehendes die
Notiz, dass sich 1 Stunde 20 Minuten östlich von Hönningen, nördlich an dem
Wege nach dem Mahlberge auf einem Bergrücken am Anfange des Rheinbroh*
1er Gemeindewaldes in dem District »Gepachte Laach« ein runder Steinhügel
von 10 m. Durchmesser, 1,8 m. Höhe befindet.
Linz a. Rh. Joseph Pohl.
28. Linz. Fundstätten römischer Alterthümer in der Um-
gebung von Billig im Kreise Euskirchen. Die durch die öffentlichen
Blätter zu meiner Kenntniss gelangte Absicht des Vereins der rheinischen Al-
terthumsfreunde, die alte Belgica aufgraben zu lassen, hat insofern ein erhöhtes
Interesse für mich, als Billig mein Geburtsort ist, und ich in Folge dessen im
Stande zu sein glaube, mehrere auf eigener Anschauung beruhende Angaben sa
machen, die zur Aufhellung der Ausdehnung der Station, ihrer Umgebung und
MisoeUen. 325
YerfaindiuigBwege einige nicht ganz onweaentliohe Anhaltsponkte geben dürften.
Ich kann dabei die Frage nicht uliterdrücken, ob es sich nicht überhaupt em-
pfehlen würde, 8ur Ermöglichung und Förderung künftiger NachforBchungen
in diesen Jahrbüchern den j Fundstätten von Alterthümemc eine besondere
Rubrik zu eröfinen, wenn sich auch die betreffenden Mittheilungen auf eine
genaue Angabe der Localitaten beschränken sollten. Zur Anregung dieser
Fragebestimmt mich das in Folge der Bodencultur taglich mehr um sich grei-
fende Schwinden der Alterthümer, die leider nur zu grosse Theilnahmlosigkeit
der Menschen für solche in der Regel keinen direoten materiellen Gewinn ab-
werfenden Dinge, die Schwäche des menschlichen Gedächtnisses und die daraus
hervorgehende Unsicherheit mündlicher Ueberlieferung, endlich die Möglichkeit,
dass das von Einzelnen Gewusste durch Schweigen für immer oder doch viel-
leicht auf lange Zeit, bis ein glücklicher Zufall es wieder ans Licht bringt, der
Vergessenheit anheimfallt. In diesem Sinne bitte ich die nachstehenden Notizen
aufzunehmen.
I. Bei meinen Studien über römische Ortsnamen in den Rheinlandon war
mir der Flurname »auf der Spichc aufgefallen. Die fragliche Flur liegt in der
Gemeinde Euenheim, an der Grenze der Gemeind